Er dringt uneingeschränkt auf das Prinzip der kollektiven Sicherheit, empfiehlt die Beschränkung der nationalen Rüstungen und verkündet als notwendig und unausweichlich das Zustandekommen einer Weltkonferenz, bei der alle Könige und Herrscher der Welt über die Gründung eines Friedens unter den Nationen beraten.

+12:51

Die Gerechtigkeit preist Er als »das Licht der Menschen« und ihre »Hüterin«, als »Enthüllerin der Geheimnisse der bestehenden Welt und Bannerträgerin der Liebe und Güte«; Er spricht von ihrem unvergleichlichen Glanz und sagt, daß auf ihr »die Ordnung der Welt und die Ruhe der Menschheit« beruhen muß. Er bezeichnet ihre »zwei Säulen« - »Lohn und Strafe« - als »die Lebensquellen« für das Menschengeschlecht;¹ Er ermahnt die Völker der Erde, sich in der Erwartung ihres Eintreffens zu regen, und sagt voraus, daß nach einer Zeit großer Unruhe und schmerzlicher Ungerechtigkeit ihre Sonne in voller Pracht und Herrlichkeit erstrahlen werde.

¹ AKKA 3/25

+12:52

Er prägte ferner das Prinzip des »rechten Maßes in allen Dingen« und erklärt, daß alles, sei es »Freiheit, Zivilisation und dergleichen«, sobald es »die Grenzen der Mäßigung überschreitet«, »verderblichen Einfluß auf die Menschen haben« muß. Er stellt fest, daß die westliche Zivilisation die Völker der Welt zutiefst aufwühlt und beunruhigt, und verheißt, daß der Tag naht, da die »Flamme« der Zivilisation, »ins Übermaß gesteigert«, »die Städte verzehren« werde.

+12:53

Die Beratung macht Er zu einem der Hauptgrundsätze Seines Glaubens; Er beschreibt sie als »die Lampe der Führung«, »die Quelle des Verstehens«¹ und eine der beiden »Leuchten« am »Himmel göttlicher Weisheit«. Wissen, sagt Er, gleicht den »Flügeln für des Menschen Leben«², »einer Leiter für seinen Aufstieg«; sich darum zu bemühen, sei »jedermanns Pflicht«. »Künste, Handwerk und Wissenschaften« betrachtet Er als notwendig, um die bestehende Welt zu verbessern; Er rät, durch Ausübung eines Handwerks oder sonstigen Berufes zu Wohlstand zu kommen, spricht davon, was die Völker ihren Wissenschaftlern und Handwerkern schuldig sind, und rät vom Studium solcher Wissenschaften ab, die den Menschen nicht dienlich sind und lediglich »mit Worten anfangen und mit Worten aufhören«.

¹ AKKA 11/16 ² AKKA 5/15

+12:54

Die Pflicht, mit allen Menschen »im Geiste des Wohlwollens und der Verbundenheit« zu »verkehren«, betont Er und gibt zu verstehen, daß solcher Umgang zu »Einheit und Eintracht« führt«, die, wie Er bekräftigt, Ordnung in der Welt bewirken und die Völker beleben. Wiederholt weist Er auf die Notwendigkeit einer universalen Sprache und Schrift hin, beklagt den Zeitverlust beim Erlernen verschiedener Sprachen, versichert, daß mit der Übernahme einer solchen Sprache und Schrift die ganze Welt zu »einer einzigen Stadt, zu einem einzigen Land« würde, behauptet, beide zu kennen, und erklärt sich bereit, Sein Wissen jedem mitzuteilen, der es von Ihm verlange.

+12:55

Den Treuhändern des Hauses der Gerechtigkeit weist Er die Pflicht der Gesetzgebung in Angelegenheiten zu, die nicht ausdrücklich in Seinen Schriften behandelt sind, und verheißt, daß Gott »ihnen alles eingeben« werde, »was Er will«. Die Einrichtung einer konstitutionellen Regierungsform, in der die republikanischen Ideale mit der Majestät des Königtums verbunden sind, die Er als »eines der Zeichen Gottes« bezeichnet, empfiehlt Er als etwas sehr Verdienstvolles; Er drängt darauf, dem Wohl der Landwirtschaft besondere Aufmerksamkeit zu schenken, erwähnt ausdrücklich »die rasch erscheinenden Zeitungen«, die Er als »den Spiegel der Welt« und »eine erstaunliche und machtvolle Erscheinung«¹ bezeichnet, verlangt aber von allen, die für ihren Inhalt verantwortlich sind, frei zu sein von Böswilligkeit, Leidenschaft und Vorurteilen, gerecht und aufrichtig zu sein, gewissenhaft zu recherchieren und allen Tatsachen in jeder Hinsicht gerecht zu werden.

¹ AKKA 8/53

+12:56

Die Lehre von der Größten Unfehlbarkeit entwickelt Er weiter und bekräftigt aufs neue die Seinen Anhängern auferlegte Pflicht, sich gegenüber »der Regierung des Landes, wo immer sie wohnen, treu, ehrbar und wahrhaftig zu erweisen«¹, betont aufs neue das Verbot des sogenannten heiligen Krieges und der Büchervernichtung, preist besonders einzelne Männer der Wissenschaft und Weisheit und nennt sie »Augen« für den Leib der Menschheit und die »größten Gaben«, die der Welt verliehen sind.

¹ AKKA 3/8

+12:57

In diesem Überblick über die Grundzüge der Schriften Bahá'u'lláhs aus der letzten Zeit Seiner Verbannung in Akká sollte nicht ein Hinweis fehlen auf das Lawh-i-Hikmat (Die Tafel der Weisheit), in dem Er die Grundlagen wahrer Philosophie herausschält, oder das sogenannte Besuchsgebet, das Er zu Ehren des Imám Husayn schrieb, dessen Ruhm Er in glühenden Worten preist, oder die »Fragen und Antworten«, die die Gesetze und Gebote des Kitáb-i-Aqdas erläutern, oder das Lawh-i-Burhán (Das Sendschreiben vom Beweis), in dem die Schandtaten des Shaykh Muhammad-Báqir, genannt »Dhi'b« (Wolf), und des Mír Muhammad-Husayn, des Imám-Jum'ih von Isfahán, genannt »Raqshá« (die Schlange), streng verdammt werden; ferner das Lawh-i-Karmil (Der Sendbrief vom Karmel), in dem der Verfasser ausdrücklich von der »Stadt Gottes, die vom Himmel herabgekommen«, spricht und verheißt, daß »Gott binnen kurzem Seine Arche« auf jenen Berg zusteuern und »das Volk Bahás offenbaren« werde. Und schließlich sei noch Sein Brief an Shaykh Muhammad-Taqí, den sogenannten »Ibn-i-Dhi'b« (Sohn des Wolfes), erwähnt, das letzte herausragende Sendschreiben Bahá'u'lláhs, in dem Er jenen raffgierigen Geistlichen seine Taten zu bereuen auffordert, einige der charakteristischsten und berühmtesten Abschnitte aus Seinen Schriften zitiert und Beweise anführt, die die Gültigkeit Seiner Sache belegen.

+12:58

Man kann sagen, daß mit diesem Buch, etwa ein Jahr vor Seinem Hinscheiden offenbart, Sein umfangreiches Werk als Autor von hundert Bänden, Schatzbergen voll unschätzbarer Perlen Seiner Offenbarung, praktisch abgeschlossen war - Bände, gefüllt mit unzähligen Ermahnungen, umwälzenden Prinzipien, Gesetzen und Gebote, die der Welt ein völlig neues Gesicht geben, voll ernster Warnungen und düsterer Prophezeiungen, herzerhebender Gebete und Meditationen, aufschlußreicher Kommentare und Erläuterungen, lebhafter Abhandlungen und Predigten, und überall eingestreuter Botschaften und Empfehlungen an Kaiser, Könige und Minister in Ost und West, an die Geistlichen verschiedener Richtungen und an die führenden Persönlichkeiten auf wissenschaftlichem, politischem, literarischem, esoterischem, kommerziellem und humanitärem Gebiet.

+12:59

Den ganzen Umfang dieser gewaltigen, schwerwiegenden Offenbarung überblickend, schrieb Bahá'u'lláh an Seinem Lebensabend aus Seinem Größten Gefängnis: »Wir haben wahrlich Unsere Pflicht nicht versäumt, die Menschen zu ermahnen und ihnen das zu übermitteln, was Mir von Gott, dem Allmächtigen, dem Allgepriesenen, aufgetragen war.« Und Er stellt fest: »Gibt es in dieser Offenbarung für irgend jemand eine Entschuldigung? Nein, bei Gott, dem Herrn des mächtigen Thrones! Meine Zeichen umfangen die Erde, und Meine Macht umhüllt die ganze Menschheit.«

Kapitel 13
Das Hinscheiden Bahá'u'lláhs

+13:1

Nahezu ein halbes Jahrhundert war seit der Geburt des Glaubens vergangen. In seiner Wiege von Haß umgeben, in seiner Kindheit seines Herolds und Führers beraubt, hatte er sich aus dem Staub, in den ihn ein feindseliger Despot geschleudert hatte, wieder erhoben durch sein zweites und größtes Licht, dem es gelang, trotz fortlaufender Vertreibungen in weniger als einem halben Jahrhundert sein Geschick zu wenden, seine Botschaft zu verkünden, seine Gesetze und Gebote zu erlassen, seine Grundsätze zu formulieren und seine Institutionen zu verfügen; und als er eben begann, sich im Licht eines Aufschwungs zu sonnen, wie er ihm nie zuvor vergönnt war, beraubte ihn das Schicksal plötzlich seines Stifters, was seine Anhänger in große Besorgnis und Verwirrung stürzte, seine Gegner aber neue Hoffnung schöpfen und seine politischen wie geistlichen Feinde wieder Tritt fassen ließ.

+13:2

Wie Abdu'l-Bahá bestätigt, hatte Bahá'u'lláh schon neun Monate vor Seinem Hinscheiden den Wunsch geäußert, diese Welt zu verlassen. Seither wurde aus dem Ton Seiner Bemerkungen gegenüber denen, die in Seine Gegenwart kamen, immer deutlicher, daß das Ende Seines irdischen Lebens nahte, obgleich Er zu niemand offen darüber sprach. In der Nacht vor dem elften Shavvál 1309 n.d.H.¹ bekam Er leichtes Fieber, das am Tag darauf etwas anstieg, dann wieder abklang. Er führte auch weiterhin Gespräche mit bestimmten Freunden und Pilgern, aber bald war zu sehen, daß Er sich nicht wohl fühlte. Erneut trat Fieber auf, heftiger als zuvor. Sein Allgemeinzustand verschlechterte sich zusehends, dann traten Komplikationen auf, die am 2. Dhi'l-Qa'dih 1309 n.d.H.² um die Morgendämmerung, acht Stunden nach Sonnenuntergang, im 75. Jahr Seines Lebens, zu Seinem Hinscheiden führten. Nun hatte Sein Geist, der endlich von den Mühen eines Lebens voller Drangsal erlöst war, seinen Flug in Seine »anderen Reiche« genommen, in Reiche, »auf die nie der Blick des Volkes der Namen fiel« und wohin die »strahlende, weiß gekleidete Jungfrau« Ihn eilen hieß, wie Er es im neunzehn Jahre zuvor anläßlich des Gedenktags der Geburt Seines Vorläufers offenbarten Lawh-i-Ru'yá (Sendbrief von der Schau) beschrieb.

¹ 8. Mai 1892 ² 29. Mai 1892

+13:3

Sechs Tage, bevor Er starb, ließ Er, im Bett an einen Seiner Söhne gelehnt, alle Gläubigen, darunter einige Pilger, die sich im Landhaus versammelt hatten, zu Sich rufen, was sich als ihre letzte Audienz bei Ihm erweisen sollte. »Ich bin sehr zufrieden mit euch allen«, sprach Er gütig und liebevoll zu der weinenden Schar, die um Ihn stand. »Ihr habt viele Dienste geleistet und wart sehr eifrig in eurem Werk. Jeden Morgen und jeden Abend seid ihr hierher gekommen. Gott stehe euch bei, daß ihr einig bleibt. Möge Er euch helfen, die Sache des Herrn des Seins zu erheben.« An die Frauen, darunter Seine Familienmitglieder, die um Sein Bett standen, richtete Er ähnlich ermutigende Worte und versicherte ihnen nachdrücklich, daß Er sie alle in einem Dokument, das Er dem Größten Zweig anvertraut habe, Dessen Fürsorge empfehle.

+13:4

Die Nachricht von Seinem Hinscheiden wurde sofort Sultán Abdu'l-Hamíd übermittelt durch ein Telegramm, das mit den Worten begann: »Die Sonne Bahás ist untergegangen«, und das dem Herrscher die Absicht mitteilte, die heiligen sterblichen Überreste im Bereich des Landhauses beizusetzen, wozu er bereitwillig seine Zustimmung gab. So wurde Bahá'u'lláh im nördlichsten Zimmer des Hauses, das Seinem Schwiegersohn als Wohnung diente, zur Ruhe gelegt, des nördlichsten von drei Häusern, die sich im Westen an das Landhaus anschlossen. Die Beisetzung fand noch am Tag Seines Hinscheidens kurz nach Sonnenuntergang statt.

+13:5

Der untröstliche Nabíl, der in den Tagen von Bahá'u'lláhs Krankheit das Vorrecht einer persönlichen Audienz hatte, den Abdu'l-Bahá ausersah, die Textstellen für das Besuchsgebet auszuwählen, das jetzt am heiligsten Grab gesprochen wird, und der sich in seinem unbezähmbaren Kummer kurz nach dem Hinscheiden seines Geliebten ins Meer stürzte und ertrank, beschreibt die Seelenpein jener Tage: »Mir scheint, die geistige Erregung, die in der Welt des Staubes ausgelöst wurde, ließ alle Welten Gottes erzittern... Meine innere und äußere Zunge sind außerstande, die Verfassung wiederzugeben, in der wir uns befanden... Inmitten der überall herrschenden Verwirrung sah man, wie sich viele Einwohner Akkás und der umliegenden Dörfer auf den Feldern rings um das Landhaus drängten. Sie weinten, schlugen sich gegen den Kopf und schrien laut vor Jammer.«

+13:6

Eine ganze Woche lang blieben viele Menschen da, Reiche und Arme, bei Tag und Nacht, um mit der Familie der Hinterbliebenen zu trauern und an dem reichlich gespendeten Mahle teilzunehmen. Würdenträger der Schiiten, Sunniten, Christen, Juden und Drusen, ferner Dichter, Ulamás und Regierungsbeamte, sie alle vereinigten sich in der Klage um den Verlust, im Lobpreis der Tugenden und der Größe Bahá'u'lláhs. Viele unter ihnen bezeugten Ihm ihre Verehrung auch schriftlich in Poesie und Prosa, in arabischer und in türkischer Sprache. Selbst aus so fernen Städten wie Damaskus, Aleppo, Beirut und Kairo trafen ähnliche Beiträge ein. All diese glühenden Zeugnisse wurden ausnahmslos Abdu'l-Bahá übermittelt, der nun die Sache des hingeschiedenen Oberhaupts vertrat und dessen Lob oft in die Seinem Vater erwiesenen Huldigungen eingeflochten war.

+13:7

Die überschwenglichen Bekundungen des Leides und der Ausdruck der Verehrung und der Bewunderung, die das Hinscheiden Bahá'u'lláhs ganz unwillkürlich auch unter den Nichtgläubigen im Heiligen Land und in den benachbarten Gebieten ausgelöst hatte, waren nur ein Tropfen, verglichen mit dem Ozean des Schmerzes und den zahllosen Beweisen grenzenloser Liebe und Ergebenheit, die in der Stunde des Untergangs der Sonne der Wahrheit aus den Herzen der ungezählten Tausende hervorbrach, die sich Seiner Sache geweiht hatten und entschlossen waren, ihr Banner in Persien, Indien, Rußland, im Iráq, in der Türkei, in Palästina, Ägypten und Syrien aufzurichten und hochzuhalten.

+13:8

Mit dem Hinscheiden Bahá'u'lláhs geht ein Zeitabschnitt zu Ende, der in der Religionsgeschichte der Welt in vieler Hinsicht ohne Beispiel ist. Das erste Jahrhundert des Bahá'í-Zeitalters war nun zur Hälfte verstrichen. Eine Periode, die in ihrer Erhabenheit, Fruchtbarkeit und Dauer von keiner früheren Sendung übertroffen wurde und die - abgesehen von einer kurzen Unterbrechung von drei Jahren - ein halbes Jahrhundert ununterbrochener, fortschreitender Offenbarung bedeutete, hatte ihren Abschluß gefunden. Die vom Báb verkündete Botschaft hatte goldene Früchte getragen. Die denkwürdigste, wenn auch nicht aufregendste Phase des Heroischen Zeitabschnitts war abgeschlossen. Die Sonne der Wahrheit, das größte Licht dieser Welt, das im Síyáh-Chál von Tihrán aufgegangen war, in Baghdád die verhüllenden Wolken zerteilt hatte, in Adrianopel zu ihrem Zenit aufgestiegen und vorübergehend verfinstert worden war, war schließlich in Akká untergegangen, um vor Ablauf eines vollen Jahrtausends nicht wieder zu erscheinen. Der wiedergeborene Gottesglaube, das Leitgestirn aller früheren Sendungen, war voll und rückhaltlos verkündet. Die sein Kommen verheißenden Prophezeiungen hatten sich voll und deutlich erfüllt. Seine grundlegenden Gesetze und Hauptprinzipien, Kette und Schuß des Gewebes seiner künftigen Weltordnung, waren klar verkündet. Seine organischen Beziehungen und seine Stellung gegenüber den vorausgegangenen religiösen Systemen waren eindeutig festgelegt. Die Primärinstitutionen, in denen eine noch keimhafte Weltordnung zur Reife heranwachsen soll, waren unanfechtbar begründet. Unwiderruflich war der Gottesbund zur Wahrung der Einheit und Unverletzbarkeit seines weltumfassenden Systems der Nachwelt hinterlassen. Unbestreitbar war die Vereinigung des ganzen Menschengeschlechts, das Zustandekommen des Größten Friedens und die Entfaltung einer Weltzivilisation verheißen. Wiederholt waren die unheilverkündenden Warnungen vor Katastrophen, die als Vorspiel zu einer so herrlichen Vollendung über Könige, Geistliche, Regierungen und Völker kommen sollten, zum Ausdruck gebracht. Die bedeutsamen Aufrufe an die Präsidenten der Neuen Welt als Vorboten des Auftrags, mit dem der nordamerikanische Kontinent später betraut werden sollte, waren verlautbart. Der erste Kontakt war geknüpft zu einem Volk, von dem ein Mitglied des Königshauses noch vor Ablauf des ersten Bahá'í-Jahrhunderts sich der heiligen Sache anschließen sollte. Der Urimpuls, der auf Gottes heiligen Berg mit seinem Blick auf das Größte Gefängnis im Lauf der folgenden Jahrzehnte unschätzbare Segnungen, geistige wie institutionelle, verströmte und verströmen wird, war erteilt. Und schließlich waren die ersten Banner eines geistigen Sieges, der sich schon vor Ende des Jahrhunderts über nicht weniger als sechzig Länder der östlichen und westlichen Welt erstreckte, ruhmreich aufgepflanzt.

+13:9

Nun, an der Schwelle des sechsten Jahrzehnts seines Bestehens, hat der Glaube Bahá'u'lláhs mit dem Umfang und der Vielgestalt seiner heiligen Schriften, der Zahl seiner Märtyrer, der Tapferkeit seiner Verfechter, der Vorbildlichkeit seiner Anhänger, der gebührenden Strafe, die seine Gegner traf, mit seinem durchdringenden Einfluß, dem unvergleichlichen Heroismus seines Herolds, der strahlenden Größe seines Stifters und dem geheimnisvollen Wirken seines unwiderstehlichen Geistes in hohem Maße seine Fähigkeit bewiesen, unbeirrbar und unspaltbar den von seinem Stifter vorgezeichneten Kurs zu halten und den späteren Geschlechtern die Zeichen der himmlischen Macht, mit der Er ihn so reichlich ausgestattet hatte, vor Augen zu führen.

+13:10

An dieser Stelle muß, wie ich meine, auch des Schicksals gedacht werden, das die Könige, Minister und Geistlichen aus Ost und West ereilte, die während der verschiedenen Phasen des Wirkens Bahá'u'lláhs Seine Sache entweder bewußt verfolgten oder Seine Warnungen in den Wind schlugen und ihre selbstverständliche Pflicht versäumten, auf Seinen Ruf zu hören und Ihn und Seine Botschaft so zu behandeln, wie sie sollten. Bahá'u'lláh sagt über diejenigen, die Seine Sache zu zerstören oder zu beeinträchtigen suchten: »Gott hat niemals und wird niemals die Augen schließen vor der Tyrannei der Unterdrücker. In dieser Offenbarung sucht Er vielmehr jeden Tyrannen einzeln heim mit Seiner Rache.« Groß und schrecklich ist fürwahr das Schauspiel, das sich dem Betrachter bietet auf dem Feld, über das seit Beginn des Wirkens Bahá'u'lláhs der wilde Vergeltungssturm Gottes fegte, Herrscher entthronte, Dynastien ausrottete, Hierarchien entwurzelte, Kriege und Revolutionen vom Zaun brach, Fürsten und Minister aus ihren Ämtern trieb, Usurpatoren verjagte, Tyrannen stürzte und die frechen Aufrührer züchtigte.

+13:11

Sultán Abdu'l-Azíz, der mit Násiri'd-Dín Sháh zusammen der Urheber des Elends war, das über Bahá'u'lláh gebracht wurde, und der persönlich für drei Verbannungsdekrete über den Gottesboten verantwortlich zeichnete, der im Kitáb-i-Aqdas als der »den Thron der Tyrannei« innehabe, gebrandmarkt und dessen Sturz im Lawh-i-Fu'ád vorausgesagt wird, wurde durch eine Palastrevolution abgesetzt, durch eine fatvá¹ des Muftí seiner Hauptstadt verurteilt und vier Tage darauf, 1876, ermordet; sein Nachfolger war ein Neffe von ihm, der als schwachsinnig galt. Der Krieg von 1877-78 befreite elf Millionen Menschen vom türkischen Joch, Adrianopel wurde von russischen Streitkräften besetzt; infolge des Krieges von 1914-18 löste sich das Reich auf, das Sultanat wurde abgeschafft, die Republik ausgerufen und damit einer Herrschaft, die über sechs Jahrhunderte gedauert hatte, ein Ende gesetzt.

¹ Richtspruch

+13:12

Der despotische Nichtsnutz Násiri'd-Dín Sháh, den Bahá'u'lláh als den »obersten Unterdrücker« brandmarkte, von dem Er schrieb, daß er bald zu einem »Popanz für die Welt« werde, auf dessen Regierung die Schandflecken der Hinrichtung des Báb und der Einkerkerung Bahá'u'lláhs liegen, der hartnäckig zu Seiner späteren Verbannung nach Konstantinopel, Adrianopel und Akká hetzte und sich im Zusammenspiel mit einem lasterhaften Pfaffenklüngel verschworen hatte, den Glauben im Keim zu ersticken, wurde auf dramatische Weise im Schrein des Sháh Abdu'l-Azím ermordet, und zwar ausgerechnet am Vorabend seines Jubelfestes, das als Auftakt zu einer neuen Ära mit ausgefeilter Pracht hätte gefeiert werden und als der größte Tag in die Annalen des persischen Volkes hätte eingehen sollen. Mit dem Geschick seines Hauses ging es danach ständig bergab, und infolge der skandalösen Mißwirtschaft des zügel- und verantwortungslosen Ahmad Sháh kam es vollends zum Niedergang, und die Qájárendynastie verschwand.

+13:13

Napoleon 111., der bedeutendste Monarch seiner Zeit im Westen, äußerst ehrgeizig, ungewöhnlich dünkelhaft, verschlagen und seicht, der, wie berichtet wird, das Schreiben, das ihm Bahá'u'lláh sandte, verächtlich vom Tisch gefegt haben soll, der von Bahá'u'lláh geprüft und als mangelhaft befunden wurde und dessen Fall in einem späteren Sendbrief ausdrücklich vorhergesagt war, erlitt in der Schlacht von Sedan, 1870, eine schmachvolle Niederlage, die als bisher größte militärische Kapitulation der neueren Geschichte gilt. Er verlor die Krone und verbrachte den Rest seines Lebens im Exil. All seine Hoffnungen waren zunichte, sein einziger Sohn, der Kronprinz, kam im Zulukrieg ums Leben, sein vielgerühmtes Reich brach zusammen, ein Bürgerkrieg brach aus, der noch heftiger war als der deutsch-französische Krieg, und der preußische König wurde im Schloß von Versailles zum Kaiser Wilhelm 1. eines geeinigten Deutschen Reiches ausgerufen.

+13:14

Der stolzgeschwellte Wilhelm 1., frisch bejubelt als Sieger Napoleons 111., der im Kitáb-i-Aqdas gewarnt und aufgefordert wird, über das Schicksal dessen nachzudenken, »dessen Macht die deine überragte«, und im selben Buch an das »Wehklagen Berlins« gemahnt wird und an die Ufer des Rheins, die »mit Blut bedeckt« sein werden, mußte zwei Mordanschläge bestehen und hatte als Nachfolger einen Sohn, der drei Monate nach der Thronbesteigung an einer tödlichen Krankheit starb und den Thron dem arroganten, starrköpfigen und kurzsichtigen Wilhelm 11. hinterließ. Der Hochmut des neuen Monarchen führte zu seinem Fall. In seiner Hauptstadt brach rasch eine Revolution aus, in mehreren Städten behauptete sich Kommunismus, die Fürsten der deutschen Staaten dankten ab, und er selbst, feige nach Holland geflohen, wurde zum Thronverzicht gezwungen. Die Weimarer Verfassung besiegelte das Schicksal des Reiches, das sein Großvater so stolz proklamiert hatte, und die harten Bedingungen eines drückenden Friedensvertrages führten jetzt zu dem ein halbes Jahrhundert zuvor drohend prophezeiten »Wehklagen«.

+13:15

Der eigenwillige, starrsinnige Kaiser von Österreich und König von Ungarn, Franz Josef, dem im Kitáb-i-Aqdas vorgeworfen wird, daß er seine klare Pflicht, bei seiner Pilgerfahrt ins Heilige Land sich nach Bahá'u'lláh zu erkundigen, versäumte, wurde so von Schicksalsschlägen und Unheil verfolgt, daß man seine Herrschaft allgemein als die ansah, die das meisten Unglück über das Volk gebracht hat. Sein Bruder Maximilian kam in Mexiko ums Leben; der Kronprinz Rudolf starb unter schimpflichen Umständen; die Kaiserin wurde gemeuchelt; der Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin wurden in Sarajevo ermordet; das »brüchige Reich« zerfiel und wurde aufgeteilt, und auf die Trümmer des vergangenen Heiligen Römischen Reichs setzte man eine geschrumpfte Republik, die nach kurzer, unsicherer Existenz aus der politischen Landkarte Europas getilgt war.

+13:16

Alexander 11. Nikolajewitsch, der großmächtige Zar von Rußland, den Bahá'u'lláh in einem persönlich an ihn gerichteten Sendbrief dreimal gewarnt und aufgefordert hatte, »die Völker zu Gott zu rufen«, den Er eindringlich ermahnt hatte, sich von seiner Herrschergewalt nicht davon abhalten zu lassen, »den Höchsten Souverän« zu erkennen, erlitt mehrere Attentate auf sein Leben und schließlich den Tod von Mörderhand. Seine Unterdrückungspolitik, in der ihm sein Thronerbe Alexander 111. folgte, ebnete den Weg für eine Revolution, die dann unter der Herschaft Nikolaus 11. ausbrach und das Zarenreich in einem Meer von Blut ertränkte, Krieg, Krankheit und Hungersnot mit sich brachte und zur Herrschaft eines militanten Proletariats führte, das den Adel abschlachtete, die Geistlichkeit verfolgte, die Intellektuellen vertrieb, die Religion im Staat abschaffte, den Zaren samt seiner Familie und seinem Gesinde umbrachte und die Dynastie Romanow auslöschte.

+13:17

Papst Pius 1x., das anerkannte Oberhaupt der mächtigsten christlichen Kirche, dem Bahá'u'lláh in einem an ihn gerichteten Schreiben befohlen hatte, »seine Paläste« denen zu überlassen, »die sie begehren«, »den reich verzierten Kirchenschmuck« in seinem Besitz »auf dem Pfade Gottes zu opfern« und sein »Angesicht zum Reich Gottes« zu erheben, wurde gezwungen, sich unter beschämenden Umständen der siegreichen Macht König Viktor Emanuels zu unterwerfen, und mußte zulassen, daß ihm seine päpstlichen Gebiete und selbst die Stadt Rom abgenommen wurden. Der Verlust der »Ewigen Stadt«, über der tausend Jahre lang das päpstliche Banner geweht hatte, und die Demütigung der ihm unterstellten kirchlichen Orden, brachten ihn über seine gesundheitlichen Schäden hinaus auch psychisch in Bedrängnis und vergällten ihm die letzten Jahre seines Lebens. Dienusayn zu Felde zogen, ... mit den fürchterlichsten Qualen heimsuchen...« »Binnen kurzem wird Gott zur Zeit Unserer Wiederkehr Seine Rache an ihnen nehmen, und Er bereitet ihnen wahrlich in der künftigen Welt schwere Pein.«

+13:27

Bei einem Rückblick dieser Art sollte ein Hinweis auf die Fürsten, Minister und Geistlichen nicht fehlen, die persönlich für die peinvollen Drangsale verantwortlich waren, die Bahá'u'lláh und Seine Anhänger zu erdulden hatten. Fu'ád Páshá, der türkische Außenminister, von Ihm als der »Anstifter« zu Seiner Verbannung in das Größte Gefängnis bezeichnet, der sich zusammen mit seinem Amtskollegen 'Álí Páshá die größte Mühe gab, in dem despotischen, schon gegen den Glauben und sein Oberhaupt voreingenommenen Herrscher alle möglichen Ängste und Argwohn zu erwecken, wurde etwa ein Jahr, nachdem er sein Ziel erreicht hatte, auf einer Reise nach Paris von der Zuchtrute Gottes getroffen und starb, 1869, in Nizza. Alí Páshá, der Sadr-i-A'zam¹, der im Lawh-i-Ra'ís mit kräftigen Worten verurteilt wird und dessen Sturz im Lawh-i-Fu'ád unmißverständlich vorausgesagt war, wurde wenige Jahre nach Bahá'u'lláhs Verbannung nach Akká seines Amtes enthoben, seiner ganzen Macht entblößt und geriet völlig in Vergessenheit. Der tyrannische Prinz Mas'úd Mírzá, der Zillu's-Sultán, Násiri'd-Dín Sháhs ältester Sohn und Herrscher über mehr als zwei Fünftel seines Reichs, von dem Bahá'u'lláh als dem »Höllenbaum« spricht, fiel in Ungnade, wurde all seiner Statthalterschaften mit Ausnahme von Isfahán enthoben und verlor alle Chancen, künftig wieder zu Rang und Würden zu kommen. Der habgierige Prinz Jalálu'd-Dawlih, den die Erhabene Feder als den »Tyrannen von Yazd« brandmarkt, wurde etwa ein Jahr nach seinen Schandtaten seines Amtes enthoben, nach Tihrán zurückbeordert und gezwungen, einen Teil des Besitzes, den er seinen Opfern gestohlen hatte, zurückzugeben.

¹ Premierminister

+13:28

Der ehrgeizige, ruchlose Ränkeschmied Mírzá Buzurg Khán, der persische Generalkonsul in Baghdád, wurde ebenfalls seines Amtes enthoben, »von Unglück überwältigt, von Gewissensbissen verfolgt und völlig verstört«. Der berüchtigte Mujtahid Siyyid Sádiq-i-Tabátabá'í, den Bahá'u'lláh den »Lügner von Tihrán« nennt, der Autor des ungeheuerlichen Erlasses, nach dem jedes männliche Mitglied der Bahá'í-Gemeinschaft in Persien, ob jung oder alt, hoch oder niedrig, zum Tod zu verurteilen und alle Frauen zu deportieren seien, fiel plötzlich einer Krankheit zum Opfer, die ihm Herz, Hirn und Glieder zerfraß und schließlich zu seinem Tode führte. Der anmaßende Subhí Páshá, der Bahá'u'lláh gebieterisch ins Regierungsgebäude in Akká gerufen hatte, verlor seine Stellung und wurde unter höchst entehrenden Umständen zurückbeordert. Auch den anderen Gouverneuren der Stadt, die sich in ihrem Amt dem erhabenen Gefangenen und Seinen Gefährten gegenüber Ungerechtigkeiten hatten zuschulden kommen lassen, blieb Ähnliches nicht erspart. »Jeder Páshá«, schreibt Nabíl in seinem Bericht, »dessen Verhalten in Akká annehmbar war, durfte sich lange Zeit seines Amtes erfreuen und wurde reich von Gott gesegnet, wogegen jeder feindselige Mutisarrif¹ sehr bald durch Fügung der göttlichen Macht abgesetzt wurde, wie Abdu'r-Rahmán Páshá und Muhammad-Yúsuf Páshá, die noch am Morgen nach demselben Abend, an dem sie die Geliebten Bahá'u'lláhs zu verhaften beschlossen hatten, telegrafisch von ihrer Absetzung in Kenntnis gesetzt wurden. Sie bekamen nie wieder ein Amt.«

¹ Gouverneur

+13:29

Shaykh Muhammad-Báqir, genannt »der Wolf«, den Bahá'u'lláh in Seinem ihn streng tadelnden Lawh-i-Burhán mit »der letzten Spur des Sonnenlichts auf dem Bergesgipfel« verglich, mußte zusehen, wie sein Ansehen ständig schwand, er starb unter schrecklichen Gewissensbissen eines elenden Todes. Sein Komplize Mír Muhammad-Husayn, genannt »die Schlange«, den Bahá'u'lláh als »unendlich bösartiger noch als der Bedrücker von Karbilá« beschreibt, wurde etwa um dieselbe Zeit aus Isfahán verjagt und zog von Dorf zu Dorf, befallen von einer Krankheit, die einen so üblen Duft verbreitete, daß nicht einmal seine Frau und seine Tochter es in seiner Nähe aushielten. Als er starb, stand er bei den örtlichen Behörden in so schlechtem Ansehen, daß niemand zu seiner Beerdigung zu gehen wagte; seine Leiche wurde von einigen Trägern verscharrt.

+13:30

Erwähnt sei auch die verheerende Hungersnot, die etwa ein Jahr nach dem Martyrium des ruhmreichen Badí' in Persien wütete und die Bevölkerung aufs äußerste dezimierte; selbst die Reichen litten Hunger, und Hunderte von Müttern verschlangen die Leichen ihrer Kinder.

+13:31

Wir wollen den Gegenstand dieser Betrachtung nicht verlassen, ohne den Erzfeind des Bundes des Báb, Mírzá Yahyá, zu erwähnen, der auf Zypern, das die Türken »die Insel des Satans« nannten, ein langes, elendes Leben fristete, um Zeuge zu werden, wie all seine bösen Hoffnungen zuschanden wurden. Nachdem er zunächst Pensionär der türkischen und später der britischen Regierung war, erfuhr er eine weitere Demütigung dadurch, daß sein Gesuch um die britische Staatsbürgerschaft abgelehnt wurde. Von den achtzehn »Zeugen«, die er ernannt hatte, verließen ihn elf wieder und kehrten reumütig zu Bahá'u'lláh zurück. Er selbst wurde in einen Skandal verwickelt, der seinen und seines ältesten Sohnes Ruf ruinierte, wonach er seinen Sohn und dessen Nachkommen von der Nachfolgerschaft, mit der er ihn früher betraut hatte, ausschloß und stattdessen den treulosen Mírzá Hádíy-i-Dawlat-Ábádí, einen allbekannten Azalí, einsetzte, dem der Märtyrertod des oben erwähnten Mírzá Ashraf solche Furcht einjagte, daß er vier Tage nacheinander von der Kanzel herab mit heftigen Schmähreden den Bábí-Glauben widerrief und Mírzá Yahyá, seinen Gönner, der so blindes Vertrauen in ihn gesetzt hatte, verleugnete. Ein seltsames Schicksal fügte, daß der genannte älteste Sohn Mírzá Yahyás Jahre später zusammen mit seinem Neffen und seiner Nichte Abdu'l-Bahá, den ernannten Nachfolger Bahá'u'lláhs und Mittelpunkt Seines Bundes, aufsuchte, seine Reue bekundete und um Vergebung bat. Er wurde gütig von Ihm aufgenommen und blieb bis zu seiner letzten Stunde ein treuer Anhänger des Glaubens, den sein Vater törichterweise so schamlos und erbärmlich auszutilgen versucht hatte.


Dritte Periode
Die Zeit Abdu'l-Bahás : 1892-1921
Kapitel 14
Der Bund Bahá'u'lláhs

+14:1

In den vorstehenden Kapiteln habe ich versucht, Aufstieg und Entwicklung des Glaubens des Báb und Bahá'u'lláhs während der ersten fünfzig Jahre seines Bestehens zu umreißen. Wenn ich dabei vielleicht zu lange bei den Ereignissen verweilte, die mit dem Leben und der Sendung dieser beiden Lichtgestalten der Bahá'í-Offenbarung verknüpft sind, wenn ich bestimmte Episoden ihres Wirkens zuweilen zu ausführlich schilderte, so nur darum, weil diese Geschehnisse von der Geburtsstunde und der Begründung einer Epoche künden, von der künftige Historiker als der heroischsten, tragischsten und denkwürdigsten Periode der Apostolischen Zeit der Bahá'í-Sendung sprechen werden. Und wirklich ist das Bild, das sich unserem Blick auf die folgenden Jahrzehnte des Jahrhunderts bietet, nur eine Aufzählung der mannigfachen Beweise für das unwiderstehliche Wirken jener schöpferischen, von den Umwälzungen der fast fünfzig Jahre ununterbrochenen Offenbarung ausgelösten Kräfte.

+14:2

In der denkwürdigen Nacht, da der Báb in einem verborgenen Winkel von Shíráz zu Mullá Husayn von der Bedeutung Seiner Sendung sprach, war ein dynamischer, von göttlichen Kräften angetriebener Prozeß in Gang gesetzt worden, der ungeahnte Möglichkeiten in sich barg, weltumfassend angelegt war und letzten Endes die Welt verändern sollte. Mit den im Dunkel des Síyáh-Chál zu Tihrán beginnenden ersten Zeichen der Offenbarung Bahá'u'lláhs erhielt er großen Auftrieb, wurde beschleunigt durch die Erklärung Seiner Sendung am Vorabend Seiner Verbannung aus Baghdád und erreichte seinen Höhepunkt mit der Verkündigung Seiner Sendung in den stürmischen Jahren Seines Exils in Adrianopel. Seine volle Bedeutung trat zutage, als der Träger dieser Sendung Seine historischen Aufrufe, Ermahnungen und Warnungen an die Könige der Welt und ihre geistlichen Würdenträger erließ. Und schließlich fand er seine Krönung in den Gesetzen und Geboten, die Er verfaßte, den Prinzipien, die Er verkündete, und in den Institutionen, die Er in den letzten Jahren Seines Wirkens in der Gefängnisstadt Akká einsetzte.

+14:3

Um die Kräfte dieses vom Himmel ausgelösten Prozesses zu steuern und ihr harmonisches Fortwirken nach dem Hinscheiden Bahá'u'lláhs zu gewährleisten, war ein göttliches Instrument unerläßlich, das unanfechtbare Autorität besaß und mit dem Autor der Offenbarung in organischer Verbindung stand. Für dieses Instrument hatte Bahá'u'lláh ausdrücklich gesorgt durch die Stiftung des Bundes, den Er vor Seinem Hinscheiden fest begründete. Von diesem Bund hatte Er schon im Kitáb-i-Aqdas gesprochen, und als Er in den Tagen vor Seinem Tod Abschied von Seiner um das Bett versammelten Familie nahm, wies Er ebenfalls darauf hin, auch hatte Er ihn in einem besonderen Dokument niedergelegt, das Er das »Buch Meines Bundes« nannte und während Seiner letzten Krankheit Seinem ältesten Sohn Abdu'l-Bahá anvertraute.

+14:4

Dieses einzigartige, epochemachende Dokument, das Bahá'u'lláh ganz mit eigener Hand niederschrieb, als Seine »Größte Tafel« bezeichnete und im Brief an den Sohn des Wolfes als »hochrotes Buch« erwähnte, ohnegleichen im Schrifttum aller früheren Sendungen einschließlich der des Báb, wurde am neunten Tag nach Seinem Hinscheiden in Gegenwart von neun aus Seinen Gefährten und Familienmitgliedern erwählten Zeugen entsiegelt und am selben Nachmittag vor einer großen Versammlung, darunter Seine Söhne, einige Verwandte des Báb, Pilger und ansässige Gläubige, an Seinem Heiligsten Grab verlesen. Nirgends in den Büchern irgendeines religiösen Systems, nicht einmal unter den Schriften des Autors der Bábí-Offenbarung, finden wir ein Gründungsdokument für einen Bund, der mit einer vergleichbaren Autorität versehen wäre wie der von Bahá'u'lláh errichtete.

+14:5

»So fest und mächtig ist dieser Bund«, sagt Abdu'l-Bahá, sein ernannter Mittelpunkt, »daß seit Anbeginn der Zeit bis zum heutigen Tag keine religiöse Sendung etwas Gleiches hervorbrachte.« »Der Angelpunkt der Einheit der Menschheit«, erklärt Er des weiteren, »ist unbezweifelbar nichts anderes als die Macht des Bundes«. »Wisse«, schreibt Er, »der 'sichere Griff', der von Anbeginn der Welt in den alten Büchern, Tafeln und Schriften genannt wird, ist nichts anderes als der Bund und das Testament«. Und wiederum: »Die Lampe des Bundes ist das Licht der Welt, und die Worte, welche die Feder des Allhöchsten niederschrieb, sind wie ein unermeßliches Meer«. »Der Herr, der Allgepriesene«, erklärt Er ferner, »hat im Schatten des Baumes Anísá¹ einen neuen Bund errichtet und ein großes Testament niedergelegt ... Ward je ein solcher Bund in einer früheren Sendung geschlossen, einem früheren Zeitalter, Zeitabschnitt oder Jahrhundert? Hat man je von einem solchen Testament, das von der Feder des Höchsten niedergeschrieben wurde, gehört? Bei Gott, nein!« Und schließlich: »Die Macht des Bundes gleicht der Sonnenwärme, welche die Entwicklung alles Erschaffenen auf Erden belebt und vorantreibt. Ebenso ist das Licht des Bundes der Erzieher des Verstandes, des Geistes, der Herzen und Seelen der Menschen«. Er spricht in Seinen Schriften von diesem Bund als dem »entscheidenden Zeugnis«, der »universalen Waage«, dem »Magneten der Gnade Gottes«, der »gehißten Fahne«, dem »unwiderleglichen Testament«, dem »allmächtigen Bund, desgleichen die heiligen Sendungen der Vergangenheit nie gesehen«, und »einem Wesenszug dieses mächtigsten Zyklus«.

¹ Baum des Lebens

+14:6

Vom Verfasser der Apokalypse als »die Arche Seines (Gottes) Testaments« gepriesen; in Beziehung gesetzt zu der Versammlung unter dem »Baum Anísṫ, welche Bahá'u'lláh in den Verborgenen Worten erwähnt; an anderer Stelle in Seinen Schriften als »Arche der Rettung« und als »das zwischen der Erde und dem Reich Abhá ausgespannte Seil« gefeiert, wurde dieser Bund der Nachwelt vermacht in einem Testament, das - zusammen mit dem Kitáb-i-Aqdas und verschiedenen Sendschreiben, die Abdu'l-Bahás Rang und Stufe unzweideutig enthüllen - die vom Herrn des Bundes selbst vorgesehenen Hauptpfeiler bildet, um nach Seinem Hinscheiden den ernannten Mittelpunkt Seines Glaubens und Planer seiner späteren Institutionen zu schützen und zu stützen.

¹ Baum des Lebens

+14:7

In diesem inhaltsschweren, unvergleichlichen Dokument legt der Verfasser die Natur jenes »vortrefflichen, kostbaren Vermächtnisses« dar, das Er Seinen »Erben« hinterläßt. Er verkündet darin aufs neue den Hauptzweck Seiner Offenbarung, gebietet den »Völkern der Welt«, sich fest an das zu halten, was ihre »Stufe erhöht«, und verkündet ihnen, daß Gott »vergeben hat, was vergangen ist«. Er unterstreicht die erhabene Stufe des Menschen, erläutert den Hauptzweck der Religion Gottes, leitet die Gläubigen an, für das Wohlergehen der Könige der Erde, der »Offenbarungen der Macht Gottes« und der »Morgenröten Seiner Gewalt und Seines Reichtums«, zu beten; Er überträgt diesen die Herrschaft auf Erden, behält sich aber die Menschenherzen als Seinen eigenen Machtbereich vor. Er verbietet ein für allemal Kampf und Streit und befiehlt Seinen Anhängern, jene Träger der Amtsgewalt zu unterstützen, »die mit der Zier rechten Sinns und rechten Tuns geschmückt sind«. Auch weist Er insbesondere die Aghsán (Seine Söhne) an, jene »mächtige Kraft«, jene »vollendete Macht« zu bedenken, »die in der Welt des Seins verborgen liegt«. Darüber hinaus macht er es ihnen wie auch den Afnán (den Verwandten des Báb) und Seiner eigenen Verwandtschaft zur Pflicht, »daß sie allesamt ihr Antlitz dem Mächtigsten Zweige (Abdu'l-Bahá) zuwenden«; Ihn setzt Er mit Demjenigen gleich, »den Gott bestimmt hat«, »der aus dieser Urewigen Wurzel kam«, wie Er im Kitáb-i-Aqdas sagte. Er legt fest, daß die Stufe des »Größeren Zweiges« (Mírzá Muhammad-Alí) unter derjenigen des »Größten Zweiges« (Abdu'l-Bahá) ist, und ermahnt die Gläubigen, den Aghsán mit Achtung und Liebe zu begegnen. Er rät ihnen, Seine Familie und Seine Verwandten wie auch die Angehörigen des Báb in Ehren zu halten, und verwehrt Seinen Söhnen »jedes Anrecht auf das Eigentum anderer«. Er trägt ihnen wie auch Seinen Verwandten und der Verwandtschaft des Báb auf, »Gott zu fürchten, edle Taten zu vollbringen« und sich so zu verhalten, »wie es euch ansteht und zur Erhöhung eurer Stufe beiträgt«, warnt alle Menschen davor, zuzulassen, »daß das Mittel der Ordnung zur Quelle der Unordnung gemacht wird, das Werkzeug der Einheit zum Anlaß für Zwietracht«, und ermahnt abschließend die Gläubigen, »allen Völkern zu dienen« und sich »um die Verbesserung der Welt zu mühen«.

+14:8

Daß Abdu'l-Bahá eine so einzigartige, erhabene Stufe verliehen wurde, war für Seine Gefährten, die so lange das Vorrecht hatten, das Leben im Exil mit Ihm zu teilen und Sein Verhalten zu beobachten, keineswegs überraschend, ebensowenig für die Pilger, die, wenn auch nur flüchtig, mit Ihm in Berührung kamen, oder die große Schar der Getreuen, die in fernen Landen gelernt hatten, Seinen Namen zu verehren und Sein Wirken zu schätzen, und auch nicht für den weiteren Kreis Seiner Freunde und Bekannten, die im Heiligen Land und den angrenzenden Gebieten wohl vertraut waren mit der Stellung, die Er schon zu Lebzeiten Seines Vaters innehatte.

+14:9

Geboren wurde Er unter glücklichen Sternen in der unvergeßlichen Nacht, da der Báb Seinem ersten Jünger, Mullá Husayn, die überirdische Wesensart Seiner Sendung vor Augen führte. Als Kind saß Er noch auf Táhirihs Schoß und spürte den erregten Nachdruck, mit dem diese unermüdliche Heldin ihre mitreißenden, herausfordernden Worte an ihren Glaubensgenossen, den klugen und weitberühmten Vahíd richtete. In Seiner zarte Seele brannte sich unauslöschlich der Anblick Seines Vaters ein, als Er, neun Jahre alt, Ihn im Síyáh-Chál von Tihrán aufsuchte: abgemagert, mit verwildertem Haar und mit Ketten beladen. Gegen Ihn richtete sich in früher Kindheit, während Sein Vater in jenem Kerker lag, die Bosheit eines Rudels von Gassenjungen, die Ihn mit Steinen bewarfen, Ihn beleidigten und lächerlich machten. Ihm fiel das Los zu, mit Seinem Vater bald nach Dessen Befreiung aus dem Kerker Not und Elend einer grausamen Vertreibung aus der Heimat und die schweren Prüfungen zu teilen, die im erzwungenen Rückzug Seines Vaters in die Berge von Kurdistán gipfelten. In Seinem untröstlichen Kummer über die Trennung von Seinem verehrten Vater sagte Er im Vertrauen zu Nabíl, wie dieser in seinem Bericht bestätigt, daß Er das Gefühl habe, Er sei damals, obgleich noch ein Kind in zarten Jahren, alt geworden. Er zeichnet sich auch dadurch aus, daß Er als einziger schon in Seiner Kindheit die ganze Herrlichkeit der bis dahin noch nicht offenbarten Stellung Seines Vaters erkannte, eine Erkenntnis, die Ihn unwillkürlich sich Ihm zu Füßen werfen und Ihn um das Vorrecht bitten ließ, Sein Leben für Seine Sache hingeben zu dürfen. In Baghdád schrieb Er als noch junger Mann jenen prächtigen Kommentar zu einer bekannten islámischen Tradition, mit dem Er, von Bahá'u'lláh angeregt, auf eine Anfrage von Alí-Shawkat Páshá antwortete und der so erhellend war, daß er den Empfänger zu grenzenloser Bewunderung hinriß. Seine Gespräche und Erörterungen unter den gelehrten Doktoren, mit denen Er in Baghdád in Berührung kam, erregten zum erstenmal diese allgemeine Bewunderung für Seine Person und Sein Wissen, die ständig zunehmen sollte, wie sich Sein Bekanntenkreis in Adrianopel und später in Akká erweiterte. Der hochgebildete Khurshíd Páshá, der Gouverneur von Adrianopel, fühlte sich veranlaßt, Ihn öffentlich mit glühenden Worten zu loben, als Er, sein jugendlicher Gast, in Gegenwart einiger bekannter Geistlicher dieser Stadt die Schwierigkeiten eines die Geister der Anwesenden verwirrenden Problems rasch und erstaunlich leicht löste. Diese Leistung machte auf den Páshá so tiefen Eindruck, daß er sich von da an kaum mehr damit abfinden konnte, wenn der junge Mann bei derartigen Zusammenkünften nicht zugegen war.

+14:10

Auf Ihn setzte Bahá'u'lláh, als Seine Sendung sich an Umfang und Einfluß mehr und mehr ausweitete, immer größeres Vertrauen, indem Er sich in vielen Fällen durch Ihn vertreten ließ, es Ihm ermöglichte, öffentlich für Seine Sache zu sprechen, Ihm die Aufgabe übertrug, Seine Schriften abzuschreiben, Ihm die Verantwortung auf sich zu nehmen erlaubte, Ihn vor Seinen Feinden zu schützen, und Ihn damit betraute, für das Wohl Seiner Exilgefährten und Freunde zu sorgen. Er was es auch, der den wichtigen und heiklen Auftrag erhielt, sobald es die Umstände erlaubten, das Gelände zu erwerben, das als dauernde Ruhestätte für den Báb dienen sollte, für die sicher Überführung Seiner sterblichen Reste in das Heilige Land zu sorgen und auf dem Berg Karmel ein würdiges Grabmal für Ihn zu errichten. Er war es auch, der in der Hauptsache die nötigen Vorkehrungen für die Befreiung Bahá'u'lláhs aus Seiner neunjährigen Haft in den Mauern von Akká traf und es Ihm ermöglichte, sich an Seinem Lebensabend wenigstens noch eines gewissen Maßes an Frieden und Sicherheit zu erfreuen, die Er so lange entbehren mußte. Seinem unablässigen Bemühen war es auch zu danken, daß dem ruhmreichen Badí seine denkwürdigen Unterredungen mit Bahá'u'lláh gewährt wurden, daß die feindselige Haltung, die verschiedene Gouverneure von Akká den Verbannten gegenüber an den Tag legten, sich in Achtung, ja Bewunderung verwandelte, daß der Kauf von Ländereien am See Genezareth und am Jordan zustande kam und daß der Nachwelt die beste und wertvollste Darstellung über die Frühzeit des Glaubens und seine Lehren übermittelt wurde. Durch den außerordentlich herzlichen Empfang bei Seinem Besuch in Beirut, Seinen Kontakt mit dem ehemaligen türkischen Großwesir Midhát Páshá, Seine Freundschaft mit Azíz Páshá, den Er von Adrianopel her kannte und der später zum Rang eines Valí aufstieg, und Seine ständige Verbindung zu Beamten, Stadtoberhäuptern und führenden Geistlichen, die während der letzten Jahre des Wirkens Seines Vaters in steigender Zahl Seine Gesellschaft suchten, all dies trug dazu bei, das Ansehen der Sache, die Er vertrat, auf eine Ebene zu heben, die sie nie zuvor erreicht hatte.

+14:11

Nur Er hatte das Vorrecht, »der Meister« genannt zu werden, eine Ehre, von der Sein Vater alle anderen Söhne ausschloß. Ihm verlieh Sein liebender, nie irrender Vater den einzigartigen Titel »Sirru'lláh«² und bezeichnete damit treffend Den, der Seinem Wesen nach wohl menschlich war und eine von der Stufe Seines Vaters und Dessen Vorläufers vollkommen verschiedene Stellung einnahm, aber dennoch den Anspruch erheben konnte, das vollkommene Vorbild in Seinem Glauben zu sein, übermenschliches Wissen zu besitzen und als reiner Spiegel zu gelten, der Sein Licht widerstrahlt. Von Ihm sprach in Adrianopel Sein Vater in der Súriy-i-Ghusn¹ als von »diesem heiligen und herrlichen Wesen, diesem Zweig der Heiligkeit«, »dem Arm des Gesetzes Gottes«, Seiner »größten Gnade« für die Menschen und der »vollkommensten Güte«, die ihnen widerfahren sei, Er spricht von Ihm als Dem, durch den »jedes modernde Gebein lebendig« wird, und erklärt, »wer sich Ihm zuwendet, hat sich Gott zugewandt«, und »wer nicht im Schattens des Zweiges bleibt, der ist verloren in der Wüste des Irrtums«. In derselben Stadt spielte Er auf Ihn an - in einem Sendbrief an Hájí Muhammad Ibráhím-i-Khalíl - als den einzigen unter Seinen Söhnen, »von dessen Zunge Gott die Zeichen Seiner Kraft ausströmen läßt« und den »Gott ausdrücklich für Seine Sache auserwählt« habe. Ihm hatte später der Autor des Kitáb-i-Aqdas in einem berühmten Abschnitt, der hernach im »Buch Meines Bundes« erläutert wird, die Aufgabe zugewiesen, Seine Heilige Schrift auszulegen, und bezeichnet Ihn gleichzeitig als Den, »den Gott bestimmt hat, der aus dieser Urewigen Wurzel kam«. In einem Sendbrief aus derselben Zeit an Mírzá Muhammad Qulíy-i-Sabzivárí verweist Er auf Ihn als die »Meeresbucht, Teil des Meeres, das alles Erschaffene umfaßt«, und gebietet Seinen Anhängern, Ihm das Angesicht zuzuwenden. Ihn pries anläßlich Seines Besuches in Beirut Sein Vater in einem dem Sekretär diktierten Brief mit glühenden Worten und verherrlicht Ihn als Den, »den alle Namen umkreisen«, »den Mächtigsten Zweig Gottes« und »Sein urewiges, unwandelbares Geheimnis«. Ihn spricht Bahá'u'lláh in verschiedenen von eigener Hand geschriebenen Tablets persönlich an mit »Mein Augapfel«, und Er spricht von Ihm als einem »Schild für alle im Himmel und auf Erden«, als einem »Schutz für die ganze Menschheit« und als einer »Feste für jeden, der an Gott glaubt«. In einem Gebet, das Er Ihm zu Ehren offenbarte, fleht Sein Vater für Ihn, Gott möge »Ihn siegreich machen« und »Ihm und allen, die Ihn lieben«, alles gewähren, was der Allmächtige für Seine »Boten« und die »Treuhänder« Seiner Offenbarung bestimmt hat. Und schließlich sind noch in einem anderen Sendbrief die inhaltsschweren Worte überliefert: »Die Herrlichkeit Gottes ruhe auf Dir und auf jedem, der Dir dient und um Dich ist. Wehe, großes Wehe dem, der sich Dir widersetzt und Dich beleidigt. Wohl dem, der Dir Treue schwört; Feuer der Höllenqual dem, der Dein Feind ist.«

¹ Tafel vom Zweig ² das Mysterium Gottes

+14:12

Als Krönung all der unschätzbaren Ehren, Vorrechte und Wohltaten, die Ihm in steigender Fülle während der vierzig Jahre des Wirkens Seines Vaters in Baghdád, Adrianopel und Akká zuteil wurden, erhob Ihn Bahá'u'lláh nun zum hohen Amt des Mittelpunkts Seines Bundes und zum Nachfolger der Manifestation Gottes, eine Stellung, die Ihm die Kraft gab, außerordentlichen Schwung in die weltweite Verbreitung der Religion Seines Vaters zu bringen, ihre Lehre auszubauen, alle Schranken niederzureißen, die sich ihrem Fortschritt hemmend in den Weg stellen könnten, und ihre Verwaltungsordnung ins Leben zu rufen sowie diese in ihren Grundlinien zu umreißen, dies Kind des Bundes und Vorbote einer Weltordnung, deren Bau den Anbruch des Goldenen Zeitalters der Bahá'í-Sendung kennzeichnen wird.

Kapitel 15
Die Auflehnung Mírzá Muhammad-Alís

+15:1

Bahá'u'lláhs Hinscheiden stürzte Seine Anhänger und Gefährten, wie schon gesagt, in große Trauer, vermittelte aber Seinen wachsamen, schrecklichen Feinden neue Hoffnung und frische Tatkraft. Zu einer Zeit, da der übel verleumdete Glaube eben siegreich aus den beiden schwersten Krisen seines Bestehens - die eine von äußeren Feinden, die andere aus den eigenen Reihen bewirkt - hervorgegangen war, da er in so hohem Ansehen stand wie nie zuvor in den fünfzig Jahren seiner Existenz, war die sichere Hand, die von Anfang an sein Geschick formte, plötzlich weit entfernt und hinterließ eine Lücke, die, wie Freund und Feind gleichermaßen glaubten, nie mehr zu füllen war.

+15:2

Doch wie der ernannte Mittelpunkt Seines Bundes und autorisierte Interpret der Lehren Bahá'u'lláhs später erläuterte, bedeutet die Auflösung der irdischen Hülle, die die Seele der Manifestation Gottes eine Zeitlang zu ihrem Wohnsitz erkoren, ihre Befreiung aus den Schranken, die das irdische Leben ihr zwangsläufig gesetzt hatte. Nun war ihre Wirksamkeit nicht mehr durch physische Grenzen beschränkt, ihr Glanz nicht mehr von ihrem irdischen Tempel verhüllt, die Seele konnte jetzt die ganze Welt derart mit ihrer Kraft erfüllen wie noch nie seit ihrer Existenz auf diesem Planeten.

+15:3

Überdies war Bahá'u'lláhs gewaltige Aufgabe auf dieser Erde zur Zeit Seines Hinscheidens vollbracht. Seine Sendung war alles andere als ergebnislos, sie war in jeder Hinsicht erfüllt. Die Botschaft, die Ihm anvertraut war, stand offen vor aller Augen. Die Aufrufe an die Führer und Herrscher der Menschheit, die Ihm aufgetragen waren, hatte Er furchtlos verkündet. Die Lehren, die das Leben der Menschheit erneuern, sie von ihrer Krankheit heilen und aus Knechtschaft und Erniedrigung befreien sollen, waren fest begründet. Die Hochflut der Leiden, die Seines Glaubens Kräfte stärken und läutern sollten, war mit ungehemmter Wucht über ihn hinweggebraust. Das Blut, das den Boden fruchtbar machen sollte, aus dem die Institutionen Seiner Weltordnung hervorgehen würden, war in Strömen geflossen. Und vor allem war der Bund, der die Wirksamkeit des Glaubens fortführen, seine Unverletzbarkeit gewährleisten, ihn vor Spaltung bewahren und seine weltweite Ausdehnung fördern sollte, auf eine unanfechtbare Basis gestellt.

+15:4

Seine über alle Träume und Hoffnungen der Menschen kostbare Sache, die eine so unschätzbare Perle in sich barg, wie die Welt sie seit Menschengedenken herbeisehnte, die sich nun gewaltigen, unvorstellbar schwierigen und dringlichen Aufgaben gegenüber sah, war ohne Zweifel in sicheren Händen. Sein eigener geliebter Sohn, Sein Augapfel, Sein Stellvertreter auf Erden, der Erbe Seiner Autorität, der Angelpunkt Seines Bundes, der Hirte Seiner Herde, das Beispiel Seines Glaubens, das Ebenbild Seiner Vollkommenheiten, das Geheimnis Seiner Offenbarung, der Vermittler Seines Geistes, der Baumeister Seiner Weltordnung, das Sinnbild Seines Größten Friedens, der Brennpunkt Seiner sicheren Führung - mit einem Wort, der Träger eines Amtes, das auf dem gesamten Gebiet der Religionsgeschichte nicht seinesgleichen hat, wachte über Seine Sache, war auf der Hut und furchtlos darauf bedacht, ihre Grenzen zu erweitern, ihren Ruhm zu verbreiten, ihre Interessen zu wahren und ihren Zweck zu erfüllen.

+15:5

Die bewegende Verkündigung Abdu'l-Bahás an die Gesamtheit der Anhänger Seines Vaters, die Er am Morgen des Hinscheidens Bahá'u'lláhs niederschrieb, und die Prophezeiungen, die Er in Seinen Sendbriefen machte, atmen eine Entschlossenheit und Zuversicht, die durch die Früchte und die Erfolge Seines dreißigjährigen Wirkens vollauf gerechtfertigt sind.

+15:6

Die Wolke der Verzagtheit, die sich vorübergehend auf die untröstlichen Freunde der Sache Bahá'u'lláhs gesenkt hatte, hob sich wieder. Die Fortdauer der unfehlbare Führung, die den Glauben seit Anbeginn bewahrte, war jetzt gesichert. Es wurde klar, was die feierliche Versicherung bedeutete, daß dies »der Tag« sei, »dem keine Nacht folgt«. Die verwaiste Gemeinde erkannte in der Stunde ihrer größten Not in Abdu'l-Bahá ihren Trost, ihren Führer, ihren Beistand und Verteidiger. Das Licht, das mit blendendem Glanz im Herzen Asiens aufleuchtete, sich noch zu Lebzeiten Bahá'u'lláhs über den Nahen Osten verbreitete und die Ränder des europäischen und afrikanischen Kontinents erhellte, sollte nun dank der Triebkraft des neu verkündeten Bundes fast unmittelbar nach dem Tod seines Stifters weit nach Westen bis zum nordamerikanischen Kontinent, von dort in die europäischen Länder vordringen und anschließend den Fernen Osten, Australien und Ozeanien erleuchten.

+15:7

Bevor aber der Glaube sein Banner im Herzen des nordamerikanischen Kontinents aufrichten und von dort aus in weiten Teilen der westlichen Welt Fuß fassen konnte, mußte der neu begründete Bund Bahá'u'lláhs genau wie zuvor die Religion, aus der er entsprungen war, eine Feuertaufe bestehen, die seine Festigkeit der ungläubigen Welt vor Augen führen und von seiner Unzerstörbarkeit künden sollte. Eine Krise, fast so bedrohlich wie die ganz am Anfang in Baghdád über den Glauben hereingebrochene, sollte diesen Bund gleich zu Beginn in seinen Grundfesten erschüttern. Dadurch wurde aufs neue die heilige Sache, deren edelste Frucht dieser Bund war, einer der härtesten Prüfungen unterworfen, die sie in diesem Jahrhundert zu bestehen hatte.

+15:8

Diese als Schisma mißverstandene Krise, die politische wie geistliche Gegner und der verschwindende Rest des Anhangs Mírzá Yahyás als Signal für den unmittelbar bevorstehenden Bruch und die endliche Auflösung des von Bahá'u'lláh errichteten Systems begrüßten, bahnte sich mitten im Herzen und Zentrum Seines Glaubens an, von keinem Geringeren als einem Glied Seiner Familie ausgelöst, einen Halbbruder Abdu'l-Bahás, der im Buch des Bundes besonders genannt wird und an zweiter Stelle steht nach Dem, der zum Mittelpunkt des Bundes bestimmt wurde. Dieser Notstand erhitzte vier volle Jahre lang im ganzen Orient die Gemüter eines Großteils der Gläubigen, verfinsterte eine Zeitlang auch das Gestirn des Bundes, führte zu einem unheilbaren Bruch in den Reihen der Verwandtschaft Bahá'u'lláhs, besiegelte damit das Schicksal der großen Mehrzahl Seiner Familienmitglieder und schädigte das Ansehen des Glaubens sehr, wenn es auch nicht gelang, sein Gefüge auf Dauer zu spalten. Die eigentliche Ursache für das Entstehen der Krise lag in brennender, hemmungsloser, verzehrender Eifersucht, von der nicht nur Mírzá Muhammad-Alí, der Hauptverletzer des Bundes, sondern auch einige seiner nächsten Verwandten erfüllt waren - Eifersucht auf den Vorrang, den Abdu'l-Bahá anerkanntermaßen durch Stellung, Einfluß, Fähigkeiten, Wissen und Tüchtigkeit vor allen andern Familienmitgliedern hatte. Ein Neid, wie er Mírzá Yahyás Seele zernagte, ebenso tödlich wie er in den Herzen der Brüder Josefs brannte, die sich über dessen großen Vorzüge ärgerten, ebenso tief wie der in Kains Brust schwelende, der ihn seinen Bruder Abel erschlagen ließ, ebenso blinder Neid schwelte schon Jahre vor Bahá'u'lláhs Tod verborgen im Herzen Mírzá Muhammad-Alís, insgeheim geschürt durch die zahllosen Beweise der Auszeichnung, der Wertschätzung und Gunst, die Abdu'l-Bahá nicht nur von seiten Bahá'u'lláhs, Seiner Gefährten und Anhänger erfuhr, sondern Ihm auch von zahlreichen Nichtgläubigen zuströmten, die der angeborenen Größe innewurden, die Abdu'l-Bahá schon von Kindheit an besaß.

+15:9

Mírzá Muhammad-Alí war keineswegs zufrieden, daß er im Testament zum zweithöchsten Rang unter den Gläubigen erhoben worden war, das Feuer des unstillbaren Hasses brannte im Gegenteil nur noch stärker in seinem Herzen, als ihm zum Bewußtsein kam, welche Folgen dieses Dokument hatte. Alles, was Abdu'l-Bahá während vier notvoller Jahre tun konnte, Seine fortgesetzten Schlichtungsversuche, Seine ernsten Bitten, alle Liebe und Güte, mit der Er Mírzá Muhammad-Alí überschüttete, alle Ermahnungen und Warnungen, ja selbst Sein Angebot des freiwilligen Rücktritts, um den drohenden Sturm zu verhüten, erwiesen sich als nutzlos. Diesem »Größten Aufwiegler« gelang es allmählich, durch unnachgiebige Beharrlichkeit, mit Lügen, Halbwahrheiten, Verleumdungen und maßlosen Übertreibungen fast die ganze Familie Bahá'u'lláhs und eine beträchtliche Anzahl von Gläubigen aus seinem engeren Bekanntenkreis auf seine Seite zu ziehen. Die beiden überlebenden Frauen Bahá'u'lláhs, Seine beiden Söhne, der wankelmütige Mírzá Díyá'u'lláh und der treulose Mírzá Badí'u'lláh mit ihrer Schwester und Halbschwester und deren Gatten, von denen der eine, Siyyid Alí, ein Verwandter des Báb, der andere der verschlagene Mírzá Majdi'd-Dín war, dessen Schwester und Halbbrüder - die Kinder des edlen, gläubigen, nun verstorbenen Áqáy-i-Kalím - sie alle vereinigten sich in dem entschlossenen Bestreben, die Grundlagen des Bundes, die das unlängst verkündete Testament gelegt hatte, zu zerstören. Selbst Mírzá Áqá Ján, der vierzig Jahre lang als Sekretär Bahá'u'lláhs gewirkt hatte, und Muhammad-Javád-i-Qazvíní, der seit den Tagen in Adrianopel damit beschäftigt war, die unzähligen Schriften, die die Erhabene Feder offenbarte, abzuschreiben, sowie seine ganze Familie machten mit den Bundesbrüchigen gemeinsame Sache und ließen sich in ihre Machenschaften hineinziehen.

+15:10

Verlassen, verraten und von fast Seiner gesamten Verwandtschaft angegriffen, die sich im Landhaus und den Häusern um das heiligste Grab breitmachte, ganz auf sich gestellt stand Abdu'l-Bahá nun da, alleingelassen von Seiner heimgegangenen Mutter und Seinen verstorbenen Söhnen, ohne jegliche Unterstützung bis auf eine unverheiratete Schwester, Seine vier unverheirateten Töchter, Seine Frau und Seinen Onkel, einen Halbbruder Bahá'u'lláhs, mußte Er nun angesichts einer Menge von Feinden, die sich von innen und von außen Ihm entgegenstellten, die Last der schrecklichen Verantwortung tragen, die Sein erhabenes Amt Ihm auferlegte.

+15:11

Eng verstrickt durch ihr gemeinsames Ziel, unermüdlich wühlend, im Hinterhalt den mächtigen, perfiden Jamál-i-Burújirdí und seine Konjunkturritter Hájí Husayn-i-Káshí, Khalíl-i-Khu'í und Jalíl-i-Tabrízí, die für die Feindpartei eintraten, verbunden durch ausgedehnten Briefverkehr mit allen Zentren und Personen, die sie erreichen konnten, unterstützt in ihren Bestrebungen durch Sendlinge, die sie nach Persien, dem 'Iráq, Indien und Ägypten schickten, und erkühnt durch die Haltung gewisser Beamter, die sie bestachen oder irreführten, standen nun alle, die diesen göttlich gestiftete Bund ablehnten, wie ein Mann auf und eröffneten einen Beleidigungs- und Verleumdungsfeldzug gegen Ihn, der an Bosheit nicht hinter dem zurückstand, den Mírzá Yahyá und Siyyid Muhammad mit ihren niederträchtigen Anwürfen gegen Bahá'u'lláh geführt hatten. Wo sie nur konnten, bei Freunden und Fremden, Gläubigen und Nichtgläubigen, hohen und kleinen Beamten, in Wort und Schrift, teils offen, teils in Andeutungen, stellten sie Abdu'l-Bahá als einen ehrgeizigen, eigenwilligen, prinzipien- und schamlosen Thronräuber hin, der bewußt die testamentarischen Verfügungen Seines Vaters mißachte, der sich in absichtlich verhüllter, vieldeutiger Sprache eine Stellung anmaße, die derjenigen der Manifestation gleichkomme, der in Seiner Korrespondenz mit dem Westen im Begriff sei, sich als den wiedergekommenen Christus hinzustellen, den Gottessohn, wiedergekommen »in der Herrlichkeit des Vaters«, der in Seinen Briefen an die indischen Gläubigen sich als den verheißenen Sháh Bahrám bezeichne und sich das Recht anmaße, die Schriften Seines Vaters auszulegen, eine neue Sendung einzuleiten und gleich Ihm die größte Unfehlbarkeit - ausschließliches Vorrecht der Träger des Prophetenamtes - zu besitzen. Sie behaupteten ferner, Er habe aus Eigennutz Zwietracht gesät, Feindschaft gestiftet und die Waffe der Exkommunikation geschwungen; Er habe dem Testament, das, wie sie behaupteten, in erster Linie die privaten Angelegenheiten der Familie Bahá'u'lláhs betreffe, einen ganz anderen Sinn unterstellt, indem Er es als einen Bund von weltweiter Bedeutung, seit Ewigkeit bestehend, einzigartig und ohnegleichen in der Geschichte sämtlicher Religionen, hinstellte; Er habe Seine Brüder und Schwestern um ihr rechtmäßiges Erbteil gebracht und es an Beamte ausgegeben für Seine eigenen Interessen; Er habe sämtliche Einladungen zu einer Aussprache über die strittigen Fragen, um die bestehenden Schwierigkeiten beizulegen, abgelehnt; Er habe neuerdings die Heilige Schrift gefälscht, von Ihm selbst verfaßte Texte eingeschoben und den Sinn einiger der wichtigsten Schreiben aus der Feder Seines Vaters entstellt; schließlich sei Sein Verhalten daran schuld, daß die Fahne des Aufruhrs unter den Gläubigen im Orient gehißt worden und die Schar der Getreuen gespalten, in raschem Niedergang begriffen und dem Untergang geweiht sei.

+15:12

Und doch betrachtete sich dieser Mírzá Muhammad-Alí selbst als das Musterbeispiel der Treue, den Bannerträger der »Unitarier«, den »Finger, der auf den Meister hinweist«, den Streiter für die heilige Familie, den Sprecher der Aghsán, den Erhalter der Heiligen Schrift; doch hatte er zu Lebzeiten Bahá'u'lláhs schamlos in einem eigenhändig geschriebenen und versiegelten Schriftstück, das er nun zu Unrecht Abdu'l-Bahá in die Schuhe schob, die Behauptung aufstellte, sein Vater hätte ihn mit eigener Hand gezüchtigt. Er hatte auch in Texte heiliger Schriften, mit denen er nach Indien geschickt worden war, um sie zu veröffentlichen, hineingepfuscht. Er besaß die unverfrorene Dreistigkeit, Abdu'l-Bahá ins Gesicht zu sagen, daß er sich zur gleichen Tat fähig fühle wie 'Umar, der erfolgreich die Nachfolge des Propheten Muhammad usurpierte. Er war besessen von der Angst, daß er Abdu'l-Bahá nicht überleben könnte, und als Abdu'l-Bahá ihm einmal versicherte, daß ihm dereinst all die Ehre, nach der ihn so sehr verlange, zufallen solle, erwiderte er prompt, daß er ja keine Garantie dafür habe, Ihn zu überleben. Wie Mírzá Badí'u'lláh in einem Bekenntnis schreibt, das er als Ausdruck seiner Reue und seiner allerdings nur kurz währenden Versöhnung mit Abdu'l-Bahá verfaßt und veröffentlicht hat, war er es auch, der die beiden Mappen mit den kostbarsten Dokumenten seines Vaters, die dieser vor Seinem Tode Abdu'l-Bahá anvertraut hatte, durch eine List, während Bahá'u'lláhs Leib der Bestattung harrte, beiseite schaffte. Ferner brachte er es fertig, mit der außerordentlich geschickten, einfachen Fälschung eines Wortes und anderen Kniffen wie Kürzungen und Einschiebseln einige Mírzá Yahyá brandmarkende Textstellen in Sendbriefen der Erhabenen Feder so zu drehen, daß sie auf seinen leidenschaftlich gehaßten Bruder bezogen werden konnten. Und schließlich trachtete Mírzá Muhammad-Alí Abdu'l-Bahá, wie Dessen Testament bestätigt und Andeutungen in einem im Original dem Dokument Abdu'l-Bahás beigefügten Brief von der Hand Shú'á'u'lláhs, des Sohnes Mírzá Muhammad-Alís, schließen lassen, mit Umsicht und Arglist nach dem Leben.

+15:13

Durch solche und andere Machenschaften - sie sind nicht zu zählen - war Bahá'u'lláhs Bund sichtlich verletzt. Damit traf den Glauben ein weiterer, zunächst betäubender Schlag, der für kurze Zeit sein Gefüge ins Wanken brachte. Der vom Verfasser der Apokalypse vorausgeschaute Sturm war ausgebrochen. Die »Blitze« und »Donner«, das »Erdbeben«, alles Begleiterscheinungen der Enthüllung der »Arche Seines Testaments«, waren eingetroffen.

+15:14

Abdu'l-Bahás Kummer über diese unheilvolle Entwicklung so kurz nach dem Hinscheiden Seines Vaters hinterließ seine Spuren bis ans Ende Seiner Tage, trotz der reiche Triumphe im Verlaufe Seines Amtes. Seine heftige seelische Erschütterung in dieser düsteren Zeit erinnert an das grauenhafte, von Mírzá Yahyás Auflehnung ausgelöste Geschehen und seine Wirkung auf Bahá'u'lláh. So schrieb Er einmal in einem Sendbrief: »Ich schwöre bei der Altehrwürdigen Schönheit! Mein Kummer ist so groß, daß die Feder in meinen Fingern gelähmt ist.« Und in einem Gebet, das Er in Seinem Testament anführt, klagt Er: »Du siehst mich versunken in einem Meer voll Unheil, das die Seele überflutet, in einem Meer von Leiden, die das Herz bedrücken... Schwere Prüfungen umgeben mich von allen Seiten, Gefahren bedrängen mich allenthalben. Du siehst mich versunken in einem Meere beispielloser Trübsal, hinabgerissen in einen bodenlosen Abgrund, gepeinigt von meinen Feinden, verzehrt von ihres Hasses Flamme, die angefacht ward durch meine eigenen Verwandten, mit denen Du Deinen starken Bund und Dein festes Testament machtest...« Und wiederum im selben Testament: »Herr! Du siehst alle Dinge Tränen über mich vergießen, während meine Verwandten sich an meinen Leiden weiden. Bei Deiner Herrlichkeit, o mein Gott! Selbst unter meinen Feinden beklagten etliche meine Not und Pein, und eine Reihe meiner Neider beweinte meine Sorgen, meine Verbannung und mein Leid.« In einer Seiner letzten Schriften ruft Er: »O Du Herrlichkeit der Herrlichkeiten! Ich habe der Welt und den Menschen entsagt. Mein Herz ist gebrochen und tief betrübt um der Ungetreuen willen. Wie ein geängstigter Vogel flattere ich im Käfig dieser Erde und sehne mich Tag für Tag, meinen Flug zu Deinem Königreich zu nehmen.«

+15:15

Bahá'u'lláh hatte in einer Seiner Schriften offenbart - ein Sendbrief, der auf die ganze Episode bezeichnendes Licht wirft: »Bei Gott, o Menschen! Mein Auge weint und das Auge Alís (des Báb) bei den himmlischen Heerscharen weint, Mein Herz schreit und das Herz Muhammads im herrlichsten Heiligtum schreit, Meine Seele ruft und die Seelen der Propheten rufen vor den mit Einsicht Begabten... Ich sorge Mich nicht um Mich, sondern um Den, der nach Mir kommt im Schatten Meiner Sache, mit sichtbarer, unzweifelhafter Herrschaft; denn sie werden Sein Auftreten nicht willkommen heißen; sie werden Seine Zeichen zurückweisen, Seine Souveränität anzweifeln, wider Ihn streiten und Seine Sache verraten...« In einem anderen, nicht weniger bedeutsamen Schreiben bemerkt Er: »Kann noch irgendein Fuß straucheln auf Deinem geraden Pfad, nachdem die Sonne Deines Testaments am Horizont Deiner Größten Tafel aufging? Darauf antworteten Wir: 'O Meine erhabenste Feder! Dir ziemt es, Dich um das zu kümmern, was Gott, der Erhabene, der Große, Dir auftrug. Frage nicht nach dem, was Dein Herz verzehrt und die Herzen der Bewohner des Paradieses, die sich um Meine wundersame Sache scharen. Es ziemt Dir nicht, um Dinge zu wissen, die Wir vor Dir verhüllt haben. Dein Herr ist wahrlich der Verbergende, der Allwissende!'« Noch deutlicher drückt sich Bahá'u'lláh in bezug auf Mírzá Muhammad Alí aus und stellt in klarer, unmißverständlicher Sprache fest: »Er ist wahrlich nur einer Meiner Diener... Und wenn er auch nur für einen Augenblick aus dem Schatten der Sache herausträte, würde er gewiß zunichte.« Ferner schreibt Er in nicht minder eindringlicher Sprache von Mírzá Muhammad-Alí: »Bei Gott, dem Wahren! Wenn Wir ihm auch nur für einen einzigen Augenblick die Regenschauer Unserer Sache vorenthielten, welkte er dahin und fiele in den Staub.« Abdu'l-Bahá hat einmal gesagt: »Es gibt keinen Zweifel, daß an tausend Stellen der heiligen Schriften Bahá'u'lláhs die Bundesbrüchigen verflucht werden.« Einige dieser Texte stellte Er zusammen und nahm sie, ehe Er aus dieser Welt schied, in eine Seiner letzten Schriften auf, als Warnung und zum Schutz vor denen, die während der Zeit Seines Wirkens soviel unversöhnlichen Haß gegen Ihn an den Tag gelegt und das Fundament des Bundes, auf dem nicht nur Seine Amtsgewalt, sondern auch die Unverletzlichkeit des Glaubens beruhte, fast zerstört hätten.

Kapitel 16
Der Aufstieg des Glaubens im Westen

+16:1

Obgleich die Auflehnung Mírzá Muhammad-Alís viele düstere und enttäuschende Ereignisse mit sich brachte und ihre schlimmen Folgen noch jahrelang das Licht des Bundes verdunkelten, das Leben seines ernannten Mittelpunkts bedrohten, seine Verfechter ablenkten und den Fortschritt ihrer Tätigkeiten in Ost und West behinderten, erwies es sich, daß die ganze Episode, recht besehen, nichts weiter war als eine der periodisch wiederkehrenden Krisen, wie sie seit Beginn des Bahá'í-Glaubens während des ganzen Jahrhunderts immer wieder nützlich waren, um ihn von schädlichen Elementen zu säubern, seine Grundlagen zu festigen, seine Beständigkeit zu beweisen und um ein nur noch größeres Maß seiner verhaltenen Kräfte freizusetzen.

+16:2

Nun, da ein göttlich gestifteter Bund mit seinen Vorkehrungen unanfechtbar verkündet, der Sinn und Zweck dieses Bundes klar erfaßt und seine Grundlagen in den Herzen der weitaus meisten Glaubensanhänger fest verankert waren, da die ersten Angriffe seiner Möchtegern-Umstürzler erfolgreich abgewehrt waren, konnte die Sache, für die der Bund bestimmt war, den Kurs steuern, den ihr die Hand ihres Stifters gewiesen hatte. Strahlende Heldentaten und unvergeßliche Siege hatten bereits die Geburt dieser Religion angekündigt und ihren Aufstieg in verschiedenen Ländern des asiatischen Kontinents und insbesondere im Heimatland ihres Stifters begleitet. Die Aufgabe, die sich ihr nun ernannter Führer, Sachwalters ihrer Herrlichkeit und Verbreiter ihres Lichts, selbst stellte, war, das Ihm anvertraute unversehrbare Erbe zu mehren und seinen Wirkungsbereich dadurch auszuweiten, daß Er das Licht der Religion Seines Vaters über den Westen verbreitete, die Grundlehren und wesentlichen Prinzipien des Glaubens erläuterte, die bereits laufenden Unternehmungen zu seinem Fortschritt in feste Bahnen lenkte und schließlich durch die Vorkehrungen Seines eigenen Testaments den Gestaltenden Zeitabschnitt seiner Entwicklung einleitete.

+16:3

Im Jahr nach Bahá'u'lláhs Hinscheiden hatte Abdu'l-Bahá in einer Verszeile, die die Verletzer des Bundes mit Hohn quittiert hatten, auf ein glückliches Ereignis angespielt, das die Nachwelt als einen der größten Triumphe Seines Amtes betrachten werde, ein Ereignis, das schließlich unschätzbare Segnungen über die westliche Welt bringen und binnen kurzem den Kummer und die Sorgen Seiner Exilgefährten in Akká zerstreuen werde. Die große Republik im Westen wurde ausgezeichnet, vor allen anderen Ländern des Abendlandes als erste Gottes unschätzbaren Segen zu empfangen und der Hauptmittler bei seiner Weitergabe an viele Bruderländer auf den fünf Kontinenten der Erde zu werden.

+16:4

Die große Bedeutung einer derartigen Entwicklung für Bahá'u'lláhs Religion kann gar nicht überschätzt werden: die Einführung Seiner Lehre auf dem nordamerikanischen Kontinent zu einer Zeit, da Abdu'l-Bahá eben Sein Amt antrat und noch die schwerste Krise durchlitt, die Er je zu bestehen hatte. Schon in dem Jahr, da der Glaube in Shíráz seinen Anfang nahm, hatte der Báb im Qayyúmu'l-Asmá', nachdem Er in einem denkwürdigen Abschnitt die Völker im Osten und Westen gewarnt hatte, direkt die »Völker des Westens« angesprochen und sie ausdrücklich aufgefordert, »aus ihren Städten herauszukommen«, um Gott beizustehen und in Seiner »einen, unteilbaren Religion wie Brüder« zu werden. Bahá'u'lláh schrieb im Vorausblick auf diese Entwicklung: »Im Osten ist das Licht Seiner Offenbarung angebrochen, im Westen erscheinen die Zeichen Seiner Herrschaft.« Und Er sagt ferner: »Wenn sie versuchten, ihr Licht auf dem Festland zu verbergen, würde es unweigerlich mitten im Ozean auflodern und laut verkünden: 'Ich bin der Lebenspender der Welt!'« Kurz vor Seinem Hinscheiden sagte Er, wie Nabíl berichtet: »Wäre diese Sache im Westen offenbart worden und Unsere Verse aus dem Westen nach Persien und anderen östlichen Ländern gelangt, dann hätte man gesehen, wie die Völker des Abendlandes Unsere Sache aufgegriffen hätten. Das Volk Persiens aber hat sie nicht gewürdigt.« Abdu'l-Bahá sagte hierzu: »Von Anbeginn der Zeit bis zum heutigen Tag ging das Licht der Gottesoffenbarung immer im Osten auf und schickte seine Strahlen in den Westen. Aber das so verbreitete Licht gewann im Westen einen ganz besonderen Glanz. Denke an die von Jesus verkündete Religion. Sie trat zwar zuerst im Osten auf, aber erst als sich ihr Licht im Westen verbreitete, trat das volle Maß ihrer Möglichkeiten zutage.« »Der Tag ist nahe«, betont Er, »da ihr erleben werdet, wie durch den Glanz der Religion Bahá'u'lláhs der Westen an die Stelle des Ostens tritt und das Licht der göttlichen Führung ausstrahlt.« Und abermals: »Der Westen empfing sein Licht vom Osten; doch in mancher Hinsicht war die Widerspiegelung des Lichtes im Abendland stärker.« Und: »Der Osten ward wahrlich vom Licht des Gottesreichs erleuchtet. Binnen kurzem wird dasselbe Licht den Westen noch viel stärker erleuchten.«

+16:5

Besonders den Herrschern des amerikanischen Kontinents erwies der Autor der Bahá'í-Offenbarung die einzigartige Ehre, sie alle im Kitáb-i-Aqdas, Seinem Heiligsten Buch, anzusprechen. Er ermahnt sie eindringlich, »den Tempel der Herrschaft« mit der »Zier der Gerechtigkeit und der Gottesfurcht und ihr Haupt mit der Krone des Gedenkens ihres Herrn« zu schmücken. Er fordert sie auf, »den Gebrochenen mit den Händen der Gerechtigkeit aufzurichten« und »den Unterdrücker ... mit der Rute der Gebote« ihres »Herrn, des Gebieters, des Allweisen«, zu »zermalmen«. »Der amerikanische Kontinent«, schrieb Abdu'l-Bahá, »ist in den Augen des einen wahren Gottes das Land, in dem der Glanz Seines Lichtes offenbart und die Geheimnisse Seiner Religion enthüllt werden, wo die Gerechten wohnen und die Freien sich versammeln.« »Der amerikanische Kontinent«, schreibt Er ferner, »zeigt Beweise großer Fortschrittlichkeit. Seine Zukunft ist vielversprechend, denn sein Einfluß und sein Glanz reichen weit. Er wird alle Nationen geistig anführen.«

+16:6

Abdu'l-Bahá zeichnet die große Republik des Westens, die führende Nation des amerikanischen Kontinents, ganz besonders aus mit Seiner Gunst und sagt von ihr: »Das amerikanische Volk ist wirklich wert, als erstes das Heiligtum des Größten Friedens zu bauen und die Einheit der Menschheit zu verkünden.« Und wiederum: »Die amerikanische Nation besitzt die Fähigkeit und die Kraft, zu vollbringen, was zum Ruhmesblatt in der Geschichte wird; die ganze Welt wird sie beneiden und für die Erfolge ihres Volkes wird man sie in Ost und West segnen.« Ferner sagt Er: »Möge die amerikanische Demokratie die erste Nation sein, die den Grund zur internationalen Verständigung legt! Möge sie die erste Nation sein, die die Einheit der Menschheit verkündet! Möge sie als erste das Banner des Größten Friedens entfalten!« »Mögen sich die Bewohner dieses Landes«, schreibt Er ferner, »über das heute materiell Erreichte erheben und solche geistigen Höhen erklimmen, daß himmlische Erleuchtung von diesem Zentrum über alle Völker der Welt strömt!«

+16:7

»O ihr Apostel Bahá'u'lláhs!« redete Abdu'l-Bahá die Gläubigen auf dem nordamerikanischen Kontinent an, »...bedenkt, welch hohe, erhabene Stufe euch bestimmt ist... Noch ist das volle Maß eures Erfolges verborgen und seine Bedeutung noch unbekannt.« Und wiederum: »Eure Aufgabe ist unaussprechlich herrlich. Wenn euer Tun von Erfolg gekrönt ist, wird sich Amerika gewiß zu einem Zentrum entwickeln, von dem Ströme geistiger Kraft ausgehen, und der Thron des Reichs Gottes wird in all seiner Majestät und Herrlichkeit errichtet werden.« Und schließlich gibt Er die erregende Versicherung: »In dem Augenblick, da die amerikanischen Gläubigen die göttliche Botschaft über die Grenzen Amerikas hinaustragen und in Europa, Asien, Afrika, Australien und Ozeanien und auf den Pazifischen Inseln verkündigen, wird sich diese Gemeinde auf den Thron ewiger Herrschaft erhoben sehen... Dann wird die ganze Erde vom Lobpreis ihrer Majestät und Größe widerhallen.«

+16:8

Kein Wunder, daß eine Gemeinde, die einer so reich gesegneten Nation angehört, einer Nation in so hervorragender Stellung in einem überreich ausgestatteten Kontinent, es fertig brachte, den Annalen des Glaubens Bahá'u'lláhs im Verlauf ihres fünfzigjährigen Bestehens so manche Seite voll vieler Erfolge hinzuzufügen. Nicht zu vergessen, daß diese Gemeinde von dem Augenblick an, da sie durch die von der Verkündigung des Bundes Bahá'u'lláhs ausgelösten schöpferischen Kräfte ins Leben gerufen wurde, in Abdu'l-Bahás ganz besonderer Fürsorge stand und von Ihm erzogen wurde, ihre einzigartige Aufgabe zu erfüllen - von Ihm erzogen durch zahllose Sendbriefe, Weisungen, die Er zurückkehrenden Pilgern mitgab, durch besondere Boten, später durch Seine Reisen quer über den nordamerikanischen Kontinent, durch den besonderen Nachdruck, den Er während dieser Reisen auf das Statut des Bundes legte, und schließlich durch Seinen Auftrag, wie er in den Sendschreiben zum göttlichen Plan niedergelegt ist. Von ihrem ersten Anfang bis zum heutigen Tag war diese Gemeinde unermüdlich bestrebt und konnte ganz aus eigener Kraft das Banner Bahá'u'lláhs in einem Großteil der sechzig Länder hissen, die heute in Ost und West die Ehre haben, zum Gebiet Seines Glaubens zu gehören. Dieser Gemeinde gebührt die Auszeichnung, das Modell für die administrativen Einrichtungen, die die kommende Weltordnung Bahá'u'lláhs ankündigen, entwickelt und ihr Gerüst errichtet zu haben. Ihren Bemühungen ist es auch zu verdanken, daß im Herzen Nordamerikas der Muttertempel des Westens errichtet wurde, der Herold dieser künftigen Ordnung, eine der edelsten der im Kitáb-i-Aqdas niedergelegten Einrichtungen und das stattlichste Gebäude der ganzen Bahá'í-Welt. Durch die hingebungsvolle Arbeit ihrer Pioniere, Lehrer und Organisatoren wurde das Schrifttum der Bahá'í-Religion weit verbreitet, wurden ihre Ziele und Vorhaben furchtlos verteidigt und ihre jungen Institutionen fest verankert. Eine unmittelbare Folge des selbständigen, unermüdlichen Wirkens der hervorragendsten ihrer Reiselehrer war auch das spontane Bekenntnis aus königlichem Hause zum Glauben Bahá'u'lláhs, das die königliche Anhängerin unmißverständlich in verschiedenen schriftlichen Zeugnissen der Nachwelt übergab. Und schließlich gebührt den Mitgliedern dieser Gemeinde, diesen geistigen Nachfahren der frühen Helden des Heroischen Zeitalters der Bahá'í-Sendung, die unvergängliche Ehre, bei vielen Gelegenheiten mit bewundernswertem Eifer begeistert und entschlossen die Sache der Unterdrückten verfochten, den Armen geholfen und sich für Bauvorhaben und Institutionen eingesetzt zu haben, die ihre Glaubensbrüder in Ländern wie in Persien, Rußland, Ägypten, 'Iráq und Deutschland errichteten - Länder, in denen die Anhänger des Glaubens in unterschiedlichem Maße rassischen und religiösen Verfolgungen ausgesetzt waren.

+16:9

Merkwürdig, daß in diesem vor all seinen westlichen Nachbarländern mit einer so einzigartigen Aufgabe betrauten Land der erste öffentliche Hinweis auf den Autor einer so herrlichen Religion von einem Mitglied eines geistlichen Ordens kam, mit dem der Bahá'í-Glaube sich lange hatte auseinandersetzen müssen und unter dem er viel zu leiden hatte. Noch seltsamer, daß ausgerechnet der Mann, der fünfzig Jahre, nachdem der Báb Seine Sendung in Shíráz erklärt hatte, als erster den Glauben in Chicago begründete, wenige Jahre später die Fahne verließ, die er selbst ganz allein in jener Stadt aufgepflanzt hatte.

+16:10

In einer Schrift - verfaßt von Rev. Henry H. Jessup, D. D., Direktor der Presbyterianischen Mission in Nordsyrien, und verlesen von Rev. George A. Ford aus Syrien anläßlich einer in Chicago abgehaltenen Konferenz des »Weltparlaments der Religionen« in Verbindung mit der kolumbianischen Ausstellung zum vierhundertsten Jahrestags der Entdeckung Amerikas - wurde am 23. September 1893, etwas über ein Jahr nach dem Hinscheiden Bahá'u'lláhs, verkündet, daß »ein berühmter persischer Weiser«, »der Bábí-Heilige«, unlängst in Akká verstorben sei, und daß zwei Jahre vor Seinem Tod ein »Gelehrter der Universität Cambridge« Ihn besucht habe. Diesem gegenüber habe Er »so edle, christusähnliche Gefühle« zum Ausdruck gebracht, daß der Autor dieser Schrift in seinen »Schlußworten« den Wunsch äußerte, sein Publikum daran teilhaben zu lassen. Kaum ein Jahr darauf, im Februar 1894, ließ sich ein syrischer Arzt namens Ibráhím Khayru'lláh, der in Kairo von Hájí Abdu'l-Karím-i-Tihrání für die Bahá'í-Religion gewonnen worden war, von Bahá'u'lláh ein Schreiben erhalten hatte, mit Abdu'l-Bahá korrespondierte und im Dezember 1892 nach New York gezogen war, in Chicago nieder und begann dort tätig und systematisch die Sache, der er sich angelobt hatte, zu verbreiten. Über zwei Jahre hinweg berichtete er Abdu'l-Bahá regelmäßig über seine Eindrücke und die bemerkenswerten Erfolge seiner Bemühungen. Im Jahr 1895 tat sich für ihn eine Möglichkeit in Kenosha auf, das er nun im Verfolg seiner Lehrtätigkeit jede Woche einmal besuchte. Es wird berichtet, daß im Jahr darauf die Gläubigen in diesen beiden Städten bereits nach Hunderten zählten. 1897 veröffentlichte er sein Buch Bábu'd-Dín und besuchte Kansas-City, New York City, Ithaca und Philadelphia, wo er eine beträchtliche Anzahl Stützen für den Glauben gewinnen konnte. Der tapfere Thornton Chase, den Abdu'l-Bahá Thábit, den Standhaften, nannte und als den »ersten amerikanischen Gläubigen« bezeichnete - er hatte sich im Jahr 1894 zum Glauben bekannt -, dann die unsterbliche Louisa A. Moore, die erste Lehrerin des Westens, die Abdu'l-Bahá Livá, das Banner, benannte, Dr. Edward Getsinger, den sie später heiratete, Howard McNutt, Arthur P. Dodge, Isabella B. Brittingham, Lillian F. Kappes, Paul K. Dealy, Chester I. Thatcher und Helen S. Goodall - ihre Namen werden für immer mit den ersten Regungen der Religion Bahá'u'lláhs auf dem nordamerikanischen Kontinent verknüpft sein, sie stehen an erster Stelle unter denen, die früh dem Ruf des Neuen Tages folgten und ihr Leben dem Dienst an dem neu verkündeten Bund weihten.

+16:11

Etwa im Jahre 1898 äußerte die bekannte Philanthropin Mrs. Phoebe Hearst, die Gattin des Senators F. Hearst, die von Mrs. Getsinger bei einem Besuch in Kalifornien für den Glauben interessiert worden war, die Absicht, Abdu'l-Bahá im Heiligen Land aufzusuchen, lud mehrere Gläubige zur Teilnahme ein, darunter Dr. Getsinger mit Frau und Dr. Khayru'lláh mit Frau, und traf selbst alle Vorkehrungen für ihre historische Pilgerfahrt nach Akká. In Paris schlossen sich ihnen mehrere dort ansässige Amerikanerinnen an, darunter May Ellis Bolles, die von Mrs. Getsinger für den Bahá'í-Glauben gewonnen worden war, Miss Pearson und Ann Apperson, beide Nichten von Mrs. Hearst, sowie Mrs. Thornburgh mit Tochter. Später kamen in Ägypten noch die Töchter von Dr. Khayru'lláh sowie deren Großmutter hinzu, die er kürzlich erst zum Glauben geführt hatte.

+16:12

Die Ankunft der fünfzehn Pilger in drei Gruppen nacheinander, von denen die erste mit Dr. Getsinger und Frau am 10. Dezember 1898 in der Gefängnisstadt Akká eintraf; die enge persönliche Beziehung, die zwischen dem Mittelpunkt des Bundes Bahá'u'lláhs und den neugewonnenen Herolden Seiner Offenbarung im Westen zustande kam; die bewegenden Umstände ihres Besuches am heiligen Grab, wobei ihnen die große Ehre zuteil wurde, von Abdu'l-Bahá persönlich in das innerste Gemach geführt zu werden; der Geist, den ihnen ihr liebevoller, gütiger Gastgeber trotz der Kürze ihres Aufenthaltes in so reichem Maße durch Wort und Beispiel einflößte; der leidenschaftliche Eifer, die unbeugsame Entschlossenheit, die Seine anfeuernden Ermahnungen, lichtvollen Lehren und die vielen Beweise Seiner göttlichen Liebe in ihren Herzen entzündeten - all dies bezeichnet den Beginn eines neuen Abschnitts in der Entwicklung des Glaubens im Westen, ein Abschnitt, dessen Bedeutung später durch die Taten einiger dieser Pilger und ihrer Glaubensgenossen in vollem Umfang bestätigt wurde.

+16:13

Eine dieser Pilgerinnen schrieb in ihren Erinnerungen: »Ich erinnere mich weder an Freude, noch an Schmerz, noch an irgend etwas anderes in Worte zu Fassendes bei diesem ersten Beisammensein. Ich war plötzlich zu hoch emporgehoben, meine Seele war mit dem göttlichen Geist in Berührung gekommen und diese so reine, heilige und mächtige Kraft hatte mich überwältigt... Wir konnten unsern Blick nicht von Seinem herrlichen Antlitz wenden. Wir hörten wohl alles, was Er sagte, wir tranken auf Seine Einladung Tee mit Ihm, aber wir waren völlig entrückt, und erst als Er plötzlich aufstand und uns verließ, kehrten wir mit einem Ruck wieder zum Leben zurück. Aber es war Gott sei Dank nie, ach nie mehr dasselbe Leben auf dieser Erde.« In Erinnerung an das letzte Gespräch, das die Gruppe, der sie angehörte, mit Ihm hatte, schreibt diese Pilgerin: »Vor der Macht und Majestät Seiner Gegenwart schwand unsere Furcht dahin und verwandelte sich in vollen Glauben; unsere Schwachheit kehrte sich in Kraft, unsere Sorge in Hoffnung und unser Ich schmolz dahin in der Liebe zu Ihm. Als wir alle vor Ihm saßen und auf Seine Worte warteten, weinten einige der Gläubigen bitterlich. Er bat sie, sie möchten doch ihre Tränen trocknen, aber sie vermochten es keinen Augenblick lang. Er bat sie wiederum, sie möchten Ihm zuliebe bitte nicht weinen; Er könne erst zu uns sprechen und uns lehren, wenn alle Tränen gebannt seien ...«

+16:14

»Diese drei Tage waren die denkwürdigsten meines Lebens«, berichtet Mrs. Hearst in einem ihrer Briefe, » ...den Meister zu beschreiben, wage ich nicht. Ich kann nur sagen, daß ich von ganzem Herzen glaube, daß Er der Meister ist, und daß der größte Segen auf dieser Welt für mich das Vorrecht war, in Seiner Gegenwart zu sein und Sein geheiligtes Antlitz zu schauen ... Abbás Effendi ist ohne Zweifel der Messias für die heutige Generation, und wir brauchen nach keinem anderen auszuschauen«. »Ich muß sagen«, schreibt sie in einem anderen Brief, »Er ist das wundervollste Wesen, das mir je begegnet ist oder dem ich je auf dieser Welt zu begegnen erwartet habe ... Die geistige Atmosphäre, die Ihn umgibt und ungeheuer stark auf alle wirkt, die das Glück haben, in Seiner Nähe sein zu dürfen, ist unbeschreiblich ... Ich glaube von ganzem Herzen und ganzer Seele an Ihn und hoffe, daß alle, die sich Gläubige nennen, Ihm alle Größe, alle Herrlichkeit und allen Ruhm zugestehen, denn Er ist wirklich der Sohn Gottes - und 'der Geist des Vaters wohnt in Ihm'.«

+16:15

Auch Mrs. Hearsts Butler, ein Neger namens Robert Turner, der erste Angehörige seiner Rasse, der sich im Westen zur Sache Bahá'u'lláhs bekannte, war hingerissen von dem Einfluß Abdu'l-Bahás während dieses epochemachenden Pilgeraufenthaltes. Seine Anhänglichkeit an seinen Glauben war so groß, daß selbst, als seine geliebte Herrin sich der Sache, die sie so spontan angenommen hatte, später entfremdete, dies sein Glaubenslicht nicht trüben noch im geringsten das starke Gefühl abschwächen konnte, das Abdu'l-Bahás Güte in seinem Herzen erweckt hatte.

+16:16

Mit der Rückkehr dieser gott-trunkenen Pilger nach Frankreich oder in die Vereinigten Staaten begann eine ununterbrochene, systematische Tätigkeit, die, als sie in Schwung kam und ihre Stützpunkte bis nach Westeuropa und in die Staaten und Provinzen Nordamerikas vorschob, soviel Gewicht bekam, daß Abdu'l-Bahá beschloß, sobald Er aus Seiner noch andauernden Haft in Akká befreit wäre, eine Lehrreise nach dem Westen anzutreten. Die Gemeinde der amerikanischen Gläubigen machte sich an eine ganze Reihe von Unternehmungen, die Abdu'l-Bahá selbst ein Jahrzehnt später segnete und weiter voantrieb, ein Vorspiel zu unvergleichlichen Diensten, die sie im Gestaltenden Zeitalter der Sendung Seines Vaters leisten sollte. Nichts konnte sie in ihrem Kurs beirren, weder die verheerende Krise, die Dr. Khayru'lláh nach seiner Rückkehr aus dem Heiligen Land¹ mit seinem Ehrgeiz auslöste, noch der Aufruhr, den er gemeinsam mit dem Erzfeind des Bundes und seinen Sendlingen anzettelte; seine und die Angriffe seiner abtrünnigen Genossen verachtete sie ebenso wie die feindselige Haltung der christlichen Geistlichen, die immer eifersüchtiger auf die wachsende Macht und den zunehmenden Einfluß des Glaubens blickten, war die Gemeinde doch ermutigt durch einen ständigen Strom von Pilgern, die mündliche Botschaften und besondere Anweisungen von ihrem wachsamen Meister brachten, sie war gestärkt von dem Kraftstrom zahlreicher Sendbriefe aus Seiner Hand und geleitet von einander folgenden Boten und Lehrern, die sie in Seinem Auftrag um ihrer Führung, Unterweisung und Festigung willen besuchten.

¹ Dezember 1899

+16:17

Die schon erwähnte May Bolles konnte in Übereinstimmung mit der ausdrücklichen Weisung Abdu'l-Bahás, kaum daß sie von dieser Pilgerfahrt nach Paris zurückgekehrt war, dort das erste Bahá'í-Zentrum auf dem europäischen Kontinent gründen. Stärkung erfuhr dieses Zentrum bald nach ihrer Ankunft durch den Beitritt des erleuchteten Thomas Breakwell, des ersten englischen Gläubigen, der später durch eine glühende Gedächtnisode Abdu'l-Bahás unsterblich wurde, ferner durch Hippolyte Dreyfus, des ersten Franzosen, der sich zur Bahá'í-Religion bekannte und durch seine Schriften, Übersetzungen, Reisen und andere Pionierdienste im Laufe der Jahre das begonnene Werk in diesem Land festigte, und durch Laura Barney, deren bleibendes Verdienst es war, die unschätzbar wertvollen Erläuterungen Abdu'l-Bahás zu vielen verschiedenen Themen, die sie von Ihm während ihres langen Pilgeraufenthalts im Heiligen Land bekommen hatte, gesammelt der Nachwelt in Gestalt eines Buches mit dem Titel Beantwortete Fragen zu übermitteln. Drei Jahre später, im Jahre 1902, verheiratete sich May Bolles mit einem Kanadier und verlegte ihren Wohnsitz nach Montreal. Auch dort gelang es ihr, den Grund für die Verbreitung der heiligen Sache zu legen.

+16:18

In London konnte Mrs. Thornburgh-Cropper vermöge der schöpferischen Kräfte, die jene unvergeßliche Pilgerfahrt in ihr ausgelöst hatte, eine reiche Tätigkeit entfalten. Sie wurde darin unterstützt insbesondere durch die Mithilfe der ersten englischen Gläubigen, Ethel J. Rosenberg, die 1899 den Glauben annahm, und so gelang es ihnen später, das Gebäude ihrer administrativen Institutionen auf den Britischen Inseln zu errichten. Auf dem nordamerikanischen Kontinent wurde die Treue der eben flügge gewordenen Gemeinde durch den Abfall und die Schmähschriften Dr. Khayru'lláhs, der sich von Mírzá Muhammad-Alí und seinem nach Amerika geschickten Sohn Shu'á'u'lláh antreiben ließ, auf eine äußerst harte Probe gestellt. Doch den von Abdu'l-Bahá laufend geschickten Sendboten, wie Hájí Abdu'l-Karím-i-Tihrání, Hájí Mírzá Hasan-i-Khurásání, Mírzá Asadu'lláh und Mírzá Abu'l-Fadl, gelang es rasch, die Zweifel zu zerstreuen, das Verständnis der Gläubigen zu vertiefen, die Gemeinde zusammenzuhalten und den Kern der administrativen Institutionen zu bilden, die zwei Jahrzehnte später auchrl und anderen. Ein beachtlicher Briefwechsel mit den verschiedenen Zentren im Orient setzte ein, der an Umfang wie an Bedeutung stetig zunahm. Kurze Abrisse der Geschichte der Bahá'í-Religion, Bücher und Flugschriften zu ihrer Verteidigung, Presseartikel, Reise- und Pilgerberichte, Gedichte und Lobeshymnen wurden ebenfalls veröffentlicht und fanden weite Verbreitung.

+16:19

Gleichzeitig machten sich Reisende und Lehrer, die siegreich alle die geliebte Sache zu verschlingen drohenden Prüfungsstürme überstanden hatten, aus eigenem Antrieb auf, um die bereits gegründeten Stützpunkte des Glaubens zu festigen und zu mehren. So entstanden neue Zentren in Washington, Boston, San Francisco, Los Angeles, Cleveland, Baltimore, Minneapolis, Buffalo, Rochester, Pittsburgh, Seattle, St. Paul und anderen Städten. Kühne Pioniere, als Besucher oder Siedler, machten weite Reisen und wagemutige Unternehmen, voll Eifer, das neue Evangelium über die Grenzen ihres Heimatlandes hinauszutragen, und brachten dadurch das Licht der neuen Botschaft ins Herz Europas, in den fernen Osten und auf die Inseln im Pazifik. Mason Remey reiste nach Rußland und Persien und machte später gemeinsam mit Howard Struven als erster in der Bahá'í-Geschichte eine Reise um die Welt, wobei sie die Hawaiischen Inseln, Japan, China, Indien und Birma besuchten. Hooper Harris und Harlan Ober besuchten während einer siebenmonatigen Reise durch Indien und Birma Bombay, Puna, Lahore, Kalkutta, Rangun und Mandalay. Alma Knobloch trat in die Fußtapfen von Dr. K. E. Fisher, hißte die Fahne des Glaubens in Deutschland und trug sein Licht nach Österreich. Dr. Susan I. Moody, Sidney Sprague, Lillian F. Kappes, Dr. Sarah Clock und Elizabeth Stewart verlegten ihren Wohnsitz nach Tihrán, um dort zusammen mit den ansässigen Bahá'í die mannigfachen Angelegenheiten des Glaubens zu fördern. Sarah Farmer, die schon 1894 in Green Acre im Staat Maine Zusammenkünfte im Sommer angeregt und ein Zentrum zur Förderung der Einheit und des Zusammenhalts unter den verschiedenen Rassen und Religionen begründet hatte, überließ nach ihrer Pilgerfahrt nach Akká im Jahre 1900 die für diese Zusammenkünfte bestimmte Liegenschaft den Anhängern des Glaubens, zu dem sie sich kürzlich bekannt hatte, zur freien Verfügung.

+16:20

Und schließlich baten die Bahá'í von Chicago, angeregt durch das Beispiel ihrer Glaubensgenossen in 'Ishqábád, die bereits mit dem Bau des ersten Mashriqu'l-Adhkár der Bahá'í-Welt begonnen hatten, und beseelt von dem Wunsch, ihrem Glauben und ihrer Hingabe in ähnlicher Weise gebührenden Ausdruck zu verleihen, Abdu'l-Bahá um die Erlaubnis, ebenfalls ein Haus der Andacht errichten zu dürfen, und wagten sich, als ihnen dies sogleich mit einem Schreiben im Juni 1903 mit Begeisterung gewährt wurde, trotz ihrer geringen Zahl und begrenzten Mittel an das Unternehmen, das als größter Einzelbeitrag zu betrachten ist, den die Bahá'í in Amerika und im ganzen Westen bisher für die Sache Bahá'u'lláhs geleistet haben. Die Ermutigung, die ihnen Abdu'l-Bahá später zuteil werden ließ, und die Beiträge, die ihnen von verschiedenen Gemeinden zuflossen, veranlaßten sie, Vertreter ihrer Glaubensgenossen aus verschiedenen Teilen des Landes nach Chicago zur feierlichen Inangriffnahme dieses erstaunlichen Unternehmens einzuladen. Am 26. November 1907 kamen die zu diesem Zweck angereisten Repräsentanten zusammen und wählten einen aus neun Bahá'í bestehenden Ausschuß, der einen passenden Platz für den geplanten Tempel aussuchen sollte. Schon am 9. April 1908 war die Summe von zweitausend Dollar für den Erwerb von zwei Bauplätzen nahe dem Ufer des Michigansees eingezahlt worden. Im März 1909 wurde auf Anweisung Abdu'l-Bahás eine Zusammenkunft von Vertretern der verschiedenen Bahá'í-Zentren einberufen. Die neununddreißig Delegierten, die sechsunddreißig Städte vertraten, versammelten sich in Chicago am selben Tag, an dem Abdu'l-Bahá die Überreste des Báb in dem eigens hierfür errichteten Mausoleum am Karmel beisetzte, und gründeten eine ständige nationale Organisation, bekannt als die Bahá'í-Tempelvereinigung, die als religiöse Körperschaft eingetragen wurde, gemäß den Gesetzen des Staates Illinois arbeitete und absolute Vollmacht über die Verwaltung der Gelder für den Tempel und alle für seinen Bau erforderlichen Maßnahmen besaß. Bei dieser Zusammenkunft wurde eine Satzung formuliert, eine ausführende Körperschaft der Bahá'í-Tempelvereinigung gewählt und dieser seitens der Delegierten das Recht übertragen, den bereits bei der letzten Zusammenkunft befürworteten Landkauf abzuschließen. Von allen Seiten liefen Beiträge zu diesem historischen Unternehmen ein, von Indien, Persien, der Türkei, von Syrien, Palästina, Rußland, Ägypten, Deutschland, Frankreich, England, Kanada, Mexiko, den Hawaii-Inseln und sogar von Mauritius und von nicht weniger als sechzig amerikanischen Städten; und im Jahre 1910, also zwei Jahre vor der Ankunft Abdu'l-Bahás in Amerika, waren sie bereits auf zwanzigtausend Dollar angewachsen - ein beredtes Zeugnis sowohl für den Zusammenhalt der Anhänger Bahá'u'lláhs in Ost und West, wie auch für die aufopfernden Bemühungen der amerikanischen Gläubigen, die mit dem Voranschreiten des Werks den überwiegenden Anteil des Betrags von schließlich über einer Millionen Dollar für die Errichtung des Tempels und seine äußere Ausschmückung aufbrachten.

Kapitel 17
Erneute Gefangenschaft Abdu'l-Bahás

+17:1

Nachdem diese tapfere, schwer geprüfte Gemeinde derart herausragende Erfolge errungen, die ersten Früchte des jüngst gestifteten Bundes Bahá'u'lláhs in der westlichen Welt geerntet hatte, war der Boden ausreichend vorbereitet, um den zum Mittelpunkt des Bundes Ernannten um Seinen Besuch zu bitten; war Er es doch, der diese Gemeinde ins Leben gerufen hatte und so unendlich sorgsam und fürsorglich über ihr werdendes Schicksal wachte. Aber erst, nachdem Abdu'l-Bahá die schwere Krise, die Ihn seit mehreren Jahren festhielt, überstanden hatte, konnte Er Seine denkwürdige Reise in den Kontinent unternehmen, in dem das Erwachen und die Festigung des Glaubens Seines Vaters sich durch so prächtige und dauernde Erfolge kundgetan hatte.

+17:2

Diese zweite schwere Krise während der Zeit Seines Wirkens, die zwar von außen kam, aber nicht minder heftig war als die von Mírzá Muhammad-Alís Auflehnung ausgelöste, brachte Ihn in große Lebensgefahr, beraubte Ihn für eine Reihe von Jahren wieder der verhältnismäßigen Freiheit, die Er inzwischen genossen hatte, peinigte Seine Familie und die Glaubensangehörigen in Ost und West und stellte wie nie zuvor die ganze Niedertracht Seiner grimmigen Feinde bloß. Sie brach zwei Jahre nach der Abreise der ersten amerikanischen Pilger vom Heiligen Land aus, war den ständigen Intrigen und krassen Entstellungen durch den Erzfeind des Bundes Bahá'u'lláhs und seine Helfershelfer zuzuschreiben und schwelte mit verschiedenen Schwankungen mehr als sieben Jahre.

+17:3

Mírzá Muhammad-Alí - erbittert über den Fehlschlag seiner ständigen Versuche, ein Schisma herbeizuführen, auf das er im Stillen seine Hoffnung gesetzt hatte; aufgestachelt durch den offensichtlichen Erfolg, den die Bannerträger des Bundes trotz seiner Machenschaften in Nordamerika errungen hatten; ermutigt von einem Regime, das unter Vorsitz eines verschlagenen, grausamen Potentaten in einer Atmosphäre aus Intrige und Verdächtigung gedieh; entschlossen, alle Möglichkeiten zur Schadenstiftung zu nutzen, die sich ihm durch die Ankunft der Pilger aus den westlichen Ländern in der Gefängnisstadt Akká und den Baubeginn am Grabmal des Báb am Karmel boten, und unterstützt von seinem Bruder Mírzá Badí'u'lláh und seinem Schwager Mírzá Majdi'd-Dín - Mírzá Muhammad-Alí brachte es mit seiner ständigen, hartnäckigen Wühlarbeit fertig, bei der türkischen Regierung und ihren Beamten Verdacht gegen Abdu'l-Bahá zu erregen und sie zu veranlassen, Ihn wieder unter Arrest zu stellen, worunter Er schon zu Bahá'u'lláhs Lebzeiten so schwer gelitten hatte.

+17:4

Der genannte Bruder, der Hauptkomplize Mírzá Muhammad-Alís, gestand später anläßlich seiner Aussöhnung mit Abdu'l-Bahá in einem schriftlichen Bekenntnis, unterschrieben, gesiegelt und veröffentlicht, die bösen Intrigen gegen Abdu'l-Bahá ein. »Über das, was ich von andern gehört habe«, schreibt Mírzá Badí'u'lláh, »will ich schweigen. Ich berichte nur, was ich mit eigenen Augen gesehen und aus seinem (Mírzá Muhammad-Alís) Mund gehört habe.« Dann fährt er fort: »Er (Mírzá Muhammad-Alí) leitete die Entsendung Mírzá Majdi'd-Díns mit einem Geschenk und einem persisch geschriebenen Brief zu Nazim Páshá, dem Válí (Gouverneur) von Damaskus in die Wege, um diesen für seine Pläne zu gewinnen... Wie er (Mírzá Majdi'd-Dín) mir selbst in Haifa sagte, tat er alles, um ihn (den Gouverneur) umfassend über die Bauarbeiten am Karmel zu informieren und ihn über das Kommen und Gehen der amerikanischen Gläubigen und die in Akká stattfindenden Zusammenkünfte zu unterrichten. Dem Páshá lag viel daran, alle Einzelheiten zu erfahren, und er war deshalb überaus liebenswürdig zu ihm und versicherte ihn seiner Unterstützung. Wenige Tage nach Mírzá Majdi'd-Díns Rückkehr traf von der Hohen Pforte ein chiffriertes Telegramm ein mit dem Befehl des Sultáns, Abdu'l-Bahá, mich und die anderen gefangenzusetzen.« Im selben Dokument schreibt er weiter: »Ein Mann, der damals von Damaskus nach Akká kam, hat Unbeteiligten gegenüber erklärt, daß Nazim Páshá schuld sei an Abbás Effendis Arrest. Das seltsamste an alledem ist, daß Mírzá Muhammad-Alí nach seiner Verhaftung an Nazim Páshá ein Gesuch um seine Freilassung richtete... Der Páshá jedoch würdigte ihn weder auf seinen ersten, noch auf seinen zweiten Brief einer Antwort.«

+17:5

Am fünften Tag des Jamádíyu'l-Avval 1319 n.d.H.¹, als Abdu'l-Bahá gerade von Bahjí zurückkam, wo Er der Gedenkfeier zur Erklärung des Báb beigewohnt hatte, wurde Ihm bei einem Gespräch mit dem Gouverneur von Akká mitgeteilt, daß auf Sultán Abdu'l-Hamíds Befehl die inzwischen gelockerten Beschränkungen aufs neue in Kraft treten müßten, wonach Er und Seine Brüder sich nunmehr wieder innerhalb der Stadtmauern aufzuhalten hätten. Zunächst wurde der Erlaß des Sultáns streng durchgesetzt, die Freiheit der Exilantengemeinde stark beschnitten, und Abdu'l-Bahá mußte sich allein und auf sich gestellt langen Verhören durch Richter und Beamte unterziehen, die verlangten, daß Er hierzu mehrere Tage lang im Regierungssitz zur Verfügung stünde. Als erstes setzte Er sich für Seine Brüder ein - sie waren schroff vorgeladen und vom Befehl des Herrschers in Kenntnis gesetzt worden -, was aber deren Feindseligkeit nicht zu dämpfen oder ihre boshaften Aktivitäten einzuschränken vermochte. Später gelang es Ihm durch Sein Eintreten bei den zivilen und militärischen Behörden, für Seine in Akká lebenden Anhänger die Freiheit zu erwirken, so daß sie weiter ungehindert ihren Lebensunterhalt verdienen konnten.

¹ 20. August 1901

+17:6

Die Verletzer des Bundes waren keineswegs zufrieden mit den behördlichen Maßnahmen gegen Den, der so großmütig für sie eingetreten war. Mit Hilfe des berüchtigten Polizeichefs Yahyá Bey und anderer ziviler und militärischer Beamter, die infolge ihrer Beschwerden diejenigen, die freundlich zu Abdul-Bahá gewesen waren, ersetzt hatten, und gefördert durch die ständig zwischen Akká und Konstantinopel hin und hergehenden Geheimagenten, die alles, was in Abdu'l-Bahás Haushalt vorging, eifrig überwachten, machten sie sich daran, Seinen Untergang ins Werk zu setzen. Sie verteilten verschwenderisch Geschenke an Beamte, darunter auch geheiligte Erinnerungsstücke an Bahá'u'lláh, und boten schamlos hoch und niedrig Bestechungsgelder an, Geld, das zum Teil aus dem Verkauf von Besitzstücken Bahá'u'lláhs oder Geschenken Abdu'l-Bahás stammte. Unermüdlich verfolgten sie ihre ruchlosen Pläne, entschlossen, nicht nachzugeben, bis sie entweder Seine Hinrichtung oder zumindest Seine Deportation erreicht hätten, entfernt genug, um Ihm die Gottessache aus der Hand winden zu können. Sie appellierten bei den verschiedensten Gelegenheiten an alle möglichen Persönlichkeiten - den Válí von Damaskus, den Muftí von Beirut, die Angehörigen der protestantischen Missionen in Syrien und Akká, selbst an den einflußreichen Shaykh Abu'l-Hudá in Konstantinopel, der beim Sultán in so hohem Ansehen stand wie der Großwesir Hájí Mírzá Áqásí bei Muhammad Sháh - und gingen sie um Hilfe an beim Verfolg ihrer gehässigen Absichten.

+17:7

Durch mündliche Mitteilungen, förmliche Nachrichten und persönliche Gespräche drängten die Feinde des Bundes diesen Persönlichkeiten die Überzeugung auf, daß rasches Handeln unbedingt geboten sei. Verschlagen stellten sie ihre Beweisführungen auf die jeweiligen Interessen und Vorurteile derer ab, deren Hilfe sie suchten. Dem einen schilderten sie Abdu'l-Bahá als rücksichtslosen Usurpator, der ihre Rechte mit Füßen trete, sie ihres Erbes beraube und sie ins Elend treibe, ihre Freunde in Persien zu Feinden mache, für sich selbst ungeheure Reichtümer anhäufe und mindestens zwei Drittel des Landes in Haifa an sich gebracht habe. Anderen gegenüber erklärten sie, Abdu'l-Bahá wolle aus Akká und Haifa ein neues Mekka und Medina machen. Wieder anderen beteuerten sie, daß Bahá'u'lláh nur ein bescheidener Derwisch gewesen sei, der den Islám bekannt und gelehrt habe, den Sein Sohn Abbás Effendi jedoch zum Rang einer Gottheit erhob, um sich damit selbst zu verherrlichen und als den Sohn Gottes, den wiedergekommenen Jesus Christus zu bezeichnen. Weiterhin bezichtigten sie Ihn staatsfeindlicher Umtriebe, daß Er einen Aufstand gegen den Sultán plane, in abgelegenen Ortschaften in Palästina und Syrien bereits das Banner Yá Bahá'u'l-Abhá, das Signal zum Umsturz, gehißt und insgeheim eine Armee von dreißigtausend Mann aufgestellt habe, daß Er im Begriff sei, eine Festung auf dem Karmel zu errichten und ein großes Munitionslager anzulegen, sich der moralischen und materiellen Hilfe einer Schar englischer und amerikanischer Freunde, darunter Offiziere fremder Mächte, versichert habe, die bereits in großer Zahl im Anmarsch seien unter dem Vorwand, Ihm ihre Huldigung darzubringen, und daß Er in Verbindung mit ihnen schon Seine Pläne fertig habe für die Unterwerfung der Nachbarprovinzen, die Vertreibung der herrschenden Gewalten und die schließliche Übernahme der bisher vom Sultán ausgeübten Macht. Mit Hilfe von Verleumdung und Bestechung vermochten sie bestimmte Leute zu bewegen, als Zeugen ihre Unterschrift unter die von ihnen aufgesetzten Dokumente zu setzen, die sie dann durch Mittelsmänner an die Hohe Pforte schickten.

+17:8

Derart schwere Anschuldigungen in so vielen Berichten verfehlten natürlich nicht ihre Wirkung auf den Herrscher, der ohnedies in ständiger Angst vor Aufruhr unter seinen Untertanen lebte. Es wurde darum eine Kommission ernannt, die den Auftrag hatte, der Sache nachzugehen und über die Ergebnisse zu berichten. Abdu'l-Bahá wurde mehrmals vorgeladen und wies jede Beschuldigung, die man gegen Ihn vorbrachte, furchtlos und sorgfältig begründet zurück. Er stellte den Wahnwitz dieser Anschuldigungen bloß und machte zum Beweis Seiner Argumente die Kommissionsmitglieder mit den Vorkehrungen bekannt, die Bahá'u'lláh in Seinem Testament getroffen hatte. Er brachte ferner zum Ausdruck, daß Er jedes Urteil anzunehmen bereit sei, das das Gericht über Ihn fällen werde, und beredt versicherte Er, wenn sie Ihn in Ketten legen, durch die Straßen schleifen, verwünschen und verhöhnen, steinigen, bespeien, auf dem Marktplatz aufhängen und mit Kugeln durchsieben wollten, empfände Er dies als hohe Ehre, denn damit träte Er nur in die Fußstapfen und teilte das Leid Seines geliebten Leitsterns, des Báb.

+17:9

Die schwierige Situation, in der sich Abdu'l-Bahá befand, Gerüchte im Volk, die schlimme Entwicklungen ahnen ließen, Hinweise und Anspielungen in ägyptischen und syrischen Zeitungen, daß Ihm Gefahr drohe, die zunehmend feindselige Haltung Seiner Gegner, das herausfordernde Benehmen mancher Einwohner von Akká und Haifa, die sich von den Gerüchten und Orakeln der Gegner dazu aufputschen ließen, gespannt auf den Untergang der verdächtigten Gemeinde und ihres Führers zu warten - all dies veranlaßte Abdu'l-Bahá, die Zahl der Pilgerbesuche zu beschränken und eine Zeitlang die Besuche ganz auszusetzen. Er gab Anweisung, daß Seine Post über einen Vertrauensmann in Ägypten geleitet werde statt nach Haifa, eine Zeitlang sollte sie dort bis auf weiteres lagern. Er wies ferner die Gläubigen wie Seine Sekretäre an, alle Bahá'í-Schriften zu sammeln und an einem sicheren Ort zu verstecken. Er riet ihnen dringend, sich in Ägypten niederzulassen, und ging selbst soweit, ihnen die gewohnten Zusammenkünfte in Seinem Haus zu verwehren. Selbst Seine zahlreichen Freunde und Bewunderer verzichteten in diesen unruhigen Tagen darauf, Ihn zu besuchen, aus Furcht, dadurch ebenfalls in die Sache verwickelt und den Behörden verdächtig zu werden. An manchen Tagen und Nächten, wenn es am trübsten aussah, stand Sein Haus, das lange Jahre hindurch der Brennpunkt aller Geschäftigkeit gewesen, völlig verlassen da. Spione beobachteten es, offen wie insgeheim, belauerten jede Regung und beschnitten die Bewegungsfreiheit Seiner Familie.

+17:10

Aber Er wies es von sich, den Bau des Grabmals für den Báb, dessen Grundstein Er an dem gesegneten, von Bahá'u'lláh erwählten Platz schon gelegt hatte, zurückzustellen oder auch nur für kurze Zeit zu unterbrechen. Auch ließ Er sich durch kein noch so großes Hindernis davon abhalten, weiterhin Tag für Tag eine ständig wachsende Flut von Briefen und Sendschreiben aus Seiner unermüdlichen Feder zur Antwort auf all die zahllosen Briefe, Berichte, Anfragen, Gebete, Glaubensbekenntnisse, Verteidigungsschriften und Lobeshymnen von ungezählten Anhängern und Bewunderern aus Ost und West in schneller Folge niederzuschreiben. Augenzeugen berichten, daß sie von neunzig Briefen wüßten, die Er in diesem bewegten und gefahrvollen Lebensabschnitt an einem einzigen Tag mit eigener Hand geschrieben habe, und Er manche Nacht von Einbruch der Dunkelheit bis zur Morgendämmerung allein in Seinem Schlafzimmer verbracht und noch die Korrespondenz erledigt habe, zu der Ihm die mannigfachen Tagespflichten keine Zeit gelassen hatten.

+17:11

In dieser stürmischen Zeit, dem dramatischsten Abschnitt Seines Wirkens, auf der Höhe und in der Vollkraft Seines Lebens, nahm Er mit unermüdlicher Energie, bewundernswerter Gelassenheit und unerschütterlicher Zuversicht die verschiedenen Unternehmungen, die Sein Amt mit sich brachte, in Angriff und trieb sie rastlos voran. Damals faßte Er den Plan zum ersten Mashriqu'l-Adhkár der Bahá'í-Welt, und der Bau wurde dann von Seinen Anhängern in der Stadt 'Ishqábád in Turkestan durchgeführt. Er gab in dieser Zeit auch trotz aller Wirren in Seinem Geburtsland die Weisung, das heilige, geschichtsträchtige Haus des Báb in Shíráz wiederherzustellen. Auch ist es hauptsächlich Seiner ständigen Ermutigung zu verdanken, daß damals im Westen die ersten Maßnahmen für den Bau des Muttertempels am Ufer des Michigansees getroffen wurden, dessen Grundstein Er dann selbst einige Jahre später bei Seinem Besuch legte. In jener Zeit wurde auch die berühmte Sammlung Seiner Tischgespräche unter dem Titel Beantwortete Fragen veröffentlicht, kurze Ansprachen, die Er in Seiner kurz bemessenen freien Zeit hielt und in deren Verlauf Er grundlegende Gesichtspunkte der Lehre Seines Vaters erläuterte, Überlieferungen wie Vernunftbeweise für ihre Gültigkeit anführte und eine große Zahl verschiedenster Themen bezüglich der christlichen Sendung, der Propheten, biblischer Prophezeiungen, Ursprung und Art des Menschen und anderer verwandter Probleme maßgebend behandelte.

+17:12

In den düstersten Stunden jener Zeit spricht Abdu'l-Bahá in einem Schreiben an den Vetter des Báb, den ehrwürdigen Hájí Mírzá Muhammad-Taqí, den Baumeister des Tempels in 'Ishqábád, mit eindrucksvollen Worten von der unermeßlichen Größe der Offenbarung Bahá'u'lláhs, warnt vor dem bevorstehenden Aufruhr, den die Feinde aus nah und fern in der Welt heraufbeschwören würden, und verheißt in bewegenden Worten den Sieg, den die Fackelträger des Bundes schließlich davontrügen. Und in der Stunde höchster Ungewißheit zu dieser Zeit schrieb Abdu'l-Bahá auch Sein Testament, das unsterbliche Dokument, in dem Er die Grundzüge der Verwaltungsordnung umriß, die nach Seinem Hinscheiden in Kraft treten und die Errichtung jener Weltordnung ankündigen sollte, deren Kommen der Báb verheißen und deren Gesetze und Prinzipien Bahá'u'lláh formuliert hatte. Im Verlauf dieser bewegten Jahre schuf Er mittels der Herolde und Verfechter des fest geschlossenen Bundes die ersten administrativen, geistigen und erzieherischen Einrichtungen der sich stetig ausdehnenden Religion in Persien, ihrer Wiege, in der großen Republik des Westens, der Wiege der Verwaltungsordnung, in Kanada, Frankreich, England, Deutschland, Ägypten, im 'Iráq, in Rußland, Indien, Birma, Japan und selbst auf weit abgelegenen pazifischen Inseln. Er legte in jener bewegten Zeit auch besonderen Nachdruck auf die Übersetzung, Veröffentlichung und Verbreitung von Bahá'í-Literatur, die inzwischen schon eine Vielfalt von Büchern und Schriften in persischer, arabischer, englischer, türkischer, französischer, deutscher, russischer und birmanischer Sprache umfaßt. An Seinem Tische versammelten sich, so oft der Ihn umtobende Sturm eine Pause einlegte, Pilger, Freunde und Sucher aus den meisten der genannten Länder, Repräsentanten der christlichen, islámischen, jüdischen, zoroastrischen, hinduistischen und buddhistischen Religion. An die Armen, die Seine Türe belagerten und sich im Hof Seines Hauses drängten, teilte Er trotz aller Gefahren, von denen Er ständig umgeben war, jeden Freitagmorgen mit eigener Hand Almosen aus. Er tat dies so regelmäßig und großzügig, daß man Ihn allgemein »den Vater der Armen« nannte. Nichts konnte in jenen stürmischen Tagen Seine Zuversicht erschüttern, durch nichts ließ Er sich an Seinem Dienst für die Hilflosen, die Waisen, die Kranken und Unterdrückten hindern, nichts konnte Ihn davon abhalten, persönlich die aufzusuchen, die unfähig oder zu verschämt waren, Seine Hilfe in Anspruch zu nehmen. Unbeugsam in Seinem Entschluß, dem Beispiel des Báb und Bahá'u'lláhs zu folgen, konnte Ihn nichts veranlassen, vor Seinen Feinden zu fliehen oder der Gefangenschaft zu entkommen: nicht der Rat führender Mitglieder der Exilgemeinde in Akká, und auch nicht die inständigen Bitten des spanischen Konsuls, eines Verwandten des Agenten einer italienischen Dampfschiffahrtsgesellschaft, der aus Liebe zu Abdu'l-Bahá und aus dem Verlangen, die drohende Gefahr von Ihm abzuwenden, soweit ging, Ihm einen italienischen Frachter zur Verfügung zu stellen, der Ihn sicher nach irgendeinem fremden Hafen Seiner Wahl bringen würde.

+17:13

Während Gerüchte umgingen, daß Er ins Meer geworfen oder nach Fessan in Tripolis verbannt oder an den Galgen gehängt werden sollte, blieb Abdu'l-Bahá so gelassen, daß Er zum Erstaunen Seiner Freunde und unter dem Gespött Seiner Feinde im Garten Seines Hauses seelenruhig Bäume und Reben pflanzte, deren Früchte Er später, als der Sturm vorüber war, Seinen getreuen Gärtner Ismá'íl Áqá pflücken ließ, um sie ebendiesen Freunden und Feinden bei ihren Besuchen bei Ihm zu reichen.

+17:14

Zu Beginn des Winters 1907 wurde plötzlich auf Befehl des Sultáns eine weitere Kommission, bestehend aus vier Beamten unter Vorsitz von Arif-Bey und mit allen Vollmachten versehen, nach Akká geschickt. Wenige Tage vor ihrer Ankunft hatte Abdu'l-Bahá einen Traum, den Er den Gläubigen erzählte: Er sah vor Akká ein Schiff vor Anker liegen, von dem einige Vögel aufstiegen, die wie Sprengbomben aussahen und Ihm, während er inmitten einer Menge erschreckter Einwohner stand, um den Kopf schwirrten, dann aber, ohne zu explodieren, wieder zum Schiff zurückkehrten.

+17:15

Kaum waren die Kommissionsmitglieder gelandet, brachten sie den Post- und Telegrafendienst von Akká unter ihre direkte und ausschließliche Kontrolle, entließen willkürlich Beamte, die sie im Verdacht hatten, Abdu'l-Bahá freundlich gesonnen zu sein, darunter auch den Gouverneur der Stadt, stellten einen direkten, geheimen Draht zur Regierung in Konstantinopel her, richteten sich in den Häusern der Nachbarn und engen Parteigänger der Bundesbrüchigen ein, umstellten das Haus Abdu'l-Bahás mit Wachen, um alle Besuche zu verhindern, und begannen mit dem merkwürdigen Verfahren, die Leute, Christen und Muslime, Orientalen und Westler, die die nach Konstantinopel gesandten und nun zum Zweck ihrer Vernehmung wieder mitgebrachten Dokumente unterzeichnet hatten, als Zeugen zu verhören.

+17:16

Die Verletzer des Bundes, insbesondere Mírzá Muhammad-Alí, jubelten jetzt voll Hoffnung, und ihre Geschäftigkeit erreichte in dieser kritischen Stunde ihr höchstes Maß. Besuche, Besprechungen und Lustbarkeiten überstürzten sich in einer Atmosphäre fieberhafter Erwartung des nahen Triumphes. Nicht wenige unter den niederen Elemente der Bevölkerung ließen sich weismachen, daß sie sich nun bald den Besitz aneignen könnten, den die Exilanten bei ihrem Abtransport zurücklassen würden. Die Beschimpfungen und Verleumdungen nahmen spürbar zu. Selbst einige der Armen, für die Abdu'l-Bahá so lange und so gütig gesorgt hatte, verließen Ihn aus Angst vor Repressalien.

+17:17

Während die Kommission rund einen Monat lang in Akká ihre sogenannten Ermittlungen anstellte, weigerte sich Abdu'l-Bahá beharrlich, mit Mitgliedern dieser Kommission in Kontakt zu kommen oder sonst etwas mit ihnen zu tun zu haben, trotz versteckter Drohungen und Warnungen, die sie Ihm durch einen Boten übermitteln ließen, eine Haltung, die sie höchst erstaunte, ihre Feindseligkeit noch mehr schürte und sie in ihrer Entschlossenheit bestärkte, ihre üblen Pläne zu Ende zu führen. Obwohl die Gefahren und Nöte Ihn aufs härteste bedrängten, obgleich das Schiff, das Ihn voraussichtlich zusammen mit den Kommissionsmitgliedern wegbringen sollte, ständig bereit lag, zuweilen in Akká, zuweilen in Haifa, und trotz wilder Gerüchte, die über Ihn umherschwirrten, blieb die heitere Ruhe, die Er seit Seinem neuerlichen Arrest unverändert bewahrt hatte, ungetrübt, Seine Zuversicht war unerschütterlich. »Was der Traum bedeutet, den ich hatte«, sagte Er damals zu den Gläubigen, die noch in Akká geblieben waren, »liegt klar auf der Hand. So Gott will, wird der Sprengstoff nicht explodieren.«

+17:18

Indessen waren die Kommissionsmitglieder eines Freitags nach Haifa gegangen und hatten das Grabmal des Báb inspiziert, dessen Bau am Karmel ohne Unterbrechung weitergegangen war. Von seiner Stabilität und Größe beeindruckt, hatten sie sich bei einem Begleiter über die Zahl der Grüfte erkundigt, die sich unter diesem massiven Bau befänden.

+17:19

Bald nach dieser Inspektion konnte man eines Tages kurz nach Sonnenuntergang plötzlich sehen, wie das Schiff, das vor Haifa lag, die Anker lichtete und Kurs auf Akká nahm. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich unter der erregten Bevölkerung die Kunde, daß die Kommissionsmitglieder sich eingeschifft hätten. Man nahm an, daß es vor Akká halten würde, bis Abdu'l-Bahá an Bord genommen wäre, und dann zu seinem Bestimmungsort führe. Die Mitglieder Seiner Familie befiel Angst und Entsetzen, als man ihnen das Herannahen des Schiffes meldete. Die wenigen Gläubigen, die zurückgeblieben waren, weinten vor Kummer über die bevorstehende Trennung von ihrem Meister. Abdu'l-Bahá aber sah man in dieser schlimmen Stunde allein und ruhig im Hof Seines Hauses auf und ab wandeln.

+17:20

Doch bei Einbruch der Dunkelheit sah man plötzlich, wie die Bootslichter abdrehten und das Schiff den Kurs wechselte. Es war jetzt klar, daß es in Richtung Konstantinopel fuhr. Unverzüglich überbrachte man diese Kunde Abdu'l-Bahá, der in der zunehmenden Dunkelheit immer noch in Seinem Hof auf und ab schritt. Einige Gläubige, die sich an verschiedenen Punkten aufgestellt hatten, um den Kurs des Schiffes zu beobachten, stürzten nun herbei, um die frohe Kunde zu bestätigen. An diesem historischen Tag war eine der größten Gefahren, die das kostbare Leben Abdu'l-Bahás je bedroht hatten, von der Vorsehung plötzlich und endgültig abgewendet worden.

+17:21

Bald nach der überstürzten, völlig unerwarteten Abfahrt des Schiffes trafen Nachrichten ein, daß auf dem Weg des Sultáns bei seiner Rückkehr von der Moschee, in der er seine Freitagsgebete verrichtet hatte, zum Palast eine Bombe explodiert sei.

+17:22

Wenige Tage nach diesem Anschlag auf sein Leben lieferte ihm die Kommission ihren Bericht ab, doch der Sultán und die Regierung waren noch zu sehr beansprucht, als daß sie ihm Beachtung geschenkt hätten. Der Fall wurde zurückgestellt, und als er nach ein paar Monaten wieder vorgelegt wurde, schlossen sich die Aktendeckel für immer darüber infolge eines Ereignisses, das den Gefangenen von Akká plötzlich ein für allemal der Macht seines königlichen Feindes enthob. Die jungtürkische Revolution, die im Jahr 1908 ausbrach und rasch entschieden war, zwang den widerstrebenden Despoten, die Verfassung, die er aufgehoben hatte, wieder einzusetzen und alle unter dem alten Regime aus religiösen und politischen Gründen gefangengesetzten Häftlinge freizulassen. Selbst da mußte noch ein Telegramm nach Konstantinopel geschickt werden mit der Frage, ob auch Abdu'l-Bahá in die Kategorie dieser Gefangenen gehöre, worauf man prompt eine bestätigende Antwort empfing.

+17:23

Im Jahr 1909 erwirkten die Jungtürken innerhalb weniger Monate vom Shaykhu'l-Islám die Verurteilung des Sultáns, der nach weiteren Versuchen, die Verfassung zu stürzen, schließlich schimpflich abgesetzt und als Staatsgefangener deportiert wurde. Im selben Jahr wurden an einem einzigen Tag nicht weniger als einunddreißig führende Minister, Páshás und Beamte hingerichtet, darunter auch berüchtigte Feinde des Glaubens. Tripolitanien, der Schauplatz des für Abdu'l-Bahá geplanten Exils, wurde den Türken in der Folgezeit durch Italien entrissen. So endete die Herrschaft des »großen Meuchelmörders«, »des gemeinsten, verschlagensten, unzuverlässigsten und grausamsten Intriganten der alten osmanischen Dynastie«, dessen Herrschaft »mit den plötzlichen Gebietsverlusten und der Gewißheit, daß ihnen weitere folgen würden, und mit der noch auffälligeren Verschlimmerung der Lage der Untertanen noch viel unheilvoller war als diejenige irgendeines anderen der dreiundzwanzig degenerierten Vorgänger seit dem Tod Sulaymáns des Prächtigen.«

Kapitel 18
Die Beisetzung der sterblichen Reste des Báb am Karmel

+18:1

Die unerwartete, aufsehenerregende Befreiung Abdu'l-Bahás aus vierzigjähriger Haft war ein schwerer Schlag für die ehrgeizigen Pläne der Bundesfeinde, genau so niederschmetternd wie jener ein Jahrzehnt zuvor, als sie Seine Autorität zu untergraben und Ihn aus Seiner gottgewollten Stellung zu verdrängen getrachtet hatten und ihre Hoffnungen zunichte wurden. Nun ereilte sie am Morgen Seiner sieghaften Befreiung ein dritter Schlag, so betäubend wie die vorausgegangenen und kaum weniger erstaunlich. Wenige Monate nach dem historischen Erlaß, der Abdu'l-Bahá die Freiheit wiedergab, noch im selben Jahr, da Sultán Abdu'l-Hamíd vom Thron stürzte, ließ die himmlische Macht, die Abdu'l-Bahá befähigt hatte, die Ihm übertragenen Rechte unangetastet zu wahren, die Bahá'í-Religion in Nordamerika einzuführen und über Seinen königlichen Unterdrücker zu obsiegen, Ihn eine der bedeutsamsten Taten Seines Amtes vollbringen: die Überführung der Überreste des Báb aus ihrem Versteck in Tihrán zum Karmel. Er selbst hat mehrmals bestätigt, daß die sichere Überführung der heiligen Gebeine, der Bau eines würdigen Mausoleums für sie und ihre Beisetzung mit Seinen eigenen Händen an ihrer endgültigen Ruhestätte eine der drei Hauptaufgaben war, die Er seit dem Antritt Seines Amtes als Seine vornehmste Pflicht betrachtete. In der Tat muß dieses Unternehmen für eines der hervorstechendsten Ereignisse im ersten Bahá'í-Jahrhundert gelten.

+18:2

Wie schon früher erwähnt, wurden die zerfleischten Leichname des Báb und Seines Gefährten Mírzá Muhammad-Alí in der zweiten Nacht nach ihrer Erschießung durch die gütige Vermittlung des Hájí Sulaymán Khán um Mitternacht vom Rand des Stadtgrabens, wohin man sie geworfen hatte, weggeholt, nach einer Seidenfabrik verbracht, die einem Gläubigen aus Mílán gehörte, und am nächsten Tag von dort in einem hölzernen Sarg an einen sicheren Platz gebracht. Danach wurden sie auf Anweisung Bahá'u'lláhs nach Tihrán überführt und im Schrein von Imám-Zádih Hasan verwahrt. Später wurden sie in Hájí Sulaymán Kháns Wohnhaus im Sar-Chashmih-Viertel der Stadt und von dort in den Schrein des Imám-Zádih Ma'súm gebracht, wo sie bis zum Jahr 1284 n.d.H.¹ verborgen waren. Da gab Bahá'u'lláh in einem Sendbrief aus Adrianopel Mullá Alí-Akbar-i-Shahmírzádí und Jamál-i-Burújirdí die Anweisung, die Überreste unverzüglich an einen andern Ort zu bringen, was sich als eine sehr weise Fügung erwies, da der Schrein hernach renoviert wurde.

¹ 1867/68

+18:3

Da Mullá Alí-Akbar und sein Gefährte keinen geeigneten Ort im Sháh Abdu'l-Azím-Viertel finden konnten, setzten sie ihre Suche fort und stießen dabei an der Straße nach Chashmih-Alí auf die verlassene und verfallene Mashá'u'lláh-Moschee, wo sie nach Einbruch der Dunkelheit ihre kostbare Last in einer Mauer verwahrten, nachdem sie zuvor die Überreste in ein zu diesem Zweck mitgebrachtes seidenes Leichentuch gehüllt hatten. Am anderen Tag entdeckten sie bestürzt, daß das Versteck entdeckt worden war. Sie beförderten darum den Sarg heimlich durch das Stadttor und brachten ihn in das Haus Mírzá Hasan-i-Vazírs, eines Gläubigen, des Schwiegersohns des Majdu'l-Ashráf Hájí Mírzá Siyyid Alíy-i-Tafríshí, wo er dann vierzehn Monate blieb. Als das lang gehütete Geheimnis sich unter den Gläubigen herumsprach, begannen sie in solchen Mengen das Haus aufzusuchen, daß Mullá Alí-Akbar sich genötigt sah, dies Bahá'u'lláh mitzuteilen und Ihn um Rat zu bitten. Darauf wurde Hájí Sháh Muhammad-i-Manshádí, genannt Amínu'l-Bayán, beauftragt, das Treugut von ihm zu übernehmen und strengstes Stillschweigen darüber zu wahren, wohin er es brächte.

+18:4

Mit der Hilfe eines anderen Gläubigen setzte Hájí Sháh Muhammad den Sarg unter dem Boden des inneren Heiligtums des Schreins des Imám Zádih Zayd bei, wo er unentdeckt blieb, bis Mírzá Asadu'lláh-i-Isfahání von Bahá'u'lláh durch eine Planskizze über die Stelle, wo er lag, unterrichtet wurde. Von Bahá'u'lláh angewiesen, ihn woanders zu verbergen, brachte er die Gebeine zunächst nach Tihrán in sein eigenes Haus; danach lagerten sie an verschiedenen anderen Stellen, wie im Hause Husayn Alíy-i-Isfahánís und demjenigen Muhammad-Karím-i-Attárs, wo sie verborgen blieben bis zum Jahr 1316 n.d.H.¹, als der genannte Mírzá Asadu'lláh sie auf Anweisung Abdu'l-Bahás gemeinsam mit einigen anderen Gläubigen über Isfahán, Kirmánsháh, Baghdád und Damaskus nach Beirut und von dort per Schiff nach Akká brachte, wo sie am 19. Ramadán 1316 n.d.H.², fünfzig Mondjahre nach der Erschießung des Báb in Tabríz, an ihrem Bestimmungsort eintrafen.

¹ 1899 ² 31. Januar 1899

+18:5

Im selben Jahr, da der kostbare Schatz an die Küste des Heiligen Landes gelangte und Seinen Händen anvertraut wurde, begab sich Abdu'l-Bahá in Begleitung Dr. Ibrahim Khayru'lláhs, den Er schon durch die Titel »Petrus Bahás«, »der zweite Kolumbus« und »Eroberer Amerikas« geehrt hatte, zu dem kürzlich erworbenen Grundstück am Karmel, das von Bahá'u'lláh gesegnet und erwählt war, und legte mit eigener Hand den Grundstein für das Gebäude, mit dessen Bau Er einige Monate später begann. Um diese Zeit war auf Abdu'l-Bahás Wunsch auch der Marmorsarkophag, der die Gebeine des Báb aufnehmen sollte, fertiggestellt und nach Haifa verschifft worden - eine Liebesgabe der Bahá'í aus Rangoon.

+18:6

Es erübrigt sich, bei den mannigfachen Problemen zu verweilen, die Abdu'l-Bahá fast ein Jahrzehnt lang in Atem gehalten hatten bis zu der sieghaften Stunde, da es Ihm gelang, die Ihm von Seinem Vater ans Herz gelegte historische Aufgabe zum Abschluß zu bringen. Die Gefahren, denen sich Bahá'u'lláh und später Sein Sohn gegenübersahen bei Ihren ein halbes Jahrhundert langen Bemühungen, den Schutz für diese sterblichen Reste zu gewährleisten, waren aber nur ein Vorspiel zu den schweren Gefahren, vor denen zu einer späteren Zeit der Mittelpunkt des Bundes während der Errichtung des Gebäudes, das diese Reste aufnehmen sollte, ja, bis zur Stunde Seiner endlichen Haftentlassung stand.

+18:7

Die langwierigen Verhandlungen mit dem durchtriebenen und berechnenden Eigentümer des Baugeländes für das heilige Grabmal, der unter dem Einfluß der Bundesbrecher lange nicht verkaufen wollte; die übertriebenen Preisforderungen für die Öffnung einer für den Bau unerläßlichen Zufahrtsstraße; die endlosen Einwände von Beamten aller Grade, deren leicht entzündliches Mißtrauen wiederholt durch Erklärungen und Versicherungen von Abdu'l-Bahá persönlich beschwichtigt werden mußte; die aus den monströsen Anschuldigungen Mírzá Muhammad-Alís und seiner Spießgesellen über Art und Zweck des Gebäudes erwachsende gefährliche Lage; die von der langen, erzwungenen Abwesenheit Abdu'l-Bahás von Haifa verursachten Verzögerungen und Komplikationen, da Er während dieser Zeit das große Unternehmen, das Er eingeleitet hatte, nicht persönlich beaufsichtigen konnte - all dies zählt zu den Haupthindernissen, denen Abdu'l-Bahá in dieser so bedrohlichen Zeit Seines Amtes gegenüberstand und die Er überwinden mußte, ehe Er den Plan vollenden konnte, dessen Grundzüge Bahá'u'lláh Ihm anläßlich eines Besuches am Karmel mitgeteilt hatte.

+18:8

Man hörte Ihn oft sagen: »Jeden Stein dieses Bauwerks, jeden Stein auf dem Weg dorthin, habe ich mit vielen Tränen und gewaltigen Kosten aufgehoben und an Ort und Stelle gebracht.« Wie ein Ohrenzeuge berichtet, sagte Er einmal: »Eines Nachts bedrängten mich die Sorgen so sehr, daß ich mir keinen andern Rat wußte, als ein Gebet des Báb, das ich besaß, immer wieder zu sprechen. Dies beruhigte mich sehr. Am nächsten Morgen kam der Grundbesitzer zu mir, entschuldigte sich und bat mich, die Liegenschaft zu kaufen.«

+18:9

Noch im selben Jahr, da Sein königlicher Gegner des Thrones verlustig ging, um dieselbe Zeit, da in Chicago die erste amerikanische Bahá'í-Tagung zur Gründung einer ständigen nationalen Organisation für die Errichtung des Mashriqu'l-Adhkár eröffnet wurde, brachte Abdu'l-Bahá Sein Unternehmen zum erfolgreichen Abschluß, trotz der unaufhörlichen Machenschaften innerer wie äußerer Feinde. Am 28. Safar 1327 n.d.H.¹, dem Tag des ersten Naw-Rúz-Festes, das Er nach Seiner Freilassung feierte, ließ Abdu'l-Bahá den Marmorsarkophag unter großer Mühe an die vorbereitete Gruft verbringen. Am Abend legte Er im Beisein von Gläubigen aus Ost und West beim Schein einer einzigen Lampe auf feierliche, bewegende Weise mit eigenen Händen den hölzernen Sarg mit den heiligen Überresten des Báb und Seines Gefährten in diesen Sarkophag.

¹ 1909

+18:10

Als dies geschehen und die irdischen Überreste des Märtyrerpropheten aus Shíráz endlich im Schoß des heiligen Berges Gottes zur ewigen Ruhe gebettet waren, legte Abdu'l-Bahá Turban, Schuhe und Mantel ab und neigte sich tief über den noch offenen Sarkophag, legte die Stirn auf den Rand des hölzernen Sarges und schluchzte laut auf. Sein silbernes Haar wehte Ihm um das Haupt, und Sein leuchtendes Antlitz war völlig verwandelt. Er weinte so bitterlich, daß alle Anwesenden mit Ihm weinten. In jener Nacht war er so aufgewühlt, daß Er nicht schlief.

+18:11

»Die froheste Kunde«, schrieb Er später in einem Brief, mit dem Er Seinen Anhängern diesen ruhmreichen Sieg bekanntgab, »ist, daß der heilige, strahlende Leib des Báb, ... sechzig Jahre lang vor drohenden Feinden und aus Furcht vor Übelwollenden, ohne Rast und Ruhe von Ort zu Ort verbracht, nunmehr feierlich durch die Gnade der Schönheit Abhá am Naw-Rúz-Tag im heiligen Sarg, im erhabenen Schrein am Berg Karmel beigesetzt ist... Ein seltsamer Zufall fügte es, daß am selben Naw-Rúz-Tag ein Telegramm aus Chicago eintraf mit der Nachricht, daß die Gläubigen aller amerikanischen Zentren Abgeordnete gewählt und nach Chicago entsandt und über die Lage und den Bau des Mashriqu'l-Adhkár endgültig entschieden hätten.«

+18:12

Mit der Überführung der Gebeine des Báb, dessen Kommen die Wiederkehr des Propheten Elias bedeutet, zum Karmel und ihrer Beisetzung auf dem heiligen Berg, unweit der Gruft jenes Propheten, war der von Bahá'u'lláh an Seinem Lebensabend so herrlich vorausgeschaute Plan nun ausgeführt, waren die heißen Mühen des ernannten Mittelpunkts des Bundes während der ersten Jahre Seines Amtes von unsterblichem Erfolg gekrönt. Ein Brennpunkt göttlicher Erleuchtung und Kraft - der Staub, von dem Abdu'l-Bahá sagt, daß er Ihn inspirierte, und dessen Schrein an Heiligkeit in der gesamten Bahá'í-Welt nur vom Grabmal des Stifters der Bahá'í-Offenbarung übertroffen wird - war nun für immer auf diesem Berg geschaffen, der schon seit undenkliche Zeit als heilig galt. Mit dem Mausoleum des Báb, einem Bau, massiv, einfach und eindrucksvoll zugleich, ans Herz des Karmel, des »Weinbergs Gottes«, geschmiegt, im Westen flankiert von Elias Höhle, im Osten von Galiläas Bergen, im Rücken die Ebene von Saron, im Blick die silberne Stadt Akká und dahinter das Heiligste Grab - Herz und Qiblih der Bahá'í-Welt -, überschattend die Kolonie der deutschen Templer, die in Erwartung der »Ankunft des Herrn« ihre Heimat verlassen und sich im Jahr der Erklärung Bahá'u'lláhs in Baghdád¹ am Fuß dieses Berges angesiedelt hatten, war nun unter heldenhafter Anstrengung und mit unbezwinglicher Kraft »der Ort« geschaffen, »den die himmlischen Heerscharen anbetend umkreisen«. Schon zeigen die Ereignisse - die Erweiterung des Gebäudes selbst, die Verschönerung seiner Umgebung, der Erwerb großer Grundstücke in der Nachbarschaft, die in der Nähe angelegten Ruhestätten der Frau, des Sohnes und der Tochter Bahá'u'lláhs -, daß dieser Ort im Lauf der Jahre die Berühmtheit und den Glanz zu erlangen bestimmt ist, wie sie dem hohen Zweck seiner Anlage entsprechen. Und er wird, wenn im Lauf der Jahre allmählich die Einrichtungen um das Verwaltungszentrum der zukünftigen Bahá'í-Weltgemeinde entstehen, unaufhörlich alle ihm von der unwandelbaren Vorsehung vermachten, noch verborgenen Fähigkeiten an den Tag legen. Unwiderstehlich wird diese göttliche Institution blühen und wachsen, ungeachtet aller Feindseligkeit zukünftiger Feinde, bis das volle Maß ihres Glanzes der ganzen Menschheit offen vor Augen steht.

¹ 1863

+18:13

»Eile, o Karmel«, spricht Bahá'u'lláh eindrucksvoll den heiligen Berg an, »denn siehe, das Licht des Angesichts Gottes ... ist auf dich gerichtet... Frohlocke, denn Gott hat an diesem Tage Seinen Thron auf dir errichtet, hat dich zum Aufgangsort Seiner Zeichen und zum Tagesanbruch der Beweise Seiner Offenbarung gemacht. Wohl dem, der dich umschreitet, der die Offenbarung deiner Herrlichkeit verkündet und berichtet, was die Großmut des Herrn, deines Gottes, über dich ergossen hat.« »Rufe aus gen Zion, o Karmel«, schreibt Er im selben Sendbrief, »und künde die frohe Botschaft: Er, der den sterblichen Augen verborgen war, ist gekommen! Seine allbezwingende Herrschaft ist offenbar, Seine allumfassende Herrlichkeit ist enthüllt worden. Hüte dich, daß du nicht zögerst oder schwankst. Eile und umschreite die Stadt Gottes, die vom Himmel herabgekommen ist, die himmlische Kaaba, in Anbetung umkreist von den Begünstigten Gottes, den Reinen im Herzen und der Schar der erhabensten Engel.«

Kapitel 19
Abdu'l-Bahás Reisen in Europa und Amerika

+19:1

Die Einführung der Bahá'í-Religion in den westlichen Ländern, für immer die wichtigste Errungenschaft des Wirkens Abdu'l-Bahás, hatte, wie schon bemerkt, gewaltige Kräfte in Bewegung gesetzt und derart weitreichende Ergebnisse gezeitigt, daß sich der Mittelpunkt des Bundes veranlaßt sah, selbst tätigen Anteil an dem epochemachenden Schaffen zu nehmen, das Seine Anhänger in der westlichen Welt, durch die Triebkraft des Bundes angeregt, kühn begonnen hatten und energisch fortsetzten.

+19:2

Die von den Bundbrechern in ihrer Blindheit böswillig geschürte Krise, die mehrere Jahre lang Abdu'l-Bahás Pläne schlimm durchkreuzt hatte, war nun durch Gottes Fügung behoben. Ein unüberwindliches Hindernis war Ihm plötzlich aus dem Weg geräumt. Seine Fesseln waren gelöst, Gottes Zorn hatte die Ketten von Seinem Nacken genommen und Seinem königlichen, von Seinem unversöhnlichsten Feind hinters Licht geführten Gegner Abdu'l-Hamíd auferlegt. Die heiligen Gebeine des Báb, die Ihm Sein heimgegangener Vater ans Herz gelegt hatte, waren unter unermeßlichen Schwierigkeiten aus ihrem Versteck im fernen Tihrán ins Heilige Land gebracht und von Ihm feierlich und ehrfurchtsvoll am Herzen des Karmel beigesetzt worden.

+19:3

Abdu'l-Bahás Gesundheit war zu der Zeit zerrüttet. Er litt unter vielen Beschwerden, welche Not und Entbehrungen eines fast ausschließlich in Verbannung und Gefangenschaft durchlittenen Lebens mit sich brachten. Er stand jetzt an der Schwelle des siebten Lebensjahrzehnts. Doch sobald Er aus Seiner vierzigjährigen Haft entlassen war, sobald Er den Leichnam des Báb endlich an einem sicheren Platz zur Ruhe gebettet hatte, Sein Herz der schweren Sorge um dies kostbare Treugut ledig war, erhob Er sich mit strahlendem Mut, voll Zuversicht und entschlossen, um die Ihm an Seinem Lebensabend noch verbliebenen schwachen Kräfte einem Dienst so gewaltigen Ausmaßes zu weihen, wie er in den Annalen des ersten Bahá'í-Jahrhunderts nicht seinesgleichen hat.

+19:4

Die drei Jahre Seiner Reisen, zuerst nach Ägypten, dann nach Europa und zuletzt nach Amerika, bezeichnen, in ihrer historischen Bedeutung richtig gewürdigt, eine hochbedeutsame Wende in der Geschichte des Jahrhunderts. Zum erstenmal seit der Entstehung der Bahá'í-Religion vor sechsundsechzig Jahren hatte ihr Oberhaupt und höchster Repräsentant die Fesseln gesprengt, die während der gesamten Wirkungszeit des Báb und Bahá'u'lláhs ihre freie Entfaltung verhindert hatten. Obgleich im Land ihrer Entstehung die Aktivität der meisten ihrer Anhänger immer noch durch Unterdrückungsmaßnahmen beschränkt war, genoß ihr anerkannter Führer nun eine Handlungsfreiheit, die Er mit Ausnahme der kurzen Zeitspanne während des Krieges von 1914-18 bis zu Seinem Lebensende behielt und die auch den Institutionen des Glaubens im Weltzentrum seither stets erhalten blieb.

+19:5

Der folgenreiche Wechsel in den Geschicken der Bahá'í-Religion war der Auftakt zu einer so gewaltigen Fülle von Aktivitäten Seinerseits, daß sie Seine Anhänger in Ost und West in Staunen versetzten und unauslöschlich den Gang der weiteren Geschichte prägten. Der, wie Er selbst sagte, als Jüngling ins Gefängnis und erst als alter Mann wieder herausgekommen war, der niemals im Leben vor einem Auditorium gestanden, nie die Schule besucht, nie in Kreisen westlicher Menschen verkehrt hatte, deren Sprachen und Sitten Ihm fremd waren, machte sich auf, um von Kanzel und Katheder in Europas Hauptstädten und in führenden Städten Nordamerikas nicht nur die der Religion Seines Vaters eigenen Wahrheiten zu verkünden, sondern auch den göttlichen Ursprung der Propheten vor Bahá'u'lláh darzulegen und die Art ihrer Verbundenheit mit dem neuen Glauben aufzudecken.

+19:6

Zu dieser anstrengenden Reise fest entschlossen, ohne Rücksicht auf Seine Kraft und die Risiken des Lebens, schiffte Er sich in aller Ruhe und ohne zuvor etwas davon zu sagen, an einem Septembernachmittag des Jahres 1910 - das Jahr nach dem Sturz Abdu'l-Hamíds und der feierlichen Beisetzung der sterblichen Reste des Báb auf dem Karmel - nach Ägypten ein, hielt sich etwa einen Monat lang in Port Said auf und ging dann an Bord eines Schiffes nach Europa, stellte aber fest, daß Sein Gesundheitszustand es erforderte, in Alexandria wieder an Land zu gehen und die Reise zu verschieben. Nachdem Er zunächst in Ramleh, einem Vorort von Alexandria, gewohnt und später Zaytún und Kairo besucht hatte, schiffte Er sich am 11. August des folgenden Jahres mit vier Begleitern auf der S.S.Corsica nach Marseille ein und reiste von dort aus nach kurzem Aufenthalt in Thonon-les-Bains nach London, wo Er am 4. September 1911 eintraf. Nach einem etwa vierwöchigen Besuch ging Er nach Paris, wo Er neun Wochen blieb, und kehrte im Dezember 1911 nach Ägypten zurück. Wieder wohnte Er in Ramleh, wo Er den Winter verbrachte. Am 25. März 1912 brach Er zu Seiner zweiten Reise nach dem Westen auf und fuhr mit dem Dampfer Cedric über Neapel direkt nach New York, wo Er am 11. April ankam. Nach einer langen, acht Monate währenden Reise, die Ihn von einer Küste zur andern führte, und in deren Verlauf Er Washington, Chicago, Cleveland, Pittsburgh, Montclair, Boston, Worcester, Brooklyn, Fanwood, Milford, Philadelphia, West Englewood, Jersey City, Cambridge, Medford, Morristown, Dublin, Green Acre, Montreal, Malden, Buffalo, Kenosha, Minneapolis, St. Paul, Omaha, Lincoln, Denver, Glenwood Springs, Salt Lake City, San Francisco, Oakland, Palo Alto, Berkeley, Pasadena, Los Angeles, Sacramento, Cincinnati und Baltimore besuchte, fuhr Er am 5. Dezember auf der S.S.Celtic von New York aus nach Liverpool. Nach Seiner Landung dort fuhr Er per Bahn weiter nach London. Später besuchte Er Oxford, Edinburgh und Bristol, kehrte dann wieder nach London zurück und fuhr am 21. Januar 1913 nach Paris. Am 30. März reiste Er nach Stuttgart, und von dort aus fuhr Er am 9. April nach Budapest, besuchte neun Tage später Wien und kehrte am 25. April nach Stuttgart zurück. Am 1. Mai fuhr Er nach Paris, wo Er bis zum 12. Juni blieb, und schiffte sich am 13. Juni in Marseille auf der S.S.Himalaya nach Ägypten ein. Nach vier Tagen kam Er in Port Said (Búr Sa'íd) an, und nach kurzen Besuchen in Ismailia (Al-Ismá'ílíyyah) und Abu Qir (Abú Qír) und einem längeren Aufenhalt in Ramla (Ramallah) beendete Er Seine historischen Reisen und kehrte am 5. Dezember 1913 nach Haifa zurück.

+19:7

Im Verlauf dieser epochemachenden Reisen legte Abdu'l-Bahá vor großen, bedeutenden Versammlungen, denen zuweilen bis zu tausend Menschen beiwohnten, mit einfachen, treffenden Worten und großer Überzeugungskraft zum erstenmal seit der Aufnahme Seines Amtes die kennzeichnenden Prinzipien der von Seinem Vater gestifteten Religion dar, die zusammen mit den im Kitáb-i-Aqdas niedergelegten Gesetzen und Geboten den Grundstock der jüngsten Offenbarung Gottes vor der Menschheit bilden. Die unabhängige, von Aberglauben und Tradition befreite Wahrheitssuche; die Einheit des ganzen Menschengeschlechts - Hauptlehre und Leitprinzip des Glaubens -; die grundlegende Einheit aller Religionen; strikte Ablehnung jeglichen Vorurteils, ob religiöser, rassischer, gesellschaftlicher oder ethnischer Art; der unabdingbare Einklang von Religion und Wissenschaft; Gleichheit für Mann und Frau, die beiden Flügel, mit denen der Vogel Menschheit sich aufschwingen kann; die Einführung der Schulpflicht; die Adoption einer universellen Hilfssprache; die Beseitigung der Extreme von Reichtum und Armut; die Einrichtung eines Welttribunals zur Schlichtung von Streit unter Völkern; die Würdigung jeglicher im Geist des Dienstes geleisteten Arbeit als Gottesdienst; die Verherrlichung der Gerechtigkeit als herrschendes Prinzip in der menschlichen Gesellschaft und der Religion als Bollwerk für den Schutz aller Menschen und Völker; die Stiftung eines dauernden universalen Friedens als das erhabenste Ziel für die ganze Menschheit - dies sind die Grundelemente dieser göttlichen Verfassung, die Er im Verlauf Seiner Lehrreisen den Meinungsführern wie dem großen Publikum verkündete. Die Darstellung dieser lebenspendenden Wahrheiten des Glaubens Bahá'u'lláhs, den Er als »den Geist des Zeitalters« bezeichnete, ergänzte Er wiederholt durch eindringliche Warnungen vor einem drohenden Weltbrand, der, wenn die Staatsmänner ihn nicht abwendeten, den ganzen europäischen Kontinent in Flammen setzen werde. Auch sagte Er im Verlauf dieser Reisen die radikalen Veränderungen voraus, die auf diesem Kontinent stattfinden werden, sprach die unvermeidlich einsetzende Bewegung zur Dezentralisation der politischen Macht an, wies auf die Wirren hin, die in der Türkei ausbrechen werden, sprach von der auf dem europäischen Kontinent einsetzenden Judenverfolgung und verkündete entschieden, daß »das Banner der Einheit der Menschheit gehißt werde, daß das Heiligtum des Weltfriedens errichtet und diese Welt in eine andere verwandelt werde.«

+19:8

Während dieser Reisen entfaltete Abdu'l-Bahá soviel Vitalität, Mut, Zielstrebigkeit und Hingabe an die selbstgestellte Aufgabe, daß Ihn alle bewunderten und verehrten, die das Vorrecht hatten, Sein tägliches Wirken aus nächster Nähe zu verfolgen. Ohne Blick für die Sehenswürdigkeiten und Seltsamkeiten, die sonst die Aufmerksamkeit der Reisenden auf sich zu lenken pflegen und die auch Seine Begleiter Ihm oftmals gern gezeigt hätten; achtlos gegenüber jeder Bequemlichkeit und Seiner Gesundheit; täglich von früh bis spät mit all Seiner Kraft am Wirken; stets alle Geschenke und Reisezuschüsse zurückweisend; unentwegt um die Kranken, die Bekümmerten und Niedergeschlagenen besorgt; kompromißlos für die unterprivilegierten Rassen und Klassen eintretend; freigebig wie der Regen in Seiner Großmut den Armen gegenüber; voll Verachtung für die Attacken rühriger und fanatischer Fundamentalisten und Sektierer; wunderbar in Seinem Freimut, wenn Er von Kanzel und Katheder herab den Juden die prophetische Sendung Jesu Christi bewies, in Kirchen und Synagogen vom göttlichen Ursprung des Isláms sprach oder den Materialisten, Atheisten und Agnostikern die Wahrheit der göttlichen Offenbarung und die Notwendigkeit der Religion darlegte; unvergleichlich, wie Er zu jeder Zeit und in allen Bethäusern der verschiedenen Sekten und Richtungen Bahá'u'lláh verherrlichte; unerbittlich in Seiner Ablehnung - so verschiedentlich in England und den Vereinigten Staaten -, Leuten von Rang und Reichtum zu schmeicheln; und nicht zuletzt unvergleichlich in Seiner ungezwungenen, aufrichtigen, herzlichen Sympathie und Güte, die Er allen gleicherweise entgegenbrachte, ob Freund oder Gast, gläubig oder nicht, reich oder arm, hoch oder niedrig, mit wem Er auch zusammenkam, in privatem Rahmen oder zufällig, an Bord eines Schiffes oder beim Gang über die Straße, im Park oder auf dem Marktplatz, auf dem Empfang oder beim Festmahl, im Elendsviertel oder im Palast, in der Runde Seiner Anhänger oder im Kreis der Gelehrten, rief Er - leibhaftige Bahá'í-Tugend und Verkörperung aller Bahá'í-Ideale - volle drei Jahre lang unaufhörlich der im Materialismus versunkenen und schon im Schatten des Krieges stehenden Welt die göttliche Heilsbotschaft der Offenbarung Seines Vaters zu.

+19:9

Im Verlauf Seiner verschiedenen Besuche in Ägypten führte er mehrmals Gespräche mit dem Khediven Abbás Hilmí Páshá 11., wurde Lord Kitchener vorgestellt, kam mit dem Muftí Shaykh Muhammad Bakhít, und dem Imám des Khediven, Shaykh Muhammad Ráshid, zusammen und traf sich mit verschiedenen 'Ulamás, Páshás, einflußreichen persischen Persönlichkeiten, Mitgliedern des türkischen Parlaments, Herausgebern führender Zeitungen in Kairo und Alexandria und andern Führern und Vertretern bekannter religiöser und weltlicher Einrichtungen.

+19:10

In England wurde das Haus, das Ihm in Cadogan Gardens zur Verfügung gestellt war, zu einem wahren Mekka für alle möglichen Menschen, die herbeikamen, um den Gefangenen von Akká zu sehen, der ihre große Stadt zum ersten Schauplatz Seines Wirkens im Westen ausersehen hatte. »O diese Pilger, diese Gäste, diese Besucher«, schrieb Seine ergebene Londoner Gastgeberin über diese Zeit. »Wenn wir an jene Tage zurückdenken, haben wir noch den Schall ihrer Tritte im Ohr, wie sie aus allen Ländern der Welt herbeieilten. Jeden Tag, den ganzen Tag über, ein endloser Strom, eine nicht abreißende Prozession! Minister und Missionare, orientalische Gelehrte und angehende Okkultisten, mit beiden Beinen im Leben Stehende und Mystiker, Anglikaner, Katholiken und Freidenker, Theosophen und Hindus, Szientisten und Ärzte, Muslime, Buddhisten und Zoroastrier. Auch kamen Politiker, Soldaten der Heilsarmee und andere Arbeiter für das Wohl der Menschheit, Frauenrechtlerinnen, Journalisten, Schriftsteller, Dichter und Heiler, Damenschneider und rauschende Damen, Künstler und Handwerker, arme Arbeitslose und reiche Geschäftsleute, Theaterleute und Musiker, alle kamen sie, und keiner war zu gering und keiner zu vornehm, als daß ihm nicht die liebevolle Zuwendung des heiligen Boten zuteil geworden wäre, der stets Sein Leben dem Wohl anderer weihte.«

+19:11

Abdu'l-Bahá trat bezeichnenderweise in einer christlichen Kirche zum erstenmal öffentlich vor ein westliches Auditorium, zu dem Er am 10. September 1911 von der Kanzel der überfüllten Stadtkirche sprach. Der Pastor, Reverend R. J. Campbell, stellte Ihn vor, dann sprach Abdu'l-Bahá mit lauter Stimme in einfachen, bewegenden Worten von der Einheit Gottes, betonte die gemeinsame Grundlage aller Religionen und verkündete, daß die Stunde der Vereinigung aller Menschenkinder, aller Rassen, Religionen und Klassen geschlagen habe. Bei anderer Gelegenheit sprach Er am 17. September auf Ersuchen des ehrwürdigen Archidiakons Wilberforce zur Gemeinde St. John the Divine in Westminster nach dem Abendgottesdienst über das Thema der unfaßbaren Größe der Gottheit, wie sie von Bahá'u'lláh im Kitáb-i-Iqán dargestellt wird. Ein Zeitgenosse berichtet darüber: »Der Archidiakon hatte den Bischofsstuhl für Seinen Gast an die Stufen zur Kanzel gestellt und verlas neben Abdu'l-Bahá stehend selbst die Übersetzung der Worte, die Er sprach. Die Versammelten waren tief bewegt und knieten, dem Beispiel des Archidiakons folgend, nieder, um den Segen des Dieners Gottes zu empfangen. Er stand mit ausgebreiteten Armen und Seine wundervolle Stimme hob und senkte sich im Rhythmus Seiner Segensworte.«

+19:12

Auf Einladung des Oberbürgermeisters von London frühstückte Er mit ihm in dessen Amtssitz, sprach auf Ersuchen des Präsidenten der Theosophischen Gesellschaft in deren Verwaltungssitz sowie zu einer Versammlung des Higher Thought-Zentrums in London, wurde von einer Delegation der Bramo-Samaj-Gesellschaft eingeladen, unter deren Schirmherrschaft einen Vortrag zu halten, besuchte die Moschee in Woking und hielt dort auf Einladung der muslimischen Gemeinde von Großbritannien eine Ansprache über Welteinheit und wurde von persischen Prinzen, Edelleuten, Exministern und Mitgliedern der Persischen Gesandtschaft in London empfangen. Er war Gast im Hause Dr. T. K. Cheynes in Oxford und hielt einen Vortrag im Manchester-College jener Stadt vor einem »großen und äußerst interessierten«, hochakademischen Auditorium unter dem Vorsitz Dr. Estlin Carpenters. Er sprach auch auf der Kanzel einer Kongregationskirche im Londoner Ostend auf Bitte des dortigen Pastors, hielt Ansprachen bei Versammlungen in Caxtonhall und Westminsterhall, dort unter dem Vorsitz von Sir Thomas Berkeley, wohnte der Aufführung eines Weihnachtsmysterienspiels, »Das ungestüme Herz«, in der Westminsterkirche bei - es war das erste Schauspiel, das Er in Seinem Leben sah und das Ihn in Seiner bildhaften Darstellung des Lebens und Leidens Jesu Christi zu Tränen rührte. Im Saal der Passmore Edwards-Siedlung am Tavistockplatz sprach Er zu einer Zuhörerschaft von etwa 460 Menschen aus allen Schichten unter dem Vorsitz von Professor Michael Sadler, sprach zu Arbeiterinnen aus dieser Siedlung, die ihren Urlaub bei Vanners in Byfleet verbrachten, etwa zwanzig Meilen von London entfernt, machte dort noch einen zweiten Besuch und kam dabei mit Menschen aller Art zusammen, die eigens um Ihn zu sehen dorthin kamen, darunter »Geistliche verschiedener Bekenntnisse, der Rektor einer öffentlichen Knabenschule, ein Parlamentsmitglied, ein Arzt, ein berühmter politischer Schriftsteller, der Vizekanzler einer Universität, mehrere Journalisten, ein bekannter Dichter und ein Angehöriger des Londoner Magistrats«. Ein Chronist Seines Englandbesuchs schrieb seinerzeit: »Noch lange wird man daran denken, wie Er in der Nachmittagssonne unter dem Bogenfenster saß, den Arm um einen recht zerlumpten, aber überglücklichen kleinen Jungen gelegt, der gekommen war, um Abdu'l-Bahá um einen Groschen für seine Sparbüchse und seine kranke Mutter zu bitten, während sich im Saal die versammelten Männer und Frauen über Erziehung, Sozialismus, das erste Reformgesetz und das Verhältnis von Unterseebooten und drahtloser Telegraphie zu der neuen Ära unterhielten, in die man nun eintrat.«

+19:13

Unter den vielen, die Ihn während der denkwürdigen Tage, die Er in England und Schottland verbrachte, aufsuchten, waren der Reverend Archidiakon Wilberforce, der Reverend R. J. Campbell, der Reverend Rhonddha Williams, der Reverend Roland Corbet, Lord Lamington, Sir Richard und Lady Stapley, Sir Michael Sadler, der Jalálu'd-Dawlih, Sohn des Zillu's-Sultán, Sir Ameer Ali, der damalige Maharadschah von Jalawar, der Ihn oftmals besuchte und Ihm zu Ehren ein erlesenes Essen und einen großen Empfang gab, ferner der Maharadschah von Rajputana, die Rani von Sarawak, Prinzessin Karadja, Baronesse Barnekov, Lady Wemyss und ihre Schwester, Lady Glencomer, Lady Agnew, Miss Constance Maud, Professor E. G. Browne, Professor Patrick Geddes, Mr. Albert Dawson, der Herausgeber der Christian Commonwealth, Mr. David Graham Pole, Mrs. Annie Besant, Mrs. Pankhurst und Mr. Stead, der lange und tiefe Gespräche mit Ihm führte. Seine Gastgeberin schrieb über die Eindrücke derer, die das Vorrecht einer Privataudienz bei Ihm hatten: »Viele baten um das einzigartige Erlebnis, von Ihm privat empfangen zu werden, ein Erlebnis, dessen Einzigartigkeit nur zu ermessen vermochte, wer vor dem Meister stand; wir konnten es bis zu einem gewissen Grad erahnen, wenn wir den Ausdruck ihrer Gesichter sahen, wenn sie wieder herauskamen: wie von Ehrfurcht geblendet, von Verwunderung und einer Art stiller Freude. Manchmal schien es uns, als ob sie sich innerlich dagegen sträubten, überhaupt wieder in die Außenwelt zu treten, als ob sie ihre Seligkeit festhalten wollten, damit die Berührung mit den Dingen dieser Welt sie ihnen nicht wieder entreiße.« Der obengenannte Chronist schreibt zusammenfassend über den denkwürdigen Besuch: »Ein tiefer Eindruck blieb in Herz und Gedächtnis all dieser verschiedenen Männer und Frauen haften... So begeistert man in London über Abdu'l-Bahás Besuch war, so tief bedauerte man es, als Er wieder abreiste. Er ließ viele, viele Freunde zurück. Seine Liebe hatte Gegenliebe geweckt. Er hatte Sein Herz dem Westen geöffnet, und die Menschen im Westen hatte diesen ehrwürdigen Patriarchen aus dem Osten in ihr Herz geschlossen. In Seinen Worten lag etwas, das nicht nur auf ihre Zuhörer wirkte, sondern überhaupt auf alle Männer und Frauen.«

+19:14

Bei Seinen Besuchen in Paris, wo Er eine Zeitlang in der Avenue de Camoens wohnte, wurde Ihm von Seinen Freunden und Anhängern ein nicht minder herzlicher Empfang zuteil wie in London. Seine englische Gastgeberin, Lady Blomfield, die Ihm nach Paris gefolgt war, schrieb: »Wie in London, nahmen auch während Seines Besuches in Paris tägliche Vorkommnisse die Atmosphäre geistiger Ereignisse an... Jeden Morgen pflegte der Meister denen, die sich begierig und respektvoll um Ihn scharten, Gelehrte und Ungelehrte, die Prinzipien der Lehre Bahá'u'lláhs zu erläutern. Sie kamen aus allen Nationalitäten und Bekenntnissen in Ost und West: Theosophen, Agnostiker, Materialisten, Spiritualisten, Szientisten, Sozialreformer, Hindu, Súfí, Muslime, Buddhisten, Zoroastrier und viele andere.« Und weiter: »Ein Gespräch nach dem andern. Kirchliche Würdenträger der verschiedenen Zweige des christlichen Baums kamen herbei, einige ehrlich bestrebt, neue Aspekte der Wahrheit zu finden... Andere verstopften die Ohren, um nicht zu hören und zu begreifen.«

+19:15

Persische Prinzen, Edelleute, Exminister, darunter der Zillu's-Sultán, der persische Gesandte, der türkische Botschafter in Paris, Rashíd Páshá, ein Ex-Válí von Beirut, türkische Páshás und Exminister, sowie Vicomte Arawaka, der japanische Gesandte am spanischen Hof, hatten alle das Vorrecht, von Ihm empfangen zu werden. Er hielt Ansprachen vor Esperantisten und Theosophen, vor Theologiestudenten und großen Versammlungen der Alliance Spiritualiste. In einem ganz armen Stadtviertel sprach Er in einem Missionssaal auf Bitte des Pastors zu den Versammelten, und Seine Anhänger, die mit den Lehren schon vertraut waren, durften bei zahllosen Zusammenkünften oftmals aus Seinem Munde die Darlegungen einzelner bestimmter Aspekte der Glaubenslehre Seines Vaters vernehmen.

+19:16

In Stuttgart, wo Er einen kurzen, aber unvergeßlichen Aufenthalt nahm und wohin Er trotz Seiner angegriffenen Gesundheit reiste, um mit der Gemeinde Seiner begeisterten und innig geliebten deutschen Freunde persönlich in Verbindung zu kommen, wohnte Er den Versammlungen Seiner ergebenen Anhänger bei, bedachte die Mitglieder der Jugendgruppe, die sich in Eßlingen gebildet hatte, mit Seinem Segensüberfluß und sprach auf Einladung von Professor Christale¹, dem Präsidenten der Esperantisten von Europa, auf einer großen Versammlung im Esperantistenklub. Ferner besuchte Er Bad Mergentheim in Württemberg, wo einer Seiner dankbaren Anhänger wenige Jahre später, 1915, ein Denkmal zur Erinnerung an Seinen Besuch errichtete. Ein Augenzeuge schrieb: »Die Ehrfurcht, Liebe und Ergebenheit der deutschen Gläubigen erfreute Abdu'l-Bahás Herz, und sie empfingen von Ihm in tiefster Hingabe Seinen Segen und Seine ermutigenden Ratschläge... Von nah und fern kamen die Freunde, um den Meister zu sehen. Ständig strömten Besucher zum Hotel Marquardt. Abdu'l-Bahá empfing sie dort mit soviel Liebe und Güte, daß sie alle vor Freude und Glück strahlten.«

¹ Paul Gottfried Christaller (geb. 21.8.1860 in Basel) Vors. des Deutschen Esperanto-Bundes 1913-20

+19:17

In Wien, wo Er sich einige Tage aufhielt, sprach Abdu'l-Bahá zu einer Theosophenversammlung, und in Budapest hatte Er eine Unterredung mit dem Rektor der dortigen Universität, traf verschiedentlich mit dem berühmten Orientalisten Professor Arminius Vambery zusammen, sprach in der Theosophischen Gesellschaft, empfing den Besuch des Präsidenten der Turanischen und verschiedener Vertreter der Türkischen Gesellschaft, ferner Offiziere, verschiedene Parlamentsmitglieder und eine Abordnung der Jungtürken unter Führung von Professor Julius Germanus, der Ihn in der Stadt herzlich willkommen hieß. Dr. Rusztem Vambery schreibt: »Während dieser Zeit war Sein Zimmer im Hotel Dunapalota ein wahres Mekka für alle, die die Mystik des Ostens und die Weisheit ihres Meisters in ihren magischen Kreis zog. Unter Seinen Besuchern waren der Graf Albert Apponyi, Prälat Alexander Giesswein, der weltbekannte Orientalist Professor Ignatius Goldziher, der berühmte Budapester Maler Professor Robert A. Nadler, zugleich Vorsitzender der Ungarischen Theosophischen Gesellschaft.«

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Aber dem nordamerikanischen Kontinent blieb es vorbehalten, Zeuge der erstaunlichsten Kundgaben der unerschöpflichen Lebenskraft zu sein, die Abdu'l-Bahá auf diesen Reisen bewies. Der bemerkenswerte Fortschritt, den die organisierte Gemeinde Seiner Anhänger in den Vereinigten Staaten und Kanada machte, die offensichtliche Aufnahmebereitschaft des amerikanischen Publikums für Seine Botschaft sowie Sein Wissen um die hohe Bestimmung, die der Bevölkerung dieses Erdteils harrte, rechtfertigten voll und ganz den Aufwand an Zeit und Kraft, den Abdul'l-Bahá dieser wichtigsten Phase Seiner Reisen widmete. Dieser Besuch, der eine Reise von über fünftausend Meilen notwendig machte, sich vom April bis zum Dezember erstreckte, Ihn vom Atlantischen Ozean bis zur Pazifischen Küste und wieder zurück führte, in dessen Verlauf so viele Gespräche geführt und Reden gehalten wurden, daß sie drei Bände füllen, bildete den Höhepunkt all Seiner Reisen und war voll gerechtfertigt durch die weitreichenden Erfolge, die, wie Er wohl wußte, Seine Mühe zeitigen würde. Seinen Anhängern in New York sagte Er bei Seinem ersten Zusammentreffen mit ihnen: »Diese lange Reise wird euch beweisen, wie groß Meine Liebe zu euch ist. Es waren viele Schwierigkeiten und Hindernisse zu überwinden, aber im Gedanken an euch trat das alles in den Hintergrund und ist vergessen.«

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Aus der Art und Weise Seines Wirkens geht klar hervor, welchen Wert Er diesem Besuch beimaß. Daß Er in Gegenwart einer eindrucksvollen Versammlung von Bahá'í aus Ost und West mit eigener Hand den Grundstein zum Mashriqu'l-Adhkár legte, der bei Chicago am Ufer des Michigansees auf dem kürzlich erworbenen Grundstück errichtet werden sollte; daß Er auf einer maßgeblichen Versammlung Seiner Anhänger in New York, das seitdem die »Stadt des Bundes« genannt wird, den kürzlich ins Englische übersetzten Sendbrief vom Zweig verlesen ließ und danach ausdrücklich betonte, wozu der von Bahá'u'lláh gestiftete Bund verpflichtet; die ergreifende Feier in Inglewood in Kalifornien, das Er eigens zum Besuch des Grabes von Thornton Chase aufsuchte, des »ersten amerikanischen Gläubigen«, ja des ersten überhaupt, der sich im Westen zur Sache Bahá'u'lláhs bekannte; das Glaubensfest, das Er einer großen Versammlung von Anhängern unter freiem Himmel, im Grünen und Blühen eines Junitages in West Englewood, New Jersey, gab; der besondere Segen, der dem offenen Forum in Green Acre, Maine, am Ufer des Piscataqua zuteil wurde, wo sich viele Seiner Anhänger versammelt hatten und was sich in der Folgezeit zu einer ersten Bahá'í-Sommerschule der westlichen Welt entwickeln und als eines der ersten Bahá'í-Besitztümer auf dem amerikanischen Kontinent anerkannt werden sollte; Seine Ansprache vor einigen hundert Zuhörern auf der letzten Sitzung der jüngst gegründeten Bahá'í-Tempelvereinigung in Chicago; und nicht zuletzt der beispielhafte Akt der Trauung zweier Seiner Anhänger verschiedener Nationalität, von weißer Hautfarbe der eine Partner, von schwarzer der andere - all dies gehört zum Bedeutsamsten, was Er während Seines Besuchs in der Gemeinde der amerikanischen Gläubigen vollbrachte, war bahnbrechend für die Errichtung ihres zentralen Hauses der Andacht, gab ihnen die Kraft, den Prüfungen, die bald über sie kommen sollten, standzuhalten, festigte ihren Zusammenhalt und war ein Segen für die ersten Anfänge der Verwaltungsordnung, die sie demnächst einführen und verfechten sollten.

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Nicht minder bemerkenswert war auch die ausgedehnte Öffentlichkeitsarbeit Abdu'l-Bahás durch Seinen Umgang mit den vielen Leuten, mit denen Er auf Seiner Reise über den Kontinent in Berührung kam. Ein ausführlicher Bericht über Sein vielseitiges Wirken, das acht Monate lang Seine Zeit restlos ausfüllte, würde den Rahmen dieses Überblicks sprengen. Es genügt zu sagen, daß er allein in New York an nicht weniger als fünfundfünfzig verschiedenen Stellen öffentlich sprach oder Besuche machte. Friedensgesellschaften, christliche und jüdische Vereinigungen, Hochschulen und Universitäten, Wohlfahrtseinrichtungen, ethische Kultusgemeinden, Neugeistzentren, Okkultistengruppen, Frauenvereine, wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaften, Esperantistenvereine, Theosophen, Mormonen, Agnostiker, Fördereinrichtungen für Farbige, die Gemeinden der Syrer, Armenier, Griechen, Chinesen und Japaner - alle lernten Seine kraftvolle Persönlichkeit kennen und genossen das Vorrecht, aus Seinem Munde die Botschaft Seines Vaters zu vernehmen. Auch die Presse versäumte nicht, in ihren Leitartikeln und Berichten über Seine Reden voll Anerkennung die Weite Seiner Schau und die Eigenart Seiner Aufrufe zu würdigen.

+19:21

Seine Rede bei den Friedenskonferenzen in Lake Mohonk, Seine Ansprachen vor großen Versammlungen in den Universitäten von Columbia, Howard und New York, Seine Teilnahme an der vierten Jahreskonferenz der Nationalen Gesellschaft zur Förderung der Farbigen, Sein mutiges Bekenntnis zur Gültigkeit der prophetischen Sendungen Jesu und Muhammads im Tempel Emmanu-El, einer jüdischen Synagoge in San Francisco, wo nicht weniger als zweitausend Menschen versammelt waren, Seine glänzende Ansprache vor einem Auditorium von achtzehnhundert Studenten und hundertachtzig Lehrern und Professoren in der Leland Stanford-Universität, Sein denkwürdiger Besuch bei der Bowery-Mission in den Elendsvierteln von New York und der glänzende Empfang, der Ihm zu Ehren in Washington gegeben wurde, bei dem viele Prominente des gesellschaftlichen Lebens in der Hauptstadt Ihm vorgestellt wurden - das waren Höhepunkte der unvergeßlichen Mission, die Er im Dienst für die Sache Seines Vaters auf sich nahm. Staatssekretäre, Gesandte, Kongreßteilnehmer, führende Rabbiner, Geistliche und andere bedeutende Persönlichkeiten trafen mit Ihm zusammen, wie Dr. D. S. Jordan, Rektor der Leland Stanford-Universität, Prof. Jackson von der Columbia-Universität, Prof. Jack von der Universität Oxford, Rabbi Stephen Wise aus New York, Dr. Martin A. Meyer, Rabbi Joseph L. Levy, Rabbi Abram Simon, Alexander Graham Bell, Rabindranath Tagore, Hon. Franklin K. Lane, Mrs. William Jennings Bryan, Andrew Carnegie, Hon. Franklin MacVeagh, Schatzkanzler der Vereinigten Staaten, Lee McClung, Mr. Roosevelt, Admiral Wain Wright, Admiral Peary, der britische, der holländische und der schweizerische Gesandte in Washington, der dort residierende türkische Botschafter Yúsuf Díyá-Páshá, Thomas Seaton, Hon. William Sulzer und Prinz Muhammad-Alí aus Ägypten, Bruder des Khediven.

+19:22

»Als Abdu'l-Bahá im Jahr 1912 zum erstenmal in dieses Land kam«, schrieb ein Kommentator Seiner Reisen in Amerika, »stieß Er auf ein großes, aufgeschlossenes Publikum, das darauf wartete, Ihn persönlich begrüßen zu dürfen und Seine geistige Liebesbotschaft aus Seinem eigenen Mund zu vernehmen... Abgesehen von Seinen Worten war etwas Unbeschreibliches in Seiner Persönlichkeit, das bei allen, die mit Ihm zusammentrafen, einen tiefen Eindruck hinterließ. Das hohe Haupt, der patriarchalische Bart, die Augen, die hinter Zeit und Raum geblickt zu haben schienen, die sanfte und doch eindringliche Stimme, die unendliche Bescheidenheit, die nie versagende Liebe - und vor allem der Eindruck von Kraft, gepaart mit Güte, die Seinem ganzen Wesen eine seltene, geistig erhabene Majestät verlieh und Ihn als etwas ganz Besonderes erscheinen ließ, Ihn aber dennoch den einfachsten Menschen nahe brachte - all dies und noch vieles mehr, was sich gar nicht ausdrücken läßt, hinterließ bei Seinen vielen ... Freunden unauslöschliche und unbeschreiblich kostbare Erinnerungen.«

+19:23

Wenn auch ein Überblick über die Reisen Abdu'l-Bahás in Europa und Amerika Seiner vielseitigen und umfangreichen Tätigkeit dort niemals gerecht werden kann, sollten doch auch einige seltsame Begebenheiten nicht unerwähnt bleiben, die sich oft bei Begegnungen mit Ihm zutrugen. Ein unbezähmbarer Junge, der fürchtete, daß Abdu'l-Bahá nicht auch die westlichen Staaten besuchen käme, aber kein Geld zu einer Eisenbahnreise nach Neu-England besaß, legte kühn entschlossen die ganze Reise von Minneapolis bis Maine auf den Stangen zwischen den Rädern unter dem Zug liegend zurück. Ein englischer Landpfarrerssohn, der im Bewußtsein seines Elends und seiner Armseligkeit während eines Spaziergangs am Themseufer seinem Leben ein Ende zu setzen beschloß, wurde völlig verwandelt dadurch, daß er in einem Schaufenster ein Bild von Abdu'l-Bahá sah, im Geschäft nach Ihm fragte, zur angegebenen Adresse eilte und sich durch die aufmunternden und tröstlichen Worte Abdu'l-Bahás so neu belebt fühlte, daß er darüber alle Selbstmordgedanken vergaß. Eine Frau erlebte staunend, daß ihre kleine Tochter aufgrund eines Traumes, den sie hatte, steif und fest behauptete, Jesus Christus sei wieder auf der Welt, und als sie eines Tages in der Auslage einer Zeitschriftenhandlung das Bild Abdu'l-Bahás sah, Ihn sogleich als den Jesus Christus ihres Traumes erkannte, worauf die Mutter, als sie las, daß Abdu'l-Bahá in Paris sei, das nächste Schiff nach Europa nahm, um so schnell wie möglich in Seine Gegenwart zu gelangen. Der Herausgeber einer in Japan erscheinenden Zeitung entschloß sich in Konstantinopel kurzerhand, seine Reise nach Tokio zu unterbrechen und nach London zu fahren, nur »um die Freude zu erleben, einen einzigen Abend in Seiner Gegenwart zu verbringen«. Rührend die Szene, wie Abdu'l-Bahá von einem persischen Freund, der unlängst aus 'Ishqábád nach London gekommen war, das Geschenk eines armen Bahá'í-Arbeiters aus jener Stadt entgegennahm: ein Stück vertrocknetes Schwarzbrot und einen runzligen Apfel, in ein baumwollenes Tuch gewickelt - Er ließ Sein Essen stehen, packte die Gabe vor den versammelten Gästen aus, brach das Brot in kleine Stücke, aß selbst davon und bot dann jedem der Anwesenden davon an. Dies sind nur einige Beispiele aus einer Unzahl von Vorkommnissen, die ein helles Licht auf einige persönliche Aspekte Seiner denkwürdigen Reisen werfen.

+19:24

Unvergeßlich sind auch gewisse Begebenheiten, die sich um die majestätische und patriarchalische Gestalt Abdu'l-Bahás ranken wie Er durch die Städte Europas und Amerikas reiste. Das denkwürdige Gespräch mit Archidiakon Wilberforce, in dessen Verlauf Abdu'l-Bahá all seine vielen Fragen beantwortete, indes Seine Hand liebevoll auf dem Haupt des berühmten, auf einem niedrigen Stuhl an Seiner Seite sitzenden Kirchenmannes ruhte; noch denkwürdiger die Szene, als derselbe Archidiakon, nachdem er mitsamt seiner Gemeinde in der St. John's-Kirche kniend Seinen Segen empfangen hatte, Hand in Hand mit seinem Gast durch den Chorgang zur Sakristei schritt, währenddessen die ganze Gemeinde stehend ein Kirchenlied sang; der Anblick, wie der Jalálu'd-Dawlih Abdu'l-Bahá zu Füßen fiel, sich vielmals entschuldigte und Ihn inständig um Vergebung für seine früher verübten Frevel anflehte; der begeisterte Empfang, der Ihm von der Leland Stanford-Universität bereitet wurde, wo Er vor nahezu zweitausend Professoren und Studenten über einige der edelsten Wahrheiten aus Seiner Botschaft an den Westen sprach; das erschütternde Schauspiel, als in der Bowery-Mission vierhundert der Armen von New York an Ihm vorbeischritten und jeder eine Silbermünze aus Seinen gesegneten Händen erhielt; der Jubelruf einer syrischen Frau in Boston, die die Ihn umdrängende Menschenmenge beiseite stieß, sich Ihm zu Füßen warf und ausrief: »Ich bekenne, daß ich in Dir den Geist Gottes und Jesus Christus erkenne«; der nicht minder glühende Tribut, den Ihm zwei von Bewunderung erfüllte Araber zollten, die sich, als Er die Stadt verließ, um nach Dublin, N.H., zu reisen, vor Ihm niederwarfen und unter lautem Schluchzen beteuerten, daß Er Gottes eigener Bote an die Menschheit sei; die große Versammlung von zweitausend Juden in einer Synagoge in San Francisco, die aufmerksam Seinen Worten lauschten, als Er die Gültigkeit der Ansprüche darlegte, die Jesus Christus wie Muhammad erhoben hatten; die Versammlung eines Abends in Montreal, in der Er bei der Ansprache von Seinem Thema so hingerissen war, daß Ihm der Turban vom Kopf fiel; die tobende Menschenmenge in einem Elendsviertel von Paris, die bei Seinem ehrfurchtgebietenden Anblick schweigend und ehrerbietig Platz machte, als Er auf Seinem Heimweg von einem Missionshaus, wo Er zu einer Versammlung gesprochen hatte, durch ihre Mitte schritt; die eigentümliche Geste eines zoroastrischen Arztes, der am Morgen der Abreise Abdu'l-Bahás von London atemlos angestürzt kam, um Ihm Lebewohl zu sagen, Ihm Haupt und Brust mit einem wohlriechenden Öl salbte, allen Anwesenden die Hände berührte und sodann um des Meisters Nacken und Schultern einen Kranz aus Rosenknospen und Lilien legte; die vielen Besucher, die sich schon bald nach Tagesanbruch an den Stufen Seines Hauses im Cadogan-Garten einfanden und geduldig warteten, bis die Tür sich öffnete und sie eingelassen wurden; Seine majestätische Gestalt, wenn Er mit kraftvollem Schritt die Rednertribüne betrat oder in Kirchen und Synagogen mit segnend erhobenen Händen vor einer großen Menge ehrfürchtiger Zuhörer stand; die freimütigen Zeichen der Hochachtung seitens der vornehmen Damen der Londoner Gesellschaft, die unwillkürlich tief knicksten, wenn sie vor Ihn traten; der ergreifende Anblick, als Er sich auf dem Friedhof von Inglewood über das Grab Seines geliebten Jüngers Thornton Chase beugte und seinen Grabstein küßte, worauf sich alle beeilten, Seinem Beispiel zu folgen; die denkwürdige Versammlung von Christen, Juden und Muslimen beiderlei Geschlechts aus Ost und West, die sich in der Moschee von Woking zusammenfanden, um Seinen Worten über Welteinheit zu lauschen - solche Szenen behalten, auch wenn sie jetzt nur in kühlen Druckzeilen vor uns stehen, viel von ihrer ursprünglichen Eindringlichkeit und Kraft.

+19:25

Wer weiß, welche Gedanken Abdu'l-Bahás Herz bewegten, als Er sich in den Mittelpunkt derart denkwürdiger Szenen gerückt sah? Wer weiß, welche Gedanken Ihm in den Sinn kamen, als Er mit dem Oberbürgermeister von London frühstückte, oder als Er vom Khediven in dessen Palast mit höchster Achtung empfangen wurde, oder als Ihm der Ruf »Alláh-u-Abhá« und die Lob- und Danklieder entgegenschallten, die bei vielen glänzenden Versammlungen Seiner begeisterten Anhänger und Freunde in so vielen amerikanischen Städten Sein Kommen ankündigten? Wer weiß, welche Erinnerungen in Ihm wach wurden, als Er vor dem tosenden Wasserfall des Niagara stand und die freie Luft dieses fernen Landes atmete, oder als Er während einer kurzen, dringend nötigen Erholungspause die grünen Wälder und die Landschaft in Glenwood Springs betrachtete, oder als Er mit einem Gefolge orientalischer Gläubiger auf den Wegen des Trocadero-Gartens in Paris wandelte oder des Abends allein in New York am majestätischen Hudson die Uferstraße entlangging, wenn Er auf der Terrasse des Parkhotels in Thonon-les-Bains auf und ab schritt und auf den Genfer See hinausblickte, wenn Er in London von der Schlangenbrücke aus die perlengleiche Lichterkette betrachtete, die sich unter den Bäumen hinstreckte, soweit das Auge reichte? Gedanken an die Sorgen, die Armut, das Düster, das Seine Jugendjahre verschattete, Gedanken an Seine Mutter, die ihre goldenen Knöpfe verkaufte, um für Ihn, Seinen Bruder und Seine Schwester zu sorgen, und die Ihm in ihren schwersten Stunden nur eine Handvoll trockenes Mehl geben konnte, um den Hunger zu stillen; Gedanken an Seine Kindheit, als Er von einem Rudel Gassenjungen in den Straßen von Tihrán verfolgt und verhöhnt wurde, an den dumpfen, düsteren Raum, eine frühere Leichenkammer, den Er in der Kaserne von Akká bewohnte, und an Seine Einkerkerung im dortigen Gefängnis - solche Erinnerungen werden Ihm sicher durch den Sinn gezogen sein. Auch Gedanken an die Gefangenschaft des Báb in den Gebirgsfestungen in Ádhirbáyján werden Ihm gekommen sein, wie man Ihm damals nachts nicht einmal eine Lampe zugestand und wie bei Seiner grausamen, tragischen Hinrichtung Hunderte von Kugeln Seine junge Brust zerfetzten. Vor allem aber kreisten Seine Gedanken sicher um Bahá'u'lláh, den Er so leidenschaftlich liebte und Dessen Leid Er von Kindheit an mitangesehen und geteilt hatte. Der von Ungeziefer verseuchte Síyáh-Chál in Tihrán, die Bastonade, die in Ámul über Ihn verhängt wurde, die armselige Speise, die Seine Almosenschale füllte, als Er zwei Jahre lang ein Derwischleben in den Bergen von Kurdistán fristete, die Tage in Baghdád, da Er so arm war, daß Er nicht einmal Seine Wäsche wechseln konnte und Seine Anhänger von einer Handvoll Datteln leben mußten, Seine Gefangenschaft hinter den Kerkermauern von Akká, als Ihm neun Jahre lang selbst der Anblick des Grüns verwehrt war, die öffentliche Demütigung, die Er im Verwaltungsgebäude dort hinnehmen mußte - derartige Bilder aus schlimmer Vergangenheit mögen Ihn manchmal überwältigt und Gefühle der Dankbarkeit und des Kummers zugleich wachgerufen haben, wenn Er die zahlreichen Beweise der Hochachtung, Wertschätzung und Verehrung erlebte, die Ihm und dem Glauben, den Er vertrat, nun entgegengebracht wurden. »O Bahá'u'lláh, was hast Du getan!« rief Er, wie der Chronist Seiner Reisen schrieb, als Er eines Abends in Washington rasch zu Seiner dritten Rede an diesem Tag aufbrach, »O Bahá'u'lláh! Möge mein Leben ein Opfer für Dich sein! O Bahá'u'lláh! Möge meine Seele um Deinetwillen geopfert werden! Wie waren Deine Tage von Leid und Kummer erfüllt! Welch schwere Qualen hast Du ertragen! Welch sicheres Fundament hast Du schließlich geschaffen, welch herrliches Banner hast Du gehißt!« Der Chronist berichtet weiter: »Eines Tages erinnerte Er auf einem Spaziergang an die Tage der Gesegneten Schönheit und gedachte dabei voll Trauer des Aufenthalts Bahá'u'lláhs in Sulaymáníyyih, Seiner Einsamkeit und des Unrechts, das Ihm zugefügt wurde. Obgleich Er schon öfter darüber gesprochen hatte, überwältigten Ihn an jenem Tag Seine Gefühle doch so sehr, daß Er vor Kummer laut schluchzte... Alle Begleiter weinten mit Ihm und waren von tiefem Leid erfüllt, als sie Seinen Bericht von den schmerzlichen Trübsalen vernahmen, welche die Gesegnete Schönheit erduldet hatte; gleichzeitig wurden sie aber auch Zeuge der zärtlichen Liebe, die Sein Sohn für Ihn hegte.«

+19:26

Ein höchst bedeutsames Stück in einem Jahrhundertdrama war gespielt. Ein ruhmvolles Kapitel der Geschichte des ersten Bahá'í-Jahrhunderts war geschrieben. Die Saat ungeahnter Möglichkeiten war durch die Hand des Mittelpunkts des Bundes auf fruchtbare Felder der westlichen Welt gesät. Nie in der gesamten Religionsgeschichte trat je eine ähnliche Gestalt auf, die ein derart großartiges, unsterblich wertvolles Werk vollbracht hätte. Durch jene schicksalträchtigen Reisen wurden Kräfte entfesselt, die wir heute nach fast fünfunddreißig Jahren noch nicht ermessen oder begreifen können. Schon hat eine Königin, angeregt von Abdu'l-Bahás zwingenden Beweisen im Zuge Seiner Ansprachen über die Gottesgesandtschaft Muhammads, ihren Glauben bekannt und öffentlich den göttlichen Ursprung des Propheten des Isláms bestätigt. Schon hat ein Präsident der Vereinigten Staaten einige von Abdu'l-Bahá in Seinen Gesprächen so klar formulierten Prinzipien so verinnerlicht, daß er sie in ein Friedensprogramm aufnahm, welches als kühnster und edelster Vorschlag gilt, der bis heute für das Wohl und die Sicherheit der Menschheit gemacht worden ist. Und schon hat sich die Welt, leider, taub für Seine Warnungen und widerspenstig gegen Seinen Ruf, in zwei Weltkriege von nie dagewesener Grausamkeit verstrickt, deren Folgen bis heute niemand auch nur vage abzusehen vermag.

Kapitel 20
Wachstum und Ausbreitung des Glaubens in Ost und West

+20:1

Abdu'l-Bahás historische Fahrt in den Westen, besonders Seine achtmonatige Rundreise durch die Vereinigten Staaten von Amerika, kann man wohl als den Höhepunkt Seiner Amtszeit bezeichnen, eines Amtes, dessen unaussprechliche Segnungen und erstaunlichen Erfolge erst spätere Geschlechter gebührend würdigen können. Wie die Sonne der Offenbarung Bahá'u'lláhs in Adrianopel zur Stunde der Verkündigung Seiner Botschaft an die Herrscher der Welt in ihrem höchsten Glanz strahlte, so erreichte das Gestirn Seines Bundes seinen Zenit und strahlte am glanzvollsten, als sein erwählter Mittelpunkt sich aufmachte, um den Völkern des Westens die herrliche Größe der Religion Seines Vaters zu rühmen.

+20:2

Der gottgegebene Bund hatte schon kurz nach seiner Stiftung unzweifelhaft seine unüberwindliche Kraft bewiesen durch seinen entscheidenden Sieg über die dunklen Mächte, die seine Erzfeinde derart entschlossen gegen ihn aufgereiht hatten. Seine Lebenskraft trat bald darauf zutage in den aufsehenerregenden Erfolgen, die seine Fackelträger so rasch und mutig in den fernen Städten Westeuropas und der Vereinigten Staaten von Amerika errangen. Durch seine Fähigkeit, die Einheit und Unversehrtheit des Glaubens in Ost und West zu wahren, hatte er seinen hohen Anspruch voll und ganz behauptet. Später bewies er seine unbezwingliche Kraft aufs neue durch einen denkwürdigen Sieg: die von Sultán Abdu'l-Hamíds Sturz ausgelöste Befreiung seines ernannten Mittelpunkts aus vierzigjähriger Gefangenschaft. Denjenigen, die seinen göttlichen Ursprung immer noch in Zweifel zu ziehen geneigt waren, lieferte er einen weiteren unbestreitbaren Beweis für seine Festigkeit damit, daß Abdu'l-Bahá trotz größter Schwierigkeiten die Überführung und Beisetzung der Gebeine des Báb in ein Mausoleum auf dem Karmel zu bewerkstelligen vermochte. Auch erwies er seine gewaltigen Möglichkeiten machtvoll und in nie zuvor gekanntem Maße vor aller Welt damit, daß Der, in dem sein Geist und sein Sinn verkörpert war, die Kraft bekam, sich auf eine dreijährige Missionsreise in den Westen zu begeben - eine so bedeutsame Reise, daß sie mit Fug und Recht als die größte Tat bezeichnet werden kann, die überhaupt mit der Zeit Seines Wirkens in Zusammenhang steht.

+20:3

So herausragend diese Früchte waren, die der Mittelpunkt des Bundes in mutigem, unermüdlichem Streben erzielte, es waren keineswegs die einzigen. Fortschritt und Ausbreitung des Glaubens Seines Vaters im Osten, Beginn der Tätigkeiten und Unternehmen, von denen man sagen kann, daß sie den Auftakt zur künftigen Bahá'í-Verwaltungsordnung bildeten, der Bau des ersten Mashriqu'l-Adhkár der Bahá'í-Welt in 'Ishqábád in Russisch Turkestan, Vermehrung der Bahá'í-Literatur, die Verkündung der Sendschreiben zum göttlichen Plan und die Einführung der Bahá'í-Religion in Australien gehören ebenfalls zu den hervorragenden Erfolgen, die die einzigartige Amtszeit Abdu'l-Bahás schmücken.

+20:4

In Persien, der Wiege des Glaubens, zeichnete sich trotz der mit unverminderter Heftigkeit all die Jahre Seines Wirkens fortdauernden Verfolgungen ein deutlicher Wandel ab, indem die geächtete Gemeinde aus ihrem bisherigen Untergrunddasein allmählich ins Rampenlicht trat. Násiri'd-Dín Sháh wurde vier Jahre nach Bahá'u'lláhs Hinscheiden am Vorabend seines Regierungsjubiläums, das eine Wende in der Geschichte seines Landes bringen sollte, von einem Mörder namens Mírzá Ridá getötet, einem Anhänger des berüchtigten Siyyid Jamálu'd-Dín-i-Afghání, der ein Feind des Glaubens war und einer der Urheber der Verfassungsbewegung, die, als sie unter der Regierung Muzaffari'd-Díns, des Sohnes und Thronfolgers des Sháhs, an Boden gewann, die gehetzte und verfolgte Bahá'í-Gemeinde in neue Schwierigkeiten verwickelte. Selbst die Ermordung des Sháhs hatte man zunächst dieser Gemeinde in die Schuhe geschoben, wie der grausame Tod zeigte, den der bekannte Lehrer und Dichter Mírzá Alí-Muhammad, von Bahá'u'lláh »Varqá« (Taube) genannt, unmittelbar nach der Ermordung des Herrschers zu erleiden hatte: er wurde wie auch sein zwölfjähriger Sohn Rúhu'lláh im Gefängnis von Tihrán grausam umgebracht von dem unmenschlichen Hájíbu'd-Dawlih, der dem Vater vor den Augen des Sohnes einen Dolch in den Leib stieß und ihn in Stücke schnitt, dann von dem Knaben den Widerruf des Glaubens verlangte und, als er auf eisernen Widerstand stieß, ihn mit einem Strick erdrosselte.

+20:5

Drei Jahre zuvor war in Yazd ein junger Mann namens Muhammad-Ridáy-i-Yazdí in seiner Hochzeitsnacht auf dem Heimweg vom öffentliche Bad erschossen worden - der erste Märtyrer in der Wirkenszeit Abdu'l-Bahás. In Turbat-i-Haydaríyyih wurden nach der Ermordung des Sháhs fünf Männer getötet, die als die Shuhadáy-i-Khamsih (fünf Märtyrer) bekannt geworden sind. In Mashhad wurde ein bekannter Kaufmann, Hájí Muhammad-i-Tabrízí, ermordet und seine Leiche verbrannt. Der neue Herrscher und sein Großwesir, der charakterlose und reaktionäre Atábik-i-A'zam Mírzá Alí-Asghar Khán, führten im Jahr 1902 in Paris mit zwei Glaubensrepräsentanten ein Gespräch, bei dem aber nichts herauskam. Im Gegenteil, wenige Jahre später brach ein neuer Verfolgungssturm aus, der sich, je weiter sich die Verfassungsbewegung im Land ausbreitete, umso wütender gestaltete, zumal gewisse Reaktionäre grundlose Anschuldigungen gegen die Bahá'í vorbrachten und öffentlich behaupteten, daß sie die Anstifter und Förderer dieser nationalistischen Umtriebe seien.

+20:6

In Isfahán wurde ein gewisser Muhammad-Javád nackt ausgezogen und mit einer Peitsche aus geflochtenem Draht hart geschlagen, während in Káshán die Glaubensanhänger jüdischer Herkunft auf Betreiben der muslimischen Geistlichkeit und der jüdischen Schriftgelehrten Buße zahlen mußten, geschlagen und in Ketten gelegt wurden. Doch in Yazd und Umgebung ereigneten sich die blutigsten Ausschreitungen, zu denen es während der ganzen Wirkenszeit Abdu'l-Bahás kam. Dort wurde Hájí Mírzá-i-Halabí-Sáz gnadenlos ausgepeitscht, und als sich seine Frau schützend über ihn warf, wurde sie dafür ebenfalls schwer geschlagen; danach wurde ihm der Schädel mit dem Fleischerbeil zerhackt. Sein elfjähriger Sohn wurde erbarmungslos verprügelt, mit Messern zerstochen und zu Tode gefoltert. In einem halben Tag wurden neun Leute umgebracht. Eine etwa sechstausendköpfige Menge beiderlei Geschlechts ließ ihre Wut an den hilflosen Opfern aus; einige tranken sogar das Blut. In manchen Fällen, wie bei Mírzá Asadu'lláh-i-Sabbágh, plünderten sie die Habe und schlugen sich um den Besitz. Sie erwiesen sich als derart grausam, daß sogar einige Regierungsbeamte angesichts der Schreckensszenen, bei denen die Frauen offensichtlich eine beschämende Rolle spielten, Tränen vergossen.

+20:7

In Taft wurden mehrere Personen getötet; einige von ihnen wurden erschossen und ihre Körper durch die Straßen geschleift. Ein erst kürzlich zum Glauben gekommener achtzehnjähriger Junge namens Husayn wurde von seinem Vater denunziert und vor den Augen seiner Mutter in Stücke gerissen; Muhammad-Kamál wurde mit Messern, Spaten und Spitzhacken zerstückelt. In Manshád, wo die Verfolgungen neunzehn Tage lang wüteten, wurden ähnliche Scheußlichkeiten verübt. Ein achtzigjähriger Mann namens Siyyid Mírzá wurde im Schlaf durch zwei große Steine getötet, die auf ihn geworfen wurden. Mírzá Sádiq bekam, als er um Wasser bat, ein Messer in die Brust gestoßen, wonach sein Peiniger das Blut von der Klinge ableckte. Eines der Opfer, Shátir Hasan, verteilte vor seinem Tod Süßigkeiten und die Kleider, die er noch besaß, unter seine Peiniger. Eine fünfundsechzigjährige Frau, Khadíjih-Sultán, wurde von einem Hausdach gestürzt. Ein Gläubiger namens Mírzá Muhammad wurde an einen Baum gebunden als Zielschreibe für Hunderte von Kugeln, sein Leichnam wurde ins Feuer geworfen. Ustád Ridáy-i-Saffár küßte seinem Mörder die Hand, dann wurde er erschossen und sein Leichnam geschändet.

+20:8

In Banáduk, Dih-Bálá, Farásháh, Abbás-Ábád, Hanzá, Ardikán, Dawlat-Ábád und Hamadán wurden ähnliche Verbrechen begangen. Besonders hervorgehoben sei der Fall einer hochgeachteten, mutigen Frau namens Fátimih-Bagum, die ein wilder Mob schmählich aus ihrem Haus zerrte, ihr den Schleier vom Kopf riß, die Kehle durchschnitt, den Leib aufschlitzte, sie mit allen möglichen Waffen schlug, an einem Baum aufhängte und schließlich verbrannte.

+20:9

In Sárí wurden in den Tagen, als die Auseinandersetzungen um die Verfassung sich dem Höhepunkt näherten, ebenfalls fünf Bürger von Stand, Gläubige, die man später Shuhadáy-i-Khamsih, die »fünf Märtyrer«, nannte, getötet; in Nayríz wurde von den Feinden ein wilder Sturm angezettelt, der lebhaft an Yazd erinnert und bei dem neunzehn Bahá'í - darunter der fünfundsechzigjährige Mullá Abdu'l-Hamíd, ein Blinder, den sie erschossen und dessen Leichnam sie schändeten - ums Leben kamen; es wurde viel geplündert, viele Frauen und Kinder mußten um ihr Leben fliehen, in Moscheen Zuflucht suchen, sich in den Ruinen ihrer Häuser verstecken oder obdachlos auf der Straße bleiben.

+20:10

In Sírján, Dúgh-Ábád, Tabríz, Ávih, Qum, Najaf-Ábád, Sangsar, Shahmírzád, Isfahán und Jahrum töteten, folterten, plünderten und mißbrauchten furchtbare, grausame Gegner, religiöse wie politische, unter den verschiedensten Vorwänden weiter die Mitglieder einer Gemeinde, die sich zu widerrufen oder auch nur um Haaresbreite von dem durch ihre Vorbilder vorgezeichneten Pfad abzuweichen, standhaft weigerte - selbst dann noch, als der Sháh im Jahr 1906 die Verfassung unterzeichnet hatte, auch während der Regierungszeit seiner Nachfolger Muhammad-Alí Sháh und Ahmad Sháh. Selbst während Abdu'l-Bahás Reisen im Westen und nach Seiner Rückkehr ins Heilige Land, ja bis an Sein Lebensende erhielt Er immer noch schmerzliche Nachrichten vom Martyrium Seiner Getreuen und von den Ausschreitungen der unersättlichen Feinde gegen sie. In Dawlat-Ábád wurde ein Prinz königlichen Geblüts namens Habíbu'lláh Mírzá, ein Glaubensanhänger, der sein ganzes Leben dem Dienst geweiht hatte, mit der Axt erschlagen und sein Leichnam verbrannt. In Mashhad wurde der gelehrte und fromme Shaykh Alí-Akbar-i-Qúchání erschossen. In Sultán-Ábád wurden Mírzá Alí-Akbar und sieben Angehörige seiner Familie, darunter ein vierzig Tage altes Kind barbarisch hingeschlachtet. Auch in Ná'ín, Shahmírzád, Bandar-i-Jaz und in Qamsar brachen mehr oder minder schwere Verfolgungen aus. In Kirmánsháh war der Märtyrer Mírzá Ya'qúb-i-Muttahidih, ein glühender fünfundzwanzigjähriger jüdischer Konvertit, der letzte, der in Abdu'l-Bahás Zeit sein Leben gab; seine Mutter in Hamadán feierte nach seinem Wunsch seinen Märtyrertod mit beispielloser Seelenstärke. In jeder Situation bewiesen die Gläubigen den unbezähmbaren Geist und die zähe Unbeugsamkeit, die das Leben und den Dienst der persischen Anhänger des Glaubens Bahá'u'lláhs stets auszeichnete.

+20:11

Trotz dieser periodisch wiederkehrenden schweren Verfolgungen wuchs der Glaube, der in seinen Helden einen so seltenen Opfergeist erweckt hatte, still und stetig. Nachdem er in den trüben Tagen, die auf den Märtyrertod des Báb folgten, einige Zeit von der Bildfläche verschwunden und fast erloschen schien und während der ganzen Wirkenszeit Bahá'u'lláhs im Verborgenen glomm, begann er nach Dessen Hinscheiden unter der unbeirrbaren Führung und nimmermüden Fürsorge des weisen, achtsamen und liebevollen Meisters seine Kräfte zu sammeln und allmählich die noch keimhaften Institutionen zu entwickeln, die später den Weg für die Errichtung seiner Verwaltungsordnung bahnen sollten. In dieser Zeit nahm die Zahl seiner Anhänger rasch zu, sein Verbreitungsgebiet, das nun schon alle Provinzen des Reiches umfaßte, erweiterte sich stetig, und die Frühformen seiner späteren Geistigen Räte entstanden. Damals, also zu einer Zeit, wo es in jenem Land praktisch noch keine staatlichen Schulen und Hochschulen gab, wo die Ausbildung in den vorhandenen religiösen Institutionen jämmerlich schlecht war, wurden seine ersten Schulen gegründet: zuerst die Tarbíyat-Schulen für Knaben und Mädchen in Tihrán, dann die Ta'yíd- und die Mawhibat-Schule in Hamadán, die Vahdat-i-Bashar-Schule in Káshán und ähnliche Lehranstalten in Bárfurúsh und Qazvín. In diesen Jahren erfuhr die Bahá'í-Gemeinde des Landes in geistiger wie in materieller Hinsicht tatkräftige und wirksame Hilfe aus Europa und Amerika durch reisende Lehrer, Krankenschwestern, Fachkräfte und Ärzte. Sie bildeten die Vorhut einer Schar von Helfern, von denen Abdu'l-Bahá sagte, daß sie eines Tages kommen würden, um das Wohl des Glaubens und seines Ursprungslandes zu fördern. In diesen Jahren wurde in Persien auch allgemein die Bezeichnung Bábí für die Anhänger Bahá'u'lláhs aufgegeben zugunsten des Wortes Bahá'í; unter Bábí verstand man hinfort nur noch die rasch dahinschwindende Zahl der Anhänger Mírzá Yahyás. Damals wurden auch die ersten systematischen Versuche unternommen, die Lehrarbeit der persischen Gläubigen zu organisieren und anzuregen; dadurch wurden einerseits die Grundlagen der Gemeinde neu gefestigt und zum andern verschiedene bedeutende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Persien, darunter einige prominente Mitglieder der schiitischen Geistlichkeit und selbst Nachkommen einiger der schlimmstern Verfolger des Glaubens, für die Sache gewonnen. In diesen Jahren wurde auch das Haus des Báb in Shíráz, das Bahá'u'lláh Seinen Anhängern zum Pilgerort bestimmt hatte und das als ein solches auch schon bekannt war, auf Anordnung Abdu'l-Bahás und mit Seiner Hilfe wiederhergestellt. Es wurde damit mehr und mehr zu einem Brennpunkt des Bahá'í-Lebens und -Wirkens für die Gläubigen, denen es nicht möglich war, das Größte Haus in Baghdád oder das Heiligste Grab in Akká zu besuchen.

+20:12

Noch weitaus bemerkenswerter als alle diese Unternehmungen war jedoch der Bau des ersten Mashriqu'l-Adhkár der Bahá'í-Welt in 'Ishqábád, einem zur Zeit Bahá'u'lláhs gegründeten Zentrum, wo schon zu Seinen Lebzeiten die ersten tastenden Schritte zu seiner Errichtung getan worden waren. Der Bau, in allen Phasen seiner Entwicklung von Abdu'l-Bahá gefördert und im Jahre 1902, gegen Ende des ersten Jahrzehnts Seiner Amtszeit, eingeweiht, wurde ausgeführt unter persönlicher Aufsicht des ehrwürdigen Vakílu'd-Dawlih Hájí Mírzá Muhammad-Taqí, eines Vetters des Báb, der sein ganzes Vermögen für den Bau gestiftet hatte und dessen irdische Überreste nun am Fuße des Karmel im Schatten des Grabmals seines geliebten Anverwandten ruhen. Das Werk, ausgerichtet nach den Anweisungen, die der Mittelpunkt des Bundes selbst niedergelegt hatte, wird immerdar ein Zeugnis für den Eifer und den Opfersinn der orientalischen Gläubigen sein, die fest entschlossen waren, das im Kitáb-i-Aqdas niedergelegte Gebot Bahá'u'lláhs in die Tat umzusetzen. Es erfüllt nicht nur den Rang des ersten großen Unternehmens, das Seine Anhänger mit vereinten Kräften im Heroischen Zeitabschnitt Seines Glaubens begannen, es zählt vielmehr für immer zu den glänzendsten Leistungen in der Geschichte des ersten Bahá'í-Jahrhunderts.

+20:13

Der Bau selbst - der Grundstein war in Gegenwart des Generals Krupatkin gelegt worden, des Generalgouverneurs von Turkestan als Stellvertreter des Zaren bei dieser Feier - wurde von einem Bahá'í aus dem Westen, der den Tempel besuchte, so beschrieben: »Der Mashriqu'l-Adhkár liegt mitten in der Stadt. Seine hohe Kuppel überragt Bäume und Hausdächer und ist, wenn man sich der Stadt nähert, schon meilenweit zu sehen. Er steht mitten in einem von vier Straßen begrenzten Garten. An den vier Ecken des Areals stehen vier Gebäude: eines ist die Bahá'í-Schule, eines das Gästehaus, wo Pilger und Reisende untergebracht werden, eines ist für die Verwalter und das vierte wird als Krankenhaus benützt. Neun Wege gehen strahlenförmig von verschiedenen Seiten auf den Tempel zu. Einer davon, der Hauptweg, führt vom Haupttor des Geländes zum Hauptportal des Tempels.« Weiter schreibt er: »Nach dem Plan besteht der Bau aus drei Teilen: die Zentralrotunde, das sie umgebende Umgang oder die Wandelhalle, und die Loggia, die um das ganze Gebäude herumgeht. Erbaut ist er auf dem Grundriß eines regelmäßigen neunseitigen Vielecks. Die eine Seite wird von dem großartigen, von Minaretten flankierten Haupteingang ausgefüllt - ein hochgewölbtes Portal, zwei Stockwerke hoch, erinnert in seiner Anordnung an die Architektur des weltberühmten Taj Mahal in Agra in Indien, das Entzücken aller Reisenden; viele bezeichnen ihn als den schönsten Tempel der Welt. Der Haupttorweg weist in die Richtung nach dem Heiligen Land. Das gesamte Gebäude ist von zwei Reihen Loggien, einer oberen und einer unteren, umgeben, die nach dem Garten zu offen sind und in Harmonie mit der üppigen subtropischen Vegetation eine wunderbare architektonische Wirkung haben... Das Innere des Kuppelraums ist in fünf besondere Geschosse gegliedert. Das erste, eine Reihe von neun Bögen und Pfeilern, trennt den Kuppelraum vom Umgang. Das zweite, ähnlich ausgeführt mit Balustraden, welche die Säulengalerie über dem Seitenschiff - sie ist über zwei zu beiden Seiten des Haupteingangs in Loggien eingebaute Treppen zu erreichen - vom Kuppelraum trennt. Das dritte ist eine Reihe von neun leeren, mit Gitterwerk verzierten Bögen, zwischen denen Wappenschilder mit dem Größten Namen angebracht sind. Das vierte ist ein Fries von neun großen Bogenfenstern. Das fünfte ein Fries von achtzehn Rundfenstern. Darüber wölbt sich, auf einer Kranzleiste ruhend die halbkugelförmige Kuppel. Das Innere ist reich mit Stuckrelief verziert ... Der ganze Bau beeindruckt durch seine Größe und Kraft.«

+20:14

Erwähnt seien auch die beiden Schulen für Knaben und Mädchen, die in dieser Stadt gegründet wurden, das Pilgerheim, das in der Nachbarschaft des Tempels eingerichtet wurde, der Geistige Rat und seine Hilfskörperschaften, die zur Wahrung und Verwaltung der Angelegenheiten einer wachsenden Gemeinde und der neuen Tätigkeitszentren in verschiedenen Städten und Orten der Provinz Turkestan gebildet wurden - alle von der Vitalität kündend, die der Glaube seit seiner Einführung in diesem Land immer bewies.

+20:15

Eine ähnliche, wenn auch weniger auffällige Entwicklung konnte im Kaukasus beobachtet werden. Nachdem in Bákú, einer von Bahá'í-Pilgern, die in wachsender Zahl von Persien über die Türkei nach dem Heiligen Land reisten, stets besuchten Stadt, das erste Zentrum und der erste Geistige Rat gebildet waren, begannen sich neue Gruppen zu bilden, die sich später zu festgegründeten Gemeinden entfalteten und in zunehmendem Maße mit ihren Brüdern in Turkestan und Persien zusammenarbeiteten.

+20:16

In Ägypten ging eine stetig wachsende Zahl der Glaubensanhänger mit einer allgemeinen Ausweitung der Aktivitäten einher. Die Gründung neuer Zentren, die Festigung des in Kairo schon bestehenden Hauptzentrums, der vor allem den unermüdlichen Bemühungen des gelehrten Mírzá Abu'l-Fadl zu verdankende Übertritt mehrerer prominenter Studenten und Lehrer der Azhar-Universität - deutliches Vorzeichen des verheißenen Tages, an dem, wie Abdu'l-Bahá sagte, Banner und Signum des Glaubens in das Herz dieses altehrwürdigen Sitzes islámischer Wissenschaft gepflanzt werde -, ferner die Übersetzung einiger der wichtigsten auf persisch offenbarten Schriften Bahá'u'lláhs und anderer Bahá'í-Schriften ins Arabische und ihre Verbreitung, die Drucklegung von Büchern, Abhandlungen und Flugschriften von Bahá'í-Autoren und Gelehrten, die Veröffentlichung von Presseartikeln zur Verteidigung des Glaubens und zur Verbreitung seiner Botschaft, die Bildung erster Verwaltungseinrichtungen in der Hauptstadt wie in nahegelegenen Zentren; die Bereicherung des Gemeindelebens durch den Beitritt neuer Gläubiger kurdischer, koptischer und armenischer Herkunft - dies waren die ersten Früchte in diesem Land, das durch die Fußstapfen Abdu'l-Bahás gesegnet war, das in späteren Jahren eine historische Rolle bei der Emanzipiation des Glaubens spielen sollte und dem vermöge seiner einzigartigen Stellung als intellektuelles Zentrum der arabischen wie der islámischen Welt naturgemäß ein maßgeblicher Anteil an der Verantwortung für die schließliche Einführung des Glaubens im ganzen Orient zukommt.

+20:17

Noch bemerkenswerter war die Ausweitung der Bahá'í-Tätigkeit in Indien und Birma, wo die stetig wachsende Gemeinde, die jetzt auch ehemalige Zoroastrier, Muslime, Hindus, Buddhisten und Sikhs umfaßte, ihre Vorposten bis nach Mandalay und das Dorf Daidana Kalazoo im birmanischen Hanthawaddy-Distrikt ausdehnen konnte. Im letztgenannten Dorf lebten nicht weniger als achthundert Bahá'í, die eine eigene Schule, ein eigenes Gericht und ein eigenes Krankenhaus besaßen, ferner Land zur gemeinsamen Bebauung, dessen Ertrag sie für die Förderung der Interessen ihrer Religion verwenden.

+20:18

Im Iráq, wo das Haus, in dem Bahá'u'lláh gewohnt hatte, wieder vollständig neu hergerichtet war und eine kleine, aber tapfere Gemeinde trotz aller Widerstände darum kämpfte, ihre Angelegenheiten zu regeln und zu verwalten; in Konstantinopel, wo ein Bahá'í-Zentrum bestand; in Tunis, wo das Fundament zu einer örtlichen Gemeinde gelegt wurde; in Japan, China und Honolulu, wohin Bahá'í-Reiselehrer zogen, sich ansiedelten und lehrten - überall machte sich vielfältig die lenkende Hand Abdu'l-Bahás bemerkbar, und deutlich greifbar waren die Erfolge, die Sein unermüdlicher Eifer und Seine stetige Fürsorge zeitigten.

+20:19

Auch die entstehenden Gemeinden in Frankreich, England, Deutschland und den Vereinigten Staaten erfuhren nach dem denkwürdigen Besuch Abdu'l-Bahás weiterhin Zeichen Seiner besonderen Anteilnahme und Seiner Sorge um ihr Gedeihen und ihren geistigen Fortschritt. Seine Anweisungen, die stetige Flut Seiner Sendschreiben an die Mitglieder jener Gemeinden und Seine ständige Ermutigung zu ihren Bemühungen führten dazu, daß sich die Bahá'í-Zentren vermehrten, öffentliche Vorträge gehalten, neue Zeitschriften herausgegeben und Übersetzungen einiger der bekanntesten Werke Bahá'u'lláhs und Schriften Abdu'l-Bahás in englischer, französischer und deutscher Sprache gedruckt und verbreitet wurden und die neu entstandenen Gemeinden die ersten Schritte unternahmen, sich zu organisieren und ihre Basis zu festigen.

+20:20

Besonders in Nordamerika boten die Mitglieder der blühenden Gemeinde, begeistert von Abdu'l-Bahás Segen, Seinem Beispiel und Seinen Taten während Seines langen Besuches in ihrem Land, berechtigte Hoffnungen auf das großartige Werk, das sie in späteren Jahren ausführen sollten. Sie erwarben die zwölf restlichen Grundstücke, die zum Gelände ihres geplanten Tempels gehörten, entschieden sich auf den Sitzungen während der Jahrestagung 1920 für den Plan des Bahá'í-Architekten Louis Bourgeois aus französisch Kanada, schlossen den Vertrag für die Ausschachtung und den Bau der Fundamente ab und konnten bald darauf die nötigen Vorkehrungen für den Bau des Sockels treffen: Maßnahmen, die die gewaltigen Anstrengungen ankündigten, welche nach Abdu'l-Bahás Hinscheiden in der Errichtung des Baues und der Vollendung seiner äußeren Verzierung gipfelten.

+20:21

Der Krieg von 1914-18, den Abdu'l-Bahá während Seiner Reisen im Westen in düsteren Warnungen mehrfach angekündigt hatte und der acht Monate nach Seiner Rückkehr ins Heilige Land ausbrach, warf wiederum gefährliche Schatten auf Sein Leben - die letzten, die die Jahre Seines arbeitsreichen und doch so strahlenden Amtes verdüstern sollten.

+20:22

Der späte Eintritt Amerikas in diesen weltumwälzenden Kampf, die Neutralität Persiens, die Abgelegenheit Indiens und des fernen Ostens von den Bühnen des Geschehens bot der überwältigenden Mehrheit Seiner Anhänger Schutz; und so konnten sie, obgleich sie größtenteils für eine Reihe von Jahren vom geistigen Mittelpunkt ihres Glaubens völlig abgeschnitten waren, ihre Tätigkeit fortsetzen und sich die Früchte ihrer jüngst errungenen Erfolge in verhältnismäßiger Sicherheit und Freiheit erhalten.

+20:23

Wenn auch im Heiligen Land der gewaltige Kampf letzten Endes das Herz und Zentrum des Glaubens für immer vom türkischen Joch befreite, einem Joch, das dem Glaubensstifter und dessen Nachfolger so lange derart schwere, demütigende Beschränkungen auferlegt hatte, hörten die schweren Nöte und Gefahren, die seine Bewohner die meiste Zeit des Kriegs über bedrohten, nicht auf, und eine Zeitlang war auch die Bedrohung wieder akut, der Abdu'l-Bahá in den Jahren Seiner Gefangenschaft in Akká ausgesetzt war. Die große Not, die die Bevölkerung bedrückte infolge krasser Unfähigkeit, schändlicher Nachlässigkeit, Grausamkeit und stumpfer Gleichgültigkeit der zivilen und militärischen Machthaber, wurde - obgleich sehr gelindert durch Abdu'l-Bahás Güte und Großmut, Umsicht und liebevolle Fürsorge - noch verschärft durch eine strenge Blockade. Ständig war Haifa von Bomben der Alliierten bedroht, und einmal war die Gefahr so groß, daß Abdu'l-Bahá mit Seiner Familie und den dortigen Gemeindemitgliedern vorübergehend nach Abú-Sinán umziehen mußte, einem Dorf vor den Hügeln östlich von Akká. Der türkische Oberkommandeur, der brutal despotische, skrupellose Jamál-Páshá, ein unversöhnlicher Feind des Glaubens, hatte auf Grund eigener unbegründeter Verdächtigungen und der Hetze der Glaubensfeinde Abdu'l-Bahá schon schwer zugesetzt und äußerte jetzt die Absicht, Ihn zu kreuzigen und Bahá'u'lláhs Grabstätte einzuebnen. Abdu'l-Bahá litt noch an den Folgen der Erschöpfung und der gesundheitlichen Beeinträchtigung, die Seine anstrengende dreijährige Reise mit sich gebracht hatten. Der faktische Abbruch der Verbindung mit den meisten Bahá'í-Zentren in aller Welt traf Ihn hart. Der Anblick des Gemetzels unter den Menschen, die Seine Rufe überhört, Seine Warnungen in den Wind geschlagen hatten, erfüllte Ihn mit Seelenqual. Sorgen zuhauf mehrten jetzt die Last der Prüfungen und Wechselfälle, die Er seit Seiner Kindheit so heldenhaft um der Sache Seines Vaters willen und in ihrem Dienst ertragen hatte.

+20:24

Aber gerade in diesen dunklen Tagen, die in ihrer Trostlosigkeit an die Bedrängnis erinnerten, die Abdu'l-Bahá während der gefährlichsten Zeit Seiner Haft in der Gefängnisfestung Akká durchlitt, fühlte sich der Meister, wenn Er am Grab Seines Vaters, in Seinem Haus in Akká oder im Schatten des Grabmals des Báb auf dem Karmel weilte, bewogen, der Gemeinde Seiner amerikanischen Freunde noch einmal, zum letzten Mal im Leben, ein besonderes Zeichen Seiner Gunst zu schenken, und betraute sie am Abend vor dem Ablauf Seiner irdischen Sendung durch Seine Sendschreiben zum göttlichen Plan mit einer Weltmission, deren Folgerungen uns heute, nach einem Vierteljahrhundert, letztlich noch immer verhüllt sind, und deren bisherige Entfaltung, obgleich noch ganz im Anfangsstadium, doch die geistigen wie die administrativen Annalen des ersten Bahá'í-Jahrhunderts sehr bereicherte.

+20:25

Das Ende des schrecklichen Krieges, der ersten Stufe einer von Bahá'u'lláh lang vorhergesagten gewaltigen Erschütterung, bedeutete das Ende der türkischen Herrschaft über das Heilige Land und besiegelte das Schicksal des militaristischen Despoten, der Abdu'l-Bahá zu vernichten gelobt hatte; es vernichtete darüber hinaus auch ein für allemal die letzte Hoffnung, die bei dem Rest der Bundesbrüchigen noch geschwelt hatte, die trotz der bitteren Niederlagen noch immer unbelehrbar gehofft hatten, das Licht des Bundes Bahá'u'lláhs erlöschen zu sehen. Das Kriegsende brachte auch die umwälzenden Veränderungen mit sich, die einerseits die düsteren Prophezeiungen Bahá'u'lláhs im Kitáb-i-Aqdas erfüllten und es einem großen Teil der »aus Israel Verbannten«, dem »Rest« der »Herde«, gemäß biblischer Verheißung ermöglichten, sich wieder im Heiligen Land zu »sammeln« und wieder zu ihrem »Pferch« und in »ihr eigenes Land« im Schatten des »unvergleichlichen Zweiges« zurückzukehren, wovon Abdu'l-Bahá in Seinen Beantworteten Fragen spricht, und die zum andern zur Bildung des Völkerbundes führten, des Vorläufers jenes Welttribunals, das, wie dieser »unvergleichliche Zweig« verhieß, die Völker und Nationen der Erde notgedrungen gemeinsam begründen werden.

+20:26

Es muß nicht betont werden, daß die englischen Gläubigen, sobald sie erfuhren, daß Abdu'l-Bahás Leben wieder in Gefahr sei, energische Schritte zu Seiner Sicherheit unternahmen, daß man unabhängig davon Lord Curzon und andere Mitglieder des Britischen Kabinetts von der kritischen Lage in Haifa unterrichtete, daß Lord Lamington sich sofort einschaltete und an das Auswärtige Amt schrieb, um dort »die Bedeutung der Stellung Abdu'l-Bahás klarzustellen«, daß der Außenminister, Lord Balfour, am selben Tag, da er diesen Brief erhielt, eine Depesche an General Allenby schickte mit der Weisung, »Abdu'l-Bahá, Seiner Familie und Seinen Freunden jeden Schutz und jede Rücksicht angedeihen zu lassen«, daß der General nach der Einnahme Haifas nach London zurücktelegrafierte und die Behörden bat, »der Welt mitzuteilen, daß Abdu'l-Bahá in Sicherheit« sei, daß derselbe General dem für die Kampfhandlungen bei Haifa zuständigen Kommandeur Befehl gegeben, für die Sicherheit Abdu'l-Bahás zu sorgen - womit die dem britischen Geheimdienst bekannt gewordene Absicht des türkischen Oberkommandanten vereitelt war, »Abdu'l-Bahá und Seine Familie« im Fall, daß die türkische Armee Haifa räumen und sich nach Norden zurückziehen müßte, »auf dem Karmel zu kreuzigen«.

+20:27

Die drei Jahre zwischen der Befreiung Palästinas durch die britischen Streitkräfte und dem Hinscheiden Abdu'l-Bahás zeichneten sich dadurch aus, daß das Ansehen, das der Glaube an seinem Weltzentrum trotz Verfolgungen erlangt hatte, weiter zunahm und das Feld seiner Lehrtätigkeit sich weit in die verschiedenen Teile der Welt ausdehnte. Die Gefahr, die nicht weniger als fünfundsechzig Jahre lang das Leben der Glaubensstifter und des Mittelpunkts des Bundes bedroht hatte, war durch den Krieg endgültig und völlig beseitigt. Nachdem die seitherige korrupte Verwaltung einem neuen, liberalen Regime weichen mußte, erfreuten sich das Oberhaupt des Glaubens und die beiden heiligen Schreine in der Ebene von Akká und am Hang des Karmel zum erstenmal der Freiheit von Beschränkungen, was später dann zur deutlicheren Anerkennung der Institutionen der Sache führte. Die britischen Behörden beeilten sich, die Rolle Abdu'l-Bahás bei der Linderung der Not, die während der dunklen, qualvollen Kriegstage auf der Bevölkerung des Heiligen Landes gelastet hatte, zu würdigen. Daß Abdu'l-Bahá im Sitz des britischen Gouverneurs in Anwesenheit der Notabeln verschiedener Gemeinden bei einer eigens Ihm zu Ehren veranstalteten Feier in Haifa die britische Ritterschaft verliehen wurde, daß General Allenby und seine Gattin Ihn besuchten, in Bahjí bei Ihm zu Tisch saßen und Er selbst sie zu Bahá'u'lláhs Grab führte, daß Er in Seinem Haus in Haifa ein Gespräch mit König Feisal führte, der kurz darauf Herrscher im 'Iráq wurde, daß Sir Herbert Samuel (der spätere Viscount Samuel of Carmel) Ihn verschiedentlich vor und nach seiner Ernennung zum Hochkommissar von Palästina besuchte, daß Er mit Lord Lamington zusammentraf, der Ihn ebenfalls in Haifa aufsuchte, desgleichen mit dem damaligen Gouverneur von Jerusalem, Sir Ronald Storrs, daß Er vielfach Beweise der Anerkennung Seiner hohen und einzigartigen Stellung seitens der religiösen Gemeinden erfuhr, seien sie muslimisch, christlich oder jüdisch, daß Ströme von Pilgern aus Ost und West ins Heilige Land kamen, um nun verhältnismäßig leicht und unbehelligt die heiligen Gräber in Akká und Haifa zu besuchen, Abdu'l-Bahá ihre Verehrung darzubringen, den besonderen Schutz zu preisen, unter den die Vorsehung den Glauben und seine Anhänger gestellt hatte, und nun ihren Dank abzustatten für die Befreiung seines Oberhaupts und seines Weltzentrums vom türkischen Joch - all dies trug, jedes in seiner Art, dazu bei, das Ansehen, das die Religion Bahá'u'lláhs durch die geistvolle Führung Abdu'l-Bahás stetig gewann, zu mehren.

+20:28

Indes Abdu'l-Bahás Wirkenszeit sich dem Ende zuneigte, mehrten sich in Ost und West die Zeichen, daß der Glaube sich unaufhaltsam und vielfältig entfaltete, seine Institutionen sich herausformten und festigten, und das Feld seiner Aktivität und seines Einflusses wuchs. In 'Ishqábád wurde der Bau des Mashriqu'l-Adhkár, den Abdu'l-Bahá selbst angeregt hatte, erfolgreich zu Ende geführt. In Wilmette wurden die Ausschachtungsarbeiten für den Muttertempel des Westens erledigt und der Vertrag für den Bau des Fundaments abgeschlossen. In Baghdád wurden nach Seiner Anweisung die ersten Schritte zur Verstärkung der Fundamente und zur Wiederherstellung des Größten, mit dem Gedächtnis Seines Vaters verbundenen Hauses unternommen. Im Heiligen Land wurde auf Anregung der Heiligen Mutter und mit Spendenhilfe von Freunden aus Ost und West östlich vom Grabmal des Báb ein ausgedehntes Stück Land erworben für den späteren Bau der ersten Bahá'í-Schule am administrativen Weltzentrum des Glaubens. Für ein Westpilgerhaus wurde ein Bauplatz nahe dem Haus Abdu'l-Bahás gekauft und das Gebäude von amerikanischen Freunden bald nach Seinem Hinscheiden errichtet. Für das östliche, bald nach der Beisetzung der Überreste des Báb von einem Gläubigen aus 'Ishqábád am Karmel erbaute Pilgerhaus für orientalische Besucher gewährten die Zivilbehörden Steuerfreiheit (ein zum erstenmal seit dem Einzug des Glaubens ins Heilige Land zugestandenes Privileg). Der berühmte Gelehrte und Entomologe Dr. Auguste Forel wurde durch einen Sendbrief Abdu'l-Bahás an ihn, eine der gewichtigsten Schriften, die der Meister je verfaßte, für den Glauben gewonnen. Ein anderer Sendbrief von weittragender Bedeutung war Seine Antwort auf eine vom Exekutivausschuß der »Zentralorganisation für dauernden Frieden« an Ihn gerichtete Anfrage, die Er durch eine besondere Delegation in Den Haag überreichen ließ. Ein neuer Kontinent tat sich für die Sache auf, als die Sendschreiben zum göttlichen Plan bei der ersten Jahrestagung nach dem Krieg bekanntgegeben wurden, denn unter ihrem Eindruck verließ der hochherzige und mutige Hyde Dunn im vorgerückten Alter von zweiundsechzig Jahren ohne weiteres seine kalifornische Heimat und übersiedelte, unterstützt und begleitet von seiner Gattin, als Pionier nach Australien, wo es ihm gelang, die Botschaft in nicht weniger als siebenhundert Städte in diesem Land zu tragen. Ein neuer Abschnitt begann, als die strahlende Dienerin Bahá'u'lláhs, die unbezwingliche, unsterbliche Martha Root, die der Meister den »Herold des Gottesreichs« und die »Botin des Bundes« nannte, sich ebenfalls unter dem Eindruck dieser Sendschreiben und ihres Aufrufs unverzüglich auf die erste ihrer historischen Reisen begab, die sich über einen Zeitraum von zwanzig Jahren erstrecken und sie mehrmals rund um die Erde führen sollten. Nur der Tod, der sie fern ihrer Heimat und mitten im tatkräftigen Wirken für die von ihr so sehr geliebte Sache ereilte, konnte ihrer Arbeit ein Ende setzen. Diese Geschehnisse kennzeichnen den Ausklang eines Amtes, das den Triumph des Heroischen Zeitabschnitts der Bahá'í-Sendung besiegelte und als eine der glorreichsten und fruchtbarsten Phasen des ersten Bahá'í-Jahrhunderts in die Geschichte eingehen wird.

Kapitel 21
Abdu'l-Bahás Abschied von dieser Welt

+21:1

Abdu'l-Bahás großes Werk war nun getan. Die historische Aufgabe, mit der Ihn Sein Vater vor neunundzwanzig Jahren betraut hatte, war ruhmreich vollbracht. Ein denkwürdiges Kapitel in der Geschichte des ersten Bahá'í-Jahrhunderts war abgeschlossen. Das Heroische Zeitalter der Bahá'í-Sendung, an dem Er seit dessen Beginn beteiligt war und in dem Er eine einzigartige Rolle spielte, war zu Ende. Er hatte gelitten wie keiner der Glaubensjünger, die den Kelch des Martyriums leerten, Er hatte gearbeitet wie keiner der größten Heroen. Er hatte aber auch Triumphe erlebt, wie sie weder der Herold des Glaubens, noch sein Stifter je erlebten.

+21:2

Am Ende Seiner anstrengenden Reisen nach dem Westen, die Ihn den letzten Rest Seiner schwindenden Kraft gekostet hatten, schrieb Er: »Freunde, die Zeit naht, da ich nicht mehr bei euch sein werde. Ich habe getan, was getan werden konnte. Ich habe der Sache Bahá'u'lláhs nach besten Kräften gedient. Ich habe alle Jahre meines Lebens Tag und Nacht gearbeitet. O, wie sehne Ich mich darnach, die Gläubigen die Verantwortung für die Sache auf ihre Schultern nehmen zu sehen... Meine Tage sind gezählt, und außer diesem bleibt Mir keine Freude mehr.« Schon einige Jahre früher hatte Er auf Sein Hinscheiden angespielt: »O meine treu Geliebten! Sollten im Heiligen Land irgendwann schmerzliche Ereignisse eintreten, laßt euch dadurch nicht beunruhigen oder aufregen. Habt keine Angst und grämt euch nicht. Denn was immer geschieht, dient zur Erhöhung des Wortes Gottes und zur Ausbreitung Seiner göttlichen Düfte.« Und wiederum: »Denkt stets daran, daß ich immer bei euch sein werde, ob ich auf Erden weile oder nicht.« In einem Seiner letzten Sendbriefe ermahnte Er Seine Freunde: »Seht nicht auf die Person Abdu'l-Bahás, denn Er wird einmal von euch allen fortgehen; richtet euren Blick vielmehr auf das Wort Gottes ... Die Geliebten Gottes müssen sich mit solcher Festigkeit erheben, daß nichts auf der Welt ihren ... Dienst an der Sache Gottes beeinträchtigen oder schwächen kann, selbst wenn Hunderte von Seelen wie Abdu'l-Bahá sogleich zur Zeilscheibe für die Pfeile des Leides werden.«

+21:3

In einem wenige Tage vor Seinem Hinscheiden an die amerikanischen Gläubigen geschriebenen Sendbrief drückte Er Seinen verhaltenen Wunsch aus, diese Welt zu verlassen: »Ich habe der Welt und den Menschen darin entsagt ... Im Käfig dieser Welt flattere ich wie ein erschreckter Vogel und sehne mich jeden Tag darnach, meinen Flug zu Deinem Königreich zu nehmen. Yá Bahá'u'l-Abhá! Laß mich aus dem Kelch des Opfers trinken und lasse mich frei.« Etwa sechs Monate vor Seinem Hinscheiden offenbarte Er ein Gebet zu Ehren eines Verwandten des Báb und schrieb darin: »O Herr! Mein Gebein ist schwach geworden und weißes Haar schimmert auf meinem Haupt ... und jetzt bin ich alt und meine Kraft schwindet dahin... Ich habe keine Kraft mehr, um aufzustehen und Deinen Geliebten zu dienen... O Herr, mein Herr! Beschleunige meinen Aufstieg zu Deiner erhabenen Schwelle ... und meine Ankunft am Tor Deiner Gnade im Schatten Deines größten Erbarmens ...«

+21:4

Seine Träume, Seine Gespräche und Seine Sendschriften deuteten immer mehr darauf hin, daß Sein Ende nahte. Zwei Monate vor Seinem Hinscheiden erzählte Er Seiner Familie einen Traum, den Er hatte. »Mir war«, sagte Er, »als stünde ich in einer großen Moschee im innersten Heiligtum auf dem Platz des Imáms, der Gebetsrichtung zugewandt. Da merkte ich, daß eine große Menschenmenge in die Moschee strömte. Immer mehr kamen herein und nahmen hinter mir in Reihen Platz, bis eine riesige Menge beisammen war. Ich stand da und stimmte laut den Ruf zum Gebet an. Plötzlich kam mir der Gedanke, die Moschee zu verlassen. Als ich mich draußen wiederfand, sagte ich mir: 'Warum bin ich eigentlich weggegangen, ohne das Gebet geleitet zu haben? Aber es macht nichts; jetzt, da ich den Gebetsruf erschallen ließ, wird die große Mnschenmenge von selbst das Gebet singen.'« Ein paar Wochen später im Garten Seines Hauses, wo Er sich an einem lauschigen Platz aufhielt, erzählte Er den Umstehenden von einem anderen Traum. »Mir träumte«, sagte Er, »ich sähe die Gesegnete Schönheit¹ zu mir treten und sagen: 'Zerstöre diese Kammer.'« Niemand von den Anwesenden begriff, was der Traum bedeutete, bis Er bald darauf hingeschieden war und ihnen klar wurde, daß mit der »Kammer« Sein leiblicher Tempel gemeint war.

¹ Bahá'u'lláh

+21:5

Einen Monat vor Seinem Tod - Er starb in Seinem achtundsiebzigsten Lebensjahr in den frühen Morgenstunden des 28. November 1921 - wies Er ausdrücklich auf ihn hin mit einigen tröstlichen Worten, die Er einem den Verlust seines Bruders betrauernden Gläubigen zukommen ließ. Und etwa zwei Wochen vor Seinem Heimgang sprach Er zu Seinem treuen Gärtner auf eine Art, die klar erkennen ließ, daß Er Sein Ende nahe wußte. »Ich bin so müde«, sagte Er zu ihm, »die Stunde ist da, daß ich alles verlassen und Abschied nehmen muß. Ich bin zu schwach, um spazierenzugehen.« Und Er fügte hinzu: »Als ich in den der letzten Tagen der Gesegneten Schönheit einmal damit beschäftigt war, Seine Papiere zu sammeln, die in Seinem Schreibzimmer in Bahjí über den Diwan verstreut lagen, wandte Er sich mir zu und sagte: 'Es nützt nichts, sie zu sammeln, Ich muß sie lassen und gehen'. Auch ich habe mein Werk getan. Ich kann nichts mehr tun, so muß ich es lassen und Abschied nehmen.«

+21:6

Abdu'l-Bahá verströmte bis zum letzten Tag Seines irdischen Lebens Seine unwandelbare Liebe auf hoch und niedrig, lieh den Armen und Niedergedrückten denselben Beistand und versah die gleichen Pflichten im Dienst für den Glauben Seines Vaters, wie Er es seit Kindertagen gewohnt war. Am Freitag vor Seinem Heimgang wohnte Er trotz großer Schwäche dem Mittagsgebet in der Moschee bei und verteilte hernach Almosen unter die Armen, wie Er dies immer zu tun pflegte. Er diktierte verschiedene Sendbriefe - Seine letzten -, segnete die Eheschließung eines treuen Dieners, wobei Er darauf bestanden hatte, daß sie an diesem Tag stattfand; dann ging Er zu der üblichen Zusammenkunft der Freunde in Seinem Haus. Am nächsten Tag bekam Er Fieber und war am folgenden Sonntag außerstande, das Haus zu verlassen, schickte aber alle Gläubigen zum Grabmal des Báb zum Besuch eines Festes, das ein Parsí-Pilger aus Anlaß des Jahrestags der Erklärung des Bundes veranstaltete. Am gleichen Nachmittag empfing Er trotz zunehmender Schwäche mit stets gleicher liebenswürdiger Höflichkeit den Muftí, den Bürgermeister und den Polizeichef von Haifa, und ehe Er sich zur Nacht zurückzog - der letzten Seines Lebens -, erkundigte Er sich nach dem Wohlbefinden eines jeden Mitglieds Seines Haushalts, der Pilger und der Freunde in Haifa.

+21:7

Nachts um Viertel nach eins stand Er auf und ging zum Tisch in Seinem Zimmer, trank etwas Wasser und legte sich wieder hin. Etwas später bat Er eine Seiner beiden Töchter, die aus Sorge um Ihn wach geblieben waren, das Moskitonetz aufzuschlagen, und klagte über Atembeschwerden. Man brachte Ihm etwas Rosenwasser, von dem Er trank, worauf Er sich wieder hinlegte. Als man Ihm etwas zum Essen anbot, sagte Er klar: »Ihr wollt, daß ich esse, jetzt, da ich gehe?« Eine Minute später schwang sich Sein Geist auf zum Flug in die ewige Heimat, um endlich zur Herrlichkeit Seines Vaters versammelt zu werden und die Freude ewiger Vereinigung mit Ihm zu genießen.

+21:8

Die Nachricht von Seinem plötzlichen, unerwarteten Hinscheiden verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch die Stadt, wurde sofort telegraphisch weit über die Erde verbreitet und stürzte die Gemeinde der Anhänger Bahá'u'lláhs in Ost und West in tiefe Trauer. Botschaften kamen von fern und nah, von hoch und niedrig, per Telegramm oder durch Briefpost, und übermittelten den Mitgliedern der leiderfüllten, untröstlichen Familie vielfach den Ausdruck des Lobpreises, der Hingabe, des Schmerzes und des Mitgefühls.

+21:9

Der britische Kolonialminister Winston Churchill wies den Hochkommissar von Palästina, Sir Herbert Samuel, telegrafisch an, »der Bahá'í-Gemeinde im Namen der Regierung Seiner Majestät Mitgefühl und Beileid zu übermitteln.« Viscount Allenby, der Hochkommissar von Ägypten, bat den Hochkommissar von Palästina telegrafisch, »den Angehörigen des verstorbenen Sir Abdu'l-Bahá Abbás Effendi und der Bahá'í-Gemeinde seine aufrichtige Teilnahme zum Verlust ihres verehrten Oberhaupts« zu übermitteln. Der Ministerrat in Baghdád wies den Premierminister Siyyid Abdu'r-Rahmán an, »der Familie Seiner Heiligkeit Abdu'l-Bahá zu ihrem Verlust sein Beileid« auszudrücken. Der Oberbefehlshaber der ägyptischen Expeditionsstreitkräfte, General Congreve, ersuchte den Hochkommissar von Palästina brieflich, »der Familie des verstorbenen Sir Abbás Bahá'í sein tiefstes Mitgefühl zu übermitteln«. General Sir Arthur Money, der frühere Chefadministrator von Palästina, brachte schriftlich seine Trauer, Hochachtung und Bewunderung für Abdu'l-Bahá zum Ausdruck und seine Anteilnahme an dem Verlust, den Seine Familie erlitt. Eine im akademischen Leben der Universität Oxford hochgeachtete Persönlichkeit, ein berühmter Professor und Gelehrter, schrieb in seinem und seiner Frau Namen: »Der Heimgang hinter den Schleier in ein vollkommeneres Leben muß besonders wundervoll und gesegnet sein für Den, dessen Gedanken immer nach oben gerichtet waren und der darnach strebte, schon hienieden ein erhabenes Leben zu führen.«

+21:10

Die verschiedensten Zeitungen wie die Londoner Times, die Morning Post, die Daily Mail, die New York World, Le Temps, die Times of India und andere würdigten in verschiedenen Sprachen und Ländern einen Mann, welcher der Sache der Brüderlichkeit und des Friedens so hervorragende, unvergängliche Dienste geleistet hatte.

+21:11

Der Hochkommissar Sir Herbert Samuel schickte sofort eine Botschaft, in der er seinen Wunsch zum Ausdruck brachte, persönlich am Begräbnis teilzunehmen, um, wie er später schrieb, »meine Hochachtung vor Seinem Glauben und meine Verehrung für Seine Person zum Ausdruck zu bringen«. Am Begräbnis selbst, das am Dienstag morgen stattfand - ein Begräbnis, wie es Palästina nie zuvor sah - nahmen mindestens zehntausend Menschen aus allen Schichten, Religionen und ethnischen Gruppen des Landes teil. Der Hochkommissar berichtete später einmal: »Eine große Menschenmenge war zusammengekommen, tief bekümmert über Seinen Tod, aber zugleich froh, daß Er gelebt hatte.« Sir Ronald Storrs, damals Gouverneur von Jerusalem, schrieb über das Begräbnis: »Nie erlebte ich einen einmütigeren Ausdruck der Trauer und der Hochachtung, als er hier bei der äußerst einfachen Feier zutage trat.«

+21:12

Der Sarg mit den sterblichen Überresten Abdu'l-Bahás wurde auf den Schultern Seiner Geliebten zu seiner letzten Ruhestätte getragen. Der Leichenzug wurde von der Stadtpolizei als Ehrengarde angeführt, anschließend folgten der Reihe nach die Pfadfinder der muslimischen und der christlichen Gemeinden mit ihren Fahnen, dann eine Schar muslimischer Chorsänger, die ihre Verse aus dem Qur'án sangen, die Leiter der muslimischen Gemeinde unter der Führung des Muftí, und eine Anzahl Priester der katholischen, der orthodoxen und der anglikanischen Kirche. Hinter dem Sarg gingen die Mitglieder Seiner Familie, der britische Hochkommissar Sir Herbert Samuel, der Gouverneur von Jerusalem Sir Ronald Storrs, der Gouverneur von Phönizien Sir Steward Symes, Beamte der Regierung, in Haifa residierende Konsuln verschiedener Länder, Notabeln aus Palästina, Muslime, Juden, Christen und Drusen, Ägypter, Griechen, Türken, Araber, Kurden, Europäer und Amerikaner, Männer, Frauen und Kinder. Unter den Klagen und dem Schluchzen manch kummerbeladenen Herzens bewegte sich der lange Trauerzug langsam den Hang des Karmel hinauf zum Grabmal des Báb.

+21:13

Nahe dem östlichen Eingang zum Schrein wurde der Sarg auf einen schlichten Tisch gestellt, und vor der großen Trauergemeinde hielten neun Sprecher als Vertreter der muslimischen, jüdischen und christlichen Glaubensbekenntnisse, darunter auch der Muftí von Haifa, ihre Trauerreden. Danach trat der Hochkommissar an den Sarg und erwies Abdu'l-Bahá gesenkten Hauptes vor dem Schrein die letzte Ehre; die anderen Beamten der Regierung folgten seinem Beispiel. Dann wurde der Sarg in einen Raum des Schreins gebracht und dort ernst und ehrerbietig an seinem letzten Ruheplatz in einer Gruft neben derjenigen, in der die Gebeine des Báb liegen, beigesetzt.

+21:14

In der Woche nach Seinem Hinscheiden wurden täglich fünfzig bis hundert Arme von Haifa in Seinem Hause gespeist, und in Seinem Namen wurde am siebten Tag unter etwa tausend von ihnen Korn verteilt, ohne Ansehen der ethnischen oder Glaubenszugehörigkeit. Am vierzigsten Tag veranstaltete man eine eindrucksvolle Feier zu Seinem Gedächtnis, zu der über sechshundert Teilnehmer aus Haifa, Akká und angrenzenden Gebieten Palästinas und Syriens geladen waren, darunter Beamte und Notabeln unterschiedlicher religiöser und ethnischer Herkunft. Und an diesem Tag wurden über hundert Arme gespeist.

+21:15

Einer der anwesenden Gäste, der Gouverneur von Phönizien, sprach einen Nachruf zum Gedächtnis Abdu'l-Bahás und sagte: »Die meisten von uns, glaube ich, haben ein klares Bild von Sir Abdu'l-Bahá Abbás vor Augen: Seine würdevolle Gestalt, wie sie gedankenvoll durch unsere Straßen geht, Seine höfliche, gütige Art, Seine Freundlichkeit, Seine Liebe zu kleinen Kindern und zu Blumen, Seine Freigebigkeit und Fürsorge für die Armen und Leidenden. So bescheiden war Er und so einfach, daß man in Seiner Gegenwart fast vergaß, daß Er auch ein großer Lehrer war und daß Seine Schriften und Gespräche Hunderten und Tausenden von Menschen in Ost und West Trost und Erleuchtung brachten.«

+21:16

So ging die Amtszeit Dessen zu Ende, der vermöge des Ihm von Seinem Vater verliehenen Ranges eine leibhaftige Institution war, für die es in der ganzen Religionsgeschichte keine Parallele gibt, ein Amt, mit welchem das Apostolische, das Heroische, das herrlichste Zeitalter der Sendung Bahá'u'lláhs abschließt.

+21:17

Durch Ihn wurde der vom Stifter der Bahá'í-Offenbarung hinterlassene Bund, dieses »ganz besondere, unschätzbare Erbe«, verkündet, verfochten und geschützt. Die Ihm durch dieses göttliche Instrument verliehene Kraft ließ das Licht des jungen Gottesglaubens in den Westen dringen, sich bis über die pazifischen Inseln verbreiten und den Saum des australischen Erdteils erleuchten. Seiner persönlichen Initiative ist es zu danken, daß die Botschaft, deren Träger die Härte lebenslänglicher Gefangenschaft zu kosten hatte, laut verkündet wurde, daß zum erstenmal in ihrer Geschichte vor aufgeschlossenen und repräsentativen Auditorien in den Hauptstädten Europas und Nordamerikas öffentlich über ihre Art und ihre Ziele gesprochen wurde. Unter Seiner unermüdlichen Achtsamkeit wurden die heiligen Gebeine des Báb aus ihrer fünfzigjährigen Verborgenheit geholt, sicher ins Heilige Land gebracht und für immer an der Stelle, die Bahá'u'lláh selbst dafür bezeichnet und mit Seiner Gegenwart gesegnet hatte, würdig bestattet. Auf Seine kühne Anregung hin wurde der erste Mashriqu'l-Adhkár der Bahá'í-Welt in Zentralasien, im russischen Turkestan, errichtet, während infolge Seiner unfehlbaren Ermutigung ein ähnliches Unternehmen noch größeren Umfangs im Herzen des nordamerikanischen Erdteils in Angriff genommen und das Grundstück dazu von Ihm selbst geweiht wurde. Durch die Gnade, die Ihn stärkte und seit der Übernahme Seines Amtes über Ihm waltete, wurde Sein königlicher Gegner zutiefst gedemütigt, der Erzfeind des Bundes Seines Vaters vernichtet und die seit der Verbannung Bahá'u'lláhs auf türkischen Boden das Glaubenszentrum stets bedrohende Gefahr endgültig abgewendet. In Verfolg Seiner Anweisungen und in Übereinstimmung mit den von Seinem Vater verkündeten Grundsätzen und erlassenen Gesetzen wurden die ersten Institutionen, die die förmliche Einführung der nach Seinem Hinscheiden zu errichtenden Verwaltungsordnung ankündigten, gegründet und nahmen Gestalt an. Mit Seiner unablässigen Arbeit - widergespiegelt in Seinen Abhandlungen, in Tausenden von Sendbriefen, die Er schrieb, in den Gesprächen, die Er führte, den Gebeten, Gedichten und Kommentaren, die Er der Nachwelt hinterließ, die meisten in persischer, viele in arabischer und einige in türkischer Sprache - rückte Er die Gesetze und Prinzipien, Kette und Schuß der Offenbarung Seines Vaters, ins Licht, formulierte und erläuterte ihre Grundlagen, wendete ihre Lehrsätze im einzelnen an und bewies der Öffentlichkeit voll und ganz den Wert und die unbestreitbare Gültigkeit ihrer Wahrheiten. Seine Warnrufe setzten eine unachtsame, in Materialismus versunkene und gottvergessene Menschheit, die in ihrer hartnäckigen Widerspenstigkeit schon die ersten Schrecken dieses bis zum heutigen Tage die Grundfesten menschlicher Gesellschaft zerrüttenden Weltaufruhrs ertragen mußte, über die Gefahren in Kenntnis, die ihr geordnetes Leben zu vernichten drohen. Und schließlich setzte Er durch den Auftrag, den Er einer tapferen Gemeinde erteilte, die mit ihren gemeinsam errungenen Erfolgen schon großartigen Glanz auf die Geschichte Seiner Amtszeit warf, einen Plan in Gang, durch den kurz nach seinem Beginn der australische Kontinent für die Sache erschlossen und später das Herz einer Anhängerin aus königlichem Hause für die Sache Seines Vaters gewonnen werden konnte und der heutzutage mit dem Aufblühen all seiner Möglichkeiten das geistige Leben der lateinamerikanischen Republiken wunderbar belebt und damit die Chronik eines ganzen Jahrhunderts würdig beschließt.

+21:18

Der Überblick über die hervorragenden Züge einer so gesegneten und fruchtbaren Amtszeit darf nicht die Prophezeiungen übergehen, welche die nie irrende Feder des erwählten Mittelpunkts des Bundes Bahá'u'lláhs niederschrieb. Diese sagen die heftigen Angriffe voraus, die der unaufhaltsame Vormarsch des Glaubens im Westen, in Indien und im Fernen Osten hervorrufen muß, wenn er auf die altehrwürdigen geistlichen Systeme der christlichen, der buddhistischen und der Hindu-Religion stößt. Sie sagen den Aufruhr voraus, den seine Emanzipation von den Fesseln der religiösen Orthodoxie auf dem amerikanischen, europäischen, asiatischen und afrikanischen Kontinent verursachen wird. Sie künden die Sammlung der Kinder Israels in ihrem alten Heimatland an, ferner die Entfaltung des Banners Bahá'u'lláhs im ägyptischen Bollwerk des sunnitischen Isláms, das Erlöschen des machtvollen Einflusses der schiitischen Geistlichkeit in Persien, das drückende Elend, das unausweichlich über den kläglichen Rest der Feinde des Bundes Bahá'u'lláhs im Weltzentrum Seines Glaubens kommen muß. Abdu'l-Bahá sagt ferner die glanzvollen Einrichtungen voraus, die der sieghafte Glaube an den Hängen des Berges zu gründen hat und die so mit der Stadt Akká verbunden sein werden, daß eine einzige große Metropole entsteht, die den geistigen wie den Verwaltungssitz der künftigen Bahá'í-Weltgemeinde umschließen wird; Er spricht von der besonderen Ehre, die die Bewohner des Geburtslandes Bahá'u'lláhs allgemein und seine Regierung im besonderen in ferner Zukunft genießen werden, weist auf die einzigartige und beneidenswerte Stellung hin, die die Gemeinde des Größten Namens auf dem nordamerikanischen Kontinent in unmittelbarer Folge der Durchführung der ihr anvertrauten Weltmission einnehmen wird, und sieht schließlich als Ergebnis und Krönung all dessen voraus, daß das »Banner Gottes unter allen Nationen gehißt« werden und es zur Vereinigung des ganzen Menschengeschlechts kommen wird, wenn einmal »alle Menschen einer Religion angehören, ... zu einer Rasse verschmolzen und ein einziges Volk sein werden«.

+21:19

Nicht unerwähnt bleiben sollen auch die umwälzenden Veränderungen, die sich während Seiner Amtszeit in der großen Welt begaben und von denen die meisten sich unmittelbar aus den Warnungen ableiten, die der Báb in der Erklärungsnacht Seiner Sendung in Shíráz im ersten Kapitel Seines Qayyúmu'l-Asmá' niederschrieb und die später durch gewichtige Stellen in der Súriy-i-Mulúk und dem Kitáb-i-Aqdas bekräftigt wurden, in denen sich Bahá'u'lláh an die Könige der Erde und die geistlichen Führer der Welt wendet. Die Umwandlung der portugiesischen Monarchie und des chinesischen Reichs in Republiken, der Zusammenbruch des russischen, des deutschen und des österreichischen Reichs und das schmachvolle Schicksal, das ihre Herrscher ereilte, die Ermordung Násiri'd-Dín Sháhs, der Sturz des Sultáns Abdu'l-Hamíd - all dies kann man als weitere Stadien in einem unheilvollen Prozeß ansehen, dessen Beginn sich schon zu Lebzeiten Bahá'u'lláhs in der Ermordung des Sultáns Abdu'l-Azíz, dem dramatischen Sturz Napoleons 111. und der Vernichtung seines Dritten Kaiserreichs, sowie in der selbstauferlegten Gefangenschaft und dem schließlichen Ende der weltlichen Herrschaft des Papstes ankündigte. Nach Abdu'l-Bahás Hinscheiden beschleunigte sich dieser Prozeß durch das Erlöschen der Qájárendynastie in Persien, den Sturz der spanischen Monarchie, den Zusammenbruch des Sultanats und des Kalifats in der Türkei, den raschen Niedergang des schiitischen Isláms und der christlichen Missionen im Osten und das grausame Schicksal, das so viele gekrönte Häupter Europas heimsucht.

+21:20

Zum Schluß dieser Betrachtungen seien ganz besonders die Namen jener Gelehrten und hochangesehenen Männer genannt, die zu verschiedenen Zeiten während des Wirkens Abdu'l-Bahás nicht nur Ihn selbst, sondern auch den Glauben Bahá'u'lláhs würdigten. Namen wie Graf Leo Tolstoj, Prof. Arminius Vambery, Prof. Auguste Forel, Dr. David Starr Jordan, der ehrwürdige Archidiakon Wilberforce, Prof. Jowett von Balliol, Dr. T. K. Cheyne, Dr. Estlin Carpenter von der Universität Oxford, Viscount Samuel of Carmel, Lord Lamington, Sir Valentine Chirol, Rabbi Stephen Wise, Prinz Muhammad Alí von Ägypten, Shaykh Muhammad Abdu, Midhat-Páshá und Khurshíd-Páshá bezeugen durch ihre Würdigungen den großen Fortschritt, den der Glaube Bahá'u'lláhs unter der glanzvollen Führung Seines erhabenen Sohnes gemacht hat - eindrucksvolle Würdigungen, die in späteren Jahren noch unterstrichen werden sollten von den historischen, wiederholten schriftlichen Zeugnissen einer berühmten Königin, der Enkelin der Königin Victoria, die sie aus eigenem Antrieb der Nachwelt als Beleg ihrer Anerkennung der prophetischen Sendung Bahá'u'lláhs hinterließ.

+21:21

Was die Feinde betrifft, die sich emsig bemüht hatten, das Licht des Bundes Bahá'u'lláhs auszulöschen, so erlitten sie nicht minder bezeichnend ihre wohlverdiente Strafe wie diejenigen, die in einer früheren Periode niederträchtig die Zukunft eines aufsteigenden Glaubens zu zerstören und seine Grundlagen zu vernichten trachteten.

+21:22

Die Ermordung des Despoten Násiri'd-Dín Sháh und damit das Erlöschen der Qájárendynastie wurden schon erwähnt. Sultán Abdu'l-Hamíd wurde nach seiner Absetzung zum Staatsgefangenen und war verdammt, ein völlig zurückgezogenes, gedemütigtes Leben zu fristen, verachtet von den übrigen Herrschern und geschmäht von seinen Untertanen. Der blutdürstige Jamál Páshá, der beschlossen hatte, Abdu'l-Bahá zu kreuzigen und Bahá'u'lláhs heiliges Grabmal dem Erdboden gleich zu machen, mußte um sein Leben fliehen und fiel als Flüchtling im Kaukasus durch die Hand eines Armeniers, dessen Landsleute er so erbarmungslos verfolgt hatte. Der Ränkeschmied Jamálu'd-Dín Afghání, dessen schonungslose Feindseligkeit und machtvoller Einfluß dem Fortschritt des Glaubens in den nahöstlichen Ländern so sehr geschadet hatte, wurde nach einer wechselhaften Laufbahn voller Brüche von Krebs befallen und verkam, nachdem er bei einer erfolglosen Operation einen Teil seiner Zunge verloren hatte, in Elend. Die vier Mitglieder der berüchtigten Untersuchungskommission, die von Konstantinopel gesandt worden waren, um Abdu'l-Bahás Schicksal zu besiegeln, erlitten der Reihe nach ihre Demütigungen, die kaum weniger hart waren als das, was sie Ihm zugedacht hatten. 'Árif Bey, der Chef der Kommission, wurde beim Versuch, nachts heimlich vor den grimmigen Jungtürken zu fliehen, von einem Wachposten erschossen. Adham Bey konnte nach Ägypten entkommen, wurde aber unterwegs von seinem Diener seiner Habe beraubt und mußte schließlich die Bahá'í von Kairo um finanzielle Unterstützung bitten, die ihm nicht verweigert wurde. Später suchte er Hilfe bei Abdu'l-Bahá, der alsbald die Gläubigen anwies, ihm in Seinem Namen einen Geldbetrag zu schenken, was sie aber nicht ausführen konnten, weil er plötzlich verschwunden war. Von den beiden anderen Mitgliedern wurde der eine an einen abgelegenen Ort verbannt, und der andere starb bald darauf in äußerster Armut. Der berüchtigte Yahyá Bey, Polizeichef in Akká, ein williges und mächtiges Werkzeug in der Hand Mírzá Muhammad-Alís, des Erzfeinds des Bundes Bahá'u'lláhs, mußte erleben, wie all seine Hoffnungen fehlschlugen, er verlor seinen Posten und mußte am Ende Abdu'l-Bahá um finanzielle Hilfe angehen. Im Jahr des Sturzes Abdu'l-Hamíds wurden in Konstantinopel nicht weniger als einunddreißig Würdenträger des Staates, darunter Minister und andere hohe Regierungsbeamte, viele davon grimmige Feinde des Glaubens, an einem einzigen Tag gefangengenommen und zum Galgen verurteilt, eine deutliche Vergeltung für die Rolle, die sie als Stützen eines tyrannischen Regimes in dem Bestreben gespielt hatten, den Glauben und seine Institutionen auszutilgen.

+21:23

In Persien verloren außer dem Herrscher, der in der Hochflut seiner Hoffnungen und der Fülle seiner Macht so erschreckend von der Bühne gefegt wurde, eine ganze Anzahl von Prinzen, Ministern und Mujtahids, die sich wie der Ná'ibu's-Saltanih Kámrán Mírzá, der Jalálu'd-Dawlih, der Atábik-i-A'zam Mírzá Alí Asghar Khán und der »Sohn des Wolfes« Shaykh Muhammad-Taqíy-i-Najafí aktiv an der Unterdrückung der verfolgten Gemeinde beteiligt hatten, einer nach dem andern ihr Ansehen und ihren Einfluß, versanken im Dunkel, mußten alle Hoffnungen auf ihre böswilligen Ziele aufgeben, und mancher von ihnen erlebte noch, wie die Sache, die er so sehr gefürchtet und so grimmig gehaßt hatte, aufzusteigen begann.

+21:24

Wenn wir sehen, wie im Heiligen Land, in Persien und in den Vereinigten Staaten von Amerika Repräsentanten christlicher Kirchen, wie Vatralsky, Wilson, Richardson oder Easton, den kraftvollen Fortschritt des Bahá'í-Glaubens in christlichen Ländern verfolgen, ihn manchmal fürchten und zu hemmen suchen, wenn wir beobachten, wie ihr Einfluß neuerdings immer mehr dahinschwindet, ihre Macht zerfällt, in ihren Reihen Verwirrung herrscht, ihre altgedienten Missionen und Institutionen in Europa, im Orient und in Ostasien in Auflösung begriffen sind - müssen wir diesen Niedergang nicht dem feindlichen Widerstand zuschreiben, den Repräsentanten verschiedener christlicher Kirchen in der Amtszeit Abdu'l-Bahás gegen die Anhänger und Institutionen des Glaubens leisteten, der nichts weniger als die Verheißungen Jesu Christi zu erfüllen und das Reich Gottes, um das Er gebetet und das Er vorausgesagt, zu errichten behauptet?

+21:25

Und Mírzá Muhammad-Alí schließlich, der vom Augenblick der Geburt des göttlichen Bundes bis zu seinem Lebensende grimmigeren Haß als die genannten Feinde Abdu'l-Bahás gezeigt, heftiger als irgend jemand sonst gegen Ihn gewühlt und Seines Vaters Glauben schlimmer geschändet hatte als alle anderen äußeren Feinde - dieser Mensch mußte, zusammen mit der niederträchtigen Bundesbrecherbande, die er angestiftet und irregeführt hatte, in noch stärkerem Maße als Mírzá Yahyá und seine Helfershelfer erleben, wie all seine üblen Anschläge fehlschlugen, all seine Hoffnungen zunichte wurden, wie seine wahren Beweggründe ans Licht kamen, wie sein vormaliges Ansehen und sein ganzer Ruhm erloschen. Sein Bruder Mírzá Díyá'u'lláh starb vorzeitig; Mírzá Áqá Ján, den er zum Narren gehalten, folgte diesem drei Jahre später ins Grab; Mírzá Badí'u'lláh, sein Hauptkomplize, verriet seine Sache, unterschrieb und veröffentlichte ein Geständnis seiner Übeltaten, ging dann aber wieder zu ihm über, stieß jedoch auf Ablehnung wegen des schandbaren Betragens seiner Tochter. Mírzá Muhammad-Alís Halbschwester Furúghíyyih starb an Krebs, und ihr Gatte, Siyyid Alí, wurde von einem Herzschlag hinweggerafft, noch ehe seine Söhne ihm helfen konnten; der älteste von ihnen wurde später in der Blüte seiner Jahre vom selben Übel betroffen. Muhammad-Javád-i-Qazvíní, ein berüchtigter Feind des Bundes, ging elend zugrunde. Shu'á'u'lláh, der, wie Abdu'l-Bahá in Seinem Testament bezeugt, mit der Ermordung des Mittelpunkts des Bundes gerechnet hatte und der von seinem Vater in die Vereinigten Staaten geschickt worden war, um sich mit Ibráhím Khayru'lláh zu verbünden, kehrte abgeschlagen und mit leeren Händen von seiner unrühmlichen Mission zurück. Jamál-i-Burújirdí, Mírzá Muhammad-Alís fähigster Fähnrich in Persien, fiel einer ekelerregenden tödlichen Krankheit zum Opfer; Siyyid Mihdíy-i-Dahají starb, nachdem er Abdu'l-Bahá die Treue gebrochen und sich mit den Bundesbrechern zusammengetan hatte, vergessen im Elend, gefolgt von seinem Weib und seinen beiden Söhnen; Mírzá Husayn-Alíy-i-Jahrumí, Mírzá Husayn-Shírázíy-i-Khurtúmí und Hájí Muhammad-Husayn-i-Káshání, die Hauptfeinde des Bundes in Persien, Indien und Ägypten, scheiterten gänzlich mit ihren Vorhaben, während der gierige und selbstgefällige Ibráhím-i-Khayru'lláh, der zwanzig Jahre lang das Banner der Rebellion in Amerika hochhielt, der die Frechheit besaß, Abdu'l-Bahá schriftlich »Irrlehren, falsche Darstellung der Bahá'í-Lehre und Heuchelei« vorzuwerfen und Seinen Besuch in Amerika als den »Todesstoß für die Sache Gottes« zu bezeichnen, fand bald nach dieser Bezichtigung den Tod, völlig verlassen und verachtet von sämtlichen Mitgliedern der Gemeinde, deren Väter er selbst zum Glauben geführt hatte, und in dem Land, in dem sich die Beweise mehrten für den sicheren Aufstieg Abdu'l-Bahás, dessen Autorität er in seinen späteren Jahren zu untergraben entschlossen war.

+21:26

Von denjenigen, die sich offen für die Sache des Erzfeindes des Bundes Bahá'u'lláhs stark gemacht hatten oder heimlich mit ihm liebäugelten, während sie nach außen hin zu Abdu'l-Bahá hielten, bereuten einige schließlich, und es wurde ihnen vergeben; andere verloren völlig ernüchtert den Glauben ganz; einige fielen von ihm ab, und der Rest löste sich auf, so daß er am Ende, mit ein paar Angehörigen, einsam und verlassen dastand. Der Abdu'l-Bahá so dreist ins Gesicht gesagt hatte, daß er nicht sicher sein könne, Ihn zu überleben, mußte dies nun fast zwanzig Jahre - und somit Zeuge des völligen Zusammenbruchs seiner Sache werden. Er fristete diese Zeit über ein elendes Dasein in einem Haus, das einst scharenweise seine Helfershelfer beherbergt hatte, während ihm die Zivilbehörden die Schlüsselgewalt über das Grab seines Vaters aberkannten, seit er im Anschluß an den Tod Abdu'l-Bahás törichterweise einen Streit vom Zaun gebrochen hatte. Einige Jahre später mußte er dieses Haus, das er völlig verkommen ließ und das nun baufällig war, verlassen. Er wurde von einer halbseitigen Lähmung befallen und lag monatelang von Schmerzen geplagt im Bett, ehe er starb. Er wurde nach muslimischem Zeremoniell in unmittelbarer Nähe eines muslimischen Schreins begraben; sein Grab hat bis heute keinen Grabstein - eine erbarmungswürdige Erinnerung an die Hohlheit seiner Ansprüche, an die tiefe Schande, in die er gesunken war, und an die strenge Vergeltung, die seine Taten völlig verdienten.


VIERTE PERIODE
Beginn der Gestaltungszeit des Bahá'í-Glaubens : 1921-1944
Kapitel 22
Anfänge und Bau der Bahá'í-Verwaltungsordnung

+22:1

Als Abdu'l-Bahá verschied, waren vom ersten Jahrhundert der Bahá'í-Zeit, deren Beginn mit Seiner Geburt zusammenfällt, über drei Viertel verstrichen. Siebenundsiebzig Jahre zuvor war in Shíráz am Horizont das Licht des vom Báb verkündeten Glaubens angebrochen, es blitzte auf am Himmel Persiens und vertrieb das jahrhundertealte Dunkel, das sein Volk umfangen hielt. Ein ungemein gräßliches Blutbad, von Regierung, Klerus und Volk einmütig ohne Sinn für dieses Licht und blind für seinen Glanz angerichtet, hätte seinen Ruhmesglanz in seinem Geburtsland fast ausgelöscht. Zur dunkelsten Stunde im Schicksal des Glaubens wurde Bahá'u'lláh, der Gefangene in Tihrán, berufen, seine Lebenskraft neu zu entfachen, und beauftragt, seinen letztlichen Sinn und Zweck zu erfüllen. Als das Jahrzehnt zwischen der ersten Andeutung dieses Auftrags und seiner Erklärung verstrichen war, enthüllte Er in Baghdád das im keimhaften Glauben des Báb verborgene Geheimnis und brachte dessen Frucht zum Vorschein. In Adrianopel wurde die in der Bábí- und allen früheren Sendungen verheißene Botschaft an die Menschheit verkündet und ihr Anspruch an die Herrscher der Erde in Ost und West verlautbart. In den Mauern der Gefängnisfeste Akká erließ der Träger der neuen Gottesoffenbarung die Gesetze und verfaßte die Grundsätze, welche Kette und Schuß Seiner Weltordnung bilden sollten. Und vor Seinem Hinscheiden stiftete Er den Bund, der bei der Grundlegung dieser Weltordnung als Führung und Stütze dienen und ihren Erbauern die Einigkeit gewährleisten soll. Mit diesem unvergleichlichen, mächtigen Werkzeug ausgerüstet, pflanzte Abdu'l-Bahá, Sein ältester Sohn und der Mittelpunkt Seines Bundes, das Banner des väterlichen Glaubens auf den nordamerikanischen Kontinent und legte den unerschütterlichen Grund für seine Institutionen in Westeuropa, Asien und Australien. Er erläuterte in Seinen Werken, Briefen und Reden die Grundsätze des Glaubens, erklärte seine Gesetze, baute sein Lehrgebäude aus und schuf die ersten Einrichtungen seiner zukünftigen Verwaltungsordnung. In Rußland erbaute Er das erste Haus der Andacht, und am Hang des Karmel errichtete Er ein würdiges Grabmal für den Herold des Glaubens und bestattete Dessen sterblichen Überreste dort mit eigener Hand. Durch Seine Besuche in mehreren Städten Europas und auf dem nordamerikanischen Kontinent verkündete Er die Botschaft Bahá'u'lláhs den Völkern des Abendlands und mehrte das Ansehen der Sache Gottes in nie zuvor erreichtem Maße. Und schließlich erteilte Er an Seinem Lebensabend der Gemeinde, die Er selbst ins Leben gerufen, gehegt und genährt hatte, mit Seinen Sendschreiben zum göttlichen Plan Seinen Auftrag - ein Plan, der ihre Mitglieder in künftigen Jahren befähigen wird, das Licht des Glaubens zu verbreiten und sein administratives Netz über alle fünf Erdteile hinweg zu knüpfen.

+22:2

Für diesen unsterblichen, die Welt belebende Geist, der in Shíráz geboren, in Tihrán neu entzündet, in Baghdád und Adrianopel zur offenen Flamme entfacht und, nach dem Westen lodernd, nun die Umrisse von fünf Kontinenten erleuchtete - für diesen Geist war nun die Zeit gekommen, in Institutionen Gestalt anzunehmen, welche die aus ihm strömenden Energien fassen und sein Wachstum fördern sollten. Abgeschlossen war die Zeit, welche die Geburt und den Aufstieg des Glaubens erlebte. Die heldische, die Apostelzeit der Sendung Bahá'u'lláhs, diese Frühzeit, da ihre Stifter lebten, da sie ins Leben trat, da ihre größten Helden kämpften und den Kelch des Martyriums leerten, da die ersten Steine zu ihren Grundmauern gelegt wurden - eine Zeit, mit deren Glanz kein noch so strahlender Sieg heute oder in ferner Zukunft sich messen kann - war zu Ende mit dem Hinscheiden Dessen, dessen Sendung man als Bindeglied sehen kann zwischen der Zeit, da die junge Glaubenssaat keimte, und den Zeiten, die ihre Blüte und schließliche Frucht schauen werden.

+22:3

Nun setzte die Gestaltungsperiode ein, das Eiserne Zeitalter dieser Sendung, die Zeit, da die Institutionen des Glaubens Bahá'u'lláhs auf örtlicher, nationaler und internationaler Ebene Gestalt annehmen, sich entwickeln und festigen sollen. Das dritte, letzte, das Goldene Zeitalter wird dann erleben, wie eine weltumspannende Ordnung entsteht, welche die letzte Frucht der jüngsten Gottesoffenbarung für die Menschheit birgt, eine Frucht, deren Reifeprozeß eine Weltkultur schaffen und festlich das Reich des Vaters auf Erden eröffnen wird, wie von Jesus Christus verheißen.

+22:4

Auf diese Weltordnung hatte schon der Báb während Seiner Haft in den Bergfesten von Ádhirbáyján in Seinem Persischen Bayán, dem Urbuch der Bábí-Sendung, ausdrücklich hingewiesen, hatte ihr Kommen angesagt und mit dem Namen Bahá'u'lláhs verknüpft, dessen Sendung Er ankündigte. »Wohl dem«, lauten Seine bedeutsame Worte im 16. Kapitel des 3. Váhid, »der seinen Blick auf die Ordnung Bahá'u'lláhs richtet und seinem Herrn dankbar ist. Denn Er wird gewiß offenbar werden...« Diese Ordnung war gemeint, als später Bahá'u'lláh die Gesetze und Grundregeln offenbarte, die das Walten einer solchen Ordnung lenken werden, wenn Er im Kitáb-i-Aqdas, dem Urbuch Seiner Sendung, sagt: »Die Welt ist aus dem Gleichgewicht geraten durch die Schwungkraft dieser größten, dieser neuen Weltordnung. Das geregelte Leben der Menschheit ist aufgewühlt durch das Wirken dieses einzigartigen, dieses wundersamen Systems, desgleichen kein sterbliches Auge je gesehen hat.«¹ Ihre Umrisse wurden von Abdu'l-Bahá, ihrem großen Baumeister, in Seinem Testament entworfen, und nach Ihm werden heute, in der formgebenden Zeit der Bahá'í-Sendung, von Seinen Anhängern in Ost und West die Fundamente zu ihren ersten Institutionen gelegt.

¹ vgl. ÄL 70/1

+22:5

Die letzten dreiundzwanzig Jahre des ersten Bahá'í-Jahrhunderts können so als Auftakt zur Gestaltungszeit des Glaubens gelten, eine Zeit des Übergangs und zugleich der Entstehung und Festigung der Bahá'í-Verwaltungsordnung, auf der letzten Endes im Goldenen Zeitalter, das die Vollendung der Bahá'í-Sendung erleben wird, die Institutionen des künftigen Bahá'í-Weltstaatenbundes gebaut werden müssen. Das Grundgesetz, das diese Verwaltungsordnung ins Leben rief, ihre Züge umriß und sie in Gang setzte, ist Abdu'l-Bahás Testament, Sein größtes Vermächtnis an die Nachwelt, die glänzendste Ausstrahlung Seines Geistes und das mächtigste Werkzeug, um die bruchlose Folge der drei Zeitalter zu sichern, die die Sendung Seines Vaters ausmachen.

+22:6

Der Bund Bahá'u'lláhs ist allein kraft Seines Willens und Seines Zieles gestiftet. Abdu'l-Bahás Testament wiederum kann als die Frucht der mystischen Verbindung Dessen gesehen werden, der die Kräfte eines gottgegebenen Glaubens entband, mit Dem, der sein einziger Interpret wurde und als vollkommenes Vorbild anerkannt ist. Die vom Stifter des Gottesgesetzes in diesem Zeitalter ausgelöste schöpferische Energie stieß auf den Geist Dessen, der zu Seinem unfehlbaren Ausleger erwählt war, und ließ Ihn dieses Werkzeug hervorbringen, dessen unermeßlichen Folgerungen selbst unsere Generation dreiundzwanzig Jahre später noch nicht ganz zu fassen vermag. Dieses Werkzeug, richtig eingeschätzt, ist weder von Dem, der den Anstoß zu seiner Erschaffung gab, noch von Dem, der es dann erdachte, zu trennen. Wie gesagt, hatte die Absicht des Stifters der Bahá'í-Offenbarung den Geist Abdu'l-Bahás so völlig durchdrungen, Sein Geist so tief Dessen Wesen geprägt, waren beider Ziele und Beweggründe so völlig miteinander verschmolzen, daß man eine Grundwahrheit des Glaubens leugnen würde, wollte man die Lehre Bahá'u'lláhs von dem erhabenen Werk trennen, das mit der Sendung Abdu'l-Bahás verknüpft ist.

+22:7

Es sei gesagt, daß die mit diesem historischen Dokument geschaffene Verwaltungsordnung kraft ihres Ursprungs und ihrer Eigenart in der Geschichte der religiösen Systeme der Welt einzig dasteht. Man kann bestimmt sagen, daß bis vor Bahá'u'lláh von keinem Propheten, auch nicht von Muhammad, dessen Buch die Gesetze und Gebote der islámischen Sendung klar festlegt, irgend etwas maßgebend und schriftlich festgesetzt wurde, das mit der Verwaltungsordnung zu vergleichen wäre, die der befugte Ausleger der Lehren Bahá'u'lláhs schuf, einer Ordnung, die kraft der administrativen Regeln, die ihr Schöpfer formulierte, und der Institutionen, die Er schuf, sowie des Rechtes der Auslegung, das Er ihrem Hüter verlieh, den Glauben, dem sie entstammt, vor Spaltungen bewahren muß und wird, in einer Weise, wie es bei keiner früheren Religion der Fall war. Auch das ihre Wirkungsweise beherrschende Prinzip ist ganz anders als bei allen theokratischen oder sonstigen Systemen, die Menschengeist für die Lenkung menschlicher Einrichtungen ersann. Bei der Verwaltungsordnung des Glaubens Bahá'u'lláhs kann man weder von ihrer Theorie noch ihrer Praxis sagen, sie stimme mit irgendeiner Form demokratischer Regierung überein, mit irgendeinem autokratischen System, einer rein aristokratischen Ordnung oder einer der verschiedenartigen Theokratien wie die jüdische, die christliche oder die islámische, die die Menschheit in der Vergangenheit erlebte. Sie weist in ihrem Aufbau bestimmte Züge auf, die in jeder der drei bekannten Formen weltlicher Herrschaft zu finden sind, besitzt aber nicht deren eigentümliche Mängel, sondern vereinigt die heilsamen Wahrheiten, die sie alle zweifellos enthalten, ohne jedoch die göttlichen Wahrheiten in ihrer Reinheit im mindesten zu verfälschen, auf denen sie wesentlich beruht. Das erbliche Amt, das der Hüter der Verwaltungsordnung auszuüben berufen ist, und das Recht, die Heiligen Schriften auszulegen, das ihm allein verliehen ist, die Vollmachten und Vorrechte des Universalen Hauses der Gerechtigkeit, das allein befugt ist, für Angelegenheiten, die im Heiligsten Buch nicht ausdrücklich offenbart sind, Gesetze zu erlassen, die Verfügung, welche die Hausmitglieder von jeder Rechenschaft gegenüber denen, die sie vertreten, und von jeder Pflicht, mit deren Ansichten, Überzeugungen oder Gefühlen übereinzustimmen, entbindet, die besonderen Vorkehrungen, wonach die Menge der Gläubigen in freier, demokratischer Wahl die Körperschaft zu wählen hat, die das einzige gesetzgebende Organ in der weltweiten Bahá'í-Gemeinde darstellt - dies sind einige Wesenszüge, welche die mit der Offenbarung Bahá'u'lláhs verbundene Ordnung von jedem bestehenden System menschlicher Herrschaft abheben.

+22:8

Und die Feinde, die diese Verwaltungsordnung seit der Stunde ihrer Einsetzung und in den dreiundzwanzig Jahren ihres Bestehens in Ost und West, von innen und außen falsch darstellten, herabwürdigten, verunglimpften, ihr Vordringen aufzuhalten und die Reihen ihrer Anhänger zu spalten versuchten, sind mit ihren bösen Absichten gescheitert. Die Mühen eines ehrgeiziger Armeniers, der in den ersten Jahren in Ägypten die Verwaltungsordnung durch eine »Wissenschaftliche Gesellschaft« zu ersetzen suchte, die er in seiner Kurzsichtigkeit erdacht hatte und vertrat, verfehlten ihr Ziel völlig. Die Umtriebe einer verirrten Dame, die in den Vereinigten Staaten und in England mit viel Eifer nachzuweisen suchte, daß das Schöpfungsdokument der Verwaltungsordnung nicht authentisch sei, und dafür sogar die Zivilbehörden in Palästina zum gesetzlichen Einschreiten veranlassen wollte - ein Ansinnen, das zu ihrem großen Ärger schroff zurückgewiesen wurde -, diese Umtriebe blieben ebenso erfolglos wie der Abfall eines der ältesten Pioniere und Gründerväter des Glaubens in Deutschland, den diese Dame so schlimm verleitet hatte. Die Bücher, die ein unverschämter Apostat in Persien zur selben Zeit verfaßte und dreist verteilte, nicht nur um jene Ordnung zu stören, sondern auch den Glauben, der sie gebar, zu untergraben, waren ebenso fruchtlos. Was sich die Überreste der Bundesbrecher ausdachten, als der Inhalt des Testamentes Abdu'l-Bahás bekannt wurde und sie unter der Anführung Mírzá Badí'u'lláhs dem berufenen Hüter des heiligsten Schreins der Bahá'í-Welt das Wächteramt zu entreißen suchten, führte zu nichts und brachte sie in noch schlechteren Ruf. Eine Reihe von Angriffen seitens bestimmter christlicher Fundamentalisten in christlichen und nichtchristlichen Ländern mit dem Ziel, die Grundlagen dieser Ordnung umzustoßen und ihre Wesensart zu verfälschen, waren nicht imstande, die Treue ihrer Anhänger zu erschüttern oder sie von ihrem hohen Ziel abzulenken. Nicht einmal die schändlichen, heimtückischen Machenschaften eines früheren Sekretärs Abdu'l-Bahás, der nichts gelernt hat aus der Strafe, die einen früheren Sekretär Bahá'u'lláhs traf, und nichts aus dem Schicksal verschiedener anderer Sekretäre und Dolmetscher seines Meisters in Ost und West, und der noch heute versucht, die Zielsetzung der unvergänglichen Urkunde zu verfälschen und ihre wesentlichen Bestimmungen, die der Ordnung ihre Autorität verleihen, für nichtig zu erklären - nicht einmal dies vermochte den Fortschritt ihrer Institutionen auf dem ihr von ihrem Urheber bestimmten Kurs auch nur für einen Augenblick zu hemmen oder nur im geringsten die Reihen ihrer treuen, hellwachen und unerschütterlichen Anhänger zu sprengen.

+22:9

Das diese Ordnung begründende Dokument, das Grundgesetz einer zukünftigen Weltkultur, das in einigen Ausführungen als Ergänzung zu einem so gewichtigen Buch wie dem Kitáb-i-Aqdas angesehen werden kann, das von Abdu'l-Bahá eigenhändig geschrieben, unterzeichnet und gesiegelt wurde, dessen erster Teil in einer der dunkelsten Perioden Seiner Festungshaft in Akká entstand, verkündet kategorisch und unzweideutig die grundlegenden Überzeugungen der Glaubensanhänger Bahá'u'lláhs, enthüllt in unmißverständlicher Sprache den zwiefältigen Charakter der Sendung des Báb, erklärt voll und ganz die Stellung des Stifters der Bahá'í-Offenbarung und sagt, daß »alle andern nur Seine Diener sind und Seine Befehle ausführen«, betont die Bedeutung des Kitáb-i-Aqdas, verfügt die Institution des Hütertums als erbliches Amt und umreißt seine wesentlichen Aufgaben, sieht die Maßnahmen für die Wahl des Internationalen Hauses der Gerechtigkeit vor, setzt dessen Aufgabenbereich fest und legt seine Beziehungen zum Hüteramt dar, schreibt die Pflichten der Hände der Sache Gottes vor, betont ihre Verantwortung und preist die Kraft des unzerstörbaren Bundes Bahá'u'lláhs. Ferner lobt das Dokument den standhaften Mut der Anhänger des Bundes Bahá'u'lláhs und spricht von den Leiden seines ernannten Mittelpunktes, erinnert an das schändliche Betragen Mírzá Yahyás, der die Warnungen des Báb in den Wind schlug, prangert mehrmals die Treulosigkeit und Widersetzlichkeit Mírzá Muhammad-Alís und seiner Komplizen, seines Sohnes Shu'á'u'lláh und seines Bruders Mírzá Badí'u'lláh, an, bestätigt erneut ihre Verstoßung und prophezeit die Vergeblichkeit all ihrer Hoffnungen, ruft die Afnán¹, die Hände der Sache und die ganze Gemeinde der Anhänger Bahá'u'lláhs dazu auf, sich einmütig zu erheben, Seinen Glauben zu verbreiten, sich überall zu verteilen, unermüdlich zu wirken und dem heroischen Beispiel der Apostel Jesu Christi zu folgen, warnt vor den Gefahren des Umgangs mit den Bundesbrechern und gebietet, die Sache vor den Angriffen der Falschen und Heuchler zu schirmen, und es rät ihnen, durch ihren Lebenswandel die Universalität des von ihnen erwählten Glaubens darzutun und seine hohen Lehren zu verteidigen. Im selben Dokument enthüllt der Verfasser den Sinn und Zweck des schon im Kitáb-i-Aqdas festgelegten Huqúqu'lláh², verpflichtet zum treuen Gehorsam gegen alle gerechten Herrscher, gibt Seiner Sehnsucht nach dem Martyrium Ausdruck und betet für Seine Feinde, daß sie bereuen und Vergebung finden.

¹ die Angehörigen des Báb ² das Recht Gottes

+22:10

Dem Aufruf dieses gewaltigen Dokuments gehorsam, erhoben sich die Mitglieder der weitverstreuten Bahá'í-Gemeinden in Ost und West. Ihrer hohen Berufung bewußt, zu Taten gespornt durch den Schock des unerwartet plötzlichen Hinscheidens Abdu'l-Bahás, geführt von dem göttlichen Plan, den ihnen der Architekt der Bahá'í-Verwaltungsordnung anvertraute, unbeeindruckt von den Angriffen der auf ihre wachsende Kraft eifersüchtigen und gegen ihre einzigartige Bedeutung blinden Verräter und Feinde, erhoben sie sich mit klarem Blick und unerschütterlich entschlossen, die Gestaltungszeit ihres Glaubens zu eröffnen, indem sie die Fundamente dieses weltumspannenden Verwaltungssystems legten, das dazu bestimmt ist, sich zu einer Weltordnung zu entwickeln, welche die Nachwelt sicher als die Verheißung und krönende Herrlichkeit aller Sendungen der Vergangenheit begrüßen wird. Die Anhänger des Glaubens Bahá'u'lláhs begnügten sich aber nicht mit dem Aufbau und der Festigung des Verwaltungsgefüges, das die Einheit und wirkungsvolle Betreuung der sich ständig ausbreitenden Gemeinde sichern soll, sondern sie waren entschlossen, in den zwei Jahrzehnten nach dem Hinscheiden Abdu'l-Bahás durch ihre Taten die Unabhängigkeit des Glaubens zu beweisen, seine Grenzen noch weiter auszudehnen und die Zahl seiner erklärten Anhänger zu erhöhen.

+22:11

Bei diesem dreifachen, weltweiten Vorhaben muß die Rolle der amerikanischen Bahá'í-Gemeinde erwähnt werden, die der Entwicklung des Glaubens in der ganzen Welt nach dem Hinscheiden Abdu'l-Bahás bis zum Ausgang des ersten Bahá'í-Jahrhunderts einen stürmischen Impuls gab, die das Vertrauen, das Abdu'l-Bahá in ihre Mitglieder setzte, und das hohe Lob, das Er ihnen zollte, und die frohen Hoffnungen, die Er für ihre Zukunft hegte, völlig rechtfertigte. Ja, ihr Einfluß war so vorherrschend bei der Einführung wie bei der Festigung der Bahá'í-Institutionen, daß ihr Land wohl verdient, als Wiege der Verwaltungsordnung zu gelten, die Bahá'u'lláh ins Auge gefaßt und der Mittelpunktes Seines Bundes durch Sein Testament ins Dasein gerufen hat.

+22:12

Im Zusammenhang damit, daß jetzt nach dem Hinscheiden Abdu'l-Bahás die Verwaltungsordnung in aller Form eingeführt wurde, ist zu beachten, daß die ersten Schritte zur Beschreibung von Aufgabenkreis und Wirkungsweise dieser Ordnung von Ihm und schon von Bahá'u'lláh selbst in den Jahren vor Seinem Hinscheiden unternommen worden waren. Er hatte bestimmte hervorragende Gläubige in Persien zu »Händen der Sache« ernannt; Abdu'l-Bahá hatte in führenden Bahá'í-Zentren in Ost und West örtliche Räte und Beratungsämter eingerichtet; in den Vereinigten Staaten von Amerika war die Bahá'í-Tempelvereinigung gebildet worden; man schuf örtliche Fonds zur Förderung der Bahá'í-Arbeit; man erwarb Grundbesitz für den Glauben und seine künftigen Einrichtungen, gründete Verlage zur Verbreitung von Bahá'í-Literatur, errichtete den ersten Mashriqu'l-Adhkár der Bahá'í-Welt, erbaute das Grabmal des Báb auf dem Karmel und richtete Herbergen ein, um reisende Glaubenslehrer und Pilger unterzubringen - alle diese Leistungen können als Vorläufer der Institutionen betrachtet werden, die nach Abschluß der Heldenzeit des Glaubens in der ganzen Bahá'í-Welt planmäßig und auf Dauer geschaffen werden sollen.

+22:13

Sobald die Bestimmungen der göttlichen Gründungsurkunde, die die Verwaltungsordnung des Glaubens Bahá'u'lláhs im wesentlichen umreißt, Seinen Anhängern bekannt waren, fingen sie an und bauten auf den Fundamenten - dem Lebenswerk der Helden, Heiligen und Märtyrer - die erste Stufe des Gefüges ihrer Verwaltungsinstitutionen. Sie waren sich bewußt, daß sie als erstes eine breite und feste Basis schaffen mußten, auf der anschließend die Pfeiler des mächtigen Baues aufgestellt werden konnten, und sie wußten, daß auf diesen Pfeilern, wenn sie stabil verankert sind, schließlich die Kuppel als krönender Abschluß des ganzen Gebäudes ruhen werde, auch ließen sie sich in ihrem Vorhaben nicht beirren durch die Krise, die die Bundesbrüchigen im Heiligen Land heraufbeschworen hatten, die Hetze, die Aufrührer in Ägypten entfesselt hatten, die Wirren, die entstanden, als die Schiiten das Haus Bahá'u'lláhs in Baghdád besetzten, die wachsenden Gefahren, die dem Glauben in Rußland drohten, oder den abfälligen Spott, auf den die amerikanische Bahá'í-Gemeinde bei ihren ersten Aktivitäten seitens gewisser Kreise stieß, die ihre Absicht völlig mißverstanden - die Pioniere der göttlichen Ordnung übernahmen vielmehr völlig einmütig und trotz ihrer großen Gegensätze in Lebensanschauung, Sitte und Sprache die zwiefache Aufgabe, die örtlichen Räte zu bilden und zu festigen, die von der Gesamtheit der Gläubigen zu wählen sind, um die Arbeit der Mitglieder des weitverbreiteten Glaubens zu lenken, abzustimmen und zu fördern. In Persien, in den Vereinigten Staaten von Amerika, Kanada, auf den Britischen Inseln, in Frankreich, Deutschland, Österreich, Indien, Birma, Ägypten, im 'Iráq, in Russisch Turkestan, im Kaukasus, in Australien, Neuseeland, Südafrika, in der Türkei, in Syrien, Palästina, Bulgarien, Mexiko, auf den Philippinen, in Jamaika, Costa Rica, Guatemala, Honduras, San Salvador, Argentinien, Uruguay, Chile, Brasilien, Ekuador, Kolumbien, Paraguay, Peru, Alaska, Kuba, Haiti, Japan, auf den Hawaiinseln, in Tunesien, Puerto Rico, Balúchistán, Rußland, Transjordanien, im Libanon und in Abessinien - in all diesen Ländern wurden allmählich solche Räte gegründet als Basis der wachsenden Ordnung eines lange verfolgten Glaubens. Als »Geistige Räte« - die Bezeichnung soll mit der Zeit durch den endgültigen, treffenderen Titel »Häuser der Gerechtigkeit« abgelöst werden, der ihnen vom Autor der Bahá'í-Offenbarung verliehen worden ist - werden sie ohne Ausnahme in allen Städten, Ortschaften und Dörfern gebildet, wo mindestens neun erwachsene Gläubige wohnen; sie werden jedes Jahr am ersten Tag des größten Bahá'í-Festes von allen erwachsenen Gläubigen, Männern wie Frauen, direkt gewählt und besitzen eine Amtsgewalt, die sie zu Handlungen und Entscheidungen befugt, ohne sich vor ihren Wählern verantworten zu müssen; sie sind feierlich verpflichtet, unter allen Umständen den Geboten der »Größten Gerechtigkeit« zu folgen, die allein den Weg zum Reich des »Größten Friedens« weisen können, den Bahá'u'lláh verkündet hat und letztlich herbeiführen wird; sie haben die Pflicht, jederzeit das Wohl der ihnen unterstellten Gemeinden zu fördern, sie mit ihren Plänen und Arbeiten vertraut zu machen und sie aufzufordern, alle Anregungen vorzubringen, die sie zu geben wünschen; sie müssen ihre nicht weniger wichtige Aufgabe darin sehen, mit allen freisinnigen, humanitären Bewegungen zu verkehren und dadurch das Weltumspannende und den Reichtum ihres Glaubens darzutun, doch von allen sektiererischen, religiösen wie weltlichen Vereinigungen müssen sie Abstand halten; sie werden durch Ausschüsse unterstützt, die von ihnen alljährlich ernannt werden und ihnen unmittelbar verantwortlich sind, wobei jedem Ausschuß ein besonderer Zweig der Bahá'í-Arbeit zugewiesen ist, den sie zu studieren und zu behandeln haben; sie werden von örtlichen Fonds getragen, an die alle Gläubigen freiwillige Zuwendungen machen. Diese Räte, die Vertreter und Treuhänder des Glaubens Bahá'u'lláhs - es gibt ihrer heute mehrere hundert, deren Mitglieder aus den verschiedensten Rassen, Bekenntnissen und Bevölkerungsschichten stammen, aus denen die weltweite Bahá'í-Gemeinde besteht - haben durch ihre Leistungen in den letzten zwei Jahrzehnten in reichem Umfang dargetan, daß man in ihnen mit Recht die Nervenstränge der Bahá'í-Gesellschaft und die tragende Grundmauer ihres Verwaltungsgebäudes sieht.

+22:14

»Der Herr hat befohlen«, lautet Bahá'u'lláhs Gebot in Seinem Kitáb-i-Aqdas, »daß in jeder Stadt ein Haus der Gerechtigkeit errichtet werde, in dem sich Beratende in der Zahl Bahá (neun) versammeln sollen. Sollte diese Zahl überschritten werden, so schadet dies nichts... Es geziemt ihnen, die Vertrauten des Barmherzigen unter den Menschen zu sein und sich für alle Erdenbewohner als die von Gott bestimmten Hüter zu betrachten. Es ist ihre Pflicht, miteinander zu beraten, Gott zuliebe auf die Belange Seiner Diener zu achten, wie sie auf ihre eigenen Belange achten, und zu wählen, was gut und ziemlich ist.« »Diesen Geistigen Räten«, sagt Abdu'l-Bahá in einem Sendbrief an einen amerikanischen Gläubigen, »steht der Geist Gottes bei. Ihr Schirmherr ist Abdu'l-Bahá. Er breitet Seine Flügel über sie. Welche Gnade könnte größer sein?« Im selben Sendbrief erklärt Er: »Diese Geistigen Räte sind leuchtende Lampen und himmlische Gärten, aus denen die Düfte der Heiligkeit über alle Lande wehen und das Licht der Erkenntnis sich über alles Erschaffene breitet. Von ihnen strömt der Odem des Lebens nach allen Seiten. Sie sind fürwahr zu allen Zeiten und unter allen Umständen die starken Quellen des menschlichen Fortschritts.« Er stellt über jeden Zweifel klar, daß ihre Befugnis gottgegeben ist, und schreibt: »Jeder muß es für seine Pflicht halten, nicht ohne Beratung mit seinem Geistigen Rat zu handeln, und alle müssen zuversichtlich mit Herz und Seele seinem Gebot gehorchen und sich ihm unterwerfen, damit die Dinge ihre rechte Ordnung haben und wohl gefügt sind.« Ferner schreibt Er: »Wenn nach der Aussprache ein einstimmiger Beschluß gefaßt wird, schön und gut; wenn aber, was Gott verhüte, die Meinungen auseinandergehen, wird die Stimmenmehrheit entscheiden.«

+22:15

Nachdem das Gerüst ihrer örtlichen Geistigen Räte, das der Baumeister der Verwaltungsordnung des Glaubens Bahá'u'lláhs als die Grundlage für das Bauwerk zu errichten geboten hatte, stand, machten sich Seine Jünger in Ost und West unverzüglich an die nächste, schwierigere Stufe ihrer hohen Aufgabe. In den Ländern, wo die örtlichen Bahá'í-Gemeinden an Zahl und Einfluß genügend vorangekommen waren, wurden Schritte zur Bildung der Nationalen Räte unternommen, der Zentren, um die sich alle nationalen Unternehmungen drehen müssen. Von Abdu'l-Bahá in Seinem Testament als »Sekundäre Häuser der Gerechtigkeit« bezeichnet, stellen sie die Wählerschaft dar für die Bildung des Internationalen Hauses der Gerechtigkeit und haben die Befugnis, die Arbeit der einzelnen Gläubigen wie der örtlichen Räte in ihrem Amtsbereich zu leiten, zu vereinen, aufeinander abzustimmen und voranzutreiben. Auf der breiten Basis der organisierten Gemeinden ruhend, sind sie die Tragpfeiler jener Institution, die als der Gipfel der Bahá'í-Verwaltungsordnung anzusehen ist. Diese Räte werden nach dem Verhältniswahlprinzip von Abgeordneten der örtlichen Bahá'í-Gemeinden gewählt, die während des Ridván-Festes zu einer Tagung zusammentreten; sie besitzen die nötige Amtsgewalt, um die harmonische, zügige Entwicklung der Bahá'í-Arbeit in ihren Bezirken sichern zu können, und sind den Wählern gegenüber befreit von jeglicher unmittelbaren Verantwortlichkeit für ihre Amtsführung und ihre Entscheidungen; sie haben aber die heilige Pflicht, die Abgeordneten nach ihren Ansichten zu fragen, ihren Rat einzuholen, sich ihrer vertrauensvollen Zusammenarbeit zu versichern und sie mit ihren Plänen, Fragen und Vorhaben vertraut zu machen; sie werden aus den Mitteln der nationalen Fonds unterstützt, zu denen die Gläubigen allesamt beitragen sollen. Diese nationalen Körperschaften, die es in den Vereinigten Staaten (seit 1925 - der Nationale Geistige Rat löste hier die zur Zeit Abdu'l-Bahás gebildete »Bahá'í-Tempelvereinigung« ab), auf den Britischen Inseln und in Deutschland (seit 1923), in Ägypten (seit 1924), im 'Iráq (seit 1931), in Indien (seit 1923), in Persien und Australien (seit 1934) gibt und die alljährlich neu gewählt werden durch Abgeordnete, deren Zahl auf 9, 19, 95 oder 171 (neunmal 19), je nach dem, wie das einzelne Land es erforderte, festgesetzt wurde - diese nationalen Körperschaften kündigten durch ihre Entstehung den Anbruch eines neuen Abschnitts im Gestaltenden Zeitalter des Glaubens an; sie bezeichnen ein weiteres Stadium in der Entwicklung, Einigung und Festigung der sich ständig ausbreitenden Gemeinde. Die Nationalen Räte werden von nationalen Ausschüssen unterstützt, die ihnen verantwortlich sind und von ihnen ohne Ansehen der Person aus der Gesamtheit der Gläubigen ihres Amtsbereichs ausgewählt werden. Jedem dieser Ausschüsse ist ein besonderer Bereich des Bahá'í-Dienstes zugewiesen. Nachdem der Wirkungskreis der Nationalen Bahá'í-Räte sich ständig vergrößert hat, zeigten sie sich - von einem Geist tief verinnerlichter Disziplin beseelt und kompromißlos den Grundsätzen folgend, die sie über alle Vorurteile der Rasse, Nation, Klasse und Farbe erhoben hatten -, in bemerkenswerter Weise der Aufgabe gewachsen, die zunehmenden Arbeiten eines neugefestigten Glaubens zu meistern.

+22:16

Die nationalen Ausschüsse waren nicht weniger rührig und pflichtgetreu bei der Erfüllung ihrer jeweiligen Aufgaben. Die Glieder dieser mannigfaltigen Arbeitsstellen, die unter der Leitung der gewählten nationalen Vertreter der Bahá'í-Gemeinschaft arbeiten, haben genügend bewiesen, daß sie fähig sind, ihre mannigfachen, wichtigen Belange zu wahren, indem sie die Lebensinteressen des Glaubens verteidigten und seine Lehre darstellten, indem sie seine Schriften verbreiteten, seine Finanzen festigten und seinen Lehrkörper aufbauten, indem sie die Zusammengehörigkeit der einzelnen Teilgemeinden förderten, historische Stätten kauften, heilige Urkunden, Kostbarkeiten und Erinnerungsstücke aufbewahrten, Verbindung zu den verschiedenen Einrichtungen der Gesellschaft, der sie angehören, aufnahmen, indem sie ihre jugendlichen Gläubigen schulten, ihre Kinder unterwiesen und die Stellung ihrer weiblichen Mitgläubigen in den Ländern des Ostens verbesserten. Die hauptsächlich im Westen entstandenen und in den Vereinigten Staaten und in Kanada mit beispielhafter Tüchtigkeit arbeitenden nationalen Ausschüsse arbeiten jetzt mit einer Einsatzfreude und Zielsicherheit, die sich von den entkräfteten Einrichtungen einer sterbensmüden Zivilisation scharf abheben. Die bloße Aufzählung dieser nationalen Ausschüsse vermittelt schon ein Bild von dem großen Feld dieser Hilfseinrichtungen, die die werdende Verwaltungsordnung noch im zweiten Stadium ihrer Entwicklung in Gang gebracht hat: der Lehrausschuß, die regionalen Lehrausschüsse, der interamerikanische Ausschuß, der Veröffentlichungsausschuß, der Ausschuß für die Einheit der Rassen, der Jugendausschuß, der Überprüfungsausschuß, der Ausschuß zur Instandhaltung des Tempels, der Ausschuß für die Tempelveranstaltungen, der Ausschuß für Tempelführungen, der Ausschuß für die Tempelbücherei und für Verkäufe, die Ausschüsse für Jungen- und Mädchenaktivitäten, der Ausschuß für Kindererziehung, die Ausschüsse für Frauenfortschritt, Lehrtätigkeit und Programme, der Rechtsausschuß, der Archiv- und Geschichtsausschuß, der Statistikausschuß, der Ausschuß für Bahá'í-Ausstellungen, der Ausschuß für Bahá'í-Nachrichten, der Ausschuß für den Bahá'í-Nachrichtendienst, der Ausschuß für Blindenschrift, der Verbindungsausschuß, der Dienstausschuß, der Lektoratsausschuß, der Indexausschuß, der Büchereiausschuß, der Radioausschuß, der Buchhaltungsausschuß, der Ausschuß für Jahresgedenktage, der Ausschuß für die Herausgabe der »Bahá'í World«, der Ausschuß für Studienmaterial, der Ausschuß für die Welthilfssprache, das Institut des Ausschusses für Bahá'í-Erziehung, der Ausschuß für die Zeitschrift »World Order«, der Ausschuß für die öffentlichen Beziehungen der Bahá'í, der Bahá'í-Schulausschuß, die Ausschüsse für die Sommerschulen, der Ausschuß für die internationale Schule, der Ausschuß für Flugblätter, der Ausschuß für Bahá'í-Friedhöfe, der Ausschuß für das Hazíratu'l-Quds, der Ausschuß für den Mashriqu'l-Adhkár, der Ausschuß für die Entfaltung der Geistigen Räte, der nationale Geschichtsausschuß, der Ausschuß für verschiedene Materialien, der Ausschuß für freie Literatur, der Übersetzungsausschuß, der Ausschuß für die Katalogisierung der Tablets, der Ausschuß für Herausgabe der Tablets, der Ausschuß für Grundbesitz, der Schlichtungsausschuß, der Werbeausschuß, der Ausschuß Ost und West, der Wohlfahrtsausschuß, der Ausschuß für die Abschrift von Tablets, der Ausschuß für die Heiligen Stätten, der Ausschuß für die Kindersparkasse.

+22:17

So bedeutsam die Errichtung der örtlichen und nationalen Räte und die anschließende Schaffung der örtlichen und nationalen Ausschüsse an sich ist, die als notwendige Hilfsorgane für die gewählten Vertreter der Bahá'í-Gemeinden in Ost und West wirken - so war dies doch nur das Vorspiel zu einer Reihe von Unternehmungen, durch die die neugeschaffenen Nationalen Räte in hohem Maße zur Einigung der Bahá'í-Weltgemeinde und zur Festigung ihrer Verwaltungsordnung beitrugen. Der erste Schritt in dieser Richtung war die Ausarbeitung und Annahme einer nationalen Satzung der Bahá'í, die zuerst von den gewählten Vertretern der amerikanischen Bahá'í-Gemeinde 1927 entworfen und verkündet, deren Text mit geringen landesspezifischen Abweichungen ins Arabische, Deutsche und Persische übersetzt wurde und die heute die Satzung der Nationalen Geistigen Räte der Bahá'í in den Vereinigten Staaten und Kanada, auf den Britischen Inseln, in Deutschland, Persien, im 'Iráq, in Indien und Birma, in Ägypten und Sudan sowie in Australien und Neuseeland bildet. Diese nationale Satzung, die die Formulierung einer Verfassung der zukünftigen Bahá'í-Weltgemeinde ankündigt, die allen örtlichen Räten zur Beachtung vorgelegt und in den Ländern mit nationalen Räten von der gesamten Körperschaft der registrierten Gläubigen ratifiziert wurde, diese Satzung wurde ergänzt durch ein ähnliches Dokument, das die Statuten für die örtlichen Bahá'í-Räte enthält - es wurde zuerst von der New Yorker Bahá'í-Gemeinde im November 1931 entworfen und als Muster für alle örtlichen Bahá'í-Satzungen angenommen. Der Text der nationalen Satzung enthält eine Treuhandschaftserklärung, deren Artikel Wesen und Gegenstand der nationalen Bahá'í-Gemeinde klarstellen, die Ämter ihres gewählten Repräsentativorgans festlegen, seine Geschäftsstelle bezeichnen und sein Dienstsiegel beschreiben, ferner eine Reihe von Statuten, die die rechtliche Stellung, das Wahlverfahren und die Befugnisse und Aufgaben der örtlichen und nationalen Räte bestimmen, die Beziehung des Nationalen Rates zum Internationalen Haus der Gerechtigkeit, zu den örtlichen Räten und zu den einzelnen Gläubigen regeln, die Rechte und Pflichten der Nationaltagung und ihre Beziehung zum Nationalen Rat umreißen, das Wesen der Bahá'í-Wahlen klarstellen und die Anforderungen niederlegen, die in allen Bahá'í-Gemeinden an die wahlberechtigten Mitglieder gestellt werden müssen.

+22:18

Die Fassung dieser örtlichen und nationalen Satzungen, die in ihren Verfügungen in jeder Hinsicht übereinstimmen, schuf die nötige Grundlage für die amtliche Eintragung dieser Verwaltungseinrichtungen gemäß den staatlichen Vorschriften für die Überwachung religiöser oder wirtschaftlicher Körperschaften. Die Eintragung, die den Räten Rechtstatus verlieh, festigte in hohem Maße ihre Durchsetzungskraft und vergrößerte ihre Leistungsfähigkeit. In dieser Hinsicht setzten der Nationale Geistige Rat der Bahá'í in den Vereinigten Staaten und Kanada und der Geistige Rat der Bahá'í in New York mit ihren Erfolgen ein würdiges Beispiel, dem ihre Bruderräte in Ost und West nacheifern können. Die Eintragung des amerikanischen Nationalen Geistigen Rates als spendenfinanzierte Stiftung, eine rechtlich anerkannte Gesellschaftsform, setzte ihn in die Lage, Verträge abzuschließen, Grundstücke zu besitzen und Erbschaften anzutreten. Die Grundlage dazu bildet eine Bescheinigung vom Mai 1929, die das Siegel des Staatsdepartements in Washington trägt und von Staatssekretär Henry L. Stimson unterzeichnet ist. Danach führten ähnliche Maßnahmen nacheinander zur Eintragung des Nationalen Geistigen Rates der Bahá'í in Indien und Birma im Januar 1933 in Lahore in der Provinz Pandschab aufgrund des Gesetzes über die Eintragung von Gesellschaften aus dem Jahr 1860, des Nationalen Geistigen Rates der Bahá'í in Ägypten und im Sudan im Dezember 1934 laut Bescheinigung des Gemischten Gerichtshofs in Kairo, des Nationalen Geistigen Rates der Bahá'í in Australien und Neuseeland im Januar 1938, bezeugt von dem bevollmächtigten Beamten beim Hauptregisteramt für den Staat Südaustralien, und in jüngerer Zeit des Nationalen Geistigen Rates der Bahá'í auf den Britischen Inseln im August 1939 als eine unbeschränkt gemeinnützige Gesellschaft nach der Firmenakte von 1929, bescheinigt vom Assistenten beim Firmenregister der Stadt London.

+22:19

Gleichzeitig mit diesen Nationalen Räten wurde eine weit größere Zahl von örtlichen Räten der Bahá'í in ähnlicher Weise öffentlich eingetragen. Dem Beispiel, das der Rat der Bahá'í von Chicago im Februar 1932 gegeben hatte, folgten in weit auseinanderliegenden Ländern wie den Vereinigten Staaten von Amerika, Indien, Mexiko, Deutschland, Kanada, Australien, Neuseeland, Birma, Costa Rica, Balúchistán und den Hawaiinseln die Geistigen Räte der Bahá'í von Esslingen in Deutschland, Mexico City in Mexiko, San José in Costa Rica, Sydney und Adelaide in Australien, Auckland in Neuseeland, Delhi, Bombay, Karachi, Puna, Kalkutta, Sekunderabad, Bangalore, Vellore, Ahmedabad, Serampore, Andheri und Baroda in Indien, Tuetta in Balúchistán, Rangun, Mandalay und Daidanow-Kalazoo in Birma, Montreal und Vancouver in Kanada, Honolulu auf den Hawaiinseln, Chicago, New York, Washington D.C., Boston, San Francisco, Philadelphia, Kenosha, Teaneck, Racine, Detroit, Cleveland, Los Angeles, Milwaukee, Minneapolis, Cincinnati, Winnetka, Phoenix, Columbus, Lima, Portland, Jersey City, Wilmette, Peoria, Seattle, Binghamton, Helena, Richmond Highlands, Miami, Pasadena, Oakland, Indianapolis, St. Paul, Berkeley, Urbana, Springfield, Flint in den Vereinigten Staaten von Amerika - alle diese Geistigen Räte reichten bei den staatlichen Behörden ihrer Staaten oder Provinzen den fast gleichlautenden Text von örtlichen Bahá'í-Satzungen ein und konnten es allmählich durchsetzen, gesetzlich anerkannte Vereine und Körperschaften zu bilden, die unter dem Schutz der bürgerlichen Gesetze ihrer Länder stehen.

+22:20

Wie die Fassung von Bahá'í-Satzungen die Voraussetzung schuf für die Eintragung der Geistigen Räte der Bahá'í, so ebnete die Anerkennung der gewählten Vertretungen der Bahá'í-Gemeinden durch Orts- und Landesbehörden den Weg zur Errichtung nationaler und örtlicher Bahá'í-Stiftungen - ein historisches Unternehmen, das wie bei früheren bedeutsamen und weittragenden Leistungen der Fall, zuerst von der amerikanischen Bahá'í-Gemeinde in Angriff genommen wurde. Dank ihres religiösen Charakters wurden diese Stiftungen meistens von staatlichen und örtlichen Steuern befreit, nachdem die eingetragenen Bahá'í-Körperschaften bei den Verwaltungsbehörden vorstellig geworden waren. Dabei hatte dieser steuerfreie Besitz in mehr als einem Land beträchtlichen Wert.

+22:21

In den Vereinigten Staaten von Amerika belaufen sich die nationalen Stiftungen des Glaubens in ihrem Wert auf über 1,75 Millionen Dollar und wurden durch eine Reihe von Verträgen in den Jahren 1928, 1929, 1935, 1938, 1939, 1941 und 1942 vom Nationalen Geistigen Rat des Landes geschaffen, der als Treuhänder der amerikanischen Bahá'í-Gemeinde wirkt. Diese Stiftungen umfassen jetzt Grundstück und Gebäude des Mashriqu'l-Adhkár mit dem Verwalterhaus in Wilmette, Illinois, das anschließende Hazíratu'l-Quds¹ mit dem zugehörigen Verwaltungsbüro, das Gasthaus, das Vereinshaus, die Bahá'í-Halle, die Werkstätte für Kunst und Handwerk, eine Farm, eine Anzahl Wohnhäuser, mehrere Grundstücke, darunter den durch Abdu'l-Bahás Fußspuren gesegneten Grundbesitz auf Monsalvat in Green Acre im Staat Maine, das Haus Bosch - die Bahá'í -Halle, einen Obstgarten, den Redwood-Hain, eine Herberge und Farmgebäude in Geyserville in Kalifornien -, das Haus Wilhelm - Evergreen Cabin, ein Tannenwäldchen und mehrere Grundstücke mit Gebäuden in West Englewood in New Jersey, wo Abdu'l-Bahá im Juni 1912 den Bahá'í des New Yorker Stadtbezirks das denkwürdige Einigkeitsfest gab -, das durch Seinen Aufenthalt gesegnete Haus Wilson und Landbesitz in Malden in Massachusetts, das Haus Mathews und Farmgebäude in Pine Valley in Colorado, Land in Muskegon in Michigan und einen Friedhofsplatz in Portsmouth in New Hampshire.

¹ das nationale Bahá'í-Verwaltungszentrum

+22:22

Noch bedeutender ist das Vermögen, das die Glaubensgemeinschaft jetzt in ihrem Ursprungsland besitzt. Insgesamt übersteigt es den Wert der nationalen Stiftungen der amerikanischen Bahá'í-Gemeinde beträchtlich. Da jedoch die persische Bahá'í-Gemeinde ihre nationalen und örtlichen Räte nicht eintragen lassen konnte, sind die Urkunden im Besitz von Einzelpersonen. Schon während der Tätigkeitszeit Abdu'l-Bahás besaß die Gemeinde das Haus des Báb in Shíráz und das Haus der Vorfahren Bahá'u'lláhs zu Tákur in Mázindarán. Seit Seinem Hinscheiden kam ausgedehnter Grundbesitz in der Umgebung der Hauptstadt hinzu: ein Gutshof, ein Garten und Weinberg mit zusammen über dreieinhalb Millionen Quadratmetern, gelegen an den Hängen des über Bahá'u'lláhs Heimatstadt aufsteigenden Elbursgebirges und als künftiger Bauplatz für den ersten Mashriqu'l-Adhkár in Persien vorgesehen. Weitere Erwerbungen haben die Zahl der Bahá'í-Stiftungen im Land stark vermehrt, dazu gehören Bahá'u'lláhs Geburtshaus in Tihrán, mehrere Häuser neben dem Haus des Báb in Shíráz - darunter das Haus des Bruders Seiner Mutter-, das Hazíratu'l-Quds in Tihrán, der Laden, den der Báb als Kaufmann einige Jahre lang in Búshihr betrieb, ein Viertel des Dorfes Chihríq, wo Er in Haft war, das Haus Hájí Mírzá Jánís, wo Er auf dem Weg nach Tabríz rastete, das öffentliche Bad in Shíráz, das Er benützte, samt einigen Nachbarhäusern, die Hälfte des Hauses, das Vahíd in Nayríz besaß, und ein Teil des Hauses, das Hujjat in Zanján besaß, die drei Gärten, die Bahá'u'lláh in dem Flecken Badasht gepachtet hatte, Quddús' Grabstätte in Bárfurúsh, das Haus des Kalantar in Tihrán, wo Táhirih festgesetzt war, das öffentliche Bad zu Urúmíyyih in Ádhirbáyján, das der Báb besucht hatte, das Haus des Mírzá Husayn Alíy-i-Núr, wo die Überreste des Báb versteckt gewesen waren, das Bábíyyih und das Haus Mullá Husayns in Mashhad, das Wohnhaus der Brüder Sultánu'sh-Shuhadá und Mahbúbu'sh-Shuhadá¹ in Isfahán, ferner eine beträchtliche Zahl Plätze und Häuser einschließlich Grabstätten, die an die Helden und Märtyrer des Glaubens erinnern. Diese Besitztümer in Persien, die mit ganz wenigen Ausnahmen in letzter Zeit erworben wurden, wobei jährlich neue hinzukommen, werden jetzt unter der ständigen Oberaufsicht der gewählten Repräsentanten der persischen Gläubigen durch einen eigens berufenen nationalen Ausschuß liebevoll bewahrt und, wo nötig, sorgsam instandgesetzt.

¹ 'König der Märtyrer' und 'Geliebter der Märtyrer'

+22:23

Auch seien die verschiedenen ständig neu hinzukommenden nationalen Vermögenswerte erwähnt, die seit Beginn der Verwaltungsordnung des Glaubens Bahá'u'lláhs in Ländern wie Indien, Birma, den Britischen Inseln, Deutschland, 'Iráq, Ägypten, Australien, Transjordanien und Syrien erworben wurden. Darunter sind besonders das Hazíratu'l-Quds der Bahá'í im 'Iráq, das Hazíratu'l-Quds der Bahá'í in Ägypten, das Hazíratu'l-Quds der Bahá'í in Indien, das Hazíratu'l-Quds der Bahá'í in Australien, das Bahá'í-Heim in Esslingen, die Verlagsgesellschaft der Bahá'í auf den Britischen Inseln, das Haus für Bahá'í-Pilger in Baghdád und die Bahá'í-Friedhöfe in den Hauptstädten von Persien, Ägypten und Turkistán zu nennen. Dieses weitverstreute Vermögen ist zum Teil auf eingetragene Nationale Räte registriert, zum Teil wird es auch von einzelnen erklärten Gläubigen treuhänderisch verwaltet. Ob es sich um Grundstücke, Schulen, Geschäftsstellen, Sekretariate, Büchereien, Friedhöfe, Herbergen oder Verlage handelt - diese Vermögenswerte trugen dazu bei, daß die nationalen Bahá'í-Stiftungen sich in den letzten Jahren ununterbrochen ausdehnten und ihre Grundlagen festigten. Von großer Wichtigkeit, wenn auch weniger augenfällig, waren darüber hinaus die das nationale Vermögen der Gemeinde ergänzenden örtlichen Stiftungen, die durch die Eintragung der örtlichen Bahá'í-Räte in verschiedenen Ländern in Ost und West gesetzlich verankert und geschützt wurden. Vor allem in Persien haben diese Vermögenswerte, die sich aus Grundbesitz, Verwaltungsgebäuden, Schulen und anderen Anstalten zusammensetzen, den Umfang der örtlichen Stiftungen der weltweiten Bahá'í-Gemeinde stark erweitert und vergrößert.

+22:24

Indes die örtlichen und nationalen Bahá'í-Räte gebildet und eingetragen, die zugehörigen Ausschüsse geschaffen, die nationalen und örtlichen Bahá'í-Satzungen verfaßt und die Bahá'í-Stiftungen errichtet wurden, nahmen die neugegründeten Räte zugleich Unternehmungen von großer Bedeutung für diese Institutionen in Angriff, darunter ist als wichtigstes die Institution des Hazíratu'l-Quds, der Sitz des nationalen Rates der Bahá'í und Brennpunkt aller künftigen Verwaltungsarbeit zu nennen. Zunächst in Persien entstanden und heute allgemein unter ihrer offiziellen, signifikanten Bezeichnung »Heiliges Gehege« bekannt, kennzeichnet diese Institution einen beachtlichen Fortschritt in dem Entwicklungsprozeß, der mit seinen Wurzeln auf die geheimen, oft im Dunkel der Nacht stattfindenden Untergrundtreffen der verfolgten Glaubensanhänger in diesem Land zurückgeht; sie trug schon im frühen Stadium ihrer Entwicklung bei zur Stärkung der inneren Funktion der organischen Bahá'í-Gemeinde und lieferte einen weiteren sichtbaren Beweis für ihr ständiges Wachstum und ihre zunehmende Stärke. Die Institution des Hazíratu'l-Quds, dessen Zweckbestimmung diejenige des ausschließlich der Bahá'í-Andacht vorbehaltenen Mashriqu'l-Adhkárs ergänzt, wird, sobald seine Komponenten - Sekretariat, Schatzamt, Archiv, Bibliothek, Verlag, Versammlungsraum, Beratungszimmer und Pilgerherberge - zusammengefaßt von einer einzigen Stelle aus wirken, auf örtlicher wie auf nationaler Ebene immer deutlicher als der Brennpunkt aller Verwaltungsarbeit der Bahá'í erscheinen und in gebührender Weise das Ideal des Dienens versinnbildlichen, das die Bahá'í-Gemeinde sowohl ihrem Glauben als auch der ganzen Menschheit gegenüber beseelt.

+22:25

Aus dem Mashriqu'l-Adhkár, den Bahá'u'lláh im Kitáb-i-Aqdas zum Andachtshaus bestimmt hat, beziehen die Vertreter der örtlichen und nationalen Bahá'í-Gemeinden, wenn sie sich gemeinsam mit den Mitgliedern der zugeordneten Ausschüsse täglich zur Morgendämmerung dort versammeln, die nötige Inspiration, um beim Tageswerk im Hazíratu'l-Quds, dem Ort der Verwaltungsarbeit, ihre Pflichten und Aufgaben so zu erfüllen, wie es sich für die gewählten Sachwalter Seines Glaubens gehört.

+22:26

Schon wurden am Ufer des Michigansees - in der Nähe des ersten Bahá'í-Zentrums des amerikanischen Kontinents, im Schatten des ersten Mashriqu'l-Adhkárs des Westens -, in der Hauptstadt Persiens - der Wiege des Glaubens -, in der Nachbarschaft des Größten Hauses in Baghdád, in der Stadt 'Ishqábád - neben dem ersten Mashriqu'l-Adhkár der Bahá'í-Welt -, in der ägyptischen Hauptstadt - dem bedeutendsten Zentrum der arabischen und islámischen Welt -, in Delhi - Indiens Haupstadt -, und in Sydney im weit entfernten Australien die ersten Schritte getan, die schließlich dazu führen werden, daß dort die nationalen Verwaltungssitze der Bahá'í-Gemeinden dieser Länder in all ihrem Glanz und ihrer Kraft errichtet werden.

+22:27

Zudem wurden in den genannten und einigen anderen Ländern schon die ersten Maßnahmen zur Einrichtung dieser Institution auf örtlicher Ebene ergriffen, indem dafür ein Haus der ansässigen Bahá'í-Gemeinde, ob Eigentum oder gemietet, genutzt wurde. An erster Stelle sind hier die vielen Verwaltungsgebäude zu nennen, die die Gläubigen in verschiedenen Provinzen Persiens trotz ihrer Beschränkungen kaufen oder bauen konnten.

+22:28

Für die der Entwicklung der Verwaltungsordnung war der beachtliche Fortschritt, den die Einrichtung der Sommerschulen, vor allem in den Vereinigten Staaten von Amerika, erzielt hat, ebenso wichtig. Diese Sommerschulen sollen den Geist der Zusammengehörigkeit in einer eindeutigen Bahá'í-Atmosphäre pflegen, Bahá'í-Lehrern die nötige Schulung vermitteln und Gelegenheit bieten, die Geschichte und die Lehren des Glaubens zu studieren und seine Beziehung zu anderen Religionen und zur Gesellschaft insgesamt besser kennenzulernen.

+22:29

Die in drei regionalen Zentren für die drei größeren Bezirke des nordamerikanischen Kontinents geschaffenen keimhaften Bahá'í-Bildungseinrichtungen - 1927 in Geyserville in den kalifornischen Bergen, 1929 in Green Acre am Ufer des Piscataqua im Staat Maine und 1931 in Louhelen Ranch bei Davison, Michigan, zu denen in letzter Zeit noch die Internationale Schule in Pine Valley bei Colorado Springs kam, wo Bahá'í-Lehrer ausgebildet werden, die in anderen Ländern, vor allem in Lateinamerika, arbeiten wollen -, erweiterten stetig ihre Lehrpläne und setzten ein würdiges, nachahmenswertes Beispiel für andere Bahá'í-Gemeinden in Ost und West. Diese Schulen, die Bahá'í und Nicht-Bahá'í offenstehen, setzten mit ihrem intensiven Studium der Bahá'í-Schriften und der frühen Geschichte des Glaubens, mit ihren Lehrgängen über die Lehre und Geschichte des Isláms, durch Tagungen zur Förderung der Freundschaft zwischen den Rassen, durch Arbeitskurse, die die Teilnehmer mit der Wirkungsweise der Bahá'í-Verwaltungsordnung vertraut machen sollen, durch besondere Vortragsreihen über Jugend- und Kinderunterricht, durch Ausbildung im öffentlichen Vortrag, durch Vorträge über vergleichende Religionswissenschaft, durch Gesprächskreise über die vielfältigen Seiten des Glaubens, durch die Schaffung von Büchereien, durch Schulunterricht, durch Lehrgänge über Bahá'í-Ethik und über Lateinamerika, durch die Einführung von Winterschulprogrammen, durch Diskussionsabende und Andachten, durch Spiele und Aufführungen, durch Picknicks und andere Freizeitgestaltung - derart edle Beispiele, daß sich andere Bahá'í-Gemeinden in Persien, auf den Britischen Inseln, in Deutschland, Australien, Neuseeland, Indien, im 'Iráq und in Ägypten zu Maßnahmen anregen ließen, die sie in die Lage versetzen, in ähnlicher Weise Einrichtungen zu schaffen, die zu Bahá'í-Universitäten der Zukunft ausgebaut werden können.

+22:30

Von den anderen Faktoren, die zur Ausbreitung und Errichtung der Verwaltungsordnung beitragen, sei die planmäßige Arbeit der Bahá'í-Jugend erwähnt, wie sie in Persien und den Vereinigten Staaten von Amerika schon weit fortgeschritten ist und in Indien, auf den Britischen Inseln, in Deutschland, im Iráq, in Ägypten, Australien, Bulgarien, auf den Hawaiinseln, in Ungarn und in Havana in neuerer Zeit in Angriff genommen wurde. Dazu gehören jährlich weltweit stattfindende Bahá'í-Jugendtreffen, Jugendkurse auf den Bahá'í-Sommerschulen, Jugendbriefe und -zeitschriften, ein internationales Korrespondenzbüro, Registrierstellen für junge Leute, die dem Glauben beitreten wollen, die Veröffentlichung von Studientexten und Quellenmaterial über die Lehren und die Bildung einer Bahá'í-Studiengruppe als offizielle Lehrveranstaltung an einer führenden amerikanischen Universität. Auch »Studientage« in Bahá'í-Heimen und -Zentren, Unterrichtsklassen für Esperanto und andere Sprachen zählen hierzu, ferner Bahá'í-Büchereien, Lesestuben, Bahá'í-Spiele und -Theaterstücke, Redewettbewerbe, Unterricht für Waisen, Ausbildung in freier Rede, Gedenkfeiern für Persönlichkeiten aus der Bahá'í-Geschichte, regionale Tagungen von Jugendgruppen und Jugendveranstaltungen im Zusammenhang mit den Bahá'í-Jahrestagungen.

+22:31

Weitere Faktoren für die Entwicklung und Festigung dieser Bahá'í-Ordnung sind die systematische Einführung des Neunzehntagefestes, das in den meisten Bahá'í-Gemeinden in Ost und West die drei Aspekte Andacht, Verwaltung und Geselligkeit des Bahá'í-Gemeindelebens zur Geltung bringt, eine Zählung der Bahá'í-Kinder, für die vorbereitende Schritte unternommen wurden, um Arbeitskurse, Gebetbücher und Einführungsschriften für sie bereitzustellen, die Abfassung und Veröffentlichung einer Reihe maßgeblicher Verlautbarungen über den unpolitischen Charakter des Glaubens, Mitgliedschaft bei anderen religiösen Verbänden, Lehrmethoden, Bahá'í-Einstellung zum Krieg, über die Einrichtungen Jahrestagung, Geistiger Rat der Bahá'í, Neunzehntagefest und nationaler Fonds. Ferner seien die nationalen Archive genannt, die eingerichtet wurden, um die Schriften Bahá'u'lláhs und Abdu'l-Bahás sicherzustellen, zu sammeln, zu übersetzen, zu katalogisieren und sie samt den ehrwürdigen Erinnerungsstücken und historischen Dokumenten zu verwahren. So wurden Briefe des Báb, Bahá'u'lláhs und Abdu'l-Bahás, deren Originale sich im Besitz morgenländischer Gläubiger befinden, geprüft und abgeschrieben, eine ausführliche Geschichte des Glaubens von seinen Anfängen bis heute zusammengestellt, ein Internationales Bahá'í-Büro in Genf eröffnet, Bahá'í-Gebietstagungen abgehalten, historische Stätten angekauft, Bahá'í-Gedenkbüchereien eingerichtet und eine gedeihende Kindersparkasse in Persien eröffnet.

+22:32

Auch sei erwähnt, daß Vertreter dieser neuen nationalen Bahá'í-Gemeinden, offiziell eingeladen oder nicht, an den Tätigkeiten und Verhandlungen vieler Kongresse, Verbände, Tagungen und Versammlungen in verschiedenen Ländern Europas, Asiens und Amerikas teilnahmen, um religiöse Eintracht, Frieden, Bildung, internationale Zusammenarbeit, Freundschaft zwischen den Rassen und andere humanitäre Ziele zu fördern. So wurde Verbindung aufgenommen zu folgenden Organisationen: die Konferenz einiger lebender Religionen im Britischen Reich, abgehalten 1924 in London, und die Weltbruderschaft der Religionen, 1936 in derselben Stadt, die jährlich in verschiedenen europäischen Hauptstädten stattfindenden Universalen Esperantokongresse, das Institut für intellektuelle Zusammenarbeit, die Ausstellung Jahrhundert des Fortschritts in Chicago 1933, die Weltausstellungen in New York 1938 und 1939, die Internationale Ausstellung am Goldenen Tor 1939 in San Francisco, die Erste Tagung des Religionskongresses in Kalkutta, die Zweite Allindische Kulturkonferenz am selben Ort, die Tagung der Liga aller Religionen in Indore, die Arya Samaj- und die Brahmo Samajkonferenz, die der Theosophischen Gesellschaft sowie die Allasiatische Frauenkonferenz in verschiedenen Städten Indiens, der Weltjugendrat, der Orientalische Frauenkongreß in Tihrán, die Panpazifische Frauenkonferenz in Honolulu, die Konferenz der Internationalen Frauenliga für Frieden und die Völkerkonferenz in Buenos Aires in Argentinien. Mit all diesen Organisationen wurde in irgendeiner Form Fühlung aufgenommen, um das zweifache Ziel zu verfolgen, die Universalität und den Reichtum des Glaubens Bahá'u'lláhs darzulegen und ein lebendiges, dauerhaftes Band zwischen diesen Vereinigungen und den weitverzweigten Ämtern der Bahá'í-Verwaltungsordnung zu schaffen.

+22:33

Wir sollten auch nicht die Verbindungen außer acht lassen oder unterschätzen, die diese Ämter zu einigen der höchsten Regierungsstellen in Ost und West herstellten, zu den Islámführern in Persien, zum Völkerbund und selbst zu gekrönten Häuptern, um die Rechte des Bahá'í-Glaubens zu verteidigen, seine Schriften zu überreichen, die Ziele und Vorhaben seiner sich stets für die Sache seiner noch jungen Verwaltungsordnung einsetzenden Anhänger darzulegen. Zu erwähnen sind die Schreiben, die die Mitglieder des Nationalen Geistigen Rates der Bahá'í der Vereinigten Staaten und Kanadas - die Vorkämpfer dieser Ordnung - an den Hochkommissar für Palästina um Rückgabe der Schlüssel zum Grab Bahá'u'lláhs an dessen Verwalter richteten, bei vier Anlässen an den Sháh von Persien um Gerechtigkeit für ihre in seinem Reich verfolgten Glaubensbrüder, an den persischen Ministerpräsidenten in derselben Sache, an Königin Maria von Rumänien mit dem Ausdruck der Dankbarkeit für ihre historischen Verdienste um den Bahá'í-Glauben, an die Häupter des Isláms in Persien mit der Aufforderung zu religiösem Frieden und Einklang, an König Feisal vom 'Iráq um die Sicherheit des Größten Hauses in Baghdád, an die Sowjetbehörden wegen der Bahá'í-Gemeinden in Rußland, an die deutschen Behörden wegen der Einschränkungen, unter denen ihre deutschen Glaubensbrüder litten, an die ägyptische Regierung wegen der Befreiung ihrer Glaubensgenossen vom Joch der islámischen Orthodoxie, an das persische Kabinett im Zusammenhang mit der Schließung der Bahá'í-Schulen in Persien, an das State Department der Regierung der Vereinigten Staaten, den türkischen Botschafter in Washington und das türkische Kabinett in Ankara zur Verteidigung der Glaubensinteressen in der Türkei, an dasselbe State Department zwecks Überführung der sterblichen Überreste Lua Getsingers vom protestantischen Friedhof in Kairo auf den ersten Bahá'í-Friedhof in Ägypten, an den persischen Gesandten in Washington wegen der Mission von Keith Ransom-Kehler, an den König von Ägypten mit beigefügter Bahá'í-Literatur, an die Regierung der Vereinigten Staaten und die kanadische Regierung mit der Darlegung der Bahá'í-Lehren über den Weltfrieden, an den rumänischen Gesandten in Washington im Namen der amerikanischen Bahá'í anläßlich des Todes der Königin Maria von Rumänien, und an Präsident Franklin D. Roosevelt, um ihn mit den Aufrufen Bahá'u'lláhs im Kitáb-i-Aqdas an die Präsidenten der amerikanischen Republiken und mit bestimmten von Abdu'l-Bahá offenbarten Gebeten bekanntzumachen - solche Schreiben stellen an sich schon ein beachtliches, leuchtendes Kapitel in der Entfaltungsgeschichte der Bahá'í-Verwaltungsordnung dar.

+22:34

Hinzu kommen die schriftlichen und telegrafischen Eingaben vom Weltzentrum des Bahá'í-Glaubens sowie von nationalen und örtlichen Bahá'í-Räten an den Hochkommissar für Palästina mit dem Ersuchen, die Schlüssel zum Grab Bahá'u'lláhs dem früheren Verwalter auszuhändigen, die Appelle von Bahá'í-Zentren in Ost und West an die irakischen Behörden, das Haus Bahá'u'lláhs in Baghdád instandsetzen zu lassen, und im Anschluß an das Urteil des Baghdáder Berufungsgerichts in dieser Sache der prompte Appell an den britischen Kolonialminister, die Botschaften an den Völkerbund, die im Namen von Bahá'í-Gemeinden in Ost und West deren Dank zum Ausdruck brachten für die offizielle Anerkennung der von den Bahá'í vorgelegten Forderungen durch den Völkerbundsrat, ferner viele Briefe, die das Internationale Zentrum des Bahá'í-Glaubens mit Martha Root wechselte, diesem Urbild des Bahá'í-Lehrers, mit Königin Maria von Rumänien im Anschluß an die Veröffentlichung ihrer historischen Würdigung des Glaubens, und die Beileidsschreiben im Namen der weltweiten Bahá'í-Gemeinde an Königin Maria von Jugoslawien¹ anläßlich des Hinscheidens ihrer Mutter und an die Herzogin von Kent nach dem tragischen Tod ihres Gatten.

¹ In der FAZ vom 25. Mai 1991, Seite 8, steht folgende Meldung: 'Goldene Krone in Aktentasche gefunden. BELGRAD, 24. Mai (AP). Reinigungskräfte des Nationalmuseums in Belgrad haben in einer Aktentasche die längst verloren geglaubte Krone der 1961 im Londoner Exil gestorbenen jugoslawischen Königin Maria entdeckt. Wie die amtliche Nachrichtenagentur Tanjug und die Tageszeitung "Politika" jetzt meldeten, lag die Krone aus massivem Gold zusammen mit einem Tagebuch, Dokumenten und persönlichen Briefen der Königin offenbar seit Jahrzehnten unbeachtet in einem Lagerraum des Museums. Bisher war angenommen worden, daß die gebürtige Rumänin den Schmuck 1941 bei ihrer Flucht vor den anrückenden deutschen Truppen verloren hatte.'

+22:35

Besonders erwähnt seien das Gesuch, das der Nationale Geistige Rat der Bahá'í im 'Iráq nach der Beschlagnahme des Hauses Bahá'u'lláhs in Baghdád an die Mandatskommission des Völkerbundes richtete, auch die Schreiben desselben Rates an den König Ghází 1. des Iráq anläßlich des Todes seines Vaters und bei seiner Vermählung, und die Beileidsschreiben an den derzeitigen Regenten des Iráq beim plötzlichen Tod jenes Königs, die Mitteilungen des Nationalen Geistigen Rates der Bahá'í in Ägypten an den ägyptischen Ministerpräsidenten, den Innen- und den Justizminister nach dem Urteil des geistlichen islámischen Gerichts in Ägypten, die Briefe, die der Nationale Geistige Rat der Bahá'í in Persien an den Sháh und das persische Kabinett sandte, als dort die Bahá'í-Schulen geschlossen und Bahá'í-Literatur verboten wurde. Erwähnt seien auch die Schreiben des Nationalen Geistigen Rates der Bahá'í in Persien an den König von Rumänien und die königliche Familie anläßlich des Todes seiner Mutter, der Königin Maria, sowie an den türkischen Botschafter in Tihrán mit der beigeschlossenen Spende der persischen Gläubigen für die vom Erdbeben Geschädigten in der Türkei, die Begleitschreiben von Martha Root an den früheren Präsidenten von Hindenburg und an den deutschen Außenminister Dr. Stresemann, denen sie Bahá'í-Literatur übermittelte, und schließlich die sieben Petitionen Keith Ransom-Kehlers an den Sháh von Persien und ihre vielen Mitteilungen an verschiedene Minister und hohe Würdenträger des Reiches während ihres denkwürdigen Besuches in jenem Land.

+22:36

Mit diesen ersten Lebenszeichen der Bahá'í-Verwaltungsordnung und gleichzeitig mit der Herausbildung nationaler Bahá'í-Gemeinden und der Einrichtung ihrer Ämter für die Verwaltung, Erziehung und Lehrtätigkeit setzte im Heiligen Land, dem Herzen und Nervenzentrum jener Ordnung, unaufhaltsam der gewaltige Prozeß ein, den Bahá'u'lláh in jenen denkwürdigen Tagen ausgelöst hatte, als Er den Sendbrief vom Karmel offenbarte und den Ort des zukünftigen Grabmals des Báb besuchte. Beschleunigt wurde der Prozeß durch den Kauf des Geländes kurz nach dem Hinscheiden Bahá'u'lláhs, die Überführung der Überreste des Báb von Tihrán nach Akká, den Bau des Grabmals in den qualvollsten Jahren der Kerkerhaft Abdu'l-Bahás, und ihre Bestattung im Herzen des Karmel zur ewigen Ruhe, durch die Errichtung eines Pilgerhauses dicht neben dem Grabmal und die Auswahl eines Platzes für die erste Bahá'í-Erziehungsstätte auf dem Karmel.

+22:37

Im Genuß der Freiheit, die nun dem Weltzentrum des Glaubens infolge der schmählichen Niederlage des brüchigen Osmanischen Reiches im Krieg von 1914-18 zuteil wurde, konnten die durch Bahá'u'lláhs gewaltigen Plan freigesetzten Kräfte unter dem günstigen Einfluß eines wohlgesinnten Regimes ungehindert in Bahnen fließen, die der ganzen Welt die Möglichkeiten erschließen sollten, mit denen dieser göttliche Plan ausgestattet ist. Die Beisetzung Abdu'l-Bahás in einer Grabkammer des Mausoleums des Báb, was die Heiligkeit des Berges noch steigerte; die Installation einer elektischen Anlage, der ersten ihrer Art in Haifa, die das Grabmal Dessen in Flutlicht tauchte, dem in der Gefängnisfestung in Ádhirbáyján - in Seinen eigenen Worten - »selbst ein Lampe verweigert« wurde; der Anbau dreier weiterer Räume neben Seiner Grablege im Verfolg der Pläne Abdu'l-Bahás für den ersten Bauabschnitt dieses Gebäudes; die trotz Intrigen der Bundesbrecher gewaltige Ausweitung des Grundbesitzes rings um diese Ruhestätte - vom Karmelkamm bis zur Templerkolonie an seinem Fuß im Wert von mindestens vierhunderttausend Pfund - und dazu der Erwerb von vier Grundstücken für die Bahá'í-Schreine im Norden in der Ebene von Akká, im Süden im Bezirk Beersheba und im Osten im Jordantal mit zusammen etwa sechshundert Morgen; der Baubeginn einer von Abdu'l-Bahá geplanten Reihe von Freitreppen als direkter Zugang zum Schrein von der vor ihm ausgebreiteten Stadt aus; und schließlich zum Schmuck seiner Umgebung die Anlage von Gärten, die täglich geöffnet, Reisende und Einheimische zum Besuch einladen - all dies sind die ersten Anzeichen für eine wunderbare Ausweitung der internationalen Einrichtungen und Stiftungen des Glaubens an seinem Weltzentrum. Von besonderer Bedeutung war auch die Steuerfreiheit, die der Hochkommissar in Palästina für den ganzen zum Schrein des Báb gehörenden Grundbesitz, das Schulvermögen, die dortigen Archive, das Westpilgerhaus in der Nachbarschaft und historische Stätten wie das Landhaus in Bahjí, das Haus Bahá'u'lláhs in Akká und den Garten Ridván östlich der Stadt gewährte. Ferner wurden auf zwei offizielle Anträge bei den staatlichen Behörden hin die Palästina-Zweige der Nationalen Geistigen Räte von Amerika und Indien als religiöse Körperschaften in Palästina anerkannt - in der Folge wurden zur inneren Festigung Zweige anderer Nationaler Geistiger Räte aus aller Welt in ähnlicher Weise amtlich eingetragen - und dem Zweig des amerikanischen Nationalen Geistigen Rates wurden durch eine Reihe von nicht weniger als dreißig Verträgen die Besitztitel für annähernd fünfzigtausend Quadratmeter Gelände im Umkreis des Grabmals des Báb übertragen, wobei die meisten Urkunden von dem Sohn des Erzfeindes des Bundes Bahá'u'lláhs unterschrieben sind, in seiner Eigenschaft als Grundbuchregistrator in Haifa.

+22:38

Ebenso bedeutsam war die Gründung zweier internationaler Archive am Karmel, das eine neben dem Schrein des Báb, das andere in unmittelbarer Nähe zur Ruhestätte des Größten Heiligen Blattes. Zum erstenmal in der Bahá'í-Geschichte wurden hier bisher verstreute und oftmals in Verstecken aufbewahrte kostbare Schätze vereinigt, die nun von den besuchenden Pilgern dort besichtigt werden können. Zu diesen Schätzen gehören Bildnisse des Báb und Bahá'u'lláhs, persönliche Hinterlassenschaften wie Haar, Staub und Gewänder des Báb; Locken und Blut von Bahá'u'lláh und Gegenstände aus Seinem Besitz wie Federkasten, Kleider, Táje (Hüte) aus Brokat, die Kashkúl aus Seiner Sulaymáníyyih-Zeit, Taschenuhr und Qur'án, sodann Manuskripte und Briefe von unschätzbarem Wert, einige davon farbig ausgeschmückt wie ein Teil der Verborgenen Worte in Bahá'u'lláhs Handschrift, der Persische Bayán in der Handschrift Siyyid Husayns, des Sekretärs des Báb, die Originalbriefe an die Buchstaben des Lebendigen, wie sie vom Báb niedergeschrieben wurden, und das Manuskript zu Beantwortete Fragen. Die kostbare Sammlung enthält auch Stücke und Gegenstände von Abdu'l-Bahá, das blutbefleckte Gewand des Reinsten Zweiges, den Ring des Quddús, das Schwert Mullá Husayns, die Siegel des Wesirs, des Vaters Bahá'u'lláhs, die Brosche, die die Königin von Rumänien Martha Root geschenkt hatte, die Originalbriefe, die die Königin an Martha Root und andere richtete, sowie ihre rühmenden Worte über die Bahá'í-Religion, und nicht weniger als zwanzig Bände Gebete und Briefe, die von den Stiftern des Glaubens offenbart und von den Bahá'í-Räten des Orients auf ihre Echtheit geprüft und abgeschrieben wurden und die die große Sammlung ihrer veröffentlichten Schriften ergänzen.

+22:39

Als weiteres Zeugnis für die majestätische Entfaltung und fortschreitende Festigung des gewaltigen Werks, das von Bahá'u'lláh auf diesem heiligen Berg begonnen wurde, sei erwähnt, daß ein Teil des im Bereich der Schreines des Báb gelegenen Schulgeländes zur ewigen Ruhestätte für das Größte Heilige Blatt bestimmt wurde, die »inniggeliebte« Schwester Abdu'l-Bahás, das der »urewigen Wurzel entsprossene« »Blatt«, der »Duft« des »strahlenden Gewandes« Bahá'u'lláhs, von Ihm erhoben zu einem »Rang, den keine andere Frau je übertraf«, vergleichbar dem Rang jener unsterblichen Heldinnen Sarah, Ásíyih, die Jungfrau Maria, Fátimih und Táhirih, deren jede in den früheren Sendungen alle ihre Geschlechtsgenossinnen überstrahlte. Und schließlich sei als weiterer Beweis für den Segen, der dem Gottesplan entströmt, die einige Jahre später folgende Überführung der Gebeine des Reinsten Zweiges genannt - trotz Protests seitens des Bruders und Schleppenträgers des Erzabtrünnigen vom Bund Bahá'u'lláhs wurde der als Märtyrer gestorbene Sohn Bahá'u'lláhs, »geschaffen aus dem Licht Bahás«, das »Unterpfand Gottes« und Sein »Schatz« im Heiligen Land, den Sein Vater als »Lösegeld« für die Wiedergeburt der Welt und die Einigung ihrer Völker dargebracht hatte, nachdem er im Tod über ein halbes Jahrhundert von ihr getrennt war, an dieselbe geweihte Stätte überführt. Am gleichen Tag, da die Überreste des Reinsten Zweiges bestattet wurden, wurde der Leichnam Seiner Mutter, der frommen Navváb, an dieselbe Grabstätte überführt. Ihr schreckliches Leid wird, wie Abdu'l-Bahá in einem Sendbrief bezeugt, im 54. Kapitel des Buches Jesaja in seinem ganzem Ausmaß geschildert, sie, deren »Mann« nach den Worten des Propheten der »Herr der Heerscharen« ist, deren »Nachkommen die Völker beerben werden«, und die Bahá'u'lláh in einem Sendbrief dazu bestimmt hat, »ewig Seine Gefährtin in allen Seinen Welten« zu sein.

+22:40

Die Lage dieser drei eng benachbarten Grabstätten - vom Grabmal des Báb überschattet, im Herzen des Karmel, eingebettet in einen Park von auserlesener Schönheit, vor ihnen, jenseits der Bucht von Akká, die schneeweiße Stadt, die Qiblih der Bahá'í-Welt - unterstreicht, wenn wir ihre Bedeutung richtig würdigen, die geistigen Kräfte, die von diesem Ort ausgehen, der von Bahá'u'lláh selbst der Thronsitz Gottes genannt wurde. Sie bedeutet auch einen weiteren Meilenstein auf dem Weg zur Errichtung jenes ständigen Weltverwaltungszentrums des zukünftigen Bahá'í-Gemeinwesens, das untrennbar vom geistigen Zentrum des Glaubens in seiner Nähe wirken wird, in einem Land, das schon von den Anhängern dreier bedeutender Weltreligionen verehrt und heiliggehalten wird.

+22:41

Von kaum geringerer Bedeutung ist ferner die Tatsache, daß vom ersten Mashriqu'l-Adhkár des Westens der Bau hochgezogen und sein Außenschmuck vollendet wurde - die edelste der Leistungen, die die Dienste der amerikanischen Bahá'í-Gemeinde für die Sache Bahá'u'lláhs unsterblich machten. Vollendet vermittels einer wirksamen neuen Verwaltungsordnung, hat dieses Unternehmen das Ansehen der Gemeinde, die diesen Bau ermöglichte, bedeutend erhöht, ihre Kraft gefestigt und ihre Hilfseinrichtungen erweitert.

+22:42

Vor einundvierzig Jahren geplant, hatte das »Haus der Geistigkeit« der Bahá'í in Chicago - das erste Bahá'í-Zentrum der westlichen Welt - im März 1903, angeregt durch das Vorbild der Erbauer des Mashriqu'l-Adhkárs in Ishqábád, aus eigenem Antrieb ein Gesuch an Abdu'l-Bahá gerichtet, einen ähnlichen Tempel in Amerika bauen zu dürfen. In einem Schreiben vom Juni desselben Jahres hatte Er dieses Werk durch Seine Zustimmung und Sein hohes Lob gesegnet. Im November 1907 traten die Delegierten mehrerer amerikanischer Räte in Chicago zusammen, um für den Tempel einen Platz auszuwählen, und nahmen damit das Werk in Angriff. Als im März 1909 in derselben Stadt die erste amerikanische Bahá'í-Tagung abgehalten und darauf eine »Bahá'í-Tempelvereinigung« als religiöse Körperschaft eingetragen wurde, erhielt das Werk eine nationale Grundlage und wurde später ehrenvoll damit ausgezeichnet, daß Abdu'l-Bahá im Mai 1912 den Ort besuchte und die Widmungsfeier hielt. Seit jener denkwürdigen Begebenheit istt dieses Unternehmen - eine Glanzleistung der Verwaltungsordnung des Glaubens Bahá'u'lláhs im ersten Bahá'í-Jahrhundert - ständig fortgeschritten, bis schließlich diese Ordnung auf dem nordamerikanischen Kontinent fest verankert war und die amerikanische Bahá'í-Gemeinde von den Werkzeugen Gebrauch machen konnte, die sie für die wirkungsvolle Durchführung dieser Aufgabe geschmiedet hatte.

+22:43

Auf der amerikanischen Bahá'í-Tagung 1914 wurde der Kauf des Tempelgrundstücks abgeschlossen. Die Tagung von 1920 fand in New York statt. Ihr hatte Abdu'l-Bahá vorher die Aufgabe gestellt, den Plan für den Tempel auszuwählen. Aus einer Reihe von Entwürfen, die im Rahmen eines Wettbewerbs eingereicht worden waren, wählte die Tagung den Entwurf von Louis J. Bourgeois, einem französisch-kanadischen Architekten, eine Entscheidung, die später von Abdu'l-Bahá selbst gutgeheißen wurde. Im Dezember 1920 und August 1921 wurden die Bauaufträge für die neun großen, bis 120 Fuß Tiefe hinabreichenden und den Mittelbau tragenden Senkkästen sowie die Errichtung des Unterbaues vergeben. Trotz der herrschenden Wirtschaftskrise und einer in der amerikanischen Geschichte beispiellosen Arbeitslosigkeit wurde im August 1930 ein weiterer Auftrag mit vierundzwanzig Einzelverträgen für die Errichtung des Oberbaues erteilt. Bis zum 1. Mai 1931 waren die Arbeiten abgeschlossen, und an diesem Tag, dem 19. Jahrestag der Grundsteinlegung durch Abdu'l-Bahá, fand die erste Andacht in dem neuen Bau statt. Die Ausschmückung der Kuppel wurde im Juni 1932 begonnen und im Januar 1934 beendet. Die Ausschmückung des Fenstergeschosses wurde 1935 vollendet, die der Umgänge darunter im November 1938. Trotz des Ausbruchs des gegenwärtigen Krieges¹ wurde die Ausschmückung des Hauptgeschosses im April 1940 begonnen und im Juli 1942 vollendet. Die achtzehn Treppen ringsum waren bis Dezember 1942 angelegt, siebzehn Monate vor der Jahrhundertfeier des Bahá'í-Glaubens, dem Termin, der für den Abschluß der Außenarbeiten am Tempel vorgesehen war, und 40 Jahre, nachdem das Gesuch der Chicagoer Gläubigen an Abdu'l-Bahá ergangen und von Ihm genehmigt worden war.

¹ Zweiter Weltkrieg 1939-45

+22:44

Dieses einzigartige Gebäude, die erste Frucht der langsam reifenden Verwaltungsordnung, das edelste Bauwerk, das im ersten Bahá'í-Jahrhundert errichtet wurde, Sinnbild und Künder einer kommenden Weltzivilisation, liegt im Herzen des nordamerikanischen Kontinents am westlichen Ufer des Michigansees, umgeben von seinem fast sieben Morgen großen Gelände. Die Kosten von über einer Million Dollar wurden von der amerikanischen Bahá'í-Gemeinde, gelegentlich unterstützt durch freiwillige Spenden von erklärten Gläubigen aus Ost und West, von Gläubigen, die früher Christen, Muslime, Juden, Zoroastrier, Hindus oder Buddhisten gewesen waren. Anfangs ist sein Bau mit Abdu'l-Bahá verbunden, die abschließenden Bauphasen mit dem Gedächtnis an das Größte Heilige Blatt, den Reinsten Zweig und beider Mutter. Das Bauwerk selbst ist ein neuneckiges, strahlend weißes Gebäude von einzigartig origineller Form. Aus einem Kranz weißer Treppen um seine Grundmauern steigt es empor, übertragt von einer majestätischen, wohlproportionierten Kuppel, welche neun symmetrisch angeordnete, spitz zulaufende dekorative, aber auch architektonisch sinnvolle Rippen trägt, die zum Scheitel emporstreben und sich in einer himmelstrebenden Spitze vereinen. Der tragende Bau wurde in Eisenbeton erstellt; das Material der Schmuckverkleidung besteht aus einer Verbindung von kristallinem Quarz, Milchquarz und weißem Portlandzement, was einen Werkstoff ergab, der klar im Aufbau, steinhart und witterungsbeständig ist und in ein Muster gegossen werden konnte, das so zart wie Spitzen aussieht. Vom Boden des Unterbaus bis zum Scheitel der Rippen ragt er hunderteinundneunzig Fuß in die Höhe, wobei die Rippen die Halbkugelschale der Kuppel mit ihren neunundvierzig Fuß Höhe und neunzig Fuß Außendurchmesser umgreifen. Ein Drittel der Kuppeloberfläche ist durchbrochen, um das Tageslicht einzulassen und bei Nacht Licht auszustrahlen. Gestützt wird er durch fünfundvierzig Fuß hohe Pylonen, und über den neun Eingängen, von denen einer nach Akká gerichtet ist, stehen neun ausgewählte Zitate aus den Schriften Bahá'u'lláhs, während in der Mitte der Torbögen der Größte Name prangt. Der Bau ist ausschließlich der Andacht gewidmet, die keinerlei Zeremonien und Riten kennt; ein Auditorium in seinem Inneren faßt tausendsechshundert Sitzplätze, und ergänzt werden soll er durch wohltätige Einrichtungen in der Nähe, ein Waisenhaus, ein Krankenhaus, eine Armenapotheke, ein Heim für Hilfebedürftige, eine Herberge für Reisende und eine höhere Schule für Kunst und Wissenschaften. Schon lange vor seiner Errichtung rief dieser Bau in der Tagespresse, in Fachblättern und Illustrierten in den Vereinigten Staaten und anderen Ländern großes Interesse hervor und führt in wachsendem Maße, obgleich die Innenausschmückung noch nicht in Angriff genommen war, zu öffentlichem Aufsehen, was die Hoffnungen und Erwartungen Abdu'l-Bahás für dieses Werk rechtfertigt. Das Modell wurde in Kunstinstituten, Galerien, auf großen Messen und Landesausstellungen gezeigt, darunter auf der Ausstellung Jahrhundert des Fortschritts 1933 in Chicago, wo mehr als zehntausend Menschen, die durch die Halle der Religionen kamen, es täglich gesehen haben müssen; eine Nachbildung steht als ständiges Schaustück im Museum für Wissenschaft und Industrie in Chicago, durch das sich heute Besucher von fern und nah drängen - von Juni 1932 bis Oktober 1941 waren es über hundertdreißigtausend aus fast allen Ländern der Erde. So kann getrost behauptet werden, daß dieser große »stille Lehrer« des Glaubens Bahá'u'lláhs in einem Maße zur Verbreitung des Wissens um Seinen Glauben und Seine Lehren beitrug, wie nichts sonst im Rahmen seiner Verwaltungsordnung es auch nur von fern erreicht hat.

+22:45

Abdu'l-Bahá sagte voraus: »Wenn das Fundament zum Mashriqu'l-Adhkár in Amerika gelegt und dieses göttliche Gebäude vollendet ist, wird eine höchst wunderbare, erschütternde Bewegung durch die Welt des Daseins gehen... Von diesem Lichtpunkt wird der Geist des Lehrens, der die Sache Gottes verbreitet und die Lehren Gottes verkündet, in alle Länder der Welt strömen.« In den Sendschreiben vom göttlichen Plan versichert Er: »Zweifellos werden aus diesem Mashriqu'l-Adhkár Tausende weiterer Mashriqu'l-Adhkárs hervorgehen.« Ferner schreibt Er: »Er bezeichnet den Anbruch des Reiches Gottes auf Erden.« Und weiter: »Er ist das sichtbare Banner, das im Mittelpunkt jenes großen Kontinentes weht.« »Tausende von Mashriqu'l-Adhkárs«, erklärte Er, als Er den Grundstein zum Tempel legte, »... werden in Ost und West erstehen, aber als erstem Mashriqu'l-Adhkár im Westen kommt diesem hier besondere Bedeutung zu.« »Die Einrichtung dieses Mashriqu'l-Adhkárs«, äußerte Er sich ferner über den Bau, »wird ein Vorbild für die kommenden Jahrhunderte sein und die Stelle einer Mutter einnehmen.«

+22:46

Der Architekt des Tempels schreibt: »Die Bauidee stammt nicht von Menschen, denn wie Musiker, Maler und Dichter ihre Eingebung aus einer anderen Sphäre erhalten, war sich auch der Architekt dieses Tempels alle die mühevollen Jahre immer dessen bewußt, daß Bahá'u'lláh der Schöpfer dieses Bauwerks ist, das zu Seinem Ruhm erstehen soll.« Weiter schrieb er: »In dieser neuen Bauform ist symbolisch die große Bahá'í-Lehre der Einheit verwoben - die Einheit aller Religionen und der ganzen Menschheit. Es gibt Verbindungen von mathematischen Linien, die das Weltall symbolisieren; und in der Art, wie sich Kreise kompliziert durchdringen, sehen wir, wie alle Religionen zu einer einzigen zusammenfließen.« Und weiter: »Ein Kranz von Stufen, achtzehn im ganzen, soll das Bauwerk außen umgeben und zur Halle führen. Die achtzehn Stufen stehen für die achtzehn ersten Jünger des Báb, und das Tor, zu dem sie führen, symbolisiert den Báb selbst.« »Da die historischen Religionen in ihren reinen, ursprünglichen Lehren denselben Kern haben, ... verwendet der Bahá'í-Tempel einen gemischten Stil, der das Wesentliche der großen Baustile wiedergibt und zu einem Ganzen verschmilzt.«

+22:47

»Das ist die erste neue Idee in der Architektur seit dem 13. Jahrhundert«, erklärte ein hervorragender Architekt, H. van Buren Magonigle, Präsident der Architectural League, nachdem er ein Gipsmodell des Tempels gesehen hatte, das im Juni 1920 im Engineering Societies Building in New York ausgestellt war. Er fährt fort: »Der Architekt hat einen Lichttempel erdacht, bei dem die Konstruktion, wie man sie gewöhnlich versteht, unsichtbar bleibt, alle sichtbaren Stützen möglichst verschwinden und das ganze Gebilde den luftigen Baustoff eines Traumes annimmt. Es ist eine Spitzenhülle, die eine Idee in sich birgt, die Idee des Lichts, ein Dach aus Spinngeweb, das zwischen Himmel und Erde ausgespannt ist, durch und durch von Licht durchflutet - Licht, das die Formen zum Teil aufzehrt und ein Märchengebilde daraus zaubert.«

+22:48

In der bekannten Zeitschrift »Architectural Record« schrieb ein Autor: »Aus den geometrischen Formen der Schmuckverkleidung, die die Säulen umhüllt und die Fenster und Tore des Tempels einfaßt, entziffert man alle religiösen Sinnbilder der Welt. Hier erblickt man das Hakenkreuz, den Kreis, das Kreuz, das Dreieck, das doppelte Dreieck oder den sechsstrahligen Stern, das Siegel Salomons, aber noch mehr als das, das edle Sinnbild der geistigen Welt ... den fünfstrahligen Stern, das griechische Kreuz, das lateinische Kreuz, und, über allem erhaben, den wundervollen neunstrahligen Stern, der der Anlage des Tempels selbst ihre Form gibt und in der Schmuckverkleidung immer wiederkehrt, als Zeichen geistiger Herrlichkeit in der heutigen Welt.«

+22:49

George Grey Barnard, einer der bekanntesten Bildhauer in den Vereinigten Staaten von Amerika, bekennt: »... die größte Schöpfung seit der Gotik und die schönste, die ich je sah«.

+22:50

Professor Luigi Quaglino, früher Professor der Architektur in Turin, erklärte, nachdem er das Modell gesehen hatte: »Dies ist eine Neuschöpfung, die die Architektur der Welt revolutionieren wird; sie ist das Schönste, was ich je gesehen habe. Sie wird zweifellos einen dauernden Platz in der Geschichte einnehmen. Sie ist eine Offenbarung aus einer anderen Welt.«

+22:51

Sherwin Cody schrieb im Magazinteil der New York Times über das in der Kevorkian-Galerie in New York ausgestellte Modell des Tempels: »Die Amerikaner müssen so lange davor verweilen, bis sie entdecken, daß ein Künstler die Idee eines religiösen Völkerbundes in dieses Bauwerk hineingelegt hat.« Und schließlich würdigte Dr. Rexford Newcomb, der Dekan am College der Schönen und Angewandten Künste an der Universität Illinois, die Grundzüge des Tempels und die in ihm verkörperten Ideale dieses heiligsten Hauses der Andacht in der Bahá'í-Welt der Gegenwart und der Zukunft: »Dieser 'Lichttempel' öffnet auf dem Gebiet menschlicher Erfahrung neue, große Tore, die Männer und Frauen aller Rassen und Länder, jeder Religion und Glaubensrichtung, jeder Lebenslage, ob Freier oder Knecht, einladen, hier einzutreten und die brüderliche Nähe zu finden, ohne die die moderne Welt kaum mehr einen wesentlichen Fortschritt machen kann... Die Kuppel läuft in einer Spitze aus und strebt, glaubensgewiß wie die hochaufragenden Linien der mittelalterlichen Kathedralen, nach Höherem und Besserem. Nicht nur durch ihre sinnbildliche Bedeutung, sondern auch durch die saubere Baugestaltung und die schiere Anmut ihrer Form erreicht sie eine Schönheit, der kein anderer Dombau gleichkommt seit Michelangelo die Kuppel der Peterskirche in Rom geschaffen hat.«

Kapitel 23
Angriffe auf Bahá'í-Institutionen

+23:1

Wie die Geschichte ihrer Entfaltung genügend beweist, blieben die entstehenden und sich festigenden Institutionen der Verwaltungsordnung der Religion Bahá'u'lláhs nicht von den Angriffen und Verfolgungen verschont, denen der Glaube selbst, der diese Ordnung hervorgebracht, über siebzig Jahre lang ausgesetzt war und unter denen er heute noch zu leiden hat. Der Auftritt einer fest gefügten Gemeinschaft, die den Anspruch einer Weltreligion verkündet, ihre Verzweigungen über fünf Kontinente ausbreitet, eine große Vielfalt von Rassen, Sprachen, Klassen und religiösen Überlieferungen vertritt, über eine Literatur verfügt, die sie in der ganzen Welt verteilt, die ihre Lehre in vielen Sprachen verbreitet und mit einer klaren Vision vor Augen furchtlos, wachsam und entschlossen ihren Zielen auch unter größten Opfern zustrebt, die organisch verwachsen ist durch das Räderwerk einer von Gott eingesetzten Verwaltungsordnung, in keiner Weise sektenhaft, völlig apolitisch, ihren bürgerlichen Pflichten gehorsam, aber übernational in ihrem Charakter, beharrlich in ihrer Treue gegenüber Gesetz und Ordnung, die ihr Gemeindeleben regeln - der Aufstieg einer solchen Gemeinde in einer Welt, die in Vorurteilen verstrickt ist, falsche Götter anbetet, von innerem Zwist zerrissen ist und blind an veralteten Lehren und verschrobenen Maßstäben hängt, mußte früher oder später zu Krisen führen, Krisen, die zwar nicht so augenfällig waren, aber nicht weniger schwer wogen, wie die Verfolgungen, die in früherer Zeit um die Stifter jener Gemeinde und ihre ersten Jünger getobt hatten. Innere Feinde, die gegen gottgegebene Amtsgewalt aufstanden oder ihren Glauben ganz verleugneten, und äußere Feinde aus politischen und kirchlichen Kreisen griffen sie an, und die junge Ordnung, die hinter dieser Gemeinschaft steht, bekam von Anfang an und auch später noch in jeder Phase ihrer Entwicklung den Anprall der Kräfte zu spüren, die vergebens versuchten, ihr knospendes Leben zu ersticken oder ihr Ziel zu verdunkeln.

+23:2

Auf diese Angriffe, die an Umfang und Wucht noch zunehmen und einen Aufruhr hervorrufen werden, der in der ganzen Welt widerhallen wird, hatte schon Abdu'l-Bahá hingewiesen, damals, als Er in Seinem Testament die Umrisse der göttlichen Ordnung skizzierte: »Binnen kurzem wird aus nah und fern das Toben der Menge durch Afrika und Amerika, der Schrei des Europäers und des Türken, das Stöhnen Indiens und Chinas zu hören sein. Sie werden allesamt mit aller Kraft aufstehen, um Seiner Sache zu trotzen. Dann werden die Ritter des Herrn ..., verstärkt durch die Legionen des Bundes, antreten und die Wahrheit des Verses offenbaren: 'Siehe die Verwirrung, die die Stämme der Geschlagenen befallen hat!'«

+23:3

Schon wurden in mehr als einem Land die Treuhänder und gewählten Repräsentanten dieser unzerstörbaren, weltumfassenden Ordnung von staatlichen Behörden oder kirchlichen Gerichten aus Unkenntnis ihres Anspruchs oder Feindschaft gegen ihre Prinzipien und Angst vor ihrem wachsenden Einfluß aufgefordert, diese Ordnung zu rechtfertigen oder ihre Mitgliedschaft aufzugeben und ihren Wirkungskreis einzuschränken. Schon streckten sich, Gottes rächenden Zorn nicht bedenkend, gierige Hände nach ihren Heiligtümern und Häusern. Schon wurden in einigen Ländern ihre Verteidiger und Vorkämpfer zu Ketzern erklärt, als Umstürzler von Gesetz und Ordnung gebrandmarkt, Schwärmer gescholten, vaterlandslos und säumig in ihren bürgerlichen Aufgaben und Pflichten, - oder zuweilen gar gezwungen, ihre Tätigkeit einzustellen und ihre Institutionen aufzulösen.

+23:4

Im Heiligen Land, dem Weltzentrum dieses Gefüges, wo sein Herz schlägt, wo der Staub seiner Stifter ruht, wo alle Prozesse beginnen, die seine Ziele enthüllen, seine Lebenskraft beflügeln und sein Schicksal formen, hier fiel, gleich zu Beginn, der erste Schlag, nur um hoch und niedrig zu verkünden, auf welch festem Grund es errichtet ist. Die Bundesbrüchigen, deren es nur noch eine Handvoll gab, wurden von Mírzá Muhammad-Alí, dem Erzrebellen, der nach Abdu'l-Bahás unerwartetem Heimgang neue Hoffnung schöpfte, aufgehetzt und und rissen, von dem dreisten Mírzá Badí'u'lláh angeführt, den Schlüssel zum Grab Bahá'u'lláhs gewaltsam an sich, vertrieben den Verwalter, den hochherzigen Abu'l-Qásim-i-Khurásání, und verlangten, daß ihr Rädelsführer von den Behörden als der rechtmäßige Hüter des Schreins anerkannt würde. Von dem schmählichen Mißerfolg, den sie erlitten, als die palästinensischen Behörden nach langen Untersuchungen den britischen Offizier in Akká anwiesen, die Schlüssel dem alten Verwalter wieder auszuhändigen, keines Besseren belehrt, griffen sie zu anderen Methoden, um Keile zwischen die schwer getroffenen, aber entschlossenen Jünger Abdu'l-Bahás zu treiben und schließlich doch die Grundlagen der Institutionen zu unterhöhlen, an deren Bau Seine Anhänger wirkten. Böswillig entstellten sie die Leitideen der Erbauer der Bahá'í-Verwaltungsordnung, betrieben eine zersetzende Korrespondenz - wenn auch nicht mehr im ursprünglichen Umfang - mit Leuten, deren Treue sie zu erschüttern hofften, verdrehten beim Verkehr mit Behörden und führenden Persönlichkeiten, bei denen sie vorgelassen wurden, absichtlich die Wahrheit und versuchten durch Bestechung und Einschüchterungsversuche einen Teil der Wohnung Bahá'u'lláhs an sich zu bringen, zu verhindern, daß die Bahá'í-Gemeinde bestimmte Grundstücke nahe dem Grab des Báb erwarb, und den Plan zu vereiteln, einige dieser Grundstücke durch Überschreibung der Besitzurkunden auf eingetragene Bahá'í-Räte rechtlich zu sichern; so wühlten sie mehrere Jahre lang mit gewissen Unterbrechungen, bis schließlich der Tod des Erzbundesbrechers dem ein Ende machte.

+23:5

Die Räumung des Landhauses Bahá'u'lláhs durch die Bundesbrecher, die es seit Seinem Hinscheiden unangefochten in Besitz hatten und durch grobe Vernachlässigung hoffnungslos hatten verfallen lassen, seine anschließende Wiederherrichtung, womit sich ein langgehegter Wunsch Abdu'l-Bahás erfüllte, seine Versorgung mit elektrischem Licht, wofür ein amerikanischer Gläubiger die Anlage schuf, die neue Einrichtung der Zimmer, nachdem die alten Besetzer alle kostbaren Erinnerungsstücke bis auf einen Leuchter im Sterbezimmer Bahá'u'lláhs ausgeräumt hatten, die neue Sammlung in seinen Wänden von historischen Bahá'í-Dokumenten, Erinnerungsstücken und über fünftausend Bänden Bahá'í-Literatur in vierzig Sprachen, die Befreiung des Hauses wie auch schon anderer Bahá'í-Einrichtungen und -Grundstücken in Akká und auf dem Karmel von der Steuer und schließlich seine Umwandlung von einem Wohnhaus in eine besuchte Pilgerstätte für Bahá'í und Nicht-Bahá'í ließ die Hoffnungen all derer, die immer noch verzweifelt das Licht des Bundes Bahá'u'lláhs auszulöschen trachteten, zerstieben. Und als das Gelände um die Ruhestätte des Báb auf dem Karmel gekauft und die Besitztitel einiger dieser Grundstücke auf den gesetzlich etablierten Palästina-Zweig des Nationalen Geistigen Rates der amerikanischen Bahá'í eingetragen werden konnten, führte dies den Feinden ebenso wie der Tod dessen, der die ganze Wirkenszeit Abdu'l-Bahás hindurch Hauptursache für alles Unheil gewesen, vor Augen, wie vergeblich ihr Mühen, wie hoffnungslos ihre Sache war.

+23:6

Ernster und erschütternder war um dieselbe Zeit, als die Bundesbrecher die Schlüssel zu Bahá'u'lláhs Grabkammer raubten, die rechtswidrige Beschlagnahme eines anderen Bahá'í-Heiligtums durch die Schiiten im Iráq: des Hauses, das Bahá'u'lláh fast die ganze Zeit Seines Exils in Baghdád bewohnt hatte, das von Ihm gekauft und später zum Pilgerzentrum bestimmt worden und seit Seiner Abreise unangefochten im Besitz Seiner Anhänger war. Die Krise zeichnete sich ab, als etwa ein Jahr vor Abdu'l-Bahás Heimgang nach einem Wechsel der Staatsgewalt im 'Iráq auf Seine Anweisung hin der Wiederaufbau des Hauses in Angriff genommen wurde und zunehmend öffentliches Aufsehen erregte. Der Fall beschäftigte nacheinander mehrere Gerichtshöfe, zuerst das örtliche schiitische Ja'faríyyih-Gericht in Baghdád, dann das Friedensgericht, dann das Gericht Erster Instanz, anschließend das irakischen Berufungsgericht und schließlich den Völkerbund, die höchste internationalen Körperschaft, die es bislang gab und die die Aufsichts- und Kontrollgewalt über alle Mandatsgebiete hatte. Obgleich der Fall aus mancherlei religiösen und politischen Gründen noch immer nicht gelöst ist, hat sich Bahá'u'lláhs Voraussage bereits erfüllt, und das hehre Schicksal, das Er in Seinen Schriften diesem Haus zugewiesen, wird sich zur festgesetzten Zeit erfüllen, sobald die Vorsehung eine Lösung ermöglicht. Lange bevor es von fanatischen Gegnern ohne jegliche Berechtigung in Besitz genommen wurde, hatte Er prophezeit: »Es wird in künftigen Tagen so erniedrigt werden, daß jedem Einsichtigen die Tränen kommen.«

+23:7

Vom Berufungsgericht, das ein Urteil des niedrigeren Gerichts per widrigen Mehrheitsbeschluß aufhob, wurde dem Geistigen Rat der Bahá'í in Baghdád das Nutzungsrecht an der heiligen Stätte genommen und die Liegenschaft den Schiiten zugesprochen, die sofort nach Vollstreckung des Urteils das Gebäude, um ihren Gewinn zu sichern, in Waqfbesitz, eine fromme Stiftung, umwandelten und »Husayníyyih« nannten; der Geistige Rat mußte erkennen, daß die dreijährigen Verhandlungen, die er mit den staatlichen Behörden in Baghdád geführt hatte, um das erlittene Unrecht wieder aufzuheben, umsonst waren. In ihrer Eigenschaft als nationale Vertreter der Bahá'í des 'Iráq wandten sie sich daher, gestützt auf Artikel 22 des Völkerbundspaktes, am 11. September 1928 über den Hochkommissar für den Iráq an die Ständige Mandatskommission des Völkerbundes, der die Verwaltung aller Mandatsgebiete obliegt, und reichten ein Gesuch ein, das von dieser Körperschaft entgegengenommen und im November 1928 gebilligt wurde. Die Mandatarmacht legte der Kommission in Verbindung mit diesem Gesuch eine Denkschrift vor, in der eindeutig festgestellt wird, daß die Schiiten »kein begründetes Anrecht« auf das Haus hätten, daß das Urteil der Ja'faríyyih-Kammer »offensichtlich falsch«, »ungerecht« und »ohne Zweifel durch religiöse Vorurteile begründet« sei, daß die anschließende Ausweisung der Bahá'í »gesetzwidrig« gewesen sei, die Behörden sich «höchst regelwidrig« verhalten hätten und das Urteil des Berufungsgerichts den Verdacht nahelege, daß es nicht »unbeeinflußt von politischen Rücksichten« zustandegekommen sei.

+23:8

Der von der Ständigen Mandatskommission dem Völkerbundsrat vorgelegte Bericht, der durch den 14. Sitzungsbericht der Kommission in Genf vom Herbst 1928 herausgegeben, ins Arabische übersetzt und im 'Iráq veröffentlicht wurde, stellt fest: »Die Kommission weist den Rat auf die Überlegungen und Folgerungen hin, die sich aus der Prüfung des Gesuches ergeben... Sie empfiehlt dem Rat, die britische Regierung zu ersuchen, bei der irakischen Regierung vorstellig zu werden, um die Rechtsbeugung, unter der die Antragsteller litten, unverzüglich zu beseitigen.«

+23:9

Der akkreditierte, an den Sitzungen der Kommission teilnehmende britische Vertreter stellte fest: »Die Mandatarmacht erkennt, daß den Bahá'í Unrecht geschehen ist.« Und im Lauf der Sitzung kam auch zur Sprache, daß das Vorgehen der Schiiten einen Bruch der irakischen Verfassung und des Landesrechts darstellte. Ferner erklärte der finnische Vertreter in seinem Bericht an den Rat, daß diese »Ungerechtigkeit nur religiösem Fanatismus zuzuschreiben« sei, und verlangte, »das den Antragstellern zugefügte Unrecht wieder gutzumachen«.

+23:10

Nachdem der Völkerbundsrat diesen Bericht samt zugehörigen Stellungnahmen und Entschließungen der Kommission beraten hatte, verabschiedete er am 4. März 1929 einmütig eine Resolution - die auch gleich übersetzt und in der Baghdáder Presse veröffentlicht wurde -, mit der die Mandatarmacht angewiesen wurde, »bei der Regierung des Iráq um sofortige Wiedergutmachung des Unrechts, das die Antragsteller erlitten, vorstellig zu werden«. Dementsprechend wies er den Generalsekretär an, der Mandatarmacht sowie den betreffenden Antragstellern die Beschlüsse der Kommission mitzuteilen. Diese Anweisung wurde der irakischen Regierung durch den Hochkommissar der britischen Regierung ordnungsgemäß übermittelt.

+23:11

Ein Brief vom 12. Januar 1931 im Auftrag des britischen Außenministers Arthur Henderson an das Sekretariat des Völkerbundes stellt fest, daß die Beschlüsse des Rats »seitens der Regierung des Iráq sorgfältigste Beachtung gefunden« hätten. Die Regierung hätte »schließlich beschlossen, einen Sonderausschuß ... zu bilden, ... um bezüglich bestimmter Häuser in Baghdád die Ansichten der Bahá'í-Gemeinde in Betracht zu ziehen und Empfehlungen für eine gerechte Beilegung dieser Frage zu geben«. Der Brief führt weiter aus, daß der Ausschuß seinen Bericht im August 1930 vorgelegt, die Regierung ihn gebilligt, die Bahá'í-Gemeinde seine Empfehlungen »grundsätzlich angenommen«, und daß die Behörden in Baghdád die Anweisung gegeben haben, »ins einzelne gehende Pläne und Voranschläge anzufertigen, um diese Empfehlungen während des kommenden Finanzjahres in Kraft treten zu lassen«.

+23:12

Es erübrigt sich, bei der anschließenden Geschichte dieses schwierigen Falles zu verweilen, bei den langwierigen Verhandlungen und damit verknüpften Verzögerungen und Problemen, bei den »mehr als hundert« Beratungen, an denen der König, seine Minister und Ratgeber beteiligt waren, bei den Bekundungen von »Bedauern«, »Befremden« und »Besorgnis«, die bei den aufeinanderfolgenden Sitzungen der Mandatskommission in Genf 1929, 1930, 1931, 1932 und 1933 zu Protokoll genommen wurden, wo die Kommissionsmitglieder »den Geist der Intoleranz« der schiitischen Gemeinde, die »Parteilichkeit« der irakischen Gerichte, die »Schwäche« der Zivilbehörden und den »religiösen Fanatismus als Ursache dieses Unrechts« verurteilten und den Antragstellern eine »äußerst versöhnliche Einstellung« bestätigten, »Zweifel« an der Angemessenheit der Vorschläge äußerten und den »Ernst« der Lage anerkannten: daß den Bahá'í ihr Recht »flagrant verweigert« werde und die irakische Regierung die »moralische Schuld« daran trüge, eine Schuld, deren Einlösung unabhängig vom Wandel in ihrer Rechtsstellung als Nation ihre unumgängliche Pflicht sei.

+23:13

Es ist auch nicht nötig, sich über die unseligen Folgen des frühen Todes des britischen Hochkommissars und des irakischen Ministerpräsidenten aufzuhalten, über die Zulassung des Iráq zum Völkerbund und das nachfolgende Ende des Mandats Großbritanniens, über den tragischen, unerwarteten Tod des Königs, über die Schwierigkeiten, die sich aus dem Stadtentwicklungsplan ergaben, über die schriftliche Zusicherung des geschäftsführenden Ministerpräsidenten in seinem Brief vom Januar 1932 an den Hochkommissar, über die Zusage des Königs vor seinem Tod im Februar 1933 in Anwesenheit des Außenministers, daß das Haus ausgelöst und die erforderliche Summe im Frühling des folgenden Jahres bereitgestellt werde, über die kategorische Erklärung des Außenministers, daß der Ministerpräsident die notwendigen Zusicherungen gemacht hätte, das Versprechen des geschäftsführenden Ministerpräsidenten einzulösen, oder über die festen Zusagen desselben Außenministers und seines Kollegen, des Finanzministers, als sie ihr Land bei den Sitzungen der Völkerbundversammlung in Genf vertraten, daß das Versprechen ihres verstorbenen Königs voll eingelöst würde.

+23:14

Es genüge die Feststellung, daß trotz endloser Verzögerungen, Proteste und Ausflüchte, trotz des offenkundigen Versagens der zuständigen Behörden, die den Empfehlungen des Völkerbundsrates und der Ständigen Mandatskommission nicht nachkamen -, daß dieser denkwürdige Rechtsstreit und die Verteidigung der Sache des Glaubens, der Sache der Wahrheit und Gerechtigkeit durch den höchsten Gerichtshof der Welt die Freunde des Glaubens staunen machte und seine Feinde in Bestürzung versetzte. Seit Anbruch des Gestaltenden Zeitalters des Glaubens Bahá'u'lláhs haben nur wenige Vorgänge, wenn überhaupt, einen solchen Widerhall an höheren Stellen gefunden wie ihn dieser gewalttätige, ungerechtfertigte Übergriff der alten Feinde gegen eine der heiligsten Glaubensstätten bei Regierungen und Kanzleien hervorrief.

+23:15

»Gräme dich nicht, o Haus Gottes«, schrieb Bahá'u'lláh bezeichnend, »wenn der Schleier deiner Heiligkeit von den Ungläubigen zerrissen wird. Gott hat dich in der Welt der Schöpfung mit dem Kleinod Seines Gedenkens geschmückt. Solchen Schmuck kann kein Mensch jemals entweihen. Auf dich werden die Augen deines Herrn unter allen Umständen gerichtet bleiben.«¹ An anderer Stelle prophezeit Er über dieses Haus: »Wenn die Zeit erfüllt ist, wird der Herr dieses Haus durch die Macht der Wahrheit vor den Augen aller Menschen erhöhen. Er wird es zum Richtmaß Seines Reiches machen, zum Schrein, den die Scharen der Gläubigen umschreiten«.²

¹ vgl. ÄL 57/7 ² ÄL 58/2

+23:16

Dem dreisten Anschlag, mit dem die Verletzer des Bundes Bahá'u'lláhs das Wächteramt an Seinem heiligen Grab an sich zu bringen versuchten, und der willkürlichen Beschlagnahme Seines heiligen Hauses in Baghdád durch die irakische Schiitengemeinde folgte ein paar Jahre später ein weiterer heftiger Angriff durch einen noch mächtigeren Gegner, der sich gegen das Gefüge der Verwaltungsordnung, wie es in zwei schon seit langem blühenden Bahá'í-Gemeinden im Osten bestand, richtete und faktisch in der Zerschlagung dieser Gemeinden und der Beschlagnahme des ersten Mashriqu'l-Adhkárs der Bahá'í-Welt und etlicher zugeordneter Einrichtungen gipfelte, die es um dieses Gebäude schon gab.

+23:17

Der Mut dieser Gemeinden, der Eifer und die geistige Lebendigkeit, die sie an den Tag legten, ihre wohl organisierten Verwaltungseinrichtungen, ihre Vorkehrungen zur religiösen Unterweisung und Schulung ihrer Jugend, ihr Gewinn einer Anzahl weltoffener, von glaubensverwandten Ideen erfüllter russischer Bürger für den Glauben, die zunehmende Beachtung ihrer Prinzipien, die die Religion, die Heiligkeit des Familienlebens und die Einrichtung des Privateigentums betonen, ihre Ablehnung aller Klassenunterschiede, die Lehre von der völligen Gleichberechtigung der Menschen - all dies weckte den Argwohn der herrschenden Staatsgewalt, rief später ihre grimmige Feindschaft hervor und führte zu einer der schwersten Krisen in der Geschichte des ersten Bahá'í-Jahrhunderts.

+23:18

Als die Krise fortschreitend auch die entferntesten Zentren in Turkestan und im Kaukasus in Mitleidenschaft zog, führte dies allmählich zu Beschränkungen: Die Freiheit der Gemeinden wurde beschnitten, ihre gewählten Vertreter verhört und verhaftet, ihre örtlichen Räte mit den zugehörigen Ausschüssen in Moskau, Ishqábád, Baku und anderen Städten des Landes aufgelöst und alle Bahá'í-Jugendarbeit eingestellt. Selbst die Bahá'í-Schulen, Kindergärten, Büchereien und öffentlichen Leseräume wurden geschlossen, jeder Verkehr mit ausländischen Bahá'í-Zentren unterbunden, Bahá'í-Druckereien, Bücher und Urkunden beschlagnahmt, die gesamte Lehrtätigkeit verboten, die Bahá'í-Satzung für nichtig erklärt, alle nationalen und örtlichen Fonds abgeschafft und die Teilnahme von Nicht-Bahá'í an Bahá'í-Versammlungen verboten.

+23:19

Mitte 1928 wurde das Gesetz über die Enteignung religiöser Gebäude auf den Mashriqu'l-Adhkár in 'Ishqábád angewandt. Aber das Haus wurde unter einem fünfjährigen Mietvertrag, der 1933 von den Ortsbehörden um den gleichen Zeitraum verlängert wurde, weiter als Gotteshaus benützt. 1938 verschlechterte sich die Lage in Turkestan und im Kaukasus rasch: Über fünfhundert Gläubige, Männern und Frauen, wurden eingekerkert, viele von ihnen starben, ihr Besitz wurde beschlagnahmt. Dann wurden mehrere prominente Mitglieder nach Sibirien, in die Polartundren und andere Gegenden am Eismeer verbannt; später wurden die meisten der übrigen Gemeindemitglieder auf Grund ihrer persischen Staatsangehörigkeit nach Persien ausgewiesen, und schließlich wurde der Tempel völlig enteignet und in eine Kunstgalerie umgewandelt.

+23:20

Auch in Deutschland kam es nach der anfänglichen Einrichtung der Verwaltungsordnung des Glaubens - wobei die deutschen Gläubigen in steigendem Maße hervorragend zur Ausbreitung und Festigung beigetragen hatten - bald zu Unterdrückungsmaßnahmen, die, wenn auch minder schrecklich als die Bedrängnis, der die Bahá'í in Turkestan und im Kaukasus ausgesetzt waren, doch in den Jahren vor dem jetzigen Krieg wirklich zum Erliegen aller organisierten Bahá'í-Tätigkeit im ganzen Land führte. Es war amtlich verboten, die Bahá'í-Religion mit ihrem eindeutigen Streben nach Frieden und Welteinheit und mit ihrer Ablehnung des Rassenwahns öffentlich zu lehren. Die Bahá'í-Räte und ihre Ausschüsse wurden aufgelöst, Bahá'í-Tagungen untersagt, die Archive des Nationalen Geistigen Rates beschlagnahmt, die Sommerschulen aufgehoben und die Veröffentlichung aller Bahá'í-Literatur wurde eingestellt.

+23:21

Abgesehen von immer wieder aufflammenden Verfolgungen an einzelnen Orten wie Shíráz, Ábádih, Ardibíl, Isfahán und in bestimmten Bezirken von Adhirbáyján und Khurásán, die aber mit dem deutlich sinkenden Stern der früher so mächtigen schiitischen Geistlichkeit an Zahl und Heftigkeit erheblich zurückgingen, wurden in Persien die Institutionen der neuentstandenen und noch ungefestigten Verwaltungsordnung in der Hauptstadt und in den Provinzen seitens der Zivilbehörden weiterhin Beschränkungen unterworfen, die ihren Wirkungskreis einengen, ihre Bewegungsfreiheit beschränken und ihre Grundlagen unterhöhlen sollten.

+23:22

Daß allmählich und völlig unerwartet eine festgefügte nationale Gemeinde ins Rampenlicht trat, die zwar leidgeprüft, aber geistig ungebrochen, in allen Provinzen des Landes trotz der seit fünfundsiebzig Jahren die Gläubigen überflutenden und sie fast verschlingenden unmenschlichen Verfolgungswellen ihre Zentren errichtet hatte, und die Entschlossenheit, mit der ihre Mitglieder, den Geist und die Grundsätze ihres Glaubens verkündeten, seine Schriften verbreiteten, seine Gesetze und Gebote erfüllten und deren Übertreter bestraften, steten Verkehr mit ihren Glaubensbrüdern in fremden Ländern pflegten und die Gebäude und Einrichtungen für die Verwaltungsordnung errichteten, mußte bei den Machthabern, die die Ziele der Gemeinde falsch verstanden und entschlossen waren, sie abzuwürgen, Befürchtungen und Feindseligkeit wecken. Indes die Mitglieder dieser Gemeinde sich in allen rein verwaltungsmäßigen Angelegenheiten den zivilen Vorschriften ihres Landes fügten, hielten sie sich doch stets an die grundlegenden geistigen Lehren, Weisungen und Gesetze, die von Bahá'u'lláh offenbart sind und die unter anderem von ihnen verlangen, fest bei der Wahrheit zu bleiben, den Glauben nicht zu verhehlen, die Ehe- und Scheidungsgesetze einzuhalten und an den von Ihm festgesetzten Heiligen Tagen alle Arbeit ruhen zu lassen, was sie früher oder später mit einem Regierungssystem in Konflikt brachte, das den Islám offiziell als Staatsreligion für Persien anerkennt und daher nicht gewillt ist, Menschen anzuerkennen, die von den amtlichen Vertretern jener Religion schon als Ketzer verdammt waren.

+23:23

Als die Repräsentanten der Bahá'í-Gemeinde es ablehnten, den in ihrem Besitz befindlichen und voll unter ihrer Aufsicht stehenden offiziellen Bahá'í-Institutionen eine Übertretung des eindeutig offenbarten Gesetzes der Arbeitsruhe an Bahá'í-Feiertagen zu gestatten, wurden alle Schulen der Bahá'í-Gemeinde im Land geschlossen; alle Bahá'í-Trauungsurkunden wurden zurückgewiesen und ihre Eintragung bei den staatlichen Standesämtern abgelehnt; der Druck und die Verbreitung jeglicher Bahá'í-Literatur sowie ihre Einfuhr ins Land wurden verboten; in mehreren Zentren wurden Bahá'í-Urkunden, Bücher und Gedenkstücke beschlagnahmt; in einigen Provinzen wurden die Haziratu'l-Quds geschlossen und an einigen Orten ihre Einrichtung konfisziert; alle Bahá'í-Kundgebungen, Konferenzen und Tagungen wurden verboten; der Nachrichtenverkehr unter den Bahá'í-Zentren in Persien und mit den Bahá'í-Gemeinden im Ausland wurde einer strengen Zensur unterworfen und oft ganz unterbunden; loyalen, gesetzestreuen Bürgern wurde auf Grund ihres Bekenntnisses zum Bahá'í-Glauben die Ausstellung von Leumundszeugnissen verweigert, Staatsbeamte wurden entlassen, Wehrmachtsoffiziere degradiert oder verabschiedet und einige Gläubige verhaftet, verhört, eingekerkert und mit Geldbußen und anderen Strafen belegt, weil sie der Treuepflicht gegenüber den geistigen Grundsätzen ihres Glaubens nicht entsagen und nichts begehen wollten, was seinem allumfassenden, unpolitischen Charakter widersprochen hätte - all dies kann in diesem Land, dessen Erde schon mit dem Blut unzähliger Bahá'í-Märtyrer getränkt ist, betrachtet werden als erste Versuche, sich dem Aufstieg der entstehenden Verwaltungsordnung, deren Wurzeln ihre Kraft gerade aus solchen heldenmütigen Opfern gezogen haben, entgegenzustemmen und ihre erkämpfte Selbstbehauptung zu vereiteln.

Kapitel 24
Emanzipation und Anerkennung des Glaubens und seiner Institutionen

+24:1

Während die Anhänger Bahá'u'lláhs in Ost und West das Gerüst für die Verwaltungsordnung Seines Glaubens zu errichten begannen, wurde in einem entlegenen Dorf in Ägypten ein heftiger Angriff gegen eine Handvoll Gläubige geführt, die versuchten, dort eine der Grundeinrichtungen der Verwaltungsordnung aufzubauen. Von diesem Angriff werden künftige Geschlechter bei einem geschichtlichen Rückblick als einem Markstein nicht nur der Gestaltungszeit des Glaubens, sondern des gesamten ersten Bahá'í-Jahrhunderts sprechen. Ja, man kann sagen, daß die Folgen dieses Angriffs ein neues Kapitel in der Entwicklung des Glaubens eröffneten, einer Entwicklung, die über sämtliche Stufen der Unterdrückung, der Emanzipation, der Anerkennung als unabhängige Offenbarungsreligion und als Staatsreligion letztlich zur Begründung des Bahá'í-Staatswesens führen und in einer Bahá'í-Weltgemeinschaft gipfeln wird.

+24:2

Damit, daß sich dies in einem Land abspielte, das sich mit Recht als anerkanntes Zentrum der arabischen und muslimischen Welt rühmen darf, und ausgelöst wurde auf Initiative der geistlichen Würdenträger der größten islámischen Gemeinde, als unmittelbare Folge einer Reihe von Belästigungen, die einige Muslime angezettelt hatten, um die Aktivitäten einiger Glaubensanhänger zu unterbinden, die früher bei ihnen geistlichen Rang bekleidet hatten, trug diese bedeutsame Schicksalswende der kämpfenden Gemeinde bedeutend dazu bei, das Ansehen ihrer Verwaltungsordnung, deren Bau sie eben in Angriff genommen, zu festigen und zu heben. Sobald der Widerhall dieses Geschehens auch in anderen islámischen Ländern zu hören ist und seine weittragende Bedeutung von Christen wie von Muslimen klarer begriffen wird, wird dies die Übergangsphase, durch die der Glaube jetzt im Gestaltungsabschnitt seiner Entwicklung geht, rasch zum Abschluß bringen.

+24:3

In dem Dorf Kawmu's-Sa'áyidih, im Distrikt Beba in der Provinz Beni Suef in Oberägypten, war ein Bahá'í-Rat gebildet worden, was in dem Dorfschultheißen derart religiösen Fanatismus aufstachelte, daß er beim Polizeioffizier des Distrikts und beim Provinzstatthalter sich bitter beklagte; dies peitschte wiederum bei den Muslimen dermaßen die Leidenschaften hoch, daß sie sich schändlich an den Opfern ihrer Wut vergingen. Auf Grund dieser Vorfälle klagte der Dorfschreiber in seiner Eigenschaft als vom Justizministerium beauftragter religiöser Kläger gegen drei Bahá'í-Männer des Dorfes und forderte, daß ihre muslimischen Ehefrauen von ihnen geschieden würden, weil sie zwar gesetzlich als Muslime geheiratet hatten, aber aus der islámischen Gemeinschaft ausgetreten seien.

+24:4

Das Urteil des religiösen Berufungsgerichts in Beba vom 10. Mai 1925, das anschließend von höchsten geistlichen Behörden in Kairo bestätigt und als endgültig anerkannt, gedruckt und von den muslimischen Behörden selbst verbreitet wurde, erklärte die Ehen der drei angeklagten Bahá'í für ungültig und sprach die Ketzer allesamt für schuldig, die islámischen Gesetze und Gebote verletzt zu haben. Das Urteil verstieg sich sogar zu der wahrhaft historischen und verblüffend richtigen Feststellung, daß der Glaube dieser Ketzer als eine eigenständige, von früheren Religionssystemen völlig unabhängige Religion anzusehen sei, eine Feststellung, die die Feinde des Glaubens in Ost und West bis dahin bestritten oder geflissentlich übersehen hatten.

+24:5

In derUls bezüglich bestimmter Bahá'í-Gesetze, und es wird bewiesen, daß demnach die Angeklagten der Religion Muhammads tatsächlich abgeschworen hätten, und dann wird unzweideutig festgestellt: »Der Bahá'í-Glaube ist eine neue, völlig unabhängige Religion mit eigenen Glaubenslehren, Grundsätzen und Gesetzen, die von den Glaubenslehren, Grundsätzen und Gesetzen des Isláms abweichen und zu ihnen in schroffem Gegensatz stehen. Kein Bahá'í kann daher als Muslim gelten und umgekehrt, so wenig wie ein Buddhist, Brahmane oder Christ als Muslim gelten kann und umgekehrt.« Nachdem die Auflösung der Eheverträge der Betroffenen und die »Scheidung« der Gatten von ihren Ehefrauen angeordnet wird, schließt dieses denkwürdige Dokument mit den Worten: »Wenn einer von ihnen (den Ehegatten) bereut, glaubt und anerkennt, was ... Muhammad, der Apostel Gottes..., von Gott überbracht hat..., und zum erhabenen Glauben des Isláms zurückkehrt ... und bezeugt, daß ... Muhammad ... das Siegel der Propheten und Boten ist und daß keine Religion auf Seine Religion folgen, daß kein Gesetz Sein Gesetz aufheben wird, daß der Qur'án das letzte der Gottesbücher und Seine letzte Offenbarung an Seine Propheten und Seine Sendboten ist ..., so soll er wieder aufgenommen werden und seinen Ehevertrag erneuern dürfen...«

+24:6

Diese hochbedeutsame, von geschworenen Feinden des Glaubens Bahá'u'lláhs mit unwiderleglichen Beweisen gestützte Verlautbarung aus einem Land, das durch die Wiederherstellung des Kalifats die Führung des Isláms zu übernehmen bestrebt ist, ein öffentliches Zeugnis, dem die höchsten geistlichen Stellen in Ägypten zustimmten, das die Führer des schiitischen Isláms in Persien und im 'Iráq ein Jahrhundert lang geflissentlich verschwiegen und das die Verleumder allesamt, auch die christliche Geistlichkeit des Abendlandes, ein für allemal verstummen läßt, die den Glauben früher als Kult, als Bábí-Sekte und Abspaltung des Isláms verächtlich gemacht oder als einen Konglomerat aus anderen Religionen hingestellt hatten - dieses Dokument wurde von allen Bahá'í-Gemeinden in Ost und West als erste Urkunde der Befreiung der Sache Bahá'u'lláhs aus den Fesseln islámischer Orthodoxie begrüßt, als erster historischer Schritt, den nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, seine Anhänger, sondern seine Gegner auf der Bahn zu seiner schließlich weltweiten Anerkennung taten.

+24:7

Die Erbauer der Verwaltungsordnung des Glaubens Bahá'u'lláhs erkannten das Urteil mit seinen unermeßlichen Möglichkeiten sogleich als eine gewaltige Herausforderung, die sie sofort annahmen. Es setzte ihnen eine heilige Pflicht, die zu erfüllen sie bereit waren. Die Richter hatten damit zwar beabsichtigt, ihren Feinden den Zugang zu den islámischen Gerichten zu verwehren und sie dadurch in eine mißliche Lage zu bringen, doch die ägyptische Bahá'í-Gemeinde und danach ihre Brudergemeinden nutzten das Urteil als Hebel, um damit die Selbständigkeit ihres Glaubens zu bekräftigen und seine staatliche Anerkennung durchzusetzen. In mehrere Sprachen übersetzt und unter den Bahá'í-Gemeinden in Ost und West verbreitet, ebnete es allmählich den Weg zu Verhandlungen zwischen den gewählten Vertretern dieser Gemeinden und den staatlichen Behörden in Ägypten, im Heiligen Land, in Persien und selbst in den Vereinigten Staaten mit dem Ziel, bei diesen Behörden die amtliche Anerkennung des Glaubens als selbständige Religion zu erreichen.

+24:8

In Ägypten löste das Urteil eine Reihe von Maßnahmen aus, die in ihrem Endeffekt eine solche Anerkennung sehr erleichterten, bei einer Regierung, die formell noch dem Islám verbunden ist und es zuläßt, daß ihre Gesetze und Verfügungen weitgehend von den Ansichten und Sprüchen ihrer geistlichen Führer bestimmt werden. Daß die ägyptischen Gläubigen sich entschlossen zeigten, von den Geboten ihres Glaubens nicht um Haaresbreite abzuweichen, sich auf keinen Handel mit den muslimischen Gerichten des Landes einließen und alle angebotenen geistlichen Ämter ablehnten, daß die Grundgesetze des Kitáb-i-Aqdas über Fragen des persönlichen Rechts, wie Ehe, Scheidung, Erbschaft und Bestattung, zusammengestellt, veröffentlicht und dem ägyptischen Kabinett vorgelegt wurden, daß der ägyptische Nationale Geistige Rat Trauscheine und Scheidungsurkunden ausstellte und alle Aufgaben und Pflichten übernahm, die mit Bahá'í-Ehen, Scheidungen und Totenbestattung verbunden sind, daß die neun heiligen Tage, an denen nach den Bahá'í-Lehren die Arbeit völlig ruhen muß, von allen Gemeindemitgliedern eingehalten wurden, daß die gewählten nationalen Vertreter der ägyptischen Gemeinde (unterstützt von einem ähnlichen Schreiben des amerikanischen Nationalen Geistigen Rates an die ägyptische Regierung) dem Ministerpräsidenten, dem Innen- und dem Justizminister eine Petition vorlegten, womit sie unter Beifügung einer Abschrift des Gerichtsurteils und ihrer nationalen Bahá'í-Satzung und Gemeindeverordnungen darum ersuchen, ihren Rat als eine Körperschaft anzuerkennen, die befugt ist, als unabhängiges Gericht zu fungieren mit der Kompetenz, in allen Angelegenheiten des Personenstands die von ihrem Glaubensstifter offenbarten Gesetze und Gebote anzuwenden - dies sind markante erste Folgen des historischen Urteils, das diese Religion in Ägypten schließlich auf den Boden völliger Gleichberechtigung mit den Schwesterreligionen in diesem Land stellen wird.

+24:9

Als Ergebnis dieser epochalen Verlautbarung und in unmittelbarer Folge von Unruhen, die anläßlich der Bestattung von Angehörigen der Bahá'í-Gemeinde unter dem fanatischen Pöbel in Port Said und Ismá'ílíyyih immer wieder ausbrachen, erließ der Großmufti von Ägypten auf Ersuchen des Justizministeriums eine offizielle, nicht minder bedeutsame Fatwa (Urteil). Sie wurde sogleich in der ägyptischen Presse veröffentlicht und trug dazu bei, den unabhängigen Status des Glaubens weiter zu festigen. Sie wurde nach den außergewöhnlich heftigen Unruhen in Ismá'ílíyyih erlassen, als eine aufgebrachte Menge den Leichenzug des Muammad Sulaymán, eines angesehenen Bahá'í der Stadt, einkeilte und dabei solchen Aufruhr verursachte, daß die Polizei eingriff und man den Leichnam, nachdem er in das Trauerhaus zurück in Sicherheit gebracht worden war, bei Nacht und Nebel ohne Geleit zum Wüstenrand tragen und in der Öde bestatten mußte.

+24:10

Das erwähnte Urteil war das Ergebnis einer schriftlichen Anfrage des ägyptischen Innenministeriums vom 24. Januar 1939, welches eine Petition des Nationalen Geistigen Rates an die ägyptische Regierung dem Justizministerium vorlegte und um einen Spruch des Muftí bat. Die Petition, der ein Exemplar der vom Nationalen Rat der ägyptischen Bahá'í zusammengestellten und veröffentlichten Bahá'í-Gesetze über Personenstandsfragen beigefügt war, ersuchte um die Freigabe von vier Grundstücken, die den Bahá'í-Gemeinden in Kairo, Alexandrien, Port Said und Ismá'ílíyyih als Friedhöfe dienen sollten. Der Muftí antwortete am 11. März 1939 auf den Brief des Justizministers an ihn: »Wir haben Ihren Brief ... vom 21. Februar 1939 mit Anlagen ... und Ihrer Anfrage, ob es gesetzlich zulässig sei, die Bahá'í-Toten auf Muslim-Friedhöfen zu bestatten, erhalten. Wir erklären hiermit, daß diese Gemeinschaft nicht als muslimisch gelten kann, wie aus den Glaubenssätzen hervorgeht, zu denen sie sich bekennen. Die Lektüre der Ihrem Schreiben beigefügten sogenannten 'Bahá'í-Gesetze über Personenstandsangelegenheiten' genügt hier als Beweis. Wer von ihren Mitgliedern früher Muslim gewesen ist, hat dadurch, daß er an die Behauptungen dieser Gemeinschaft glaubt, den Islám aufgegeben und gilt als abtrünnig; er untersteht den Gesetzen über den Glaubensabfall, wie sie im rechten Glauben des Isláms festgelegt sind. Da diese Gemeinschaft nicht muslimisch ist, wäre es gesetzwidrig, ihre Toten auf Muslim-Friedhöfen zu bestatten, gleichviel, ob sie früher Muslime oder sonst etwas gewesen sind...«

+24:11

Infolge dieses endgültigen, klar formulierten und autoritativen Spruchs des höchsten Repräsentanten des islámischen Gesetzes in Ägypten und nach langwierigen Verhandlungen mit dem Ergebnis, daß die Kairoer Bahá'í-Gemeinde zunächst einen Teil des Beerdigungsfelds für Freidenker als Friedhof zugewiesen bekam, willigte die ägyptische Regierung ein, dieser Gemeinde und den Bahá'í von Ismá'ílíyyih zwei Grundstücke als Begräbnisplätze für ihre Toten zuzuweisen - ein Akt von historischer Bedeutung, der von den Angehörigen der hart bedrängten, lange unterdrückten Gemeinde warm begrüßt wurde, war doch damit die Selbständigkeit ihres Glaubens noch klarer herausgestellt und der Rechtsbereich ihrer repräsentativen Institutionen erweitert worden.

+24:12

Auf dem ersten dieser beiden amtlichen Bahá'í-Friedhöfe fanden auf Beschluß des Nationalen Rates der ägyptischen Bahá'í, unterstützt vom Rat der persischen Schwestergemeinde, die dorthin überführten Gebeine des berühmten Mírzá Abu'l-Fadl ihre seiner hohen Stellung entsprechende würdige Ruhestätte, womit in geziemender Weise die erste amtliche Bahá'í-Einrichtung dieser Art im Osten geschaffen war. Diesem Erfolg folgte bald ein zweiter, als die Gebeine der weitberühmten Lehrmutter des Abendlandes, Frau E. Getsinger, von dem christlichen Friedhof in Kairo mit Unterstützung des Nationalen Rates der amerikanischen Bahá'í und des Außenministeriums in Washington umgebettet wurden an einen Platz mitten auf dem Bahá'í-Friedhof, nahe der Ruhestätte des hervorragenden Schriftstellers und Vorkämpfers des Glaubens.

+24:13

Im Heiligen Land, wo schon vor diesen Ereignissen, noch zur Zeit Abdu'l-Bahás, ein Bahá'í-Friedhof bestand, war die historische Entscheidung getroffen worden, die Bahá'í-Toten mit dem Gesicht nach Akká zu begraben - eine Maßnahme, die dadurch noch unterstrichen wird, daß man entschlossen nicht mehr wie früher in Ehe- und Scheidungsangelegenheiten muslimische Gerichte anrief und auch die von Bahá'u'lláh für die Vorbereitung und Bestattung der Toten vorgeschriebenen Riten in vollem Umfang und ohne jede Heimlichkeit durchführte. Bald darauf, am 4. Mai 1929, richteten die Vertreter der Bahá'í-Gemeinde in Haifa ein formelles Gesuch an die palästinensischen Behörden mit der Bitte, die Glaubensgemeinschaft, solange es noch kein einheitliches Personenstandsrecht für alle Bewohner des Landes ohne Ansehen der Religion gibt, offiziell anzuerkennen und ihr das »volle Recht« zuzuerkennen, »ihre eigenen Angelegenheiten zu verwalten, wie es heute auch andere Religionsgemeinschaften in Palästina genießen«.

+24:14

Die Petition, ein hoch bedeutsamer und in der Glaubensgeschichte beispielloser Vorgang, hatte Erfolg, wie die Anerkennung von Trauscheinen, die von den Vertretern des örtlichen Rates ausgestellt waren, seitens der staatlichen Behörden beweist. Die Repräsentanten der persischen Regierung in Palästina nahmen dies stillschweigend zur Kenntnis. Und dem folgte eine Reihe von Beschlüsse, durch die alle Grundstücke und Einrichtungen, die von der Bahá'í-Gemeinschaft als heilige Stätten angesehen werden oder den Gräbern ihrer Stifter am Weltzentrum gewidmet sind, von staatlichen Steuern freigestellt wurden. Darüber hinaus wurden durch diese Beschlüsse alle Schmuck- und Einrichtungsgegenstände für die Bahá'í-Schreine von Einfuhrzoll befreit, und die Zweige der Nationalen Geistigen Räte der Bahá'í in Amerika und Indien durften entsprechend den Landesgesetzen als »Religionsgesellschaften« tätig sein und als Vertreter dieser Räte Grundstücke besitzen und verwalten.

+24:15

In Persien, wo die Bahá'í-Gemeinde, die schon an Zahl die christlichen, jüdischen und zoroastrischen Minderheiten im Land übertrifft, ihre Verwaltungsstruktur trotz der von jeher feindseligen Einstellung der zivilen und geistlichen Behörden hatte errichten können, fand diese bedeutsame Nachricht ein solches Echo, daß die Gemeindemitglieder begeistert die gewaltigen Vorteile, die ihnen das völlig unerwartete Zeugnis bot, voll zu nutzen suchten. Nachdem sie die bitteren Verfolgungen überstanden hatten, denen unmenschliche, anmaßende, unversöhnliche Führer einer allmächtigen, jetzt aber bitter gedemütigten Geistlichkeit sie unterworfen hatten, war die triumphierende Gemeinschaft, die nun aus dem Verborgenen ans Licht kam, mehr denn je entschlossen, ihren Anspruch in dem von ihren Stiftern vorgegebenen Rahmen durchzusetzen, als selbständiger religiöser Verband angesehen zu werden und mit allen verfügbaren Mitteln ihre Unverletzlichkeit, den Zusammenhalt ihrer Mitglieder und den Bestand ihrer gewählten Institutionen zu sichern. Jetzt, nachdem ihre erklärten Gegner in einem Land wie Ägypten, mit solchen Worten, in einer derart wichtigen Sache mit einer derart nachdrücklichen, weitreichende Verlautbarung den Schleier zerrissen hatten, der so lange über einigen Grundwahrheiten der Glaubenslehre gebreitet war, konnte die Bahá'í-Gemeinde sich nicht mehr schweigend und widerspruchslos in Beschränkungen fügen, die ihr die Kräfte fesseln, das Gemeindeleben ersticken und das Recht verwehren sollten, uneingeschränkt gleichberechtigt neben den anderen Religionsgemeinschaften im Lande zu bestehen.

+24:16

Als erstes ergriffen die Bahá'í, fest entschlossen, sich nicht mehr als Muslim, Jude, Christ oder Zoroastrier einreihen zu lassen, Maßnahmen, um unanfechtbar die eigenständige Stellung zu sichern, die ihre geschworenen Feinde für ihre Religion behaupteten. Eingedenk ihrer klaren, heiligen, unausweichlichen Pflicht, in allen Angelegenheiten rein verwaltungsmäßiger Art den Gesetzen des Landes zu gehorchen, und dennoch fest entschlossen, mit allen zu Gebote stehenden gesetzlichen Mitteln die Selbständigkeit ihres Glaubens zu behaupten und zu beweisen, stellten sie ein Programm auf und machten sich an Unternehmungen, die sie ihrem selbstgesteckten Ziel ein Stück näher bringen sollten.

+24:17

Standhaft beharrten die Gemeindemitglieder bei ihrem Entschluß, ihren Glauben offen zu bekennen, welche Opfer das auch mit sich brächte; kompromißlos vertraten sie den Standpunkt, Streitfälle des persönlichen Rechts keinen islámischen, christlichen, rabbinischen oder zoroastrischen Gerichten vorzutragen; sie lehnten es ab, sich irgendwelchen Verbänden, die mit einer der anerkannten Religionen des Landes im Zusammenhang stehen, anzuschließen oder einen geistlichen Posten anzunehmen; sie hielten sich in vollem Umfang an die im Kitáb"i"Aqdas verzeichneten Gesetze über Pflichtgebete, Fasten, Eheschließung, Scheidung, Erbschaft, Totenbestattung und den Genuß von Opium und alkoholischen Getränken; auf Anweisung und mit Siegel der anerkannten Bahá'í-Räte beglaubigten sie Geburten, Sterbefälle, Trauungen und Scheidungen; sie übersetzten die zuerst vom Nationalen Rat der ägyptischen Bahá'í herausgegeben »Bahá'í-Gesetze über Personenstandsangelegenheiten« ins Persische; sie ließen an allen Heiligen Tagen der Bahá‹í die Arbeit ruhen; in der Hauptstadt und in den Provinzen richteten sie Bahá'í-Friedhöfe ein, um dort ihre Toten, ungeachtet ihrer religiösen Herkunft, gemeinsam zu bestatten; sie bestanden darauf, auf Kennkarten, Trauscheinen, Pässen und anderen amtlichen Urkunden nicht mehr als Muslime, Christen, Juden oder Zoroastrier bezeichnet zu werden; sie legten besonderen Nachdruck auf das Neunzehntagefest, wie es von Bahá'u'lláh in Seinem Heiligsten Buch eingerichtet wurde; die gewählten Bahá'í-Räte, die die Pflichten und Befugnisse von religiösen Gerichten wahrnehmen, bestraften ungehorsame Gemeindemitglieder, indem sie ihnen das Wahlrecht und die Mitgliedschaft in Räten und Ausschüssen entzogen - all dies hängt zusammen mit dem frühen Leben einer Gemeinschaft, die das Gefüge ihrer Verwaltungsordnung errichtet hat und nun unter dem anregenden Einfluß des historischen Gerichtsurteils in Ägypten nicht mit Gewalt, sondern mit Verhandlungen darauf dringt, daß ihre Rechtsstellung, die ihre klerikalen Feinde mit so viel Nachdruck bestätigt hatten, von den Zivilbehörden anerkannt wird.

+24:18

Daß sie mit dem ersten Versuch nur zum Teil Erfolg hatten, daß sie zuweilen Argwohn weckten bei den herrschenden Behörden und von ihren wachsamen Feinden übel verleumdet wurden, kann nicht überraschen. Die Verhandlungen mit den staatlichen Behörden waren insofern ein Erfolg, als sie den Regierungserlaß durchsetzten, durch den die Angabe der Religionszugehörigkeit in den Pässen persischer Staatangehöriger wegfiel und mancherorts stillschweigend gestattet wurde, daß die Bahá‹í in bestimmten staatlichen Urkunden die religiösen Spalten nicht auszufüllen brauchten, sondern Eheschließungen, Scheidungen, Geburten und Todesfälle von ihren eigenen Räten registrieren lassen und ihre Leichenbegängnisse nach ihren religiösen Bräuchen abhalten konnten. In anderer Hinsicht mußten sie sich schwere Einschränkungen gefallen lassen: Die Bahá'í-Schulen, ausschließlich von der Gemeinde gegründet, in ihrem Besitz und von ihr geführt, wurden zwangsweise geschlossen, weil sie an Bahá'í-Feiertagen ihre Pforten nicht öffneten; Bahá'í-Männer und Frauen wurden verfolgt, Beamte und Offiziere in einigen Fällen entlassen; die Einfuhr, Veröffentlichung und Verbreitung ihrer Schriften wurden verboten und alle öffentlichen Bahá'í-Versammlungen untersagt.

+24:19

Die Bahá'í-Gemeinde war und wird auch in Zukunft, getreu ihrer heiligen Pflicht gegen die Regierung und eingedenk ihrer Bürgerpflichten, gegenüber allen von Zeit zu Zeit dortzulande wie anderwärts bisher und in Zukunft erlassenen Verwaltungsvorschriften ziviler Behörden unbedingt gehorsam sein. Die sofortige Schließung ihrer Schulen in Persien ist ein Beweis dafür. Aber Befehle, die den Widerruf des Glaubens fordern oder zur Untreue gegen die gottgegebenen geistigen Grundprinzipien und Vorschriften auffordern, wird sie strikt verweigern, und sie wird eher Gefangenschaft, Vertreibung und Verfolgung aller Art, ja - wie schon die zwanzigtausend Märtyrer, die ihr Leben in der Nachfolge ihrer Stifter opferten - den Tod auf sich nehmen, bevor sie dem Diktat einer weltlichen Obrigkeit folgend ihrer Sache abtrünnig würde.

+24:20

»Auch wenn Sie uns allesamt, Männer, Frauen und Kinder, im ganzen Bezirk Abádih in Stücke hauen«, heißt es in einer denkwürdigen Botschaft von unerschrockenen Nachkommen einiger Märtyrer in jenem unruhigen Zentrum an den Gouverneur von Fárs, der sie nötigen wollte, sich als Muslime zu erklären, »wir werden Ihrem Wunsch niemals nachkommen« - eine Botschaft, die den anmaßenden Statthalter alsbald veranlaßte, die Sache nicht weiterzuverfolgen.

+24:21

In den Vereinigten Staaten von Amerika erkannte die Bahá'í-Gemeinde, die schon beispielhaft das Gefüge der Verwaltungsordnung errichtet und vervollkommnet hatte, sofort die Tragweite des Urteils des muslimischen Gerichts in Ägypten und seinen großen Widerhall im Heiligen Land und ließ sich von der mutigen Standhaftigkeit ihrer persischen Schwestergemeinde mitreißen. So beschloß sie, ihre bemerkenswerten Erfolge durch weitere Unternehmungen zu ergänzen, die den Status, den der Glaube Bahá'u'lláhs auf dem nordamerikanischen Kontinent errungen hatte, noch deutlicher herausstellten. Sie war zahlenmäßig kleiner als die Gemeinde der persischen Gläubigen. Infolge der Vielfalt der Gesetze in den einzelnen Staaten der Union stand sie in der Frage der Rechtsstellung ihrer Mitglieder vor einer ganz anderen, viel verwickelteren Situation als die Gläubigen im Orient. Doch eingedenk ihrer Pflicht zu machtvollem Antrieb bei der Entfaltung der gottgegebenen Ordnung ergriff sie mutig weitere Maßnahmen, um die Eigenständigkeit der Offenbarung, die sie schon so edel verfocht, hervorzuheben.

+24:22

Der Nationale Geistige Rat war von den amerikanischen Bundesbehörden als religiöse Körperschaft anerkannt und befugt, Güter, die zum Wohle des Glaubens gestiftet wurden, treuhänderisch zu verwalten; Bahá'í-Stiftungen waren geschaffen und dafür bei den staatlichen Behörden Steuerfreiheit durchgesetzt worden als Eigentum und zum ausschließlichen Nutzen einer rein religiösen Gemeinschaft; nun mußten weitere Entscheidungen und Maßnahmen getroffen werden, um die Art der Bande zu betonen, die die Gemeindemitglieder vereinen. Der besondere Nachdruck, der auf einige fundamentale Gesetze des Kitáb-i-Aqdas gelegt wurde: das tägliche Pflichtgebet, das Fasten, die zur Eheschließung erforderliche Zustimmung der Eltern, die unerläßliche einjährige Trennung von Mann und Frau vor einer Scheidung, Abstinenz von alkoholischen Getränken, der betonte Hinweis des Buches auf die von Bahá'u'lláh geschaffene Institution des Neunzehntagefests, die Unvereinbarkeit jedweder Mitgliedschaft oder Mitarbeit bei kirchlichen Organisationen und die Ablehnung jeglicher kirchlichen Arbeitsstelle - all dies trug dazu bei, die Eigenständigkeit der Bahá'í-Gemeinde kräftig zu unterstreichen und sie in den Augen der Öffentlichkeit von den Riten, Zeremonien und menschengemachten Einrichtungen abzurücken, die zu den religiösen Bekenntnissen der Vergangenheit gehören.

+24:23

Von besonderer geschichtlicher Bedeutung war ein Gesuch des Geistigen Rates in Chicago, diesem ersten Zentrum auf dem nordamerikanischen Kontinent, dessen Rat als erster eingetragen war und der als erster die Initiative ergriffen hatte, den Bau eines Bahá'í-Tempels im Westen vorzubereiten; dieser Rat ersuchte die Behörden des Staates Illinois um die staatliche Anerkennung des Rechts, gültige Trauungen nach den Anweisungen des Kitáb-i-Aqdas vorzunehmen und Trauscheine auszustellen, die zuvor vom Geistigen Rat offiziell bestätigt wurden. Dieses Gesuch wurde von den Behörden genehmigt, was bei den Gemeindesatzungen aller örtlichen Räte einen Zusatz nötig machte, um sie in die Lage zu versetzen, gesetzliche Bahá'í-Trauungen vorzunehmen, und wodurch der Vorsitzende oder Sekretär des Chicagoer Rates ermächtigt wurde, die Körperschaft bei der Durchführung von Bahá'í-Trauungen zu vertreten. Am 22. September 1939 erteilte der Staat Illinois die erste Bahá'í-Traugenehmigung und ermächtigte damit den genannten Rat, Bahá'í-Trauungen feierlich zu vollziehen und Bahá'í-Trauscheine auszustellen. In der Folge ergriffen Geistige Räte in anderen Staaten der Union, wie New York, New Jersey, Wisconsin und Ohio, mit Erfolg die nötigen Maßnahmen, um sich ähnliche Rechte zu verschaffen, womit sie außerdem dazu beitrugen, den Glauben immer klarer als selbständige Religion hervortreten zu lassen. Hier sei noch eine ähnliche, ebenso wichtige Anerkennung erwähnt, die das Kriegsministerium der Vereinigten Staaten nach dem Ausbruch des jetzigen Krieges aussprach und die aus der Mitteilung des Generalquartiermeisters des Kriegsministeriums an den Nationalen Geistigen Rat der amerikanischen Bahá‹í vom 14. August 1942 hervorgeht: Darin wird zugestimmt, daß Grabsteine gefallener Bahá‹í, die auf militärischen oder privaten Friedhöfen bestattet wurden, das Symbol des Größten Names tragen dürfen, wodurch sie sich von jenen unterscheiden, die das lateinische Kreuz oder den Davidstern tragen und sich damit als Gräber von Angehörigen des christlichen oder jüdischen Glaubens ausweisen.

+24:24

Es soll auch nicht unerwähnt bleiben, daß der Nationale Geistige Rat der amerikanischen Bahá‹í mit einem Gesuch an die Preisprüfungsstelle in Washington, D. C., erreichte, daß die Vorsitzenden und Sekretäre der örtlichen Bahá'í-Räte als Leiter religiöser Zusammenkünfte, die in bestimmten Staaten auch Trauungen zu vollziehen haben, Reisekostenvergünstigung genießen im Sinne des Reisekostenvergünstigungsparagraphen der Treibstoffverordnung, um religiösen Bedürfnissen an den zu betreuenden Orten nachzukommen.

+24:25

Auch in anderen Ländern wie Indien, Iráq, Großbritannien und Australien waren die Bahá'í-Gemeinden nicht müßig, die Vorteile wahrzunehmen, die die Veröffentlichung dieses historischen Urteils bot, und nach Kräften im Rahmen der gegebenen Umstände die Gelegenheit dieser öffentlichen Verlautbarung zu nutzen, um ihrerseits die Eigenständigkeit des Glaubens zu bekunden, dessen Verwaltungsbau sie schon errichtet hatten. Indem sie die Gesetze ihres Heiligsten Buches, soweit praktikabel, in Kraft setzten, jedwede Beteiligung und Mitgliedschaft in kirchlichen Organisationen lösten, eine Satzung formulierten, die einzig ihrem großen Thema, der Wende in der Evolution des Glaubens, Gehör verschaffen und dessen schließlichen Einzug bewirken soll, machten sich die Gemeinden, ja alle organisierten Bahá'í-Gremien in Ost und West, wie isoliert oder unreif auch immer, auf und verkündeten, im Bewußtsein ihrer Zusammengehörigkeit und ihr herrliches Ziel vor Augen, mit einer Stimme die Selbständigkeit der Religion Bahá'u'lláhs und ebneten den Weg für deren Befreiung aus allen kirchlichen und sonstigen Fesseln, die ihre endgültige, weltweite Anerkennung verhindern oder verzögern könnten.

+24:26

Dem Status, den der Glaube weithin aufgrund der Anstrengungen und Leistungen seiner Anhänger erreicht hat, haben Beobachter aus den verschiedensten Lebenskreisen Anerkennung gezollt, was die Bahá'í-Gemeinden begrüßen und als Ansporn auf ihrem steilen, mühevollen Anstieg zu den Höhen betrachten, die sie letztlich erreichen werden.

+24:27

»Palästina darf heute wirklich als ein Land nicht von drei, sondern von vier Religionen gelten«, stellt Professor Norman Bentwitch fest, ein früherer Generalstaatsanwalt der palästinensischen Regierung, »denn der Bahá'í-Glaube, der sein Glaubenszentrum und Pilgerziel in Akká und Haifa hat, bekommt den Charakter einer Weltreligion. Soweit sein Einfluß im Land reicht, ist er eine Triebkraft für die Verständigung zwischen den Völkern und Religionen.« »Erst im Jahre 1920«, schrieb der hervorragende Schweizer Wissenschaftler und Psychiater, Dr. Auguste Forel, in seinem Testament, »habe ich in Karlsruhe die überkonfessionale Weltreligion der Bahá'í kennengelernt, die von dem Perser Bahá'u'lláh vor siebzig Jahren im Orient gegründet wurde. Sie ist die wahre Religion des Wohls der menschlichen Gesellschaft, hat weder Dogmen noch Priester und verbindet alle Menschen miteinander, die auf dieser kleinen Erdkugel leben. Ich bin Bahai geworden. Möge diese Religion fortleben und von Erfolg gekrönt sein; dies ist mein heißester Wunsch.« (FOREL S.49f) »Es muß einen Weltstaat geben, eine Weltsprache und eine Weltreligion«, stellt er fest. »Die Bahá'í-Bewegung für die Einheit der Menschheit ist meines Erachtens die größte Bewegung heutzutage, die für Weltfrieden und Verbrüderung arbeitet.« Ein Zeugnis aus der Feder der verstorbenen Königin Maria von Rumänien lautet: »Eine Religion, die alle Bekenntnisse verbindet ... eine Religion, die auf dem tief innerlichen Geist Gottes beruht ... Sie lehrt, daß aller Haß und Argwohn, jede Intrige und Nachrede, ja sogar aller kriegerischer Patriotismus außerhalb des Grundgesetzes Gottes stehen und daß besondere Bekenntnisse nur oberflächliche Dinge sind, während das Herz, das in göttlicher Liebe schlägt, weder Stamm noch Rasse kennt.«


Kapitel 25
Weltweite Lehrtätigkeit

+25:1

Indes die Verwaltungsordnung des Glaubens Bahá'u'lláhs allmählich Gestalt annahm, indes unsichtbar Kräfte dahin wirkten, daß die Selbständigkeit des Glaubens immer mehr von seinen Freunden bewiesen und von seinen Gegnern anerkannt wurde, bahnte sich eine andere, genauso folgenträchtige Entwicklung an. Sie sollte die Grenzen des Glaubens ausdehnen, die Zahl seiner erklärten Anhänger und Verwaltungszentren erhöhen und seine Literatur von nun an stetig vermehren, weiter verbreiten und an Vielfalt bereichern. Tatsächlich hat die Erfahrung gezeigt, daß neben anderen Zügen der Verwaltungsordnung gerade ihre Struktur die Wirksamkeit und den Ablauf der Lehrarbeit entschieden vorantrieb, indem ihre Erbauer sich ständig ermutigt und in ihrem Sendungsbewußtsein gestärkt fühlten, je mehr sich der Glaube verselbständigte.

+25:2

Sie vergaßen auch nicht die Ermahnungen, Aufrufe und Verheißungen ihrer Glaubensstifter, deren jeder auf Seine Art und in Seinem Wirkungsgebiet während drei Vierteln eines Jahrhunderts heldenmütig bestrebt war, den Ruf der Sache, deren Schicksal zu gestalten Ihm von der allmächtige Vorsehung aufgetragen war, weithin hallen zu lassen.

+25:3

Der Herold des Glaubens hatte den Herrschern der Erde geboten, sich aufzumachen und Seine Sache zu lehren, wenn Er im Qayyúmu'l-Asmá schrieb: »O Schar der Könige! Übergebt wortgetreu und in aller Eile den Völkern der Türkei und Indiens, darüber hinaus ... den Länder des Ostens und des Westens die von Uns herabgesandten Verse.« (BAB 2/3/4) »Kommt hervor aus euren Städten, ihr Völker des Westens«, schreibt Er im selben Buch, »und steht Gott bei.« (BAB 2/24/1) »Wahrlich, von Unserem Reiche der Herrlichkeit aus schauen Wir auf euch«, spricht Bahá'u'lláh im Kitáb-i-Aqdas zu Seinen Anhängern, »und werden jedem, der sich für den Triumph Unserer Sache erhebt, mit den himmlischen Heerscharen und einer Schar Unserer begünstigten Engel beistehen.« (.?.) »Lehre die Sache Gottes, o Volk Bahás«, schreibt Er ferner, »denn Gott hat es jedem zur Pflicht gemacht, Seine Botschaft zu verkünden, und betrachtet dies als die verdienstvollste aller Taten.« (ÄL 128:10) »Sollte sich jemand ganz allein im Namen Bahás aufmachen und die Rüstung Seiner Liebe anlegen«, sagt Er deutlich, »so wird der Allmächtige ihm den Sieg verleihen, und stünden auch alle Kräfte des Himmels und der Erde wider ihn auf.« (WOB?) Und ferner: »Wer sich für den Triumph Unserer Sache erhebt, den wird Gott siegreich machen, und rotteten sich auch Zehntausende von Feinden gegen ihn zusammen.« (WOB?) Und wiederum: »Sammelt eure Kräfte für die Verbreitung des Glaubens Gottes. Wer immer einer so hohen Berufung würdig ist, der mache sich auf, den Glauben zu fördern. Wer dies nicht vermag, hat die Pflicht, jemanden zu bestimmen, der statt seiner diese Offenbarung verkündet ...« (ÄL 96:3) »Die ihr Land verlassen haben, um Unsere Sache zu lehren«, so lautet Seine Verheißung, »wird der Geist des Glaubens durch Seine Macht stärken ... Ein solcher Dienst ist wahrlich der Fürst aller guten Taten und der Schmuck alles edlen Handelns.« (ÄL 157:1) »Das Wichtigste von allem ist heutzutage«, schrieb Abdu'l-Bahá in Seinem Testament, »die Nationen der Welt und ihre Völker zu führen. Gottes Sache zu lehren, ist von höchster Bedeutung; es ist der Eckstein der Grundmauer.« (BUND I.14) »Christi Jünger«, erklärt Er im selben Dokument, »vergaßen sich selbst und alles Irdische, ließen alle Sorgen hinter sich und gaben allen Besitz auf, läuterten sich von Selbstsucht und Leidenschaft, und in völliger Loslösung zerstreuten sie sich nah und fern, nur darauf bedacht, die Völker der Welt unter die göttliche Führung zu rufen, bis sie schließlich die Welt zu einer anderen Welt gemacht, das Antlitz der Erde erleuchtet und bis zu ihrer letzten Stunde ihre Selbstaufopferung auf dem Pfade jenes Geliebten Gottes bewiesen hatten. Am Ende erlitten sie in vielen Ländern ein ruhmreiches Martyrium. Laßt die, welche Menschen der Tat sind, in ihren Fußstapfen folgen!« (BUND I.15). »Wenn die Stunde kommt«, erklärt Er feierlich im selben Testament, »da dieser unterdrückte Vogel mit gebrochenen Schwingen seinen Flug zu den himmlischen Heerscharen nimmt, ... dann obliegt es ... allen Freunden und Geliebten, sich aufzumachen, mit Herz und Seele sich zu erheben, ... Seine Sache zu lehren und Seinen Glauben zu fördern. Keinen Augenblick lang ziemt es ihnen, zu ruhen oder nach Erholung zu trachten. Über alle Länder müssen sie sich verstreuen, ... alle Regionen durchreisen. Rege, rastlos und standhaft bis zum Ende müssen sie allenthalben den Siegesruf 'Yá Bahá‹u‹l-Abhá!' (O Du Herrlichkeit des Allherrlichen) erheben, ... damit im Osten wie im Westen allüberall eine gewaltige Schar sich im Schatten des Wortes Gottes versammle, damit der Heiligkeit süße Düfte sich verbreiten, damit die Angesichter hell strahlen, die Herzen vom göttlichen Geist erfüllt sind und die Seelen himmlisch werden.« (BUND I.13)

+25:4

Gehorsam diesen wiederholten Geboten, eingedenk dieser strahlenden Verheißungen, ihrer erhabenen Berufung bewußt, angespornt durch das Vorbild Abdu'l-Bahás, ohne sich durch Seine plötzliche Abberufung aus ihrer Mitte entmutigen oder durch Angriffe der Gegner von innen und außen einschüchtern zu lassen, machten sich Seine Anhänger in Ost und West mit der vollen Kraft ihrer Solidarität auf, um tatkräftiger denn je zuvor die weltweite Verbreitung ihres Glaubens zu fördern, die in ihrem Ausmaß mit Recht zu den bedeutendsten Entwicklungen in der Geschichte des ersten Bahá'í-Jahrhunderts zählen kann.

+25:5

Die von Bahá'u'lláhs Anhängern in allen Erdteilen zunächst stockend, zufällig und ungeordnet, später mit dem Entstehen einer sich langsam entwickelnden Verwaltungsordnung planmäßig, zentral gelenkt und wirkungsvoll durchgeführten Lehraktionen in vielen Ländern, vor allem aber in Amerika, an denen sich Männer und Frauen jeden Alters, neue und altgediente Mitglieder, reisende Lehrer und Ortsansässige beteiligten, bilden an Umfang und an Segen, der von ihnen ausging, eine glänzende Epoche, vergleichbar nur den Leistungen derjenigen, die die ersten Jahre der Frühzeit der Bahá'í-Sendung unsterblich machten.

+25:6

Das während neun Jahren der Bábí-Sendung über Persien leuchtende und aus dem Nachbarland 'Iráq widerstrahlende Glaubenslicht, welches im Laufe des neununddreißigjährigen Wirkens Bahá'u'lláhs seinen Glanz über Indien, Ägypten, die Türkei, den Kaukasus, Turkestan, Sudan, Palästina, Syrien, Libanon und Birma verbreitete und durch den Antrieb des Gottesbundes weiter nach den Vereinigten Staaten von Amerika, Kanada, Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Österreich, Rußland, Italien, Holland, Ungarn, der Schweiz, Arabien, Tunesien, China, Japan, den Hawaiinseln, Südafrika, Brasilien und Australien wanderte, sollte jetzt noch vor dem Ende des ersten Bahá'í-Jahrhunderts in nicht weniger als vierunddreißig unabhängige Nationen und mehrere abhängige Länder auf dem amerikanischen, asiatischen und afrikanischen Kontinent, im Persischen Golf, im Atlantischen wie im Stillen Ozean getragen werden und dort aufleuchten. In Norwegen, Schweden, Dänemark, Belgien, Finnland, Irland, Polen, der Tschechoslowakei, in Rumänien, Jugoslawien, Bulgarien, Albanien, Afghanistan, Abessinien, Neuseeland und neunzehn lateinamerikanischen Republiken wurde nach dem Hinscheiden Abdu'l-Bahás die Fahne der Offenbarung Bahá'u'lláhs gehißt und in vielen davon schon das Fundament zur Verwaltungsordnung Seines Glaubens gelegt. Darüber hinaus haben die Verkünder des neuen Evangeliums in mehreren Kolonien in Ost und West, so in Alaska, Island, Jamaika, Puerto Rico, der Philippineninsel Solano, Java, Tasmanien, den Bahrain-Inseln und Tahiti, Belutschistan, Südrhodesien und Belgisch Kongo ihre Wohnsitze aufgeschlagen und geben sich alle Mühe, festen Grund für die Glaubensinstitutionen zu schaffen.

+25:7

Diese bemerkenswerten Erfolge in den letzten Jahrzehnten des ersten Bahá‹í"Jahrhunderts wurden durch Vorträge und Versammlungen, Presse und Rundfunk, Studienklassen und Heimkreise, durch Mitarbeit in Gesellschaften, Instituten und Vereinen, deren Ideale den Glaubensgrundsätzen nahe stehen, durch Verbreitung von Bahá'í-Literatur, vielfältige Ausstellungen, Einrichtung von Lehrerschulungskursen, durch gute Beziehungen zu Staatsmännern, Gelehrten, Presseleuten, Philanthropen und anderen Multiplikatoren der öffentlichen Meinung erzielt - die meisten Verbindungen knüpften findige Mitglieder der amerikanischen Bahá‹í"Gemeinde, die sich die geistige Eroberung der überwiegenden Mehrheit dieser Länder und Kolonien zur Aufgabe gemacht haben -, vor allem aber durch die unbeugsame Entschlossenheit und unerschütterliche Treue der Pioniere, die als Gastlehrer oder Ortsansässige an diesen Lehrfeldzügen mitwirkten.

+25:8

Die Glaubensanhänger Bahá'u'lláhs im Westen und ihre internationale Lehrarbeit sollen nicht unerwähnt bleiben, vor allem die Mitglieder der unerschüterlichen amerikanischen Bahá‹í"Gemeinde, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit durch ihr Vorbild, ihre Lehrarbeit und die Verbreitung von Schriften den Glauben auf noch brachliegende Felder trugen, um dort die Saat auszustreuen, die schließlich aufgehen und eine ebenso reiche Ernte einbringen wird wie in den schon genannten Ländern. Zufolge all dieser Bemühungen blies der Wind der lebenspendenden Offenbarung Gottes bis in die letzten Winkel der Erde und trug den neuen geistigen Lebenskeim in so ferne Himmelsstriche und unwirtliche Gegenden wie Lappland, in die nördlichste Siedlung der Welt auf Spitzbergen, nach Hammerfest in Norwegen und Magellanes an der Südspitze Chiles - die jeweils nördlichste und südlichste Stadt der Erde -, nach Pago Pago und Fidschi im Pazifik, nach Chichen Itza in der Provinz Yucatan, nach den Bahamas, Trinidad und Barbados in Westindien, nach Bali und Britisch Nordborneo in Ostindien, nach Patagonien, Britisch Guyana, den Seychellen, Neuguinea und Ceylon.

+25:9

Auch müssen wir die besonderen Bemühungen einzelner Gläubiger wie Geistiger Räte um die Aufnahme von Beziehungen zu Minderheiten und Volksgruppen in verschiedenen Teilen der Welt anführen, wie zu Juden und Negern in den Vereinigten Staaten von Amerika, Eskimos in Alaska, patagonischen Indianern in Argentinien, Indianern in Mexiko, Inkaindianern in Peru, Tscherokesen in Nordkarolina, Oneidaindianern in Wisconsin, Maya in Yucatan, Lappen in Nordskandinavien und Maori in Rotorua auf Neuseeland.

+25:10

Besonders wertvoll und hilfreich war die Einrichtung des internationalen Bahá'í-Büros in Genf, einer Stelle, die vor allem die Ausweitung der Lehrarbeit des Glaubens auf dem europäischen Kontinent erleichtern sollte und als Nebenstelle des Weltverwaltungszentrums im Heiligen Land die Verbindung mit Bahá'í-Gemeinden in Ost und West hält. Als Auskunftsbüro über die Bahá'í-Religion und Verteilstelle ihrer Literatur, durch seine frei zugängliche Lesestube und Leihbücherei, mit seiner Gastlichkeit für Reiselehrer und Bahá'í-Besucher und durch seine Beziehungen zu verschiedenen Gesellschaften trug es in nicht geringem Maße zur Festigung der Lehrvorhaben einzelner Bahá'í wie nationaler Räte bei.

+25:11

Infolge dieser Lehrarbeit, die teils von einzelnen Gläubigen, teils durch Pläne organisierter Räte geführt wurde, konnte der Bahá'í-Glaube, der zu Bahá'u'lláhs Lebzeiten Perser, Araber, Türken, Russen, Kurden, Inder, Birmanen und Neger in seinen Reihen vereint hatte und später, in den Tagen 'Abdu‹l"Bahás, durch amerikanische, britische, deutsche, französische, italienische, japanische, chinesische und armenische Bekehrte verstärkt wurde, sich nun rühmen, unter seinen erklärten Anhängern so weit verstreute Volksgruppen und Nationalitäten zu verzeichnen wie Ungarn, Niederländer, Iren, Skandinavier, Sudanesen, Tschechen, Bulgaren, Finnen, Äthiopier, Albaner, Polen, Eskimos, Indianer, Jugoslawen, Lateinamerikaner und Maori.

+25:12

So weit sich der Glaube über alle Grenzen ausdehnte, so erstaunlich die Vielgestalt seiner zunehmenden Anhängerschaft wuchs, so außerordentlich nahm auch seine Literatur zu an Umfang und Verbreitung, ein Umstand, der sich deutlich abhob von den ersten Schritten zur Veröffentlichung der wenigen Ausgaben von Schriften Bahá'u'lláhs in den letzten Jahren Seines Wirkens. Ein halbes Jahrhundert lang, zur Zeit des Báb und Bahá‹u‹lláhs, gab es Bahá'í-Literatur nur in den beiden Sprachen, in denen die Lehren ursprünglich offenbart wurden, erst zu Abdu'l-Bahás Lebzeiten kamen Ausgaben in Englisch, Französisch, Deutsch, Türkisch, Russisch und Birmanisch hinzu, und nach Seinem Hinscheiden wurde sie durch eine Flut von Büchern bereichert, Abhandlungen, Werbeschriften und Flugblätter, gedruckt und verbreitet in neunundzwanzig weiteren Sprachen. In Spanisch und Portugiesisch, den drei skandinavischen Sprachen, in Finnisch, Isländisch, Niederländisch, Italienisch, Tschechisch, Polnisch, Ungarisch, Rumänisch, Serbisch, Bulgarisch, Griechisch, Albanisch, Hebräisch, Esperanto, Armenisch, Kurdisch, Amharisch, Chinesisch, Japanisch und den fünf indischen Sprachen Urdu, Gudscharati, Bengali, Hindi und Sindhi wurden, meist von einzelnen Bahá‹í, teils auch auf Veranlassung Geistiger Räte Bücher herausgegeben, weit verbreitet und in private und öffentliche Bibliotheken in Ost und West gestellt. Darüber hinaus wird gegenwärtig die Literatur des Glaubens in die Sprachen Lettisch, Litauisch, Ukrainisch, Tamil, Mahratti, Paschto, Telugu, Kinaresisch, Singalesisch, Malaiisch, Oriya, Pandschabi und Radschastanisch übersetzt.

+25:13

Nicht minder bedeutsam war die Vielfalt der Literatur, die auf allen Kontinenten der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt und von tatkräftigen, unermüdlichen Pionieren bis in die letzten Winkel der Erde getragen wurde, ein Unternehmen, bei dem sich wiederum die Angehörigen der amerikanischen Bahá'í-Gemeinde hervortaten. Die Veröffentlichung einer englischen Ausgabe ausgewählter Abschnitte aus den wichtigeren, bisher nicht übersetzten Schriften Bahá'u'lláhs, eine englische Fassung Seines »Brief an den Sohn des Wolfes«, eine Sammlung von Gebeten und Meditationen aus Seiner Feder in derselben Sprache, die Übersetzung und Veröffentlichung Seiner »Verborgenen Worte« in acht, Seines »Kitáb-i-Iqán« in sieben und der »Beantworteten Fragen« von Abdu'l-Bahá in sechs Sprachen, die Zusammenstellung des dritten Bandes der ins Englische übersetzten Tablets von Abdu'l-Bahá, die Publikation von Büchern und Abhandlungen über die Bahá'í-Glaubensprinzipien sowie über Ursprung und Entwicklung der Verwaltungsordnung des Glaubens, eine englische Übersetzung des Berichts über die frühen Tage der Bahá'í-Offenbarung von dem Chronisten und Dichter Nabíl-i-Zarandí, die daraufhin in Arabisch veröffentlicht und ins Deutsche und Esperanto übersetzt wurde, Erklärungen und Darstellungen der Bahá'í-Lehren, der Verwaltungseinrichtungen und dergleichen Themen wie Weltbundesstaat, Rasseneinheit und vergleichende Religionswissenschaft aus der Feder abendländischer Verfasser und früherer Geistlicher der Kirche - all dies zeugt ebenso für die große Mannigfaltigkeit der Bahá'í-Veröffentlichungen wie ihre weite Verbreitung über die Erde. Dazu kommen der Druck von Dokumenten über Gesetze des Kitáb-i-Aqdas, Bücher und Werbeschriften über biblische Prophezeiungen, revidierte Ausgaben einiger Schriften Bahá'u'lláhs, Abdu'l-Bahás und verschiedener Bahá‹í"Autoren, Leitfäden und Studienmaterial über viele verschiedene Bahá'í-Bücher und -Themen, Unterrichtsbriefe über Bahá'í-Verwaltung, Verzeichnisse von Bahá'í-Büchern und -Zeitschriften, Festtagskarten und Kalender, Gedichte, Lieder, Spiele und Schaustücke, Lehrfibeln und ein Gebetbuch für den Unterricht von Bahá'í-Kindern, sowie Zeitungen, Mitteilungsblätter und Zeitschriften in Englisch, Persisch, Deutsch, Esperanto, Arabisch, Französisch, Urdu, Birmanisch und Portugiesisch, die alle am Aufkommen und der zunehmenden Mannigfaltigkeit des Bahá'í-Schrifttums beteiligt sind.

+25:14

Als besonders wertvoll und bedeutsam erwies sich, daß seit vielen Jahren die Bände fortlaufender Zweijahresberichte über die internationale Bahá'í-Arbeit erscheinen; reich illustriert und gründlich dokumentiert, enthalten sie neben anderem jeweils Verlautbarungen über die wesentlichen Ziele der Bahá‹í"Religion und ihrer Verwaltungsordnung, Auszüge aus ihren Schriften, einen Überblick über ihre Tätigkeiten, eine Liste ihrer Zentren in den fünf Erdteilen, ein bibliographisches Verzeichnis ihrer Literatur, Anerkennungsschreiben zu ihren Idealen und Leistungen seitens prominenter Männer und Frauen in Ost und und West sowie Artikel über ihre Haltung zu aktuellen Fragen.

+25:15

Ein Überblick über die Bahá'í-Literatur der letzten Jahrzehnte des ersten Bahá'í-Jahrhunderts wäre unvollständig, würde nicht die Publikation und der weitreichende Einfluß jener glänzenden, maßgeblichen und umfassenden Einführung in die Bahá'í-Geschichte und -Lehre aus der Feder des herzensreinen, unsterblichen Vorkämpfers des Glaubens, J. E. Esslemont, besonders genannt, die schon in siebenunddreißig Sprachen gedruckt vorliegt und gegenwärtig in weitere dreizehn Sprachen übersetzt wird, deren englische Gesamtauflage - allein in den Vereinigten Staaten schon neunmal aufgelegt - schon nach Zehntausenden zählt und deren Fassungen in Esperanto, Japanisch und Englisch in Blindenschrift vorliegen, und die eine Königin als »ein herrliches Buch voll Liebe und Güte, Kraft und Schönheit« preist und überall empfiehlt mit der Versicherung, daß »jedermann durch dieses Buch besser werde«.

+25:16

Besonders erwähnenswert ist auch die Gründung eines Verlags durch den britischen Nationalen Geistigen Rat, eingetragen als »The Bahá'í-Publishing Co.«, der sich mit der Veröffentlichung und dem Vertrieb der Bahá'í-Literatur auf den Britischen Inseln befaßt, sodann die Zusammenstellung von vierzig handschriftlichen Bänden mit authentischen, unveröffentlichten Schriften des Báb, Bahá‹u‹lláhs und Abdu'l-Bahás durch verschiedene Bahá'í-Räte im Osten, die Übersetzung des Nachtrags zum Kitáb-i-Aqdas mit dem Titel Fragen und Antworten ins Englische, die vom Nationalen Geistigen Rat der Bahá'í in Ägypten beziehungsweise Indien besorgte Veröffentlichung des Leitfadens über Bahá'í-Gesetze zu Anlegenheiten des persönlichen Rechts auf arabisch und persisch sowie einer kurzen Zusammenstellung der Gesetze über die Totenbestattung durch den indischen Nationalen Geistigen Rat und die Übersetzung eines Flugblatts in die Maorisprache durch einen Maori-Bahá'í in Neuseeland. Erwähnt sei auch die Sammlung und Veröffentlichung von zahlreichen Ansprachen, die Abdu'l-Bahá während Seiner Reisen im Westen hielt, durch den Geistigen Rat der Bahá'í in Tihrán, die Vorarbeiten zu einer ausführlichen Geschichte des Glaubens auf persisch, der Druck von Bahá'í-Trauscheinen und Scheidungsurkunden auf persisch und arabisch durch einer Anzahl Nationaler Geistiger Räte im Osten, die Ausgabe von Geburts- und Sterbeurkunden durch den persischen Nationalen Geistigen Rat, die Bereitstellung von Formularen für Gläubige, die dem Glauben eine Zuwendung machen wollen, die Zusammenstellung einer beachtlichen Zahl unveröffentlichter Schreiben Abdu'l-Bahás durch den Nationalen Geistigen Rat der amerikanischen Bahá'í, die Übersetzung mehrerer Bahá'í-Bücher, darunter wichtiger Schriften Bahá‹u‹lláhs und Abdu'l-Bahás, in Esperanto durch die Tochter des berühmten Zamenhof, selbst eine Anhängerin der Bahá'í-Religion, die Übersetzung einer Bahá'í-Schrift ins Serbische durch Prof. Bogdan Popowitsch, einen der herausragendsten Gelehrten an der Universität Belgrad, und das spontane Angebot der Prinzessin Ileana von Rumänien, jetzt Erzherzogin Anton von Österreich, eine englische, in ihrer Heimat verteilte Bahá'í-Kleinschrift in ihre Muttersprache zu übertragen.

+25:17

Auch die Fortschritte bei der Übertragung von Bahá'í-Schriften in Blindenschrift müssen vermerkt werden, eine Reihe, die bereits Werke umfaßt wie die englischen Ausgaben des 'Kitáb-i-Iqán', der 'Hidden Words', 'Seven Valleys', 'Ishráqát'¹, 'Súriy-i-Haykal', Words of Wisdom², Bahá'u'lláhs 'Prayers and Meditations', Abdu'l-Bahás 'Some Answered Questions' und 'Promulgation of Universal Peace'³, 'Wisdom of Abdu'l-Bahá', 'The Goal of a New World Order'<4>, sowie zwei englische, eine Esperanto- und eine japanische Ausgabe von 'Bahá'u'lláh und das neue Zeitalter', dazu Kleinschriften in Englisch, Französisch und Esperanto.

¹ 'Die Pracht', siehe AKKA 8 ² 'Worte der Weisheit', siehe AKKA 10
³ 'Verkündigung des Weltfriedens', Ansprachen in Amerika
<4> 'Das Ziel: Die neue Weltordnung', siehe WOB S. 49f

+25:18

Die für das reichhaltige Angebot an Bahá'í-Literatur und ihre Übersetzung in so viele Sprachen Verantwortlichen waren auch nicht müßig, sie mit allen verfügbaren Mitteln zu verbreiten, sei es bei ihrem täglichen gesellschaftlichen Umgang oder bei offiziellen Kontakten mit Organisationen, die sie mit den Zielen und Prinzipien ihres Glaubens bekannt machen wollten. Höchstes Lob gebührt diesen Herolden des Glaubens Bahá'u'lláhs und ihren gewählten Repräsentanten für die Tatkraft, Wachsamkeit und Beharrlichkeit, wodurch in den letzten Jahren die Bahá'í-Literatur in gewaltigem Ausmaß unter die Leute kam. Aus den Berichten der in den Vereinigten Staaten und Kanada mit der Herausgabe und dem Vertrieb der Schriften betrauten Stellen geht hervor, daß in den elf Monaten bis zum 28. Februar 1943 mehr als 19 000 Bücher, 100 000 Werbeschriften, 3 000 Studienblätter, 4 000 Auszüge aus den Schriften und 1 800 Grußkarten, Tempelkarten und Faltmappen verkauft oder verteilt wurden, daß in zwei Jahren in den Vereinigten Staaten 376 000 Werbeblätter über den Tempel und seine Zweckbestimmung gedruckt wurden, daß an den beiden Weltausstellungen in San Francisco und New York über 300 000 Schriften verteilt wurden, daß in zwölf Monaten 1 089 Bücher an verschiedene Bibliotheken gegeben und in einem Jahr durch den Nationalen Ausschuß für Öffentlichkeitsarbeit über 2 300 Briefe mit über 4 500 Druckschriften an Schriftsteller, Rundfunksprecher und Vertreter der jüdischen und Negerminderheiten sowie an verschiedene mit internationalen Angelegenheiten befaßte Organisationen gerichtet wurden.

+25:19

Das gleiche Lob wie für die Herstellung der umfangreichen Literatur verdienen die gewählten Repräsentanten und reisenden Lehrer der amerikanischen Bahá'í-Gemeinde, die sie, unterstützt von Geistigen Räten anderer Länder, mit derselben tatkräftigen Entschlossenheit an Persönlichkeiten von Rang und Würden überreichten. Dem König von England, der Königin Maria von Rumänien, dem Präsidenten Franklin D. Roosevelt, dem Kaiser von Japan, dem inzwischen verstorbenen Reichspräsidenten von Hindenburg, dem König von Dänemark, der Königin von Schweden, dem König Ferdinand von Bulgarien, dem Kaiser von Abessinien, dem König von Ägypten, dem verstorbenen König Feisal von 'Iráq, dem König Zogu von Albanien, dem mittlerweile verstorbenen tschechoslowakische Präsidenten Masaryk, den Präsidenten von Mexiko, Honduras, Panama, El Salvador, Guatemala und Puerto Rico, dem General Tschiang Kai Schek, dem ehemaligen Khediven von Ägypten, dem Kronprinzen von Schweden, dem Herzog von Windsor, der Herzogin von Kent, der Erzherzogin Anton von Österreich, der Prinzessin Olga von Jugoslawien, der Prinzessen Kadria von Ägypten, der Prinzessin Estelle Bernadotte von Wisborg, Mahatma Gandhi, mehreren regierende Fürsten in Indien und den Ministerpräsidenten aller Staaten des Australischen Bundes sowie vielen anderen weniger hochgestellten Persönlichkeiten wurde Bahá'í-Literatur über verschiedene Aspekte des Glaubens überreicht, einigen persönlich, anderen durch geeignete Vermittler, seien es einzelne Gläubige oder die gewählten Repräsentanten der Bahá'í-Gemeinden.

+25:20

Auch versäumten die einzelnen Lehrer und die Räte nicht, diese Literatur in Staats-, Universitäts- und allgemein zugängliche Bibliotheken für die Öffentlichkeit bereitzustellen, um dem allgemeinen Leserpublikum die Gelegenheit zu geben, sich mit der Geschichte und den Lehren der Offenbarung Bahá'u'lláhs vertraut zu machen. Um das Feld dieser Tätigkeit auf fünf Kontinenten zu umreißen, mag es genügen, nur die wichtigeren dieser Bibliotheken aufzuzählen: das Britische Museum in London, die Bodleian-Bibliothek in Oxford, die Kongreßbibliothek in Washington, die Bibliothek im Haager Friedenspalast, die Bibliotheken der Nobel-Friedensstiftung und der Nansen-Stiftung in Oslo, die Königliche Bibliothek in Kopenhagen, die Völkerbundsbibliothek in Genf, die Hoover-Friedensbibliothek, die Amsterdamer Universitätsbibliothek, die Parlamentsbibliothek in Ottawa, die Universitätsbibliothek in Allahabad, die Universitätsbibliothek in Aligarh, die Universitätsbibliothek in Madras, die Bibliothek der Internationalen Shantineketan-Universität in Bolepur, die Bibliothek der Uthmáníyyih-Universität in Hayderabad, die Kaiserliche Bibliothek in Kalkutta, die Jamia-Milli-Bibliothek in Delhi, die Universitätsbibliothek in Mysore, die Bernard-Bibliothek in Rangun, die Jerabia-Wadia-Bibliothek in Puna, die öffentliche Bibliothek in Lahore, die Universitätsbibliotheken in Lucknow und in Delhi, die öffentliche Bibliothek in Johannesburg, die Leihbibliotheken von Rio de Janeiro, die Nationalbibliothek in Manila, die Universitätsbibliothek in Hongkong, die öffentlichen Bibliotheken in Reykjavik, die Carnegie-Bibliothek auf den Seychellen, die Nationalbibliothek von Kuba, die öffentliche Bibliothek von San Juan, die Universitätsbibliothek Ciudad Trujillo, die Unversitäts- und die öffentliche Carnegie-Bibliothek in Puerto Rico, die Parlamentsbibliothek in Canberra und die Parlamentsbibliothek in Wellington. In all diese Bibliotheken wurden die maßgeblichen Bücher über den Glauben Bahá'u'lláhs eingestellt, desgleichen in alle größeren Büchereien in Australien und Neuseeland, neun Bibliotheken in Mexiko, mehrere Bibliotheken in Mukden in der Mandschurei und über tausend öffentliche Bibliotheken, hundert Militärbüchereien und zweihundert Universitäts- und Oberschulbibliotheken - darunter auch indianische Oberschulen - in den Vereinigten Staaten und Kanada.

+25:21

Auch die Staatsgefängnisse und seit Kriegsausbruch die Heeresbüchereien wurden in den umfassenden Plan einbezogen, mit dem die amerikanische Bahá'í-Gemeinde durch einen besonderen Ausschuß für die Verbreitung der Bahá'í-Literatur sorgte. Diese regsame, unternehmungsfreudige Gemeinde dachte auch an die Bedürfnisse der Blinden und gab Bahá'í-Bücher, die von ihren Mitgliedern in Blindenschrift übertragen worden waren, an dreißig Büchereien und Anstalten in achtzehn Staaten der Vereinigten Staaten von Amerika, in Honolulu (Hawaii) und Regina (Saskatschewan) und an die Blindenbüchereien in Tokio und Genf, sowie an eine große Anzahl Leihbüchereien, die an öffentliche Bibliotheken in verschiedenen großen Städten des nordamerikanischen Kontinents angeschlossen sind.

+25:22

Und ich kann dieses Thema nicht abschließen, ohne eine Frau zu preisen, die nicht nur durch ihren gewichtigen Anteil an den ersten Übersetzungen der Bahá'í-Literatur und ihrer Verbreitung, sondern vor allem durch ihre wunderbaren, wirklich einzigartigen Leistungen auf dem internationalen Lehrfeld sich mit einem Ruhm schmückte, der nicht nur weltweit die Erfolge der zeitgenössischen Glaubenslehrer in den Schatten stellt, sondern auch die Taten aller Glaubensbotschafter eines ganzen Jahrhunderts überstrahlt. Martha Root, das Urbild reisender Bahá'í-Lehrer, die erste seit Abdu'l-Bahás Hinscheiden durch Bahá'u'lláh erweckte Hand, trägt zu recht den Titel Erste Botschafterin Seines Glaubens, Stolz der Bahá'í-Lehrer und Lehrerinnen in Ost und West, so man ihre vielfältigen Dienste und ihre überragende Lebensleistung gebührend würdigen will.

+25:23

Sie war die erste, die im selben Jahr, da die Sendschreiben zum göttlichen Plan in den Vereinigten Staaten von Amerika veröffentlicht wurden, dem epochemachenden Ruf Abdu'l-Bahás folgte. Unbeugsam entschlossen und im Geiste vollkommener Selbstlosigkeit trat diese unermüdliche Seele ihre Weltreisen an, die sie fast ohne Unterbrechung zwanzig Jahre lang viermal um den Erdball führten und in deren Verlauf sie viermal nach China und Japan, dreimal nach Indien reiste, alle bedeutenden Städte in Südamerika besuchte und die Botschaft vom Neuen Tag Königen und Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen, Staatspräsidenten, Ministern und Politikern, Redakteuren, Professoren, Geistlichen, Schrifstellern und vielen, vielen Menschen aller Art überbrachte, offiziell wie privat religiöse Kongresse, Friedensgesellschaften, Esperantovereine, Sozialistenkongresse, theosophische Gesellschaften, Frauenklubs und andere derartige Verbände besuchte und so kraft ihres Strebens und durch ihre großen Erfolge einen Rekord aufstellte, der dem Vorbild, welches Abdu'l-Bahá selbst bei Seinen Reisen im Abendland Seinen Jüngern gab, am nächsten kommt.

+25:24

Ihre acht Begegnungen mit Königin Maria von Rumänien - die erste im Januar 1926 im Controceni-Palast zu Bukarest, die zweite 1927 auf Schloß Pelisor in Sinaia, im Jahr darauf ein Besuch bei der Majestät und ihrer Tochter Prinzessin Ileana im königlichen Schloß zu Belgrad, wo sie als Gast des jugoslawischen Königspaares weilte, dann im Oktober 1929 auf Tehna Yuva, dem Sommerpalast der Königin in Baltschik am Schwarzen Meer, dann im August 1932 und Februar 1933 in der Wohnung der Prinzessin Ileana, nun Erzherzogin Anton von Österreich, in Mödling bei Wien, ein Jahr später ein weiteres Treffen im Controceni-Palast und zuletzt im Februar 1936 am selben Ort - diese Begegnungen heben sich als Glanzlichter dieser denkwürdigen Reisen ab durch den tiefen Einfluß, den die Besucherin auf ihre königliche Gastgeberin ausübte, wie die späteren Loblieder aus der Feder der Königin bezeugen. Die drei Besuche der unermüdlichen Vorkämpferin des Glaubens bei Prinz Paul und Prinzessin Olga von Jugoslawien auf deren Einladung in das königliche Schloß zu Belgrad, ihre Vorträge an mehr als vierhundert Universitäten und Höheren Schulen in Ost und West, ihre zweimalige Besuchsreise zu allen deutschen Universitäten - bis auf zwei - sowie zu fast hundert Universitäten, Seminare und Schulen in China, ihre zahllosen Artikel in Zeitungen und Zeitschriften in praktisch jedem Land, das sie besuchte, ihre vielen Rundfunkreden und die unzähligen Bücher, die sie in privaten und staatlichen Bibliotheken zurückließ, ihre persönlichen Begegnungen mit den Staatsmännern von über fünfzig Ländern während ihres dreimonatigen Aufenthalts 1932 in Genf zur Zeit der Abrüstungskonferenz, ihre gewissenhafte Arbeit, als sie neben ihren anstrengenden Reisen auch die Überprüfung und Veröffentlichung vieler Ausgaben von Dr. Esslemonts Bahá'u'lláh und das neue Zeitalter besorgte, die Korrespondenz und damit verbunden die Überreichung von Bahá'í-Büchern an Männer des öffentlichen und des Geisteslebens, ihre Pilgerfahrt nach Persien und die bewegende Ehrung, die sie dem Gedächtnis der Glaubenshelden beim Besuch der historischen Bahá'í-Stätten dort erwies, ihr Besuch in Adrianopel, wo sie in überwältigender Liebe zu Bahá'u'lláh die Häuser, in denen Er im Exil gewohnt, und die Menschen, mit denen Er damals verkehrt hatte, aufsuchte und beim Statthalter und Bürgermeister zu Gast war, ihr immer bereiter, nie versagender Beistand, den sie den Sachwaltern des Glaubens in allen Ländern erwies, wo dessen Institutionen schon geschaffen oder noch im Aufbau begriffen waren - dies sind glanzvolle Höhepunkte eines Dienstes, der in der Geschichte des ersten Bahá'í-Jahrhunderts in vieler Hinsicht nicht seinesgleichen hat.

+25:25

Nicht weniger eindrucksvoll ist die Namensliste derer, mit denen sie im Laufe ihrer Mission Gespräche führte: neben den schon Genannten die Majestäten König Haakon von Norwegen, König Feisal vom Iráq, König Zogu von Albanien und Mitglieder seiner Familie, Prinzessin Marina von Griechenland (nun Herzogin von Kent), Prinzessin Elisabeth von Griechenland, prominente Persönlichkeiten wie die tschechoslowakischen Präsidenten Thomas G. Masaryk und Eduard Benesch, der österreichische Bundespräsident, Dr. Sun Yat Sen, der Präsident der Columbia-Universität Dr. Nicholas Murray Butler, Professor Bogdan Popowitsch von der Universität Belgrad, der türkische Außenminister Tevfik Rüsdü Bey, der chinesische Außenminister und Erziehungsminister, der litauische Außenminister, Prinz Muhammad-Alí von Ägypten, Stefan Raditsch, die Maharadschas von Patiala, Benares und Travancore, der Gouverneur und der Großmufti von Jerusalem, der schwedische Erzbischof Dr. Erling Eiden, Sarojini Naidu, Sir Rabindranath Tagore, die ägyptische Frauenführerin Huda Sha'ráví, der Minister des japanischen kaiserlichen Haushalts Dr. K. Ichiki, der Emeritus der Tokioter Kaiserlichen Universität Professor Tetrujiro Inouye, das japanischen Oberhausmitglied Baron Yoshiro Sakatani und der Dekan der Philosophischen Fakultät und Präsident des Instituts für türkische Geschichte Mehmed Fuad.

+25:26

Weder Alter noch Krankheit, weder der anfänglich hinderliche Mangel an Literatur noch die beschwerliche Last fehlender Mittel, weder extreme Klimaunbilden noch politische Wirren, in die sie bei ihren Reisen geriet, konnten den Eifer dieser geistig vorwärtsstürmenden, heiligen Frau dämpfen oder sie von ihrem Ziel abbringen. Unermüdlich rief sie, ganz auf sich gestellt, oftmals unter äußerst gefährlichen Umständen, fanfarengleich die Menschen verschiedener Religionen, Farben und Klassen zur Botschaft Bahá'u'lláhs, bis sie, ungeachtet einer tödlichen, schmerzhaften Krankheit, die sie äußerst tapfer ertrug, nach Hause eilte, um beim eben begonnenen Siebenjahresplan mitzuwirken, unterwegs aber im fernen Honolulu zusammenbrach. Dort, an diesem symbolischen Ort zwischen den beiden Hemisphären Ost und West, in welchen sie so mächtig gewirkt hatte, starb sie am 28. September 1939 und vollendete ein Leben, das als die herrlichste Frucht gelten darf, die das Gestaltende Zeitalter der Sendung Bahá'u'lláhs bisher zeitigte.

+25:27

Dem testamentarischen Gebot Abdu'l-Bahás, in die Fußstapfen der Jünger Jesu Christi zu treten, »nicht einen Augenblick zu ruhen«, »durch alle Länder zu ziehen«, »ohne Rast und treu bis in den Tod« »in allen Landen den Ruf Yá Bahá'u'l-Abhá« anzustimmen, war die unsterbliche Heldin derart gehorsam, daß heutige wie künftige Geschlechter stolz auf sie sein und ihr nacheifern können.

+25:28

»Unbändig wie der Wind«, setzte sie ihr »ganzes Vertrauen« auf Gott als »beste Wegzehrung« auf der Reise und erfüllte buchstäblich den in Abdu'l-Bahás Sendschreiben so klar ausgesprochenen Wunsch, dem nachzukommen sie sich aufgemacht hatte: »O daß ich doch in diese Gegenden reisen könnte, wenn nötig, zu Fuß und in tiefster Armut, um in den Städten und Dörfern, auf den Bergen, in den Wüsten und auf den Meeren den Ruf 'Yá Bahá'u'l-Abhá!' zu erheben und die göttlichen Lehren zu verbreiten! Leider ist mir dies nicht möglich. Wie sehr beklage ich das! So Gott will, werdet ihr es schaffen«.¹

¹ Zum göttlichen Plan 7/8

+5:29

»Tief erschüttert hörte ich vom Tod der guten Miss Martha Root«, heißt es in der königlichen Würdigung der Prinzessin Olga von Jugoslawien anläßlich der Todesnachricht, »ich hatte keine Ahnung davon. Wir freuten uns immer über ihre damaligen Besuche. Sie war so lieb und freundlich und arbeitete wirklich für den Frieden. Sicher wird man sie bei ihrer Arbeit schmerzlich vermissen.«

+25:30

»Du bist wahrhaftig ein Herold des Gottesreiches und ein Verkünder des Bundes«, bezeugt die nie irrende Feder des Mittelpunkts des Bundes Bahá'u'lláhs, »du bist wahrlich selbstlos. Du bist freundlich zu allen Völkern. Du säest eine Saat, die dereinst tausendfache Frucht bringt. Du pflanzest einen Baum, der immerdar Blätter und Blüten treiben und Frucht tragen wird und dessen Schatten Tag um Tag zunimmt an Pracht.«

+25:31

Von allen Diensten, die diese Sternmagd des Gottesglaubens der Sache Bahá'u'lláhs leistete, war der herrlichste und weitaus wichtigste das fast augenblickliche Echo, das sie in Königin Maria von Rumänien weckte, als sie, die eifrige, kühne Pionierin, ihr in einem der trübsten Augenblicke ihres Lebens, einer Stunde bitterer Not, Qual und Sorge, die Botschaft überbrachte. »Sie kam«, schrieb sie in einem Brief, »wie alle großen Botschaften kommen, in einer Stunde quälender Sorge, des inneren Zwiespalts und der Not, und so drang der Same tief ein.«

+25:32

Als älteste Tochter des Herzogs von Edinburgh, des zweiten Sohnes jener Königin, die von Bahá'u'lláh in einem bedeutsamen Sendbrief mit lobenden Worten bedacht worden war, Enkelin des Zaren Alexander 11. - ebenfalls Empfänger eines Sendbriefs aus Seiner Feder -, durch Geburt und Ehe mit den bedeutendsten Familien Europas verwandt, im anglikanischen Glauben erzogen, durch ihre Ehe mit der griechisch-orthodoxen Kirche, der Staatsreligion ihrer Wahlheimat, eng verbunden, selbst eine vollendete Schriftstellerin, eine bezaubernde, gewinnende Persönlichkeit, hoch begabt, mit klarem Blick, von Natur aus wagemutig, voll Eifer und Fleiß bei allen Werken der Menschenliebe, fühlte sie sich als einzige unter den Königinnen, als einzige von königlichem Geblüt und Rang, veranlaßt, Bahá'u'lláhs Botschaft in ihrer ganzen Größe aus eigenem Antrieb zu begrüßen, zu verkünden, daß Er der Vater und Muhammad Sein Prophet ist, allen Männern und Frauen die Bahá'í-Lehren ans Herz zu legen und deren Kraft, Erhabenheit und Schönheit zu preisen.

+25:33

Mit ihrem furchtlosen Glaubensbekenntnis vor Freunden und Verwandten und besonders vor ihrer jüngsten Tochter, mit drei Lobgedichten, ihrem größten, bleibenden Vermächtnis an die Nachwelt, mit drei weiteren Würdigungsschreiben, die sie als ihren Beitrag zur Bahá'í-Literatur verfaßte, mit mehreren Briefen an Freunde und Bekannte sowie an ihre Ratgeberin und geistige Mutter, mit vielfältigen Zeichen ihres Glaubens und ihrer Dankbarkeit für die frohe Botschaft, die ihr zuteil wurde durch die Bahá'í-Bücher, die sie und ihre jüngste Tochter bestellten, und schließlich mit der geplanten, aber nicht zustandegekommenen Pilgerfahrt ins Heilige Land, wo sie die Stiftergräber des Glaubens aufsuchen wollte - mit alledem kommt es dieser erlauchten Königin zu, den ersten Rang unter den königlichen Stützen der Sache Gottes einzunehmen, die in Zukunft sich aufmachen werden und von denen jede mit den Worten Bahá'u'lláhs begrüßt werden soll als »der Menschheit Auge, leuchtende Zier auf der Stirn der Schöpfung, Segensquell für die ganze Welt«.

+25:34

In einem persönlichen Brief schreibt sie bezeichnend: »Einige meiner Kaste wundern sich und mißbilligen meinen Mut, aus der Reihe zu tanzen und Worte zu sprechen, die gekrönte Häupter gewöhnlich nicht in den Mund nehmen, aber ich gehe voran, weil ich nicht anders kann. Gebeugten Hauptes erkenne ich, daß auch ich nur ein Werkzeug bin in höherer Hand, und ich freue mich über diese Erkenntnis.«

+25:35

Eine Notiz, die Martha Root bei ihrer Ankunft in Bukarest zusammen mit einem Exemplar von Bahá'u'lláh und das neue Zeitalter an die Majestät sandte, fesselte derart die Aufmerksamkeit der Königin, daß sie bis zum frühen Morgen in dem Buch las und zwei Tage später, am 30. Januar 1926, Martha Root zu einer Audienz in den Controceni-Palast einlud. Im Verlauf des Gesprächs zeigte sie sich davon überzeugt, daß »diese Lehren die Lösung für die Weltprobleme darstellen« -, und darauf folgte noch im selben Jahr auf ihre Veranlassung hin die Veröffentlichung der drei epochemachenden Verlautbarungen, die in fast zweihundert Zeitungen der Vereinigten Staaten und Kanadas erschienen und danach in Europa, China, Japan, Australien, im Nahen Osten und auf den Inseln der Meere übersetzt und herausgegeben wurden.

+25:36

Im ersten dieser Schreiben bestätigt sie, daß die Schriften Bahá'u'lláhs und Abdu'l-Bahás »ein lauter Ruf zum Frieden sind, über alle Grenzen hinweg und erhaben über allen Zank um Riten und Dogmen... Es ist eine wundersame Botschaft, die Bahá'u'lláh und Sein Sohn Abdu'l-Bahá uns schenkten. Nicht aggressiv stellen sie sie vor, denn sie wissen ja, daß der Keim der ewigen Wahrheit im Kern ihrer Botschaft auf jeden Fall aufgehen und Wurzeln schlagen wird... Es ist die Botschaft Christi, die hier wieder neu und mit fast denselben Worten aufgenommen wird, aber angepaßt der mehr als tausend Jahre vom Jahr eins bis heute vorangeschrittenen Zeit.« Sie fügte eine beachtenswerte Mahnung bei, die an die einprägsamen Worte von Dr. Benjamin Jowett erinnert, der in einem Gespräch mit seinem Schüler Professor Lewis Campbell die Bahá'í-Religion als »das größte Licht« begrüßt, »das seit den Zeiten Jesu Christi in die Welt gekommen ist«, und ihm nahelegt, »darauf zu achten« und es nie aus den Augen zu verlieren. »Sollten euch je«, schrieb die Königin, »die Namen Bahá'u'lláh oder Abdu'l-Bahá in die Augen fallen, so legt ihre Schriften nicht beiseite! Forscht in ihren Büchern und laßt ihre herrlichen, friedenstiftenden, liebeverbreitenden Worte und Lehren so in eure Herzen dringen, wie sie in meines drangen! ... Sucht nach ihnen, damit ihr umso glücklicher sein werdet!«

+25:37

In einem anderen ihrer Zeugnisse, worin sie eine bedeutsame Erläuterung über die Stellung des arabischen Propheten gibt, erklärte sie: »Gott ist alles, alles. Er ist die Kraft hinter allem... Er ist die Stimme in uns, die uns gut und böse weist. Aber meistens überhören oder mißverstehen wir diese Stimme. Darum erkor Er Seine Auserwählten, damit sie zu uns auf die Erde herabsteigen und uns Sein Wort klarmachen und Seine wirkliche Absicht. Darum die Propheten, darum Christus, Muhammad, Bahá'u'lláh; denn der Mensch braucht immer wieder eine Stimme auf Erden, die ihm Gott nahebringt, die sein Erkenntnisvermögen für das Dasein des wahren Gottes schärft. Diese Stimmen, die uns gesandt wurden, mußten Fleisch werden, damit wir mit unseren irdischen Ohren hören und verstehen konnten.«

+25:38

Es wurde ihr im Namen der Anhänger Bahá'u'lláhs in Ost und West ein Schreiben der Wertschätzung ihrer Zeugnisse gesandt, worauf sie in ihrem tief ergreifenden Antwortbrief schrieb: »Mit der Botschaft Bahá'u'lláhs und Abdu'l-Bahás ist wahrhaftig ein großes Licht zu mir gekommen... Auch meine jüngste Tochter findet in den Lehren der geliebten Meister viel Kraft und Trost. Wir geben die Botschaft mündlich weiter, und alle, denen wir sie reichen, sehen plötzlich ein Licht vor sich aufblitzen, und vieles, was dunkel und wirr gewesen, wird einfach, licht und hoffnungsvoll wie nie zuvor. Daß mein offener Brief denen Balsam war, die für die Sache leiden müssen, ist wirklich eine große Freude für mich, und ich nehme es als Zeichen dafür, daß Gott meinen demütigen Tribut angenommen hat. Die mir geschenkte Gelegenheit, mich öffentlich zu äußern, war auch Sein Werk, denn da war wirklich eine ganze Kette von Umständen, und jedes ihrer Glieder brachte mich unbewußt einen Schritt weiter, bis plötzlich alles vor meinen Augen klar wurde und ich begriff, warum es so hatte sein müssen. So führt Er uns schließlich zu unserem endgültigen Ziel... Ganz allmählich hebt sich der Schleier, Leid hat ihn zerrissen. Und das Leid war auch ein Schritt, der mich näher an die Wahrheit heranführte; darum bäume ich mich nicht auf gegen das Leid!«

+25:39

In einem aufschlußreichen, bewegenden Brief an eine vertraute amerikanische Freundin, die in Paris wohnte, schrieb sie: »Letzthin kam eine große Hoffnung zu mir durch Abdu'l-Bahá. Ich fand in Seiner und Seines Vaters, Bahá'u'lláhs, Glaubensbotschaft meine ganze Sehnsucht nach wirklicher Religion erfüllt... Was ich sagen will: diese Bücher haben mich unglaublich gestärkt, und ich bin jetzt voll Hoffnung und bereit, jeden Tag zu sterben. Aber ich bitte Gott, mich noch nicht hinwegzunehmen, denn ich habe noch viel Arbeit vor mir.«

+25:40

Und wiederum in einem späteren Schreiben über den Glauben: »Die Bahá'í-Lehre bringt Frieden und Verständigung. Sie ist wie eine weite Umarmung, die alle umfängt, die lange nach Worten der Hoffnung gesucht haben... Traurig über den dauernden Zwist unter den Gläubigen vieler Konfessionen und überdrüssig ihrer gegenseitigen Unduldsamkeit, entdeckte ich in der Bahá'í-Lehre den wahren Geist Christi, der so oft geleugnet und verkannt wird.« Und wieder dies wundervolle Bekenntnis: »Die Bahá'í-Lehre bringt der Seele Frieden und dem Herzen Hoffnung. Wer nach Gewißheit sucht, dem sind die Worte des Vaters wie ein Brunnen in der Wüste nach langer Wanderschaft.«

+25:41

»Die schöne Wahrheit Bahá'u'lláhs«, schrieb sie an Martha Root, »ist immer bei mir, eine Hilfe und Anregung. Was ich geschrieben habe, rührt daher, daß mein Herz vor Dankbarkeit überströmt für die Besinnung, die Sie mir verschafft haben. Ich freue mich, wenn Sie glauben, daß ich geholfen habe. Ich dachte, es würde der Wahrheit näher bringen, weil meine Worte so viel gelesen werden.«

+25:42

Während eines Besuches im Nahen Osten äußerte sie die Absicht, die Bahá'í-Schreine aufzusuchen, sie kam in Begleitung ihrer jüngsten Tochter nach Haifa und war schon in Sichtweite ihres Zieles, als ihr das Recht verwehrt wurde, den geplanten Pilgerbesuch zu verwirklichen, zur großen Enttäuschung des hochbetagten Größten Heiligen Blattes, das ihre Ankunft sehnlich erwartet hatte. Einige Monate später, im Juni 1931, schrieb sie in einem Brief an Martha Root: »Ileana und ich waren bitter enttäuscht, als wir nicht zu den heiligen Schreinen gehen durften ... aber damals machten wir eine schwere Krise durch, jeder meiner Schritte wurde gegen mich unfreundlich ausgelegt und politisch böswillig ausgeschlachtet. Das brachte mir viel Leid und beschnitt meine Freiheit sehr hart... Aber die Schönheit der Wahrheit bleibt bestehen, und ich klammere mich an sie, wenn auch das wechselvolle Leben etwas traurig geworden ist... Es freut mich zu hören, daß Ihre Reise so fruchtbar gewesen ist, und wünsche Ihnen stets Erfolg, da ich weiß, welch schöne Botschaft Sie von Land zu Land tragen.«

+25:43

Nach dieser traurigen Enttäuschung schrieb sie an eine Freundin aus ihrer Kindheit, die bei Akká in einem Haus lebte, das Bahá'u'lláh früher bewohnt hatte: »Es war wirklich schön, von Dir zu hören, und zu denken, daß Du vor allem bei Haifa lebst und wie ich der Bahá'í-Lehre folgst. Es interessiert mich, daß Du in diesem besonderen Haus wohnst... Ich war so gefesselt davon und betrachtete jedes Foto genau. Es muß ein lieblicher Ort sein ... und das Haus, in dem du lebst, so unglaublich anziehend und kostbar geworden durch seine Beziehungen zu dem Mann, den wir alle verehren...«

+25:44

Ihre letzte öffentliche Würdigung des Glaubens, den sie so hoch schätzte, schrieb sie zwei Jahre vor ihrem Tod. »Heute, da die Welt einer derartigen Krise mit ihren Wirren und Unruhen gegenübersteht«, schrieb sie, »müssen wir mehr denn je fest im Glauben stehen und das suchen, was uns eint, und nicht, was uns trennt. Denen, die nach Licht suchen, weisen die Bahá'í-Lehren einen Stern, der sie zu tieferem Verständnis führt, zur Gewißheit, zu Frieden und Wohlwollen mit allen Menschen.«

+25:45

Martha Roots eigener erhellende Bericht steht in einem ihrer Artikel, wo es heißt: »Zehn Jahre lang haben Majestät und ihre Tochter, die Kgl. Hoheit Prinzessin Ileana (jetzt Erzherzogin Anton) mit Interesse jedes neue Buch über die Bahá'í-Bewegung gelesen, sobald es vom Druck kam... Nach dem Hinscheiden ihres Gemahls König Ferdinand 1927 wurde ich von ihrer Majestät auf Schloß Pelisor in Sinaia zur Audienz empfangen, wo sie mir gütig ein Interview gab, bei dem sie über die Bahá'í-Lehren von der Unsterblichkeit sprach. Auf dem Tisch und dem Diwan lagen einige Bahá'í-Bücher, in allen von ihnen hatte sie die Lehren über das Leben nach dem Tod nachgelesen. Sie bat mich, ... die Freunde in Iran und die vielen amerikanischen Bahá'í zu grüßen, die, wie sie sagte, im Vorjahr bei ihrer Reise durch die Vereinigten Staaten besonders nett zu ihr gewesen seien... Als ich die Königin wieder traf - es war am 19. Januar 1928 im Königsschloß zu Belgrad, wohin sie zusammen mit der Kgl. Hoheit Prinzessin Ileana auf Besuch zur Königin von Jugoslawien gekommen war und einige Bahá'í-Bücher mitgebracht hatte, - sprach sie die Worte, die mir am längsten von allem, was die liebe Majestät sagte, in Erinnerung bleiben werden: 'Der letzte Traum, den wir verwirklichen werden, ist der, daß die Bahá'í-Denkart eine solche Kraft hat, daß sie allmählich zu einem Licht für alle wird, die um den wahren Ausdruck der Wahrheit ringen.' ... Als die Majestät bei der Audienz vom 16. Februar 1934 im Controceni-Palast vernahm, daß die rumänische Übersetzung von Bahá'u'lláh und das neue Zeitalter gerade in Bukarest herausgekommen war, sagte sie, sie sei so glücklich, daß ihr Volk nun den Segen genieße, diese kostbare Lehre lesen zu können ... Und nun habe ich heute, am 4. Februar 1936, gerade wieder eine Audienz bei ihrer Majestät im Controceni-Palast zu Bukarest gehabt ... Wieder empfing mich die Königin Maria von Rumänien herzlich in ihrer gedämpft erleuchteten Bibliothek, denn es war sechs Uhr ... Welch denkwürdiger Besuch war das! ... Sie sagte mir auch, daß sie in London eine Bahá'í getroffen hätte, Lady Blomfield, die ihr die ursprüngliche Botschaft zeigte, die Bahá'u'lláh ihrer Großmutter, Königin Victoria, nach London geschrieben hatte. Sie fragte mich nach den Fortschritten der Bahá'í-Bewegung, besonders in den Balkanländern ... Sie sprach auch über mehrere Bahá'í-Bücher, über die Tiefen des Iqán und besonders über die Ährenlese aus den Schriften Bahá'u'lláhs, die sie ein wundervolles Buch nannte. Um ihre eigenen Worte zu zitieren: 'Sogar Zweifler fänden eine gewaltige Kraft darin, läsen sie es allein und gäben ihrer Seele Zeit, sich zu weiten.« ... Ich fragte, ob ich vielleicht von der Brosche sprechen dürfe, die den Bahá'í historisch kostbar ist, und sie sagte: »Ja, gern.« Einst, im Jahr 1928, hatte die liebe Majestät der Verfasserin ein Geschenk gemacht, eine reizende, seltene Brosche, die ihr die kaiserlichen Verwandten in Rußland einige Jahre zuvor geschenkt hatten. Es waren zwei in Gold und Silber gearbeitete kleine Flügel, die mit winzigen Diamantsplittern besetzt waren und von einer großen Perle zusammengehalten wurden. 'Sie geben immer Geschenke an andere, ich werde Ihnen nun ein Geschenk von mir geben', sagte die Königin lächelnd und heftete die Brosche selbst an mein Kleid. Flügel und Perle ließen sie als 'lichtbringend' erscheinen - Bahá'í! Sie wurde noch in derselben Woche nach Chicago geschickt, als Geschenk für den Bahá'í-Tempel. Auf der Bahá'í-Nationaltagung, die in jenem Frühjahr stattfand, kamen Bedenken auf: Darf das Geschenk einer Königin verkauft werden? Sollte es nicht als Andenken an die erste Königin aufbewahrt werden, die sich erhob, Bahá'u'lláhs Glauben zu fördern? Es wurde aber doch gleich verkauft und das Geld dem Tempel gegeben, denn alle Bahá'í gaben ihr Letztes, um diesen mächtigen Bau voranzubringen, den ersten seiner Art in den Vereinigten Staaten von Amerika. Mister Willard Hatch, ein Bahá'í aus Los Angeles in Kalifornien, der die erlesene Brosche kaufte, brachte sie 1931 nach Haifa in Palästina und gab sie in das Archiv am Karmel, wo sie für alle Zeit bei den Bahá'í-Schätzen ruhen soll ...«

+25:46

Im Juli 1938 verschied Königin Maria von Rumänien. An ihre Tochter, die Königin von Jugoslawien, wurde im Namen aller Bahá'í-Gemeinden in Ost und West ein Kondolenzschreiben gerichtet, worauf sie in ihrer Antwort »aufrichtigen Dank an alle Anhänger Bahá'u'lláhs« ausdrückte. Der Nationale Geistige Rat der Bahá'í in Persien sandte im Namen der Glaubensangehörigen in Bahá'u'lláhs Heimat ein Beileidsschreiben in persischem und englischem Text an ihren Sohn, den König von Rumänien, und die rumänische Königsfamilie. Martha Root drückte der Prinzessin Ileana ihr tiefes, liebevolles Mitgefühl aus, was dankbar angenommen wurde. Gedächtnisfeiern wurden für die Königin gehalten, wobei in ehrenvoller Würdigung ihr mutiges, epochemachendes Glaubensbekenntnis an den Vater Bahá'u'lláh, ihr Anerkenntnis der Stufe des Propheten des Isláms und die vielen Preisgedichte aus ihrer Feder erwähnt wurden. Am ersten Jahrestag ihres Todes gab der Nationale Geistige Rat der Bahá'í der Vereinigten Staaten und Kanadas seiner dankbaren Bewunderung und Zuneigung für die verstorbene Königin Ausdruck, indem er sich mit einer prachtvollen Blumenspende an der eindrucksvollen Gedächtnisfeier beteiligte, die ihr zu Ehren vom rumänischen Gesandten in der Bethlehemkapelle der Kathedrale zu Washington, D.C., veranstaltet wurde und an der eine amerikanische Delegation unter der Führung des Staatssekretärs mit Regierungsbeamten und Vertretern von Heer und Marine sowie die Botschafter Großbritanniens, Frankreichs und Italiens und Vertreter anderer europäischer Gesandtschaften teilnahmen, vereint in der Ehrung einer Frau, die, abgesehen von dem unvergänglichen Ruhm, den sie im Reich Bahá'u'lláhs errungen, im irdischen Leben die Achtung und Liebe vieler Menschen über die Grenzen ihres Landes hinaus erworben hatte.

+25:47

Die Anerkennung der Gottesbotschaft durch Königin Maria gehört zu den ersten Früchten der visionären Schau Bahá'u'lláhs, die Er, der Gefangene, lange zuvor in Seinem Kitáb-i-Aqdas angekündigt hatte. »Welch großer Segen harrt des Königs, der sich erhebt, Meiner Sache in Meinem Reiche zu helfen, und sich von allem außer Mir loslöst! ... Alle müssen seinen Namen verherrlichen, seine Stufe ehren und ihm helfen, mit dem Schlüssel Meines Namens, der Allmächtige Beschützer für alle Bewohner der sichtbaren und unsichtbaren Reiche, die Städte aufzuschließen. Ein solcher König ist das wahre Auge der Menschheit, der leuchtende Schmuck auf der Stirne der Schöpfung, der Brunnquell des Segens für die ganze Welt. O Volk Bahás, opfert euere Habe, ja euer Leben zu seinem Beistand!«¹

¹ Aqdas 84; auch ÄL 105/7

+25:48

Die von dem unvergänglichen Ruhm der weltweiten, zeichensetzenden Dienste Martha Roots gekrönte amerikanische Bahá'í-Gemeinde sollte sich gegen Ende des ersten Bahá'í-Jahrhunderts noch durch weitere Erfolge auszeichnen, die ihre Mitglieder im vereinten Bemühen im In- und Ausland errangen und die bei diesem Überblick über die Lehrtätigkeiten in diesem Jahrhundert nicht unerwähnt bleiben dürfen. Ohne Übertreibung kann man sagen, daß die riesigen Erfolge und die darauf fußenden erstaunlichen Ergebnisse nur durch den Einsatz aller Mittel der neuen Verwaltungsordnung, die nach einem sorgfältig ausgearbeiteten Plan vorging, zu erzielen waren - ein würdiger Abschluß für einen Bericht über ein Jahrhundert höchster Kraftanstrengung im Dienste der Sache Bahá'u'lláhs.

+25:49

Daß in den letzten Jahren dieses glorreichen Jahrhunderts die Bahá'í-Gemeinde der Vereinigten Staaten und Kanadas die Siegespalme davontrug, kann nicht überraschen. Schon während der letzten zwei Jahrzehnte des Heroischen Zeitalters und während der ersten fünfzehn Jahre des Gestaltenden Zeitalters der Bahá'í-Offenbarung ließen ihre Erfolge für die Zukunft das Beste ahnen, und so war dem schließlichen Sieg noch vor Ablauf des ersten Jahrhunderts der Bahá'í-Zeitrechnung die Bahn geebnet.

+25:50

Fast hundert Jahre zuvor hatte der Báb in Seinem Qayyúmu'l-Asmá, die »Völker des Westens« eigens aufgefordert, aus ihren »Städten hervorzukommen« und Seiner Sache beizustehen¹. In Seinem Kitáb-i-Aqdas hatte Bahá'u'lláh die Präsidenten aller amerikanischen Republiken angerufen und ihnen geboten, sich aufzumachen, »den Gebrochenen mit den Händen der Gerechtigkeit aufzurichten« und »den Unterdrücker« zu »zermalmen ... mit der Rute der Gebote« ihres Herrn²; auch sagt Er in Seinen Schriften voraus, daß »die Zeichen Seiner Herrschaft« »im Westen« aufgehen werden. Abdu'l-Bahá erklärt, daß die »Erleuchtung«, die Seines Vaters Offenbarung über den Westen verbreitete, einen »außerordentlichen Glanz« gewinnen und »das Licht des Gottesreiches« »den Westen viel großartiger erleuchten« werde als den Osten. Er rühmte den amerikanischen Kontinent besonders als »das Land, da der Glanz Seines Lichtes offenbart und die Mysterien Seines Glaubens enthüllt werden«, und stellt fest, daß Amerika »allen Nationen geistig vorangehen« werde. Besonders die Große Republik des Westens stellt Er heraus, die führende Nation auf dem amerikanischen Kontinent, und erklärt, daß deren Volk »es wert« sei, »als erstes das Königszelt des Größten Friedens zu errichten« und »die Einheit der Menschheit zu verkünden«, daß es »die Anlagen und die Möglichkeit habe zu vollbringen, was die Seiten der Geschichte schmücken werde zum Neid der Welt und zum Segen für Ost und West.«

¹ Kap. 46; BÁBSEL 2:24:1 ² AQ 88; vgl. auch Verkündigung Bahá'u'lláhs S.75

+25:51

Das erste auf der Bahn Seines Amtes war, daß Er das Banner Bahá'u'lláhs im Herzen dieser Republik entfaltete. Dann folgte Seine ausgedehnte Besuchsreise dorthin und die Grundsteinlegung zum ersten Bahá'í-Haus der Andacht, den die Gemeinde Seiner Jünger in diesem Land erbauen sollten, und zuletzt an Seinem Lebensabend die Offenbarung Seiner Sendschreiben zum göttlichen Plan, die Seinen Jüngern die Vollmacht übertrugen, das Banner des Glaubens Seines Vaters, wie Er es in ihrem Land hißte, in alle Kontinente, Länder und Inseln des Erdballs zu tragen. Auch hatte Er einem ihrer berühmtesten Präsidenten Beifall dafür gezollt, daß er durch die von ihm vertretenen Ideale und geförderten Institutionen die »Morgendämmerung« des Friedens, wie Bahá'u'lláh ihn schaute, habe anbrechen lassen, und Er hatte die Hoffnung geäußert, daß von ihrem Land aus »göttliche Erleuchtung« »sich in allen Völkern der Erde verbreite«. Er hatte sie in den genannten Sendschreiben als die »Apostel Bahá'u'lláhs« bezeichnet und ihnen versichert: »Ist euer Unternehmen von Erfolg gekrönt, so wird ... der Thron des Reiches Gottes in der Fülle seiner Majestät und Herrlichkeit fest gegründet sein.«¹ Er macht ihnen ferner die erregende Ankündigung: »Sobald die amerikanischen Gläubigen diese göttliche Botschaft über die Küsten Amerikas hinaustragen und sie quer durch die Kontinente Europa, Asien, Afrika und Australasien, bis weit auf die pazifischen Inseln verkünden, wird sich diese Gemeinde unverrückbar auf den Thron ewiger Herrschaft gesetzt sehen... Dann wird die ganze Erde widerhallen vom Lobpreis ihrer Majestät und Größe«.²

¹ Zum göttlichen Plan 11/11 ² ABPLAN 7/5

+25:52

Diese Gemeinde hatte sich noch zu Lebzeiten Dessen, der sie schuf, sie liebevoll hegte, sie immer wieder segnete und ihr zuletzt einen so ehrenvollen Auftrag gab, aufgemacht, ihr großes Werk, den Mashriqu'l-Adhkár, in Angriff zu nehmen: Sie kaufte das Grundstück und legte das Fundament. Sie entsandte ihre Lehrer nach Ost und West zur Verbreitung der erwählten Sache, legte den Grund zu ihrem Gemeindeleben, errichtete nach Seinem Hinscheiden das Gebäude des Tempels und begann mit seiner Schmuckverkleidung. Darüber hinaus hatte sie den Löwenanteil am Bau des Grundgerüstes zur Verwaltungsordnung des Glaubens, am Kampf um seine Ausbreitung, an der Demonstration seiner Selbständigkeit, der Zunahme und Verbreitung seiner Literatur, der geistigen und materiellen Unterstützung verfolgter Glaubensgenossen, der Abwehr feindlicher Angriffe und der Gewinnung eines königlichen Treuegelöbnisses für den Stifter ihres Glaubens. Als Höhepunkt eines derart glänzenden Leistungsverzeichnisses steht am Ende des Jahrhunderts die Inangriffnahme eines Planes - des ersten Stadiums des ihnen von Abdu'l-Bahá zugewiesenen Auftrags -, demzufolge in nur sieben Jahren die äußere Schmuckverkleidung des Mashriqu'l-Adhkár vollendet werden, die Zahl der Geistigen Räte auf dem nordamerikanischen Kontinent sich fast verdoppeln, die Gesamtzahl der amerikanischen Ortschaften, in denen Bahá'í wohnen, auf eintausenddreihundertzweiundzwanzig ansteigen, in jedem Staat der Vereinigten Staaten und in jeder Provinz Kanadas das Grundgerüst zur Verwaltungsordnung geschaffen, in jeder der zwanzig Republiken Mittel- und Südamerikas ein fester Stützpunkt errichtet werden und damit die Zahl der unabhängigen Länder dort auf sechzig steigen soll.

+25:53

Viele unterschiedliche Kräfte drängen die amerikanische Bahá'í-Gemeinde nun vereint zu entschlossenem Handeln: die glühenden Ermahnungen und Verheißungen Bahá'u'lláhs und Sein Gebot, in Seinem Namen Häuser der Andacht zu errichten, Abdu'l-Bahás Anweisungen in den vierzehn Sendschreiben an die Gläubigen in den West-, Mittel-, Nordost- und Südstaaten der nordamerikanischen Republik und im Dominion Kanada, Seine prophetischen Worte über die Zukunft des Mashriqu'l-Adhkárs in Amerika, der fördernde, wirksame Einfluß der neuen Verwaltungsordnung auf die geistige Bereitschaft zur eifrigen Mitarbeit, das Beispiel Martha Roots, die nur mit einer Handvoll unzulänglich übersetzter Kleinschriften nach Südamerika reiste und alle wichtigen Städte dieses Kontinents besuchte, der beharrliche Opfersinn der furchtlos strahlenden Keith Ransom-Kehler, der ersten amerikanischen Märtyrerin, die auf ihrer Reise nach Persien in zahllosen Gesprächen mit Ministern, Geistlichen und Beamten die Sache ihrer unterdrückten persischen Brüder vertrat, nicht weniger als sieben Gesuche an den Sháh richtete und schließlich, alle Warnungen von Alter und Krankheit in den Wind schlagend, in Isfahán starb. Was die Mitglieder der amerikanischen Gemeinde weiter zu neuen Opfern und Abenteuern anspornte, war ihr Wunsch, die Arbeit der Pioniere zu unterstützen, die immer wieder reisten und umsiedelten, die das erste Glaubenszentrum in Brasilien schufen, den südamerikanischen Kontinent umschifften, Westindien besuchten und in mehreren Ländern Mittel- und Südamerikas Literatur verbreiteten; dazu kam das drängende Bewußtsein ihrer Verantwortung angesichts der sich rasch verschlechternden internationalen Lage, die Einsicht, daß das erste Bahá'í-Jahrhundert sich schnell seinem Ende näherte, und die Besorgnis, ihr vor dreißig Jahren begonnenes Unternehmen zu einem würdigen Abschluß zu bringen. Ohne vor der unermeßlichen Größe ihres Arbeitsfeldes zurückzuschrecken oder sich durch die Macht fest verschanzter kirchlicher Organisationen, die politische Unbeständigkeit einiger Länder, in denen sie sich niederlassen wollten, die klimatischen Verhältnisse, die sie antreffen würden, oder die Verschiedenheit von Sprache und Sitte bei den Völkern, unter denen sie wohnen würden, einschüchtern zu lassen, und eingedenk des schreienden Bedarfs nach dem Glauben auf dem nordamerikanischen Kontinent, erhoben sich die Mitglieder der amerikanischen Bahá'í-Gemeinde wie ein Mann, um einen sorgfältig geplanten und systematisch geführten, dreifachen Feldzug zu beginnen, in dessen Verlauf in allen noch unerschlossenen Staaten und Provinzen Nordamerikas jeweils ein Geistiger Rat errichtet, in jeder Republik Mittel- und Südamerikas ein Kern ansässiger Gläubiger gebildet und am Mashriqu'l-Adhkár die äußere Schmuckverkleidung vollendet werden sollte.

+25:54

Hunderterlei Arbeiten auf dem Gebiet der Verwaltung und Erziehung wurden ins Auge gefaßt und verfolgt, um diesen edlen Plan zu erfüllen. Durch freigebige Geldspenden, durch die Einrichtung eines Interamerikaausschusses und regionaler Lehrausschüsse, durch die Gründung einer internationalen Schule für die Ausbildung von Bahá'í-Lehrern, durch den Umzug von Pionieren in unerschlossene Gebiete und durch Besuche von Reiselehrern, durch die Verbreitung der Schriften in Spanisch und Portugiesisch, durch die Einrichtung von Lehrerschulungskursen und die Vertiefungsarbeit in Gruppen und örtlichen Räten, durch Öffentlichkeitsarbeit in Presse und Rundfunk, durch die Vorführung von Lichtbildern und Modellen des Tempels, durch Gemeindetagungen und Vorträge an Universitäten und Fachschulen, durch häufige Lehrkurse und lateinamerikanische Studien an Sommerschulen - durch all dies und andere Arbeiten brachten die Mitarbeiter an diesem Siebenjahresplan ein Unternehmen zum glücklichen Abschluß, das man als das größte Gemeinschaftswerk bezeichnen kann, das von den Anhängern Bahá'u'lláhs im ganzen ersten Bahá'í-Jahrhundert unternommen wurde.

+25:55

Tatsächlich war noch vor Ablauf des ersten Bahá'í-Jahrhunderts nicht nur die Arbeit am Tempel - sechzehn Monate vor dem Termin - fertig, sondern statt einer kleinen Zelle in jeder lateinamerikanischen Republik bestanden bereits Geistige Räte in Mexiko-Stadt und Puebla (Mexiko), in Buenos Aires (Argentinien), Guatemala (Guatemala), Santiago (Chile), Montevideo (Uruguay), Quito (Ekuador), Bogotá (Kolumbien), Lima (Peru), Asuncion (Paraguay), Tegucigalpa (Honduras), San Salvador (El Salvador), San José und Puntarenas (Costa Rica), Havana (Kuba) und Port-au-Prince (Haiti). Ferner war die Ausbreitungsarbeit, an der sich auch neugewonnene lateinamerikanische Gläubige beteiligten, in den Republiken Mexiko, Brasilien, Argentinien, Chile, Panama und Costa Rica begonnen und kräftig weiter betrieben worden; die Gläubigen hatten ihre Wohnsitze nicht nur in den Hauptstädten aller lateinamerikanischen Republiken aufgeschlagen, sondern auch an Orten wie Veracruz, Cananea und Tacubaya (Mexiko), in Balboa und Christobal (Panama), in Recife (Brasilien), in Guayaquil und Ambato (Ekuador) und in Temuco und Magellanes (Chile); die Geistigen Räte der Bahá'í von Mexiko-Stadt und San José waren eingetragen; in Mexiko-Stadt bestand nun ein Bahá'í-Zentrum mit Bibliothek, Lesestube und Vortragssaal; Bahá'í-Jugendtage wurden in Havana, Buenos Aires und Santiago veranstaltet; in Buenos Aires wurde eine lateinamerikanische Verteilstelle für Bahá'í-Literatur eingerichtet.

+25:56

Auf diesem riesigen Werk ruhte von Anfang an ein Segen, dem die beiden Amerika unlösbar ihre geistige Einheit verdanken - ein Segen, der aus dem Opfer einer Frau strömt, der die Bildung der ersten Bahá'í-Zentren in Europa und Kanada bereits in der Morgenfrühe des Tages des Bundes zuzuschreiben ist und die, im Alter von siebzig Jahren und gebrechlich, eine zehntausend Kilometer lange Reise nach der argentinischen Hauptstadt antrat, wo sie noch an der Schwelle ihres Pionierdienstes plötzlich verschied. Doch mit ihrem Tod gab sie dem dort begonnenen Werk solchen Auftrieb, daß das Land durch die Schaffung einer lateinamerikanischen Verteilstelle für Bahá'í-Literatur und andere Arbeiten schon den vordersten Platz unter seinen Schwesterrepubliken einnimmt.

+25:57

May Maxwell, die in argentinischer Erde ruht, Hyde Dunn, deren sterbliche Reste bei den Antipoden in der Stadt Sydney liegen, Keith Ransom-Kehler, begraben im fernen Isfahán, Susan Moody, Lillian Kappes und ihre tapferen Mitarbeiter, die in Tihrán bestattet sind, Lua Getsinger, die in der ägyptischen Hauptstadt zur ewigen Ruhe gebettet wurde, und nicht zuletzt Martha Root, die auf einer Insel mitten im Pazifik beerdigt ist - ihnen allen gebührt die unvergleichliche Ehre, durch ihre Dienste und ihre Opfer einen Glanz auf die amerikanische Bahá'í-Gemeinde geworfen zu haben, für den ihre Repräsentanten, wenn sie an ihrer historischen, ersten allamerikanischen Tagung ihre hart erkämpften Siege feiern, auf ewig dankbar sein dürften.

+25:58

Wenn diese Gemeinde sich in ihrem nationalen Schrein, dem heiligsten je zum Ruhme Bahá'u'lláhs errichteten Tempel, versammelt, um bei dieser festlichen Gelegenheit zugleich des Zentenars der Geburt der Bábí-Sendung, des Beginns der Bahá'í-Ära - Auftakt des Bahá'í-Zeitalters - und der Geburt Abdu'l-Bahás, sowie des fünfzigsten Jahrestags der Begründung des Glaubens im Westen zu gedenken, feierlich vereint mit den Repräsentanten der amerikanischen Republiken, nahe einer Stadt, die sich rühmen darf, das erste Bahá'í-Zentrum in der westlichen Welt zu sein -, dann darf sie dessen gewiß sein: Sie hat durch den siegreichen Abschluß der ersten Phase des von Abdu'l-Bahá für sie umrissenen Planes unvergänglichen Ruhm über alle Schwestergemeinden in Ost und West verbreitet und in der Chronik des ersten Bahá'í-Jahrhunderts die letzten Seiten mit goldenen Lettern geschrieben.


Epilog
Rückschau und Ausblick

+E:1

Damit ist das erste Jahrhundert der Bahá'í-Ära abgeschlossen, eine Epoche, so erhaben und fruchtbar, daß sie in der gesamten Religionsgeschichte, ja in der Geschichte der Menschheit nicht ihresgleichen hat. Ein Prozeß, von Gott in Gang gesetzt, mit unermeßlichen Möglichkeiten versehen, geheimnisvoll in seinem Ablauf, furchtbar in den Heimsuchungen, die jeden trafen, der sich ihm entgegenstemmte, unendlich reich in seiner Verheißung der Wiedergeburt und Erlösung der Menschheit, hatte in Shíráz begonnen, in Tihrán, Baghdád, Adrianopel und Akká immer mehr Schwung gewonnen, war über die Meere gewandert, hatte seinen schöpferischen Impuls in den Westen gelenkt und inmitten des nordamerikanischen Kontinents die ersten Beweise seiner wundersamen, die Welt befeuernden Kraft offenbart.

+E:2

Dem Herzen Asiens entsprungen und nach Westen preschend, hatte er sich unaufhaltsam beschleunigt, bis die Erde mit seinem Ruhmesband umgürtet war. Angestoßen war der Prozeß von einem Kaufmannssohn in der Provinz Fárs, neugestaltet von einem Edelmann aus Núr, gekräftigt durch die Mühen eines Mannes, der Seine besten Jugend- und Mannesjahre in Exil und Gefangenschaft verbrachte, und hatte seine sichtbarsten Triumphe in einem Land und unter einem Volk errungen, das von seinem Ursprungsland um den halben Erdball herum entfernt ist. Jeden Angriff hatte er abgewehrt, jede Schranke auf seinem Vormarsch niedergerissen, jeden stolzen Gegner, der seine Macht zu brechen suchte, gedemütigt, und hatte selbst die Schwächsten und Bescheidensten unter denen, die aufgestanden und willige Werkzeuge seiner umwälzenden Kraft geworden waren, zu den Höhen eines unglaublichen Mutes emporgetragen. In das Muster seiner hundertjährigen Geschichte sind heldenhafte Kämpfe und unvergleichliche Siege mit erschütternden Tragödien und Schicksalsschlägen verwoben.

+E:3

Dieser Prozeß hatte aus einer Handvoll Studenten der aus der Ithná-Asharíyyih-Sekte des schiitischen Isláms hervorgegangenen Shaykhí-Schule eine fest verbundene Weltgemeinschaft geformt, mit einer klaren Vision, lebendig, durch das Opfer von über zwanzigtausend Märtyrern geweiht, übernational, keineswegs sektiererisch, unpolitisch, mit dem Anspruch auf Status und Funktion einer Weltreligion, die sich über fünf Kontinente und die Meeresinseln verbreitet mit Verzweigungen in sechzig unabhängigen Staaten und siebzehn Kolonien, eine in vierzig Sprachen übersetzte und verbreitete Literatur besitzt, Stiftungen von mehreren Millionen Dollar verwaltet, von einer Anzahl Regierungen in Ost und West anerkannt wird, die einig ist in ihren Zielen und Ansichten, keine Berufsgeistlichkeit besitzt, sich zu einem einzigen Glauben bekennt, ein einziges Gesetz befolgt und von einem einzigen Willen beseelt ist, sich organisch in eine von Gott eingesetzte, einzigartige Verwaltungsordnung fügt, in ihren Kreis Vertreter aller führenden Religionen der Welt und der verschiedensten Klassen und Rassen einbezieht, ihren Bürgerpflichten nachkommt, sich ihrer Verantwortung wie der Gefahren bewußt ist, die der Gesellschaft drohen, der sie zugehört - eine Weltgemeinschaft, die die Nöte dieser Gesellschaft teilt und ihrer eigenen hohen Bestimmung vertraut.

+E:4

Den Kern dieser Gemeinde hatte der Báb geschaffen, bald nach der Nacht, da Er in Shíráz Mullá Husayn Seine Sendung erklärte. Ihre Geburt wurde von lautem Geschrei begrüßt, das der Sháh, seine Regierung, sein Volk und die ganze Geistlichkeit des Landes einmütig anstimmten. Bald nach Seiner Rückkehr von der Pilgerfahrt nach Mekka traf den jugendlichen Religionsstifter das Los grausamer Gefangenschaft in den Bergen von Ádhirbáyján. In der Einsamkeit von Máh-Kú und Chihríq hatte Er Seinen Bund geschlossen, Seine Gesetze in Worte gefaßt und der Nachwelt den größten Teil Seiner Schriften übergeben. Eine Konferenz Seiner Jünger unter der Leitung Bahá'u'lláhs in dem Weiler Badasht setzte unter dramatischen Umständen die Gesetze der islámischen Sendung außer Kraft und setzte diejenigen der neuen Sendung ein. In Tabríz vertrat Er vor dem Kronprinzen und den höchsten geistlichen Würdenträgern von Ádhirbáyján öffentlich und freimütig Seine Behauptung, niemand anders denn der verheißene, lang erwartete Qá'im zu sein. In Mázindarán, Nayríz, Zanján und Tihrán hatten Verfolgungstürme von verheerender Gewalt die Reihen Seiner Jünger gelichtet und Ihn Seiner edelsten, wertvollsten Stützen beraubt. Schließlich hatte Er die schiere Vernichtung Seines Glaubens und den Verlust der meisten Buchstaben des Lebendigen erleben müssen und wurde nach eine Reihe bitterer Demütigungen Seiner Person im Kasernenhof von Tabríz durch ein Erschießungskommando hingerichtet. Ein Blutbad von ungewöhnlicher Grausamkeit raffte die größte Heldin Seines Glaubens und andere Gläubige hinweg, löschte das Leben Seines vertrauten Sekretärs und Wahrers Seiner letzten Wünsche aus und spülte Bahá'u'lláh in die Tiefen des verkommensten Verlieses von Tihrán hinab.

+E:5

Neun Jahre nach ihrer historischen Erklärung trug die Botschaft des Báb dennoch in der pestgeschwängerten Luft des Síyáh Chál ihre Frucht, erfüllte sich Seine Verheißung, brach die glorreichste, bedeutsamste Periode des Heroischen Zeitalters der Bahá'í-Zeitrechnung an. Vorübergehend wurde die neu aufgegangene Sonne der Wahrheit, diese größte Leuchte der Welt, verfinstert, als Bahá'u'lláh auf Befehl des Sháhs Násiri'd-Dín plötzlich nach dem 'Iráq verbannt wurde, sich dort unerwartet in die Berge Kurdistáns zurückzog, indes der Rest der verfolgten Gemeinde Seiner Jünger heruntergekommen und verstört in Baghdád hauste. Das Geschick der in raschem Niedergang begriffenen Gemeinde wendete sich, als Er nach zweijähriger Abwesenheit zurückkehrte und die Gemeinde neu belebte, sie moralisch wieder aufrichtete, ihr wieder Ansehen verschaffte, sie mit Seinen Lehren bereicherte und schließlich als Höhepunkt am Vorabend Seiner Verbannung nach Konstantinopel im Najíbíyyih-Garten Seinen nächsten Gefährten gegenüber Seine Sendung erklärte. In Adrianopel hätte beinahe eine weitere Krise - die schwerste, die der ringende Glaube in seiner Geschichte zu bestehen hatte und die der Statthalter des Báb mit seiner Rebellion und den Untaten, zu denen ihn sein übler Genius verführte, vom Zaun brach - die frisch gefestigten Kräfte des Glaubens zersplittert und die von Bahá'u'lláh ins Leben gerufene Gemeinde des Größten Namens in einer Feuertaufe vernichtet. Aber vom Gift des »Größten Götzen« gereinigt, konnte der unzerstörbare Glaube nun trotz der Erschütterungen, die er durchzumachen hatte, kraft des vom Báb gestifteten Bundes die gewaltigsten Hindernisse überwinden und zur selben Stunde den Gipfel des Ruhmes erklimmen, da Bahá'u'lláh den Königen, Herrschern und Kirchenfürsten der Welt in Ost und West Seine Sendung verkündete. Dem unvergleichlichen Sieg folgte Sein tiefstes Leid auf den Fuß: die vom Sultán Abdu'l-Azíz angeordnete Verschickung nach der Strafkolonie Akká. Das wurde von den wachsamen Feinden als Zeichen zur endlichen Ausrottung des gefürchteten und verhaßten Feindes bejubelt und überhäufte den Glauben in der Festung, die Bahá'u'lláh Sein »Größtes Gefängnis« nannte, wie nie zuvor mit Drangsalen von innen und von außen. Aber die Abfassung der Gesetze und Gebote der neuen Sendung und die Verkündigung und Bestätigung ihrer Prinzipien - Kette und Schuß einer künftigen Verwaltungsordnung - ermöglichten der langsam heranreifenden Offenbarung trotz dieser Leidensflut eine weitere Stufe zu nehmen und ihre schönste Frucht zu zeitigen.

+E:6

Bahá'u'lláhs Hinscheiden hatte Seine treuen Stützen in Gram und Verwirrung gestürzt, in den Verrätern an Seiner Sache aber, die gegen Seine gottgegebene Amtsgewalt rebelliert hatten, neue Hoffnung geweckt und Seine politischen wie geistlichen Gegner gefreut und ermutigt. Doch das Instrument, das Er geschmiedet, der Bund, den Er geschlossen, hatte nach Seinem Hinscheiden die Kräfte, die Er in den vierzig Jahren Seines Wirkens ausgelöst hatte, in feste Bahnen gelenkt, hatten die Einheit Seines Glaubens gesichert und ihm den rechten Impuls verliehen, der ihn seinem Ziel entgegentreiben konnte. Der Verkündigung dieses neuen Bundes folgte eine weitere Krise, verursacht von einem Seiner eigenen Söhne, dem nach den Bestimmungen der Bundesurkunde ein Rang unmittelbar nach dem des Mittelpunkts des Bundes zugewiesen worden war. Von den freigesetzten Kräften der Offenbarung dieses unsterblichen, einzigartigen Dokuments getrieben, strahlte der unzerstörbare Glaube - nach seinem ersten Sieg über die Bundesbrüchigen - unter der Führung Abdu'l-Bahás nach Westen, erleuchtete die westlichen Ränder Europas, hißte sein Banner im Herzen des nordamerikanischen Kontinents und setzte den Prozeß in Gang, der in der Überführung der sterblichen Reste seines Heroldes ins Heilige Land und ihrer Bestattung in einem Grabmal am Karmel sowie in der Errichtung des ersten Hauses der Andacht in Russisch-Turkestan gipfelte. Auf die leuchtenden Siege in Ost und West folgte rasch eine noch schwerere Krise, die den ungeheuerlichen Intrigen des Erzabtrünnigen vom Bunde Bahá'u'lláhs und den Befehlen des tyrannischen Abdu'l-Hamíd zuzuschreiben ist und die mehr als sieben Jahre lang das Herz und Zentrum des Glaubens unmittelbar in Gefahr brachte und seine Anhänger angst und bange machte, so daß Unternehmungen zu seiner Verbreitung und Festigung aufgeschoben werden mußten. Abdu'l-Bahás historische Reisen nach Europa und Amerika, die Er bald nach dem Sturz jenes Tyrannen und dem Zusammenbruch seiner Herrschaft unternahm, schlugen die Verletzer des Bundes aus dem Feld, sie festigten das kolossale in den ersten Jahren Seines Amtes begonnene Unternehmen und steigerten das Ansehen des Glaubens Seines Vaters in bisher unerreichte Höhen; sie führten weit und breit zur Verkündigung der Glaubenswahrheiten und ebneten der Verbreitung ihres Lichtes über den Fernen Osten bis zu den Antipoden die Bahn. Eine weitere, größere Krise, die letzte, die den Glauben an seinem Weltzentrum traf und die von dem grausamen Jamál-Páshá veranlaßt und durch die Nöte des verheerenden Weltkrieges mit dem kriegsbedingten Abbruch der Verbindungen verstärkt wurde, brachte das Oberhaupt des Glaubens persönlich sowie die heiligsten Schreine mit den sterblichen Resten der beiden Stifter in große Gefahr. Die Offenbarung der Sendschreiben zum göttlichen Plan in den düsteren Tagen dieses schrecklichen Krieges betraute in den letzten Amtsjahren Abdu'l-Bahás die Angehörigen der führenden westlichen Bahá'í-Gemeinde - die Vorkämpfer der künftigen Verwaltungsordnung - mit einer Weltmission, die in den letzten Jahren des ersten Bahá'í-Jahrhunderts unvergänglichen Ruhm auf den Glauben und seine Verwaltungsinstitutionen häufen sollte. Mit dem Ende des langen, erschöpfenden Krieges waren die Hoffnungen des Militärdespoten, der eine schmähliche Niederlage erlitt, zerstoben, war ein für allemal die Gefahr beseitigt, die den Glaubensstifter und den Mittelpunkt Seines Bundes fünfundsechzig Jahre lang überschattet hatte, waren Prophezeiungen erfüllt, die Seine Schriften überliefern, war das Ansehen Seines Glaubens und seines Oberhauptes gewachsen und Seine Botschaft auch auf dem australischen Kontinent verbreitet.

+E:7

Das plötzliche Hinscheiden Abdu'l-Bahás bezeichnete das Ende der Frühzeit des Glaubens, stürzte wie schon das Hinscheiden Seines Vaters die treuen Jünger in Trauer und Sorge, erfüllte die schwindende Anhängerschar Mírzá Yahyás und Mírzá Muhammad-Alís mit neuer Hoffnung und feuerte politische wie klerikale Gegner zu fieberhafter Aktivität an, starrten sie doch alle schon gebannt auf die bevorstehende Auflösung der Gemeinschaft, die der Mittelpunkt des Bundes so sehr mit Seinem Geist erfüllt und meisterhaft geleitet hatte. Die Verlautbarung Seines Letzten Willens, womit das Gestaltende Zeitalter der Bahá'í-Ära eröffnet wurde, der Urkunde, die die Wesenszüge der vom Báb angekündigten Ordnung umreißt, für die Bahá'u'lláh vorausschauend die Gesetze und Prinzipien ausgesprochen hatte - diese Verlautbarung entflammte die Gemeinden in Europa, Asien, Afrika und Australien zur konzertierten Aktion und befähigte sie, das Gerüst dieser Ordnung zu errichten und zu festigen, indem sie örtliche und nationale Räte bildeten, die Satzungen der Räte verfaßten, in mehreren Ländern die Anerkennung dieser Institutionen durch die staatlichen Behörden sicherten, Verwaltungszentren gründeten, den Rohbau des ersten Hauses der Andacht im Westen vollendeten, Besitztum des Glaubens begründeten und mehrten und am Weltzentrum wie auf dem nordamerikanischen Kontinent bei den Zivilbehörden die volle Anerkennung des religiösen Charakters seiner Stiftungen durchsetzten.

+E:8

Indes dieser gewaltige Prozeß, der Gerüstbau für die Bahá'í-Weltverwaltungsordnung, in Gang kam, wurden in Ägypten alle Glaubensangehörigen muslimischer Herkunft durch ein bedeutsames, hartes Urteil eines geistlichen Gerichts offiziell vom Islám ausgeschlossen, als Häretiker verurteilt und als Mitglieder einer geächteten Gemeinschaft nie zuvor gekannten Prüfungen und Gefahren ausgesetzt. Der Unrechtsspruch eines von den schiitischen Gegnern im 'Iráq aufgehetzten Baghdáder Zivilgerichts und der Erlaß eines noch furchtbareren Gegners in Rußland beraubten den Glauben im ersten Fall einer seiner heiligsten Pilgerstätten, und im andern des Nutzungsrechts an seinem ersten Tempel, zu dem Abdu'l-Bahá den Anstoß gegeben und der während Seiner Wirkenszeit errichtet worden war. Angespornt von der unerwarteten, doch für den Glauben den ersten Schritt auf dem Weg zur völligen Verselbständigung bezeichnenden Verlautbarung eines generationenalten Feindes, machten sich die Anhänger Bahá'u'lláhs ungeachtet dieses doppelten Schlages gegen ihre Institutionen auf, um - bereits geeint durch die Wirksamkeit einer festgefügten Verwaltungsordnung und voll gerüstet - die unsterbliche Ehrenrolle des ersten Bahá'í-Jahrhunderts damit zu krönen, daß sie die Selbständigkeit ihres Glaubens verteidigten und nachdrücklich die durch ihr Heiligstes Buch erlassenen Grundgesetze geltend machten, - daß sie bei den herrschenden Behörden ihr Recht einforderten, als Angehörige einer selbständigen Religion betrachtet zu werden, was ihnen in mehreren Fällen auch zugestanden wurde, - daß sie beim höchsten Tribunal der Welt die Verurteilung des Unrechts erreichten, das ihnen von Glaubensfeinden zugefügt wurde, - daß sie ihre Wohnsitze in weiteren vierunddreißig selbständigen und dreizehn abhängigen Ländern aufschlugen, ihre Schriften in weiteren neunundzwanzig Sprachen verbreiteten, eine Königin in den Reihen der Verfechter ihrer Sache aufnahmen und schließlich ein Werk begannen, das sie am Ende des Jahrhunderts befähigte, die äußere Schmuckverkleidung ihres zweiten Andachtshauses zu vollenden und das erste Stadium des Planes, den Abdu'l-Bahá zur weltweiten, systematischen Ausbreitung ihres Glaubens entworfen hatte, zum glücklichen Abschluß zu bringen.

+E:9

Wenn wir auf die stürmische Geschichte eines vollen Jahrhunderts zurückschauen, sehen wir, wie Könige, Kaiser und Fürsten des Morgen- und Abendlandes auf die Mahnung der Glaubensstifter entweder nicht hörten, oder ihre Botschaft verlachten, ihre Vertreibung und Verbannung verfügten, ihre Anhänger barbarisch verfolgten oder emsig bemüht waren, ihre Lehren in ein schlechtes Licht zu setzen. Der Zorn des Allmächtigen traf sie. Viele gingen ihres Thrones verlustig, einige mußten den Untergang ihrer Dynastie erleben, manche wurden ermordet oder mit Schimpf und Schande überhäuft, andere sahen sich außerstande, die völlige Auflösung ihrer Reiche abzuwenden, und wieder andere wurden zu Untertanen in ihrem eigenen Reich erniedrigt. Das Kalifat, Erzfeind der Bahá'í-Sache, hatte gegen ihren Stifter das Schwert gezückt und dreimal Seine Verbannung verfügt. Es wurde in den Staub gestoßen und erlitt bei seinem schmählichen Zusammenbruch dasselbe Los, wie es fast zweitausend Jahre früher im ersten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung die jüdische Priesterherrschaft, die schlimmste Verfolgerin Jesu Christi, von der Hand ihrer römischen Überwinder erfahren hatte. Die Mitglieder verschiedener schiitischer, sunnitischer, zoroastrischer und christlicher Orden waren wütend gegen den Glauben angegangen, hatten seine Anhänger als Ketzer gebrandmarkt und sich unablässig bemüht, sein Gefüge zu zerstören und seine Grundlagen zu untergraben. Die furchtbarsten, feindseligsten dieser Orden wurden zerstört oder zerstückelt, andere verloren rasch an Ansehen und Einfluß, alle aber waren dem Ansturm einer Verweltlichung ausgesetzt, die angriffslustig und entschlossen alte Vorrechte beschnitt und ihre eigene Autorität behauptete. Abtrünnige, Aufsässige, Verräter, Irrgläubige hatten insgeheim oder offen größte Anstrengungen unternommen, die Treue der Gläubigen zu unterhöhlen, ihre Reihen zu spalten oder ihre Institutionen anzugreifen. Diese Feinde wurden allesamt, die einen allmählich, die anderen unglaublich rasch beschämt, zerstreut, hinweggefegt und vergessen. Mehrere führende Gestalten des Glaubens, erste Jünger, vorderste Kämpfer, Gefährten der Stifter in der Verbannung, vertraute Schreiber und Sekretäre des Begründers wie des Mittelpunkts Seines Bundes, ja selbst Familienmitglieder der Manifestation Gottes, unter ihnen der Bevollmächtigte des Báb und Bahá'u'lláhs Sohn, der im Buche Seines Bundes genannt ist, hatten sich soweit vergessen, daß sie aus dem Schatten des Glaubens heraustraten, durch ruchlose Taten Schande über ihn brachten und Krisen von solchem Ausmaß hervorriefen, wie sie keine frühere Religion erfahren mußte. Alle ohne Ausnahme verloren ihre beneidenswerten Stellungen. Viele von ihnen erlebten noch das Scheitern ihrer Pläne, andere gerieten in Elend und Schande, völlig außerstande, die Einheit des schamlos aufgegebenen Glaubens zu schwächen oder seinen Vormarsch aufzuhalten. Minister, Botschafter und andere staatliche Würdenträger hatten eifrig Ränke geschmiedet, um die Ziele dieses Glaubens zu verdrehen, hatten zu den aufeinanderfolgenden Verbannungen seiner Stifter aufgehetzt und waren böswillig bestrebt gewesen, seine Grundlagen zu untergraben. Ohne es zu ahnen, führten sie mit diesen Intrigen ihren eigenen Sturz herbei, verscherzten das Vertrauen ihrer Herrscher, mußten den Kelch der Ungnade bis zur Neige leeren und besiegelten unwiderruflich ihren eigenen Untergang. Die Menschheit wollte, verstockt und völlig achtlos, nicht auf die unaufhörlichen Rufe und Warnungen der beiden Stifter des Glaubens hören, die der Mittelpunkt des Bundes später in Seinen öffentlichen Reden im Abendland wiederholte. Sie war in zwei trostlose Kriege unübertroffenen Ausmaßes hineingetaumelt, die sie völlig aus dem Gleichgewicht warfen, ihre Jugend niedermähten und sie bis auf die Wurzeln zerrütteten. Anderseits wurden die Schwachen, die Unbekannten, die Getretenen durch ihre Treue zu der mächtigen Gottessache und durch ihr Antwort auf deren Ruf zu so tapferen Heldentaten fähig, wie sie den Leistungen der unsterblich berühmten Männer und Frauen, deren Namen und Taten die geistigen Ruhmesblätter der Menschheit zieren, gleichkommen, ja sie zuweilen noch in den Schatten stellen.

+E:10

Der Glaube Bahá'u'lláhs nahm trotz der Schläge, die von außen durch weltliche und geistliche Machthaber oder von innen durch übelgesinnte Feinde gegen seine wachsende Kraft geführt wurden - ohne ihn biegen oder brechen zu können -, an Kraft stetig zu und schritt von Sieg zu Sieg. Wenn man seine Geschichte richtig liest, so kann man tatsächlich sagen, daß sie sich in eine Reihe wellenförmiger Bewegungen gliedert, in der Krise und Triumph ständig einander abwechseln, wodurch er aber seinem von Gott gesetzten Ziel immer näher kommt. Auf den wilden Fanatismus, der beim Beginn der Offenbarung des Báb ausbrach, und die anschließende Verhaftung und Gefangenschaft des Báb war die Gesetzesformulierung Seiner Sendung gefolgt, Sein Bund war errichtet, Seine Sendung in Badasht eingeführt und in Tabríz öffentlich Seine Stellung behauptet worden. Nach ausgedehnten und noch viel gewaltsameren Aufständen in den Provinzen, Seiner Hinrichtung, dem anschließenden Blutbad und Bahá'u'lláhs Kerkerhaft im Síyáh-Chál war in diesem Gefängnis die Morgendämmerung der Bahá'í-Offenbarung angebrochen. Auf Bahá'u'lláhs Verbannung in den Iráq, Seinen Rückzug nach Kurdistán und die Verwirrung und Not, die den Gefährten in Baghdád zusetzten, folgte wiederum der Wiederaufstieg der Bábí-Gemeinschaft, der in der Erklärung Seiner Sendung im Najíbíyyih-Garten gipfelte. Dem Erlaß des Sultáns Abdu'l-Azíz, der Ihn nach Konstantinopel befahl, und der durch Mírzá Yahyá ausgelösten Krise folgte die Verkündigung Seiner Sendung an die gekrönten Häupter und Kirchenführer der Welt. Bahá'u'lláhs Ausweisung nach der Strafkolonie Akká mit all ihrer Not und Drangsal führte wiederum zur Verkündigung der Gesetze und Gebote Seiner Offenbarung und zur Errichtung Seines Bundes, dem letzten Werk Seines Lebens. Nach den heftigen Prüfungen, die die Auflehnung Mírzá Muhammad-Alís und seiner Genossen verursachte, folgte die Einführung des Glaubens im Abendland und die Überführung der sterblichen Reste des Báb ins Heilige Land. Die erneute Gefangennahme Abdu'l-Bahás mit all ihren Gefahren und Nöten mündeten in den Sturz Abdu'l-Hamíds, worauf Abdu'l-Bahá aus der Gefangenschaft frei kam, die Gebeine des Báb am Karmel bestattet wurden und der Mittelpunkt des Bundes zu Seinen triumphalen Reisen nach Europa und Amerika aufbrach. Der Ausbruch des verheerenden Weltkriegs und die wieder größer werdenden Gefahren, in die Ihn Jamál-Páshá und die Verletzer des Bundes brachten, führten zur Offenbarung der Sendschreiben zum göttlichen Plan, zur Flucht jenes überheblichen Kommandanten, zur Befreiung des Heiligen Landes, zu wachsendem Ansehen des Glaubens in seinem Weltzentrum und zu einer bemerkenswerten Ausweitung seiner Aktivitäten in Ost und West. Dem Hinscheiden Abdu'l-Bahás und der dadurch ausgelösten Erschütterung folgte die Bekanntgabe Seines Testamentes und der Beginn des Gestaltenden Zeitalters der Bahá'í-Ära mit dem Bau des Fundamentes für eine weltumspannende Verwaltungsordnung. Und schließlich, nach dem Raub der Schlüssel zum Grabe Bahá'u'lláhs durch die Bundesbrüchigen, nach der gewaltsamen Besetzung Seines Hauses in Baghdád durch die schiitische Gemeinde, nach dem Ausbruch der Verfolgung in Rußland und dem Ausschluß der ägyptischen Bahá'í-Gemeinde vom Islám, konnten nun die Bahá'í in Ost und West den Status des Glaubens als eine unabhängige Religion geltend machen, wurde dieser Status an seinem Weltzentrum anerkannt, bestätigte der Rat des Völkerbundes die Berechtigung seines Anspruchs, nahmen die internationale Lehrarbeit und die Literatur des Glaubens beachtlich zu, bezeugte eine Königin seinen göttlichen Ursprung, und am ersten Bahá'í-Haus der Andacht der westlichen Welt wurde die äußere Schmuckverkleidung vollendet.

+E:11

Das Leid, das die fortschreitende Entwicklung des Glaubens Bahá'u'lláhs begleitete, wog fürwahr schwerer als das der vergangenen Religionen. Anders als bei jenen Religionen vermochten diese Prüfungen der Einheit der Bahá'í-Religion jedoch nicht im geringsten zu schaden, und es gelang auch nicht, die Reihen ihrer Anhänger auch nur vorübergehend zu spalten. Die Bahá'í-Religion hat diese Prüfungen nicht nur bestanden; sie ist im Gegenteil geläutert und unversehrt aus ihnen hervorgegangen; ihre Fähigkeit, jeder weiteren Krise, der sie auf ihrem unaufhaltsamen Vormarsch begegnen könnte, die Stirn zu bieten und sie zu überwinden, ist nur noch gewachsen.

+E:12

Die Aufgaben, die der leidgeprüfte, aber unüberwindliche Glaube innerhalb eines Jahrhunderts bewältigte, und die Erfolge, die er errang, waren gewaltig. Die ungelösten Aufgaben, seine zukünftigen Erfolge sind nun, da er an der Schwelle des zweiten Bahá'í-Jahrhunderts steht, noch weit größer. In der kurzen Spanne der ersten hundert Jahre seines Bestehens konnte er sein Licht über fünf Kontinente verbreiten, seine Außenposten bis in die äußersten Winkel der Erde schicken, seinen Bund auf einer unerschütterlichen Grundlage mit der ganzen Menschheit schließen, das Gefüge seiner weltumschließenden Verwaltungsordnung errichten, viele Schranken auf dem Weg zu seiner völligen Unabhängigkeit und allgemeinen Anerkennung niederreißen, seine ersten Siege über königliche, politische und kirchliche Gegner verzeichnen und mit den ersten systematischen Feldzügen für die geistige Eroberung des ganzen Planeten beginnen.

+E:13

Doch die Institution, die beim Bau des Gerüsts seiner weltweiten Verwaltungsordnung die letzte Stufe darstellt und dicht bei ihrem geistigen Weltzentrum arbeiten soll, ist noch nicht geschaffen. Die völlige Befreiung des Glaubens aus den Fesseln religiöser Orthodoxie, die wesentliche Voraussetzung für seine allgemeine Anerkennung und die Entstehung seiner Weltordnung ist noch nicht erreicht. Es müssen noch eine Reihe von Feldzügen unternommen werden, um nach dem Plan Abdu'l-Bahás den wohltätigen Einfluß seiner Ordnung in jedes Land und auf jede Insel zu tragen, wo die Basis seiner Verwaltungsordnung noch fehlt. Noch ist das Banner »Yá Bahá'u'l-Abhá«, das, wie Er prophezeite, von den Zinnen der vornehmsten Gelehrtenburg in der islámischen Welt flattern muß, nicht gehißt. Das Größte Haus, das von Bahá'u'lláh in Seinem Kitáb-i-Aqdas zum Pilgerziel bestimmt wurde, ist noch nicht befreit. Der dritte Mashriqu'l-Adhkár, der zu Seinem Ruhm erbaut werden soll und dessen Baugrund kürzlich erworben wurde, sowie die Nebengebäude zu den beiden in Ost und West schon bestehenden Häusern der Andacht sind noch nicht gebaut. Die Kuppel, die letzte Baueinheit, die, wie von Abdu'l-Bahá vorausgeschaut, das Grabmal des Báb krönen soll, ist noch nicht errichtet. Die Inhaltsübersicht des Kitáb-i-Aqdas, des Urbuches der Bahá'í-Offenbarung, und die systematische Darstellung seiner Gesetze und Gebote ist noch nicht begonnen. Die ersten Schritte zur Einrichtung von Bahá'í-Gerichtshöfen, die befugt sind, diese Gesetze und Gebote anzuwenden, müssen noch unternommen werden. Die Rückgabe des ersten Mashriqu'l-Adhkár der Bahá'í-Welt und die Neubildung der Gemeinde, die ihn mit solchem Eifer errichtet hatte, muß noch erreicht werden. Der Herrscher, der, wie es Bahá'u'lláh in Seinem Heiligsten Buch vorausschaute, den Thron Seines Heimatlandes schmücken und den Schatten des königlichen Schutzes über Seine langverfolgten Anhänger breiten wird, hat sich noch nicht gefunden. Der Kampf, der, wie Abdu'l-Bahá prophezeite, entbrennen wird, wenn die Religionsführer, die jetzt dem Vormarsch des Glaubens noch gleichgültig gegenüberstehen, gemeinsam zum Angriff blasen, ist noch nicht ausgetragen. Das Goldene Zeitalter des Glaubens, das Zeuge der Vereinigung aller Völker und Nationen der Welt sein wird, die Errichtung des Größten Friedens, die Gründung des Reiches des Vaters auf Erden, die Reifezeit des ganzen Menschengeschlechts und die Geburt einer Weltzivilisation, beseelt und geleitet von der Schöpferkraft der Weltordnung Bahá'u'lláhs und strahlend im hellen Tageslicht, dies alles ist noch ungeboren und seine Herrlichkeit noch ungeahnt.

+E:14

Was auch diesem noch jungen Gottesglauben in kommenden Jahrzehnten oder Jahrhunderten zustoßen mag, welche Sorgen, Gefahren und Nöte auch das nächste Stadium seiner weltweiten Entwicklung mit sich bringt, aus welcher Richtung die bevorstehenden Angriffe seiner jetzigen oder zukünftigen Feinde gegen ihn geführt werden, welch schwere Rückschläge und Mißerfolge ihn auch treffen werden, so dürfen wir, die wir die Bedeutung dieser wunderbaren Ereignisse während seines Aufstiegs und Erstarkens - soweit unsere begrenzten Sinne sie fassen können - wahrnehmen durften, dennoch keinen Zweifel hegen, daß das, was in den ersten hundert Jahren seines Bestehens schon erreicht worden ist, genügend dafür bürgt, daß der Glaube weiter voranstürmen wird, noch größere Höhen erreichen, jedes Hindernis niederreißen, neue Ausblicke eröffnen und noch gewaltigere Erfolge erringen wird, bis seine herrliche Sendung in den vor uns liegenden dunklen Zeitläuften zur Gänze erfüllt ist.

(Shoghi Effendi, Gott geht vorüber)