O Sohn des Geistes!

Reich erschuf Ich dich, warum machst du dich selbst arm? Edel erschuf Ich dich, warum erniedrigst du dich selbst? Aus dem Wesen des Wissens gab Ich dir Leben, warum suchst du Erleuchtung bei anderen als Mir? Aus dem Ton der Liebe formte Ich dich, warum befaßt du dich mit anderem? Schaue in dich, daß du Mich in dir findest, mächtig, stark und selbstbestehend. (Baha'u'llah, Die Verborgenen Worte)

Aus dem Buch "Baha'u'llah und das Neue Zeitalter" von Esslemont John Ebenezer

WAS IST EIN BAHÁ'Í ?

»Der Mensch muß Früchte aufweisen. Ein fruchtloser Mensch gleicht nach den Worten Seiner Heiligkeit des Geistes (Christi) einem fruchtlosen Baum, der für das Feuer bestimmt ist.«
(BAHÁ'U'LLÁH, Worte des Paradieses)

Gleich allen früheren Offenbarern verkündete Bahá'u'lláh diese Wahrheit und lehrte, daß, um das Königreich Gottes auf Erden aufzurichten, es zuerst in den Herzen der Menschen errichtet sein muß. Beim Erforschen der Bahá'í-Lehre sollten wir daher vor allem mit den Unterweisungen beginnen, die Bahá'u'lláh für das Betragen des einzelnen aufgestellt hat, und sollten versuchen, uns ein klares Bild davon zu machen, was es heißt, ein Bahá'í zu sein.

90 Das Leben zu leben

Als 'Abdu'l-Bahá einmal gefragt wurde: »Was ist ein Bahá'í?« antwortete Er: »Ein Bahá'í sein heißt einfach, die ganze Welt lieben, die ganze Menschheit lieben und sich bemühen, ihr zu dienen, für den allgemeinen Frieden und die allgemeine Brüderlichkeit zu arbeiten.« Bei anderer Gelegenheit kennzeichnete Er einen Bahá'í »als einen Menschen, der in seiner Lebensführung alle menschliche Vollkommenheit aufweist«. In einer Seiner Ansprachen in London sagte Er, ein Mensch könne ein Bahá'í sein, selbst wenn er den Namen Bahá'u'lláh noch nie gehört habe. Er fügte hinzu:

»Der Mensch, der nach den Lehren von Bahá'u'lláh lebt, ist schon ein Bahá'í. Andererseits kann jemand sich fünfzig Jahre lang Bahá'í nennen, wenn er aber das Leben eines Bahá'í nicht lebt, dann ist er kein Bahá'í. Ein häßlicher Mensch mag sich selbst schön nennen, aber er täuscht niemanden, und ein schwarzer mag sich selbst weiß nennen, doch auch er vermag niemanden als sich selbst zu täuschen.«¹

Ein Mensch, der Gottes Botschaften nicht kennt, gleicht einer Pflanze, die im Schatten wächst. Obschon sie die Sonne nicht kennt, ist sie doch völlig von ihr abhängig. Die großen Offenbarer sind geistige Sonnen und Bahá'u'lláh ist die Sonne dieses »Tages«, an dem wir leben. Die Sonnen der früheren Tage haben die Welt erwärmt und belebt, und hätten diese Sonnen nicht geschienen, so würde die Erde jetzt kalt und tot sein; aber nur der Sonnenschein von heute ist imstande, die Früchte zum Reifen zu bringen, welche die Sonnen der früheren Tage ins Leben riefen.

91 Gottergebenheit

Um zu einem Bahá'í-Leben in all seiner Fülle zu gelangen, ist eine bewußte und unmittelbare Beziehung zu Bahá'u'lláh so notwendig wie der Sonnenschein für die Entfaltung der Lilie oder der Rose. Der Bahá'í verehrt nicht die menschliche Persönlichkeit von Bahá'u'lláh, sondern die Herrlichkeit Gottes, durch diese Persönlichkeit geoffenbart. Er verehrt Christus und Muhammad und alle früheren Gottgesandten an die Menschheit, aber er anerkennt Bahá'u'lláh als den Träger der göttlichen Botschaft für das neue Zeitalter, in dem wir leben, als den großen Weltenlehrer, der gekommen ist, um das Werk Seiner Vorgänger weiterzuführen und zu vollenden.

Verstandesmäßige Zustimmung zu einem Glaubensbekenntnis macht noch niemanden zu einem Bahá'í, auch äußerliche Korrektheit im Benehmen tut dies nicht. Bahá'u'lláh verlangt von Seinen Anhängern eine völlige Hingabe des Herzens. Gott allein hat das Recht, dies zu verlangen; aber Bahá'u'lláh spricht als die Manifestation Gottes und als der Offenbarer Seines Willens. Über diesen Punkt haben die früheren Manifestationen ebenfalls klar gesprochen. Christus sagte (Markus 8:34-35):

»Wer Mir will nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge Mir ... Wer sein Leben verliert um Meinetwillen ... der wird es finden.«

Mit andern Worten, alle göttlichen Manifestationen stellten die gleiche Forderung an Ihre Anhänger, und die Religionsgeschichte zeigt deutlich, daß die Religion blühte, solange diese Forderung voll und ganz anerkannt und erfüllt wurde, und dies trotz aller irdischen Gegnerschaft, trotz Schwierigkeiten, Verfolgungen und Märtyrertum der Gläubigen. Wo sich aber andererseits Zugeständnisse eingeschlichen haben und »Anständigkeit« an Stelle völliger Heiligung trat, da ist die Religion im Abstieg begriffen. Sie ist wohl Mode geworden, aber sie hat ihre Kraft, zu erlösen und zu verwandeln, ihre Kraft, Wunder zu wirken, verloren. Wahre Religion ist bis jetzt noch nie »Mode« gewesen. Gebe Gott, daß sie es eines Tages würde. Aber wie in den Tagen Christi, so ist es heute noch wahr (Matth. 7: 14):

»Die Pforte ist eng, und der Weg ist schmal, der zum Leben führt, und wenige sind ihrer, die ihn finden.«

Die Pforte der geistigen Geburt läßt gleichsam wie die Pforte der natürlichen Geburt, nur einen nach dem andern hindurch. Gelingt es in der Zukunft, daß mehr Menschen durch diese Pforte gehen als in der Vergangenheit, so wird dies nicht etwa wegen einer Erweiterung der Pforte geschehen, sondern wegen einer größeren Geneigtheit der Menschen, die »große Hingabe«, die Gott fordert, zu vollbringen, weil lange und bittere Erfahrungen sie schließlich zu der Einsicht gebracht haben, welche Torheit es ist, ihren eigenen Weg statt den Weg Gottes zu wählen.

93 Suche nach Wahrheit

Bahá'u'lláh macht allen Seinen Anhängern Gerechtigkeit zur Pflicht und erklärt diese als (Worte der Weisheit):

»Freiheit des Menschen von Aberglauben und Nachahmung, so daß er die Manifestationen Gottes mit dem Auge der Einheit erkennen und alle Verhältnisse mit scharfem Blick durchschauen kann.«

Es ist notwendig, daß jedermann die Herrlichkeit Gottes, geoffenbart in dem menschlichen Tempel Bahá'u'lláh, sieht und sie sich gegenwärtig macht, andernfalls wäre der Bahá'í-Glaube für ihn nichts als ein Name ohne Bedeutung. Der Ruf der Offenbarer an die Menschheit enthielt immer die Aufforderung, sie möchten ihre Augen öffnen, nicht schließen, und ihre Vernunft gebrauchen, nicht unterdrücken. Klares Sehen und ein freies Denken sind es, nicht sklavische Leichtgläubigkeit, die den Menschen befähigen, die Wolken der Vorurteile zu durchdringen, die Fesseln blinder Nachahmungen abzuschütteln und zum Erfassen der Wahrheit einer neuen Offenbarung zu gelangen.

Wer ein Bahá'í werden will, muß vor allem ein furchtloser Wahrheitsforscher sein. Er sollte aber sein Suchen nicht nur auf diese materielle Ebene beschränken. Sein geistiges Wahrnehmungsvermögen sollte ebenso wach sein wie sein physisches. Er sollte alle ihm von Gott verliehenen Fähigkeiten gebrauchen, um zur Wahrheit zu gelangen, und ohne triftigen und genügenden Grund nichts glauben. Wenn sein Herz rein und sein Geist vorurteilsfrei sind, wird der ernste Sucher nicht verfehlen, die göttliche Herrlichkeit zu erkennen, in welchem Tempel sie auch zum Vorschein kommen mag.

Bahá'u'lláh erklärt ferner:

»Der Mensch muß sein eigenes Ich erkennen und wissen, was zu Erhabenheit oder Gemeinheit, zu Schande oder Ehre, zu Wohlstand oder Armut führt.« (Tarazát)

»Die Quelle aller Gelehrsamkeit ist die Erkenntnis Gottes, erhaben sei Sein Ruhm! Diese Erkenntnis kann auf keine andere Weise erlangt werden als durch die Erkenntnis Seiner göttlichen Manifestation.« (Worte der Weisheit, S.15.)

Die Manifestation ist der vollkommene Mensch, das große Vorbild für die Menschheit, die erste Frucht am Baum der Menschheit. Solange wir die Manifestation nicht kennen, kennen wir die in uns verborgenen Möglichkeiten nicht. Christus lehrt uns, wir sollen die Lilien betrachten, wie sie wachsen, und Er erklärt, daß Salomo in all seiner Herrlichkeit nicht bekleidet gewesen sei wie eine dieser Lilien. Die Lilie wächst aus einer sehr unansehnlichen Knolle hervor. Wenn wir noch nie eine blühende Lilie gesehen und niemals auf den unvergleichlichen Reiz ihrer Blätter und Blüten geblickt hätten, wie könnten wir uns darin die Wirklichkeit, welche die Knolle enthält, vorstellen? Wenn wir sie auch noch so sorgfältig zerlegen und ihr Inneres auch noch so genau erforschen würden, die in ihr schlafende Schönheit, die der Gärtner zu wecken weiß, würden wir doch nie entdecken. So ist es auch mit uns. Solange wir die Herrlichkeit Gottes, in der Manifestation geoffenbart, nicht geschaut haben, solange haben wir keine Vorstellung von der geistigen Schönheit, die in unserer eigenen Natur und in der unserer Mitmenschen verborgen liegt. Dadurch, daß wir die Manifestation Gottes erkennen und lieben und Ihre Lehren befolgen, werden wir befähigt, uns allmählich der in uns schlummernden Vollkommenheit bewußt zu werden. Dann, und nur dann, wird uns der Sinn und der Zweck des Lebens und des Weltalls klar werden.

94 Liebe zu Gott

Die Manifestation Gottes zu erkennen heißt, Sie auch zu lieben. Eines ist unmöglich ohne das andere. Nach der Lehre von Bahá'u'lláh ist der Zweck der Erschaffung des Menschen der, daß er Gott erkennen und lieben soll. In einem Seiner Tablets sagt Er:

»Die Ursache der Erschaffung aller irdischen Wesen war Liebe, wie in einer wohlbekannten Überlieferung gesagt ist: 'Ich war ein verborgener Schatz und wünschte erkannt zu werden. Um erkannt zu werden, erschuf Ich die Schöpfung.'«

Und in den Verborgenen Worten sagt Er:

»O Sohn des Seins! Liebe Mich, damit Ich dich liebe. Wenn du Mich nicht liebst, kann Meine Liebe dich niemals erreichen. Erkenne dies, o Diener.«

»O Sohn der wunderbaren Schau! Einen Hauch Meines Geistes blies Ich dir ein, damit du Mich lieben mögest. Warum hast du Mich verlassen und einen anderen Geliebten als Mich gesucht?«

Gott wahrhaft lieben ist das einzige Lebensziel für den Bahá'í; Gott als seinen nächsten Gefährten, seinen besten Freund und seinen unvergleichlichen Geliebten zu haben, in dessen Gegenwart Freude in Fülle ist. Und Gott lieben heißt alles und jedermann lieben, denn alle sind von Gott. Der wahre Bahá'í wird der vollkommen Liebende sein. Mit reinem Herzen wird er jedermann innig lieben. Er wird niemanden hassen. Er wird niemanden verwerfen, denn er wird gelernt haben, das Antlitz seines Geliebten in jedem Antlitz zu sehen und Seine Spur überall zu finden. Seine Liebe wird keine Grenzen durch Bekenntnisse, Nationen, Klassen und Rassen kennen. Bahá'u'lláh sagt (ÄL Kap.43):

»Einst wurde offenbart: 'Die Liebe zum Vaterland ist ein Grundbestandteil des Glaubens Gottes.' Die Zunge der Größe hat indessen am Tag Ihrer Offenbarung verkündet: 'Es rühme sich nicht der, welcher sein Vaterland liebt, sondern der, welcher die Welt liebt.'«

(Sendschreiben über die Welt, in.- Ährenlese aus den Schriften Bahá'u'lláhs, Kap. XLIII.)

Ferner (in Worte des Paradieses):

»Gesegnet ist, wer seinen Bruder sich selbst vorzieht. Ein solcher gehört zum Volke Bahá.«

'Abdu'l-Bahá sagt uns, wir sollen sein »eine eine Seele in vielen Körpern; denn je mehr wir einander lieben, desto näher werden wir Gott sein«. Zu einer amerikanischen Zuhörerschaft sprach Er:

»Desgleichen sind die göttlichen Religionen der heiligen Manifestationen Gottes in Wirklichkeit eine, obwohl sie sich bezüglich des Namens und der Ausdrucksweise unterscheiden. Der Mensch muß das Licht lieben, gleichgültig, woher es kommt. Er muß die Rose lieben, gleichgültig, in welchem Boden sie wächst. Er muß ein Sucher nach Wahrheit sein, gleichgültig aus welcher Quelle sie fließt. Anhänglichkeit an die Lampe ist nicht Liebe zum Licht. Anhänglichkeit an die Erde ziemt sich nicht, aber Ergötzen an der Rose, die der Erde entsprießt, ist von Wert. Wertschätzung des Baumes allein ist nutzlos, aber an der Frucht teilzuhaben ist von Nutzen. Süße Früchte müssen genossen werden, gleichgültig, auf welchem Baume sie wachsen und wo man sie finden mag. Das Wort der Wahrheit muß gutgeheißen werden, gleichgültig, welche Zunge es ausspricht. Unbedingte Wahrheiten müssen angenommen werden, gleichgültig, in welchem Buche sie aufgezeichnet sein mögen. Wenn wir ein Vorurteil hegen, wird dies die Ursache von Verlust und Unwissenheit sein. Der Streit zwischen Religionen, Nationen und Rassen entsteht durch Mißverständnisse. Wenn wir die Religionen durchforschen, um die ihnen zugrundeliegenden Prinzipien zu entdecken, so werden wir sie in Übereinstimmung finden, denn ihre grundlegende Wirklichkeit ist eine und nicht vielerlei. Dadurch werden die religiösen Menschen dieser Welt zu dem Punkte der Einheit und Versöhnung gelangen.«

Und wieder sagt Er:

»Jede Seele unter den Geliebten muß die andern lieben und Besitz und Leben für sie einsetzen. Jedenfalls müssen sie sich bemühen, die andern freudig und glücklich zu machen. Aber diese andern müssen ebenfalls selbstlos und selbstaufopfernd sein. Möge dieser Sonnenaufgang die Horizonte überfluten, diese Melodie alle Menschen erfreuen und glücklich machen, diese göttliche Arznei das Allheilmittel für jegliche Krankheit sein und dieser Geist der Wahrheit die Ursache des Lebens für jede Seele werden.«¹

¹ Tablets of Abdu'l-Bahá I p.147

96 Trennung

Hingabe an Gott schließt auch Trennung von allem, was nicht von Gott ist, in sich. Trennung in diesem Sinne heißt, sich zu lösen von allen selbstischen, weltlichen, ja sogar von jenseitigen Wünschen. Der Pfad Gottes mag durch Reichtum oder Armut, durch Gesundheit oder Krankheit, durch den Palast oder den Kerker, durch den Rosengarten oder die Folterkammer führen, wie dem auch sei, der Bahá'í wird sein Los mit »strahlender Ergebung« tragen. Unter dieser Trennung ist aber nicht törichte Gleichgültigkeit seiner Umgebung gegenüber oder untätige Ergebung in schlimme Zustände gemeint; auch die Verachtung der guten Dinge, die Gott erschaffen hat, ist hierunter nicht zu verstehen. Der wahre Bahá'í wird nicht abgestumpft, teilnahmslos oder asketisch sein. Auf dem Pfade Gottes wird er eine Fülle von Teilnahme, Arbeit und Freude finden, er wird aber nicht um Haaresbreite von diesem Pfade abweichen, um Vergnügungen nachzujagen, noch sich nach irgend etwas sehnen, das ihm Gott versagt hat. Wenn jemand Bahá'í wird, wird Gottes Wille sein Wille, denn im Widerspruch mit Gott zu sein ist das Einzige, das er nicht zu ertragen vermag. Auf dem Pfade Gottes vermögen ihn weder Schrecken noch Schwierigkeiten zu entmutigen. Das Licht der Liebe erleuchtet seine dunkelsten Tage, verwandelt Leid in Freude und selbst Märtyrertum in Verzückung. Das Leben ist zum Heldentum erhoben, und der Tod wird zu einem frohen Ereignis.

Bahá'u'lláh sagt:

»Wer in seinem Herzen Liebe hat für irgend etwas außer Mir, auch wenn sie geringer wäre als ein Senfkorn, kann wahrlich nicht in Mein Königreich eintreten.«¹

»O, Sohn des Menschen! Wenn du Mich liebst, wende dich ab von dir, und wenn du Mein Wohlgefallen suchst, achte nicht auf deines, damit du in Mir vergehest und Ich ewig in dir lebe.«²

»O Mein Diener! Befreie dich von den Banden dieser Welt und löse deine Seele aus dem Gefängnis des Selbstes. Ergreife die Gelegenheit, denn sie wird sich dir nie wieder bieten.«³

¹ Súratu'l-Haykal ² VW ar.7 ³ VW p.40

97 Gehorsam

Die Hingabe an Gott schließt auch Gehorsam Seinen geoffenbarten Geboten gegenüber in sich, selbst dann, wenn der Grund dieser Gebote nicht verstanden wird. Der Matrose gehorcht stillschweigend den Befehlen seines Kapitäns, auch wenn er den Grund derselben nicht versteht; aber deshalb ist seine Anerkennung der Autorität keine blinde. Er ist sich dessen wohl bewußt, daß der Kapitän eine umfassende Prüfung abgelegt und genügend Beweise seiner Fähigkeit als Seemann erbracht hat. Wenn dem nicht so wäre, so wäre es in der Tat töricht, unter ihm zu dienen. So muß auch der Bahá'í dem Kapitän seiner Erlösung stillschweigend gehorchen, aber er würde in der Tat töricht sein, wenn er sich nicht zuerst Gewißheit verschaffen würde, daß dieser Kapitän auch genügend Beweise seiner Vertrauenswürdigkeit erbracht hat. Hat er aber solche Beweise empfangen, dann wäre es eine noch größere Torheit, den Gehorsam zu verweigern; denn nur dadurch, daß wir dem weisen Meister in vernünftiger Weise und mit offenen Augen Gehorsam leisten, können wir die Segnungen seiner Weisheit ernten und uns diese Weisheit zu eigen machen. Wäre der Kapitän nicht so weise und würde niemand von der Besatzung ihm gehorchen, wie sollte alsdann das Schiff seinen Hafen erreichen oder der Matrose die Kunst der Seefahrt erlernen? Christus erklärt deutlich, daß Gehorsam der Pfad zur Erkenntnis ist. Er sagt (Joh.7:16-17):

»Meine Lehre ist nicht Mein, sondern Dessen, der Mich gesandt hat. So jemand will Dessen Willen tun, der wird inne werden, ob diese Lehre von Gott sei, oder ob Ich von Mir selbst rede.«

So sagt Bahá'u'lláh (Tajallíyát):

»Der Glaube an Gott und Seine Erkenntnis können nur dadurch voll verwirklicht werden, daß der Mensch ... das ausführt, was Er befohlen hat und was durch die Feder der Herrlichkeit in dem Buch geoffenbart ist.«

Selbstverständlicher Gehorsam ist in diesen demokratischen Zeiten keine volkstümliche Tugend, und gänzliche Unterwerfung unter den Willen des nächsten besten Einzelmenschen würde in der Tat unheilvoll sein. Aber die Einigung der Menschheit kann nur dadurch erlangt werden, daß jeder einzelne und alle in eine völlige Übereinstimmung mit dem göttlichen Willen gebracht werden. Solange dieser Wille nicht klar geoffenbart ist und die Menschen nicht jedem andern Führer entsagen und dem Gottgesandten gehorchen, werden Streit und Hader weitergehen und die Menschen werden nicht aufhören, einander zu bekämpfen; sie werden einen großen Teil ihrer Kräfte aufwenden, um die Bemühungen ihrer Menschenbrüder zu durchkreuzen, anstatt harmonisch für die Herrlichkeit Gottes und für den Gemeinnutz zusammenzuarbeiten.

99 Dienst

Die Hingabe an Gott erfordert ein Leben des Dienstes unseren Mitmenschen gegenüber. Wir können Gott in keiner anderen Weise dienen. Wenn wir unseren Nebenmenschen den Rücken kehren, kehren wir Gott den Rücken. Christus sagte (Matth.25:40):

»Was ihr getan habt einem Meiner geringsten Brüder, das habt ihr Mir getan.«

So sagt auch Bahá'u'lláh (Worte der Weisheit S.9):

»O Sohn des Menschen! Wenn du Barmherzigkeit übtest, dann würdest du nicht deinen eigenen, sondern den Nutzen der Menschheit im Auge behalten. Wenn du Gerechtigkeit übtest, dann würdest du für andere nur wählen, was du auch für dich selbst wählst.«

'Abdu'l-Bahá sagt:

»Im Bahá'í-Glauben werden Künste, Wissenschaften und alle Arbeit als Gottesdienst erachtet. Ein Mensch, der etwas, sei es auch nur ein Stück Notizpapier, nach seinem besten Können herstellt und dabei bewußt alle seine Kräfte darauf richtet, es zu vervollkommnen, preist damit Gott. Kurz, alle Bemühungen und Anstrengungen, die ein Mensch macht, sofern sie von ganzem Herzen kommen und er von den höchsten Beweggründen und dem Willen dazu getrieben wird, der Menschheit zu dienen, sind Gottesdienst. Gott dienen heißt der Menschheit dienen und den Nöten der Menschen abhelfen. Dienst ist Gebet. Ein Arzt, der dem Kranken frei von Vorurteilen, freundlich und sorgsam hilft und an die Zusammengehörigkeit der menschlichen Rasse glaubt, preist damit Gott.«¹

¹ The Wisdom of 'Abdu'l-Bahá, New York, 1924

100 Das Lehren

Der wahre Bahá'í wird an die Lehren von Bahá'u'lláh nicht nur glauben, sondern in ihnen Führung und Kraft für sein ganzes Leben finden, und voll Freude wird er andern die Erkenntnis übermitteln, welche die Quelle seines eigenen Wesens ist. Nur auf diese Weise wird er »die Macht und Bestätigung des Geistes« in vollem Maße empfangen. Nicht alle können beredte Sprecher oder gewandte Schriftsteller sein, aber alle können dadurch lehren, daß sie »das Leben leben«. Bahá'u'lláh sagt (Worte der Weisheit S.11f):

»Das Volk Bahás muß dem Herrn mit Weisheit dienen, andere durch sein Leben belehren und das Licht Gottes in seinen Taten offenbaren. Die Wirkung der Taten ist wahrhaft mächtiger als die der Worte ... Die Wirkung des Wortes, das der Lehrer spricht, hängt ab von der Reinheit seiner Absicht und seiner Loslösung vom Irdischen. Manche begnügen sich mit Worten, aber die Wahrheit der Worte wird durch Taten und das gelebte Leben bezeugt. Taten offenbaren die Stufe des Menschen. Die Worte müssen mit dem übereinstimmen, was aus dem Munde des Willens Gottes hervorging und in den Tablets niedergelegt ist.«

Der Bahá'í wird seine Ansichten in keinem Fall denen aufdrängen, die sie nicht hören wollen. Er wird die Menschen zum Königreich Gottes hinziehen und nicht versuchen, sie gewaltsam hineinzudrängen. Er wird wie ein guter Hirte sein, der seiner Herde vorangeht und die Schafe durch seine Melodie erfreut, anstatt sie, wie andere es tun, von hinten mit Hund und Stecken gewaltsam vorwärts zu treiben. Bahá'u'lláh sagt (VW p.36):

»O Sohn des Staubes! Die Weisen sind jene, die nicht reden, ehe sie Gehör finden, gleichwie der Mundschenk seinen Kelch nicht darreicht, ehe er nicht einen Dürstenden trifft, und der Liebende nicht aus tiefster Seele ruft, ehe er nicht die Schönheit der Geliebten sieht. Deshalb säe den Samen der Weisheit und Erkenntnis in die gute Erde des Herzens und halte ihn verborgen, bis die Hyazinthen der göttlichen Weisheit aus dem Herzen aufsprießen und nicht aus dem Schlamm und Lehm.«

Im Tablet Ishráqát sagt Er ferner:

»O Volk von Bahá! Ihr seid die Dämmerungsorte der Liebe und die Aufgangspunkte der Gunst Gottes. Befleckt eure Zunge nicht dadurch, daß ihr irgend jemanden verflucht oder verwünscht, und hütet eure Augen vor dem, was unwürdig ist. Zeigt, was in euch ist. Wird es angenommen, ist das Ziel erreicht. Wo nicht, da ist es nicht erlaubt, mit denen, die es verwerfen, zu streiten oder sich näher einzulassen, überlaßt sie sich selbst und schreitet vorwärts hin zu Gott, dem Beschützer, dem Selbstbestehenden. Seid nicht die Ursache des Kummers, noch weniger des Aufruhrs und des Streites! Wir hoffen, daß ihr im Schatten des Baumes göttlicher Gunst erzogen werdet und daß ihr stets nach Gottes Willen handelt. Ihr seid alle die Blätter eines Baumes und die Tropfen eines Meeres.«

101 Höflichkeit und Ehrerbietung

Bahá'u'lláh sagt (Lawh-i-Dunja):

»O Volk Gottes! Ich ermahne dich zur Höflichkeit. Höflichkeit ist ... die Krone aller Tugenden. Gesegnet ist, wer geschmückt ist mit dem Mantel der Aufrichtigkeit und erleuchtet ist mit dem Lichte der Höflichkeit. Wer mit Höflichkeit ausgestattet ist, nimmt eine hohe Stufe ein. Es ist zu hoffen, daß dieser Unterdrückte und alle Menschen sie erlangen mögen, ihr folgen, sich an sie halten und sie beachten. Dies ist der unwiderlegliche Befehl, der aus der Feder des Größten Namens floß.«

Wieder und wieder betont Er:

»Laßt alle Nationen der Welt miteinander in Freude und Wohlwollen verkehren. O Menschen, stimmt mit den Anhängern aller Religionen in Freude und Wohlwollen überein.«

'Abdu'l-Bahá sagt in einem Brief an die Bahá'í in Amerika:

»Hütet euch, hütet euch, daß ihr nicht ein Herz beleidigt! Hütet euch, hütet euch, daß ihr nicht eine Seele verletzt! Hütet euch, hütet euch, daß ihr gegen niemanden unfreundlich handelt! Hütet euch, hütet euch, daß ihr nicht für ein Geschöpf zur Ursache der Hoffnungslosigkeit werdet! Sollte jemand für irgendein Herz zur Ursache des Kummers oder für irgendeine Seele zur Ursache der Mutlosigkeit werden, so würde es für denselben besser sein, sich in den tiefsten Tiefen der Erde zu verbergen, als auf ihr zu wandeln.«

'Abdu'l-Bahá lehrt, daß so, wie die Blume in der Knospe verborgen ist, in jedem Menschenherzen ein Geist von Gott wohne, einerlei wie hart und unliebsam auch sein Äußeres sein mag. Der wahre Bahá'í wird daher jeden Menschen behandeln wie der Gärtner eine seltene und schöne Pflanze pflegt. Er weiß, daß kein ungeduldiger Eingriff seinerseits die Knospe zur Blume entfalten kann, daß nur Gottes Sonnenschein dies zu tun vermag. Sein Bemühen ist daher, diesen lebenspendenden Sonnenschein in jedes verdunkelte Herz und Heim zu tragen. 'Abdu'l-Bahá sagt ferner :

»In den Lehren von Bahá'u'lláh finden wir auch, daß man einem um Vergebung bittenden Menschen unter allen Bedingungen und Umständen vergeben muß, daß man seinen Feind lieben und den übelgesinnten als wohlgesinnten betrachten soll. Es sollte aber niemand einen andern als einen Feind ansehen, alles still erdulden und ihm verzeihen. Dies wäre Heuchelei und keine wahre Liebe. Nein, du mußt vielmehr deine Feinde wie Freunde ansehen, die dir übelwollenden als wohlwollende und sie dementsprechend behandeln. Deine Liebe und Güte müssen echt sein ... nicht nur Nachsicht, denn Nachsicht, wenn sie nicht von Herzen kommt, ist Heuchelei.«¹

Solcher Rat erscheint uns unverständlich und widersprüchlich, bis wir einsehen, daß, obwohl im äußeren, fleischlichen Menschen Haß und übelwollen wohnen, doch in jedem Menschen eine innere, geistige Natur liegt, die der wirkliche Mensch ist, von dem nur Liebe und Wohlwollen ausgehen können. Es ist dieser wirkliche, innere Mensch in jedem unserer Nebenmenschen, auf den wir unsere Gedanken und unsere Liebe richten müssen. Wenn dieser zur Tätigkeit erwacht, dann wird der äußere verwandelt und erneuert.

¹ Star of the West IV p.191

102 Das sündenbedeckende Auge

Die Bahá'í-Lehre ist in keinem Punkte gebieterischer und unbeugsamer als in der Forderung, sich der Tadelsucht zu enthalten. Christus sprach sehr nachdrücklich über diesen Punkt, aber es ist jetzt üblich geworden, die Bergpredigt so zu betrachten, als bringe sie sogenannte Ratschläge der Vollkommenheit zum Ausdruck, die zu leben von einem gewöhnlichen Christen nicht erwartet werden könne. Sowohl Bahá'u'lláh als 'Abdu'l-Bahá gaben sich die größte Mühe, klarzumachen, daß in diesem Punkt Sie in allem auch meinen, was Sie sagen. Wir lesen in den Verborgenen Worten (ar.27, ar.29):

»O Sohn des Menschen! Sprich nicht über die Sünden anderer, solange du selbst ein Sünder bist. Solltest du dieses Gebot übertreten, würdest du verworfen sein - dies bezeuge Ich dir.«

»O Sohn des Seins! Traue keiner Seele zu, was du nicht wünschest, daß man dir zutraue, und spricht nicht von dem, was du nicht ausführst. Dies ist Mein Gebot - gehorche ihm."

'Abdu'l-Bahá fordert von uns:

»Über die Fehler anderer zu schweigen, für sie zu beten und ihnen durch Güte zu helfen, ihre Fehler zu bessern. Immer auf das Gute zu blicken und nicht auf das Schlechte. Wenn ein Mensch zehn gute und eine schlechte Eigenschaft hat, auf die zehn guten zu blicken und die eine schlechte zu übersehen. Und wenn ein Mensch zehn schlechte und eine gute Eigenschaft hat, auf die eine gute zu blicken und die zehn schlechten zu übersehen. Sich niemals zu erlauben, ein unfreundliches Wort über einen andern zu sprechen, selbst wenn dieser unser Feind wäre.«

An einen amerikanischen Freund schrieb Er:

»Die schlimmste Eigenschaft und die größte Sünde ist die Verleumdung, ganz besonders, wenn sie von dem Munde der Gläubigen Gottes ausgeht. Wenn ein Mittel erfunden wurde, durch das die Tore der Verleumdung für ewig geschlossen werden könnten, und jeder der Gläubigen Gottes seine Lippen zum Lobe der andern öffnen würde, dann würden die Lehren Seiner Heiligkeit Bahá'u'lláh verbreitet, die Herzen erleuchtet, der Geist der Menschen veredelt und die Menschheit würde ewiges Glück erlangen.«¹

¹ Star of the West IV p.192

103 Demut

Während uns befohlen ist, die Fehler anderer zu übersehen und nur auf ihre Tugenden zu blicken, ist uns andererseits geboten, unsere eigenen Fehler herauszufinden und von unseren Tugenden kein Aufheben zu machen. Bahá'u'lláh sagt in den Verborgenen Worten (ar.26, pers.66):

»O Sohn des Seins! Wie konntest du deine eigenen Fehler vergessen und dich mit den Fehlern der anderen befassen? Wer dies tut, wird von Mir verworfen.«

»O ihr Auswanderer! Die Sprache bestimmte Ich zu Meiner Erwähnung. Befleckt sie nicht durch Verleumdung. Sollte euch das Feuer des Selbstes übermannen, so erinnert euch eurer eigenen Fehler und nicht der Fehler Meiner Geschöpfe, denn ein jeder von euch kennt sich selbst besser als das Wesen anderer.«

'Abdu'l-Bahá sagt:

»Laßt euer Leben eine Ausstrahlung des Reiches Christi sein. Er kam nicht, um Sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen ... In der Religion von Bahá'u'lláh sind alle Diener und Dienerinnen, Brüder und Schwestern. Sobald einer sich für ein wenig besser, für ein wenig höher hält als die übrigen, befindet er sich in einer gefährlichen Lage, und solange er den Keim solch übler Gedanken nicht beseitigt, ist er kein taugliches Werkzeug für den Dienst im Königreich Gottes.«¹

»Mit sich selbst unzufrieden zu sein. ist ein Zeichen des Fortschritts. Die Seele, die mit sich selbst zufrieden ist, ist die Offenbarung des Satanischen, und wer mit sich selbst unzufrieden ist, ist die Offenbarung des Barmherzigen. Wenn ein Mensch tausend gute Eigenschaften hat, so darf er nicht auf diese blicken; nein, er soll vielmehr danach streben, seine eigenen Mängel und Unvollkommenheiten herauszufinden ... Wie sehr ein Mensch auch Fortschritte machen mag, er ist dennoch unvollkommen, weil es immer noch eine Stufe über ihm gibt. Zu dieser Stufe blickt er aber nicht eher empor und trachtet nicht eher danach, sie zu erlangen, bis er mit seinem eigenen Zustand unzufrieden ist. Wenn sich jemand selbst lobt, so ist das ein Zeichen von Selbstsucht.«¹

Obschon uns befohlen ist, unsere Sünden einzusehen und sie aufrichtig zu bereuen, ist doch das übliche Bekennen der Sünden vor den Priestern und vor andern nachdrücklich verboten. Bahá'u'lláh sagt in den Frohen Botschaften:

»Wenn das Herz des Sünders von allem frei ist außer Gott, muß er allein von Gott Vergebung erflehen. Beichte vor den Dienern (d.h. vor Menschen) ist nicht erlaubt, denn dies ist nicht das Mittel noch die Ursache zu göttlicher Vergebung. Solche Beichte vor den Geschöpfen führt zu des Menschen Demütigung und Erniedrigung, und Gott - erhaben sei Seine Herrlichkeit - wünscht nicht die Erniedrigung Seiner Diener. Wahrlich, Er ist mitleidig und wohltätig. Allein mit Gott muß der Sünder um Gnade aus dem Meer der Gnade bitten und Verzeihung von dem Himmel der Vergebung erflehen.«²

¹ Aus Tagebuchnotizen von Mírzá Ahmad Sohrab, Januar 1914
² Bahá'u'lláh, Die frohen Botschaften

105 Wahrhaftigkeit und Vertrauenswürdigkeit

Bahá'u'lláh sagt im Tablet Tarázát:

»Vertrauenswürdigkeit ist die Tür zur Ruhe für alle in der Welt und das Zeichen der Herrlichkeit aus der Gegenwart des Barmherzigen. Wer sie erlangt, besitzt reiche Schätze im Überfluß. Die Vertrauenswürdigkeit ist das weit geöffnete Tor zu Ruhe und Sicherheit der Menschheit. Jedes Vorhaben ist in seiner Beständigkeit von ihr abhängig, und die Welten der Ehre, des Ruhms und der Wohlhabenheit erstrahlen in ihrem Lichte ... O Volk Bahás! Vertrauenswürdigkeit ist das beste Gewand für eure Tempel (Körper) und die prächtigste Krone für eure Häupter. Haltet euch an sie nach dem Befehl des allmächtigen Gebieters!«

Ferner sagt Er (Worte der Weisheit S.14):

»Das Wesen des Glaubens ist es, wenig Worte zu machen und eine Fülle von Taten aufzuweisen. Wisse wahrlich, daß für den, der mehr redet als er tut, der Tod besser wäre als sein Leben.«

'Abdu'l-Bahá sagt:

»Wahrhaftigkeit ist die Grundlage aller Tugenden der Menschheit. Ohne Wahrhaftigkeit sind Fortschritt und Erfolg für eine Seele in allen Welten unmöglich. Wenn diese heilige Eigenschaft in einem Menschen besteht, werden auch alle andern göttlichen Eigenschaften erzielt.«¹

»Laßt das Licht der Wahrheit und der Redlichkeit aus eurem Antlitz leuchten, so daß alle erkennen mögen, daß euer Wort bei der Arbeit wie beim Vergnügen ein Wort ist, auf das man trauen und dessen man sicher sein kann. Vergeßt euer Selbst und arbeitet für die Gesamtheit.«

¹ Tablets of 'Abdu'l-Bahá, Band 2, p.459
² Message to the London Bahá'ís, 1911

106 Selbstverwirklichung

Bahá'u'lláh dringt immer darauf, daß sich der Mensch der in ihm verborgenen Vollkommenheit, des wahren inneren Selbstes, bewußt werde und diese völlig zum Ausdruck bringen soll. Dieses innere Selbst unterscheidet sich vom begrenzten äußeren Selbst, welches bestenfalls nur wie ein Tempel ist und nur zu oft zum Gefängnis des wirklichen Menschen wird. In den Verborgenen Worten sagt Bahá'u'lláh (VW ar.12 ar.13 pers.72 pers.73):

»O Sohn des Seins! Mit den Händen der Macht erschuf Ich dich, mit den Fingern der Kraft formte Ich dich, und Ich legte in dich Mein strahlendes Leuchten. Begnüge dich damit und suche nichts anderes, denn Mein Werk ist vollkommen und Mein Gebot bindend. Sei dessen gewiß und zweifle nicht.«

»O Sohn des Geistes.! Ich habe dich reich erschaffen, warum machst du dich selbst arm? Edel erschuf Ich dich, warum erniedrigst du dich selbst? Aus den Tiefen des Wissens gab Ich dir Leben, warum suchst du nach Erleuchtung bei einem anderen als Mir? Aus dem Ton der Liebe formte Ich dich, warum trachtest du nach einem anderen außer Mir? Schaue in dich selbst, damit du Mich in dir findest, aufrecht und mächtig in Kraft und Beständigkeit.«

»O Mein Diener! Du gleichst einem gut gehärteten Schwert, das in der Dunkelheit seiner Scheide verborgen liegt und dessen Wert dem Kundigen verborgen ist. Komm darum hervor aus der Scheide des Ichs und des Begehrens, damit dein Wert vor aller Welt glänzend kundgetan werde.«

»O Mein Freund! Du bist das Tagesgestirn am Himmel Meiner Heiligkeit. Verdunkle deinen Glanz nicht durch die Unreinheit der Welt. Zerreiße den Schleier der Nachlässigkeit, damit du strahlend hinter den Wolken hervorkommen und alle Dinge mit dem Gewand des Lebens bekleiden mögest.«

Das Leben zu dem Bahá'u'lláh Seine Nachfolger ruft, ist sicherlich voll solchem Adel, daß es in dem weiten Gebiet menschlicher Möglichkeiten nichts gibt, das erhabener, schöner und unseres Begehrens würdiger wäre. Das Erkennen des geistigen Selbstes in uns bedeutet das Erkennen der erhabenen Wahrheit, daß wir von Gott sind und zu Ihm zurückkehren werden. Dieses Zurückkehren zu Gott ist das herrliche Ziel der Bahá'í. Doch um dieses Ziel zu erreichen, gibt es nur einen Pfad, den des Gehorsams gegenüber Seinen erwählten Gesandten und ganz besonders gegenüber Seinem Gesandten für die Zeit, in der wir leben, Bahá'u'lláh, dem Offenbarer des neuen Zeitalters.

(Baha'u'llah und das Neue Zeitalter)

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